Read the book: «Der Pastor von Ashbourn»
Erster Band
I.
Der große Pope
An den Herrn Doctor Petrus Barlow, Professor der
Philosophie an der Universität von Cambridge
Ashbourn, bei Nottingham, den 5. April 1754.
Lieber College!
Lassen Sie mich Ihnen den freundschaftlichen Titel College geben; denn nach meiner Meinung gebührt Ihnen dieser Titel, obgleich Sie ein gelehrter Doctor der Philosophie sind, und ich ein einfacher Dorfpastor bin; Sie haben für den Körper zu sorgen, wie ich für die Seelen zu sorgen habe; ich bereite zum Sterben vor, aber Sie bereiten zum Leben vor, und Gott allein vermöchte zu sagen, wer von uns Beiden das heiligste Amt bekleidet.
Freilich begegnet es mir zuweilen, mein lieber College, genöthigt zu sein, das zu verbessern, was Sie gemacht haben; Ihre unglückliche Schulphilosophie neigt sich immer ein wenig nach der heidnischen Seite, und ich bin oft berufen zu erkennen, daß, obschon die Iliade und die Bibel, der Phädon und das Evangelium, sehr schöne und besonders sehr beredtsame Dinge sind, die Iliade und die Bibel sich zuweilen widersprechen, der Phädon und das Evangelium nicht immer einverstanden sind. Und Sie werden wohl begreifen, mein lieber Petrus, daß, wenn solche Widersprüche sich in meiner Gegenwart zeigen, ich nicht anzunehmen vermag, daß der Phädon oder die Iliade Recht haben.
Aber haben wir, wie Sie mir in Ihrem letzten Briefe sagten, trotz dieser Meinungsverschiedenheiten zwischen den Schriftstellern, die wir auslegen, und zwischen den Dingen, die wir lehren, die Hoffnung, daß es einen Punkt der Straße giebt, auf welchem unsere beiden Wege, so auseinander laufend sie auf den ersten Blick auch scheinen mögen, eines Tages zusammentreffen werden! Dieser Punkt ist der Glaube an die ewige Gerechtigkeit, und besser noch, auf die göttliche Barmherzigkeit, welche, ich bürge dafür, mein lieber Petrus, uns allen Beiden die guten Absichten anrechnen wird, ohne uns zu sehr über unsere Fehler oder unsere Irrthümer zu beunruhigen, welche ihren Ursprung in der menschlichen Schwäche gehabt haben.
Einstweilen, bis daß es dem Herrn gefällt, über uns in jener Welt zu verfügen, welche auf die unserige folgen soll, geben wir uns auf dieser, Jeder auf seiner Seite, einem Studium hin, welches auf den ersten Blick und mit oberflächlichem Auge betrachtet, dasselbe scheinen würde, während es dem Philosophen und dem Denker beträchtliche Verschiedenheiten zeigt.
Sie, mein lieber Petrus, Sie studiren den Menschen, und ich studire die Menschen.
Möchte es Ihnen auf Ihrer Seite besser gelingen, als es mir auf der meinigen, besonders bei meinem ersten Auftreten im Leben, gelungen ist!
Jetzt wünschen Sie dieses Studium des Menschen, das heißt des menschlichen Geschlechtes, durch einzelne Personen an mir zu machen, wie Sie es an Anderen gemacht haben. Sie behaupten in Ihrer Nachsicht für den armen Pastor, daß ich einige gute Eigenschaften habe; worauf ich dadurch antworte, daß ich mich beschuldige, große Fehler zu haben. Um sich eine bestimmte Meinung zwischen unseren beiden verschiedenen Meinungen zu schaffen, verlangen Sie, daß ich mich Ihren Augen so darstelle, wie ich aus den Händen meines Schöpfers hervorgegangen bin, – solus, pauper et nudus; – es sei, ich will von meinen Schultern jenen Mantel des Demüthigen gleiten lassen, durch dessen Löcher man oft das Herz des Hochmüthigen sieht. Erforschen Sie meine arme Person so langsam und so sorgfältig, als Sie wollen; ich werde nicht versuchen, Ihnen einen einzigen meiner Fehler oder eine einzige meiner Lächerlichkeiten zu verbergen; denn, wie ich hoffe, wird mich Gott um so mehr erheben, als ich mich erniedrigt haben werde.
Ich bin im Jahre 1728 in dem kleinen Dorfe Beeston geboren, dessen Pastor mein Vater war. Was meine Mutter anbelangt, so war sie die Tochter eines Bootsmannes auf einem Kauffahrteischiffe, der drei Jahre vor meiner Geburt in einem Sturme umkam, bei welchem das Schiff unterging , auf dem er diente, und auf welchem er sein kleines Hab und Gut hatte. Alles war daher mit ihm verloren, mit Ausnahme eines vortrefflichen Seefernrohres, das er einem seiner Freunde geliehen hatte, und das dieser Freund, der den Tag nicht wußte, an welchem mein Großvater unter Segel gehen sollte, ihm erst zwei Tage nach seiner Abreise zurückbrachte.
Ich führe die Thatsache an, weil dieses Fernrohr eine wichtige Rolle in meinem Leben spielt.
Aber das, was mein Vater in der Frau suchte, die er seinem Leben zugesellen wollte, das waren die Eigenschaften, welche das wahre Witthum der Gattin und die fromme Mitgift der Mutter ausmachen. Er bekümmerte sich daher um den Mangel des Vermögens nicht: er nahm meine Mutter arm, als Waise, kurz so wie sie das Unglück gemacht hatte, und das einzige Möbel, das sie in die Gütergemeinschaft mitbrachte, als sie die Schwelle der Thür des Pfarrhauses mit dem Titel als Gattin überschritt, war dieses vortreffliche Fernrohr, das man ehrerbietiger Weise über dem Kamine, als dem ehrenvollsten und dem am meisten in die Augen fallenden Orte des Hauses, aufhängte.
So jung ich auch sein mochte, mein Vater gab mir ein schönes Beispiel: er war fest, muthig, aufrichtig, sanft gegen die Armen, aber wenig schonend gegen die Vornehmen und die Reichen, indem er selbst den Gutsherrn des Dorfes weit strenger behandelte, als den Bettler, der ihn an der Thür der Kirche erwartete, um ihm die Hand hinzustrecken, und den er niemals ohne ein Almosen und einen Rath fortschickte, und weit eher mit dem ersten allein als mit dem zweiten ohne das erste; denn er meinte in diesem Falle, daß ein Almosen nicht durchaus nöthig hat, von einem Rathe begleitet zu sein, während der Rath sehr mager und sehr seicht ohne das Almosen ist. Aus dieser unparteiischen Geradheit und dieser unbeugsamen Würde ging hervor, daß er von dem einen Theile seiner Pfarrkinder geliebt und von dem andern geachtet war.
Es versteht sich von selbst, daß, wohlbegabt nach dem Herzen Gottes, es die Armen waren, die ihn liebten.
Was mich anbetrifft, so war es nicht einfach und allein Liebe, die ich für meinen Vater empfand, es war Ehrfurcht; mehr als Ehrfurcht, Bewunderung! Ich betrachtete ihn als ein erhabenes Geschöpf, als ein über der Menschheit stehendes Wesen, und ich hätte niemals gewagt, meine Lippen auf die Wangen und selbst auf die Hände tiefes würdigen Mannes zu drücken, wenn er mich nicht durch eine Aufforderung dazu berechtigt hätte, welche, damit ich ihr Folge leistete, zuweilen fast nöthig hatte, die Form eines Befehles anzunehmen.
Eines Tages, als ich mich, zu ihren Füßen auf einem Teppich liegend, bei meiner Mutter befand und in einem vor mir aufgeschlagenen Buche las, trat mein Vater mit einem Briefe in der Hand ein. Sein Gesicht strahlte, und es war leicht zu sehen, daß dieser Brief ihm irgend eine wichtige Nachricht überbracht hätte.
In der That, ein Verwandter, den wir in Southwell hatten, meldete meinem Vater, daß der berühmte Pope, welcher auf der Universität Oxford der Freund dieses selben Verwandten gewesen war, am folgenden Donnerstage auf seiner Reise nach York bei ihm einkehren sollte.
Er lud dem zu Folge meinen Vater, der ihn seit länger als zehn Jahren nicht gesehen hatte, ein, diese Gelegenheit zu benutzen, um ihn zu besuchen und zu gleicher Zeit Bekanntschaft mit dem Verfasser des Versuches über den Menschen und der Dunciade zu machen.
Diese Einladung war es, welche meinen Vater so vergnügt machte.
Ich fragte, wer Pope wäre.
– Der Verfasser des Buches, das Du in Händen hältst, antwortete mir mein Vater.
Und in der That, mein Vater hatte mir kurze Zeit vorher ein Geschenk mit der Uebersetzung der Iliade des berühmten Schriftstellers gemacht, die mit herrlichen Kupferstichen geschmückt war, welche eben so viel Antheil als der Text an meiner Bewunderung hatten.
Als ich erfuhr, daß mein Vater eingeladen wäre, mit dem Manne zu Mittag zu essen, der die schönen Verse geschrieben hatte, die ich auswendig wußte, rief ich aus:
– Und auch ich werde mit Ihnen gehen, nicht wahr, mein sehr geehrter Vater?
– Ja, gewiß, antwortete mein Vater, bei welchem ich in diesem Augenblicke die Flamme der Begeisterung leuchten sah; ja, mein Sohn, es soll nicht gesagt sein, daß ich die Gelegenheit gehabt hätte, Dich den größten Dichter des Jahrhunderts sehen zu lassen, und daß ich sie nicht benutzt hätte.
Ich stand auf, indem ich in die Hände klatschte; aber im selben Augenblicke unterbrach ich mich ganz beschämt: es war das erste Mal, daß es mir begegnete, mich einem solchen Ausbruche in Gegenwart meines Vaters hinzugeben.
Aber sei es nun, daß mein Vater selbst außer allen seinen Gewohnheiten gebracht war, oder daß er die Bewegung nicht bemerkt hatte, die ich so eben gemacht, er richtete keine Ermahnung an mich und begnügte sich damit, meiner Mutter zu sagen:
– Hurtig! Frau, es handelt sich darum, sich mit dieser Reise zu beschäftigen.
Wir hatten indessen drei Tage vor uns und nur zwölf Meilen zurückzulegen.
Aber das Ereigniß war so unerwartet, der Zweck so herrlich, daß während dieser drei Tage in dem Hause von nichts Anderem mehr die Rede war.
Die ganze Toilette meines Vaters wurde durchgesehen. Man machte ein Packet aus seinem schönen Fracke und aus seinen schönen kurzen Hosen von schwarzem Sammet; man hütete sich wohl, seine seidenen Strümpfe und seine Atlasweste zu vergessen; man putzte die silbernen Schnallen seiner Schuhe, bis daß sie wie Spiegel glänzten, und meine Mutter, welche sich für die Ehre ihres Gatten opferte, machte ihm einen Busenstreif und Manschetten aus einem herrlichen Kragen von englischen Spitzen, den sie von ihrer Mutter, und den ihre Mutter von ihrer Großmutter geerbt hatte.
Was mich anbetrifft, so wurde ich ganz neu in ein Costüm gekleidet, das aus einem kastanienbraunen Rocke gemacht war, den mein Vater erst drei Jahre getragen hatte; – eine Verschwendung, die noch nicht vorgekommen war, und die keine nachfolgenden in meinem Leben wie in dem seinigen haben sollte.
Zehn Personen des Dorfes, und sogar der benachbarten Stadt hatten meinem Vater ihren Wagen für diese große Reise angeboten; ein Augenblick der Eitelkeit machte, daß mein Vater nahe daran war, die Kutsche von dem Gutsherrn des Ortes anzunehmen, gegen dessen Stolz er zuweilen auf eine freilich versteckte, aber dennoch so klare Weise gepredigt hatte, daß Niemand, nicht einmal er sich darüber hatte täuschen können; aber sei es nun, daß er durch den Gedanken zurückgehalten wurde, daß das Anerbieten keinen anderen Zweck hätte, als ihn selbst in diesen dem Menschen um so verzeihlicheren Fehler verfallen zu lassen, da der schönste der Engel ihn begangen hatte, oder daß er von selbst in sich ging, mein Vater schlug das Anerbieten des Gutsherrn aus, und nahm das seines Pächters an. Am Morgen des wichtigen Tages fanden wir daher die bescheidene Carriole vor der Thür, die uns von Beeston nach Southwell fahren sollte.
Ich werde mich dieser Reise immer erinnern, mein lieber Petrus; wenn ich nach diesem, von dem großen Gesetzgeber den Hebräern gelobten Lande aufgebrochen wäre, so wäre ich nicht vergnügter und stolzer gewesen.
Das kam daher, weil auch die ganze Natur, – und zum ersten Male achtete ich auf sie, da ich sie so glänzend geschmückt sah, – weil auch die ganze Natur gleichfalls vergnügt und stolz schien; wie wir, hatte sie ihr Festtagskleid angelegt: das grüne Gewand des Mai-Monats und seine wohlriechende Blumenkrone. Man sah auf der ganzen Länge des Weges nur vom Winde geschüttelte Zweige mit jungem Laube, nur Schlüsselblumen und Veilchen, die den Boden schmückten, und fliegende und singende kleine Vögel, die sich nur ausruhten um Gott zu preisen, der ihnen erlaubte, mit dem Menschen, seinem erstgebornen Sohne, diese Welt zu theilen, welche mit jedem Jahre so schön, so frisch, so duftig wieder aufersteht, daß der Mensch, da er die Welt nicht alt werden sieht, nicht bemerkt, daß er alt wird.
In der Carriole neben meinem Vater sitzend, den ich nicht anzureden wagte, und der, obgleich weit freundlicher als gewöhnlich, mir kein Wort sagte, wohnte ich glücklich, aber still, diesem Feste der Natur bei, indem ich auf dem Grunde meines Geistes den Keim aller der Ideen sich regen fühlte, die ihn seitdem beschäftigt haben, und den diese Maisonne zu erwecken und zum Leben zu rufen schien, wie sie es mit dem grünen Grase, den weißen Gänseblümchen und den himmelblauen Veilchen machte.
Der Vergleich war um so richtiger, als ich glaubte, in meinen Augen eine Thräne rollen zu fühlen, wie ich in dem Kelche der Blumen einen Thautropfen zittern sah.
In jedem Dorfe hielt die Carriole vor der Thür des Pastors; mein Vater stieg aus, ließ mich aussteigen, und indem er vielleicht geräuschvoller bei seinem Amtsbruder eintrat, als es unserem bescheidenen Stande geziemt, sagte er:
– Mein lieber Freund, wünschen Sie mir Glück. . .
– Und wozu? fragte der Amtsbruder. Sendet Ihnen Gott eine Bischofsmütze, oder ist Ihre Frau zum zweiten Male schwanger?
– Mein Freund, ich werde mit dem großen Pope, dem ersten Dichter Englands, der Welt und selbst des Jahrhunderts zu Mittag essen!
Dann erhob der, an de n er sich wandte, die Arme gen Himmel, indem er sagte:
– Mein Freund. Sie sind ein glücklicher Mann!
Und die Frauen sagten zu ihren Kindern, indem sie ihnen meinen Vater zeigten:
– Meine Tochter, – oder, – mein Sohn, blicke den Pastor Bemrode an, er wird heute mit dem ersten Dichter des Jahrhunderts, der Welt, Englands, mit dem großen Pope zu Mittag essen!
Und nun entstand um meinen Vater herum ein Gemurmel neidischer Bewunderung, in welchem er zu wachsen schien, wie der Priester in Mitte einer Weihrauchwolke zu wachsen scheint.
Und wir stiegen wieder in die Carriole, und die immer schönere, immer lachendere, immer in dem Maße, als die Sonne am Horizonte aufging, an Wohlgerüchen verschwenderische Natur schien dem Reisenden gleichfalls ihren Tribut an Glückwünschen darzubringen.
Eine Meile weiter hin hielt der Wagen von Neuem; mein Vater stieg nochmals aus, und derselbe Auftritt erneuerte sich.
Die Folge davon war, daß wir wegen dieser hochmüthigen Stationen, welche sich vielleicht der Feind des Menschengeschlechts in seinen Feuerregistern anmerkte, erst um zwei Uhr Nachmittags bei dem Vetter meines Vaters ankamen, obgleich wir um fünf Uhr Morgens von Beeston aufgebrochen waren, und obgleich uns der Pächter sein bestes Pferd gegeben hatte.
Glücklicher Weise war der große Pope noch nicht da.
Aber gerade deshalb, weil er ein wenig auf sich warten ließ, war Alles bei dem Vetter durcheinander. Dieser Vetter, von dem ich wie von einem einfachen Manne, der keine Umstände macht, hatte sprechen hören, war ganz von Stolz aufgebläht; weiß gepudert wie ein Februar-Morgen, warf er den Kopf zurück, schob den Fuß vor, hustete, spie aus, und nahm von fünf Minuten zu fünf Minuten mit großem Geräusche und großem Gepränge aus einer Tabaksdose von sächsischem Porzellan eine Prise Tabak, von welcher drei Viertel auf seinen gestärkten, und gleich einem Hahnenkamm oder einer Fischgräte steifen Busenstreifen in Cascaden zurückfiel.
Der Stolz, der sich seiner ganzen Person bemächtigt hatte, verrieth sich in seiner Stimme, wie in seinem Blickt und in seinen Geberden; er sprach langsam und gravitätisch.
– Hierher, sagte er, indem er um den Tisch herumging, werde ich den großen Pope, den berühmten Verfasser der Dunciade, des Versuches über den Menschen und so vieler anderer erhabener Werke hinsetzen. Zu sein« Rechten werde ich mich setzen; zu seiner Linken werde ich meine Frau setzen; ihm gegenüber meinen Vetter Bemrode, und zur Rechten und zur Linken meines Vetters Bemrode die ehrenwerthen Decane von Newark und von Chesterfield. Wie Sie sehen, meine Herren, ist der Tisch rund, fügte er hinzu, indem er sich an seine Gäste wandte, wodurch, obgleich wir zu vierundzwanzig bei Tische sein sollen, der große Pope von Jedermann wird gesehen und gehört werden können.
Hierauf kehrte man in den Salon zurück, wo zwei schöne, weiß gekleidete junge Mädchen von sechszehn bis siebzehn Jahren Kränze von mit Rosen untermischten Lorbeeren flochten, die zu verstehen geben sollten, daß es dem großen Pope gleicher Weise in der lyrischen Poesie, wie mit den leichten Gedichten gelungen wäre.
Bei jedem Geräusche, welches aus dem Vorzimmer erschallte, entstand eine Revolution in dem Salon, Jedermann stand auf, indem er mit einer mit Unruhe gemischten Neugierde seinen Nachbar fragte:
– Ist es der große Pope?
Was mich anbetrifft, so war meine Bangigkeit so groß, daß ich die Hausflur nicht verließ, und daß ich, die Augen auf die Thür geheftet, indem ich Alles, selbst meinen kastanienbraunen Rock über den Mann vergaß, dem zu Ehren er gemacht worden war, aufmerksam auf die geringste Bewegung auf der Straße, auf die leichteste Erschütterung der Thür, mit jedem Augenblicke ausrief:
– Mein Vetter, man schellt! – Oder: – Mein Vetter, man klopft!
Und indem ich das rief, klopfte mein Herz mehr, als es noch für die wichtigsten Dinge meines kindlichen Lebens geklopft hatte; nur schien es mir zum Verwundern, nicht die Trommeln und die Trompeten zu hören, welche nach meiner Meinung diese Feierlichkeit anmelden müßten. Ich glaubte – so viel hatte man mir von dem großen Pope gesprochen – einen Riesen eintreten zu sehen, der die Decke berühren würde, oder zum allerwenigsten irgend etwas einem jener Könige ähnliches, mit denen ich in meinen Feenmährchen Bekanntschaft gemacht hatte; eine stattliche Person in einem Rocke von Goldtuch mit Sternen von Diamanten, Orden und Kreuzen wie ein großer Herr, der eine Menge von Pagen und von Livréebedienten nach sich führte.
Plötzlich klopfte man an die Thür, aber so bescheiden, daß ich dieses Mal nicht einmal glaubte rufen zu müssen, wie ich es bei den anderen gethan hatte: »Man klopft!«
Die Thür ging nichtsdestoweniger auf und ließ einen kleinen, ein wenig hinkenden, sehr bucklichen und in einen grauen Rock gekleideten Mann von fünfzig bis zwei und fünfzig Jahren eintreten. Ich stand im Begriff, ihn hochmüthiger Weise zu fragen, was er wollte, als ich einen großen Lärm hörte; die Gäste stürzten durch die Vorplätze und die Treppen mit dem Wirthe an ihrer Spitze herbei, indem sie ausriefen:
– Er ist es! er ist es! es ist der berühmte Dichter, es ist der große Pope! Heil dem unsterblichen, erhabenen Manne!
Und ich blickte um mich, indem ich suchte, mit wem alle diese Leute zu thun hätten, die mir Wahnsinnige schienen, und die indessen diesen kleinen hinkenden und bucklichten Mann grüßten, ehrten und priesen, der, ganz verlegen einen so lärmenden Empfang und eine so zahlreiche Gesellschaft zu finden, wo er geglaubt hatte, das einfache und fast einsame Haus eines Freundes zu betreten, grüßte, stammelte, die Hand auf sein Herz legte, und, nicht im Stande, durch die Stimme die Rührung auszudrücken, die er empfand, wenigstens durch Geberden seinen männlichen und weiblichen Bewunderern zu danken versuchte.
Als die erste Aufregung der Begeisterung vorüber war, hielt unser Vetter dem großen Pope – denn dieser kleine hinkende und bucklichte Mann war wirklich er – eine lange Rede, die er vorbereitet hatte, und von der Alles, dessen ich mich erinnere, ist, daß er ihn mit Homer, mit Virgil, mit Dante, mit Petrarea und mit Tasso verglich, wobei er ihm, wohlverstanden, den Vorzug vor diesen fünf Dichtern, seinen Vorgängern, gab.
Nach einigen Reden kamen die beiden weiß gekleideten jungen Mädchen, ihre Kränze von Lorbeeren anzubieten.
Pope antwortete auf die Reden nur durch einige Worte, küßte die beiden jungen Mädchen, und schritt nach dem Salon zu, wohin ihm die ganze Gesellschaft folgte, die beinahe eine Viertelstunde darauf verwandte, die Schwelle der Thür zu überschreiten, so sehr glaubte sich Jeder verbunden, seinem Nachbar Artigkeiten zu erzeigen.
Ich glaube, daß einige dieser Bewunderer des großen Pope noch dort sein würden, wenn man nicht, wie man es für die Fürsten thut, welche das Haus eines Privatmannes mit ihrem Besuche beehren, dem berühmten Verfasser des Versuches über den Menschen gemeldet hätte, daß angerichtet wäre; eine Meldung, welche, indem sie den durch ein langes Warten gesteigerten Appetit verdoppelte, die Nachzügler bestimmte, ihre Höflichkeitsbezeugungen einzustellen, und die am meisten Hungrigen zuerst eintreten ließ.
Diese Erinnerung, mein lieber Petrus, ist, wie Sie aus alle den einzelnen Umständen ersehen können, die ich Ihnen angebe, wie eine der ersten Enttäuschungen meines Lebens tief in meinem Gedächtnisse eingeprägt geblieben. Ich erwartete einen Riesen, irgend etwas, das an den Koloß von Rhodus oder die Statue Nero’s erinnerte, – und ich hatte einen hinkenden und bucklichten kleinen Mann eintreten sehen! Ich stellte mir vor, einen in einen prachtvollen Mantel gekleideten und, wie ich Ihnen gesagt habe, mit goldenen, ganz von einer Diamanten-Stickerei glänzenden Stoffen bedeckten König ankommen zu sehen, – und die Thür hatte eine Person im grauen Rocke von einer solchen Haltung eingelassen, daß ein Vornehmer ihn gewiß nicht zu seinem Bedienten hätte annehmen wollen!
Jedes Mal, wo in dem Laufe meines Lebens mir statt eines glücklichen, mit Ungeduld erwarteten Ereignisses irgend ein trauriges und schmerzliches Abenteuer zugestoßen ist, jedes Mal, wo statt des glänzenden Tages voller Sonne, der mir versprochen war, ein trüber und regnerischer Tag über meinem Haupte aufgegangen ist, habe ich daher auch an diesen, bei unserem Vetter in Southwell zugebrachten Tag gedacht; ich habe dem Herrn diese neue getäuschte Hoffnung dargebracht, und ich habe folgende Worte gemurmelt, die ich allein verstehen konnte und über die sich gar viele Leute verwundert haben:
– O großer Pope!
Jetzt hatte dieser Besuch noch einen anderen Einfluß auf mich, aber da dieser Brief bereits sehr lang ist, und. dieser Einfluß, – so wie das Fernrohr meines Großvaters, des Bootsmannes, – nicht ohne Wichtigkeit in meinem Leben gewesen ist, so erlauben Sie mir, mein lieber Petrus, Abschied von Ihnen zu nehmen, indem ich Sie bitte, mich Ihrem würdigen Bruder Samuel Barlow von Liverpool zu empfehlen, und für meinen nächsten Brief das verschiebe, was mir ,über diesen Gegenstand zu sagen übrig bleibt, eine Erzählung, welche, wenn ich sie in diesen Brief einschlösse , sich ganz natürlicher Weise eines Theiles der Entwickelung beraubt finden würde, die ihr nothwendig ist.
Aber ich fürchte sehr, lieber und geehrter College, daß Sie, sobald ich Ihnen mein Leben erzählt und das gesagt habe, was Sie zu wünschen wissen, in Ihrer Erwartung getäuscht, wie ich es selbst so oft gewesen bin, gleichfalls ausrufen werden:
– O großer Pope! . . .