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Read the book: «Der Graf von Moret», page 34

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XIII.
Mirame

Rotrou war nicht allein.

Der Kardinal blickte mit Neugier auf dessen ihm unbekannten Gefährten, welcher mit dem Hut in der Hand und in einer Haltung in das Gemach getreten war, welche Ehrfurcht, aber nicht Unterwürfigkeit verriet.

»Ihr seid es, Rotrou?« sagte der Kardinal, diesem die Hand entgegenstreckend; »ich verhehle Euch nicht, dass ich auf die Treue meiner Gefährten in Apollo rechnete. Ich bin glücklich, zu sehen, dass Ihr der Getreueste unter meinen Getreuen seid.«

»Wenn ich hätte voraus wissen können, was Euch begegnen würde, Monseigneur, so hattet Ihr mich schon bei Eurer Ankunft hier gefunden und ich wäre es gewesen, der dem erhabenen in Ungnade Gefallenen die Pforten seines Asyles öffnete. Wir werden also arbeiten. Der Ort ist zum Dichten wahrlich wie geschaffen!«

»Ist das auch die Ansicht dieses jungen Mannes?« fragte der Kardinal, den Gefährten Rotrou's anblickend.

»Es ist so sehr seine Ansicht, dass er in aller Eile zu mir kam, um mir die Neuigkeit mitzuteilen, die er im Hotel Rambouillet erfahren hatte, und mich bat, ihn Ew. Eminenz,da Ihr nun nicht mehr Minister wäret, so bald als möglich vorzustellen. Er hofft, da Ihr jetzt nicht von Staatsgeschäften in Anspruch genommen seid, würdet Ihr seine Komödie ansehen, die man im Hotel Burgund spielen wird.« '

Der Vorschlag, der etwas Bizarres hätte, wenn er heutzutage einem Kirchenfürsten gemacht würde, fiel zu jener Zeit nicht besonders auf, und Richelieu fand ihn ganz natürlich.

»Und wie heißt das Stück, welches die Schauspieler des Hotels Burgund aufführen wollen?« fragte der Kardinal.

»Antworte selbst!« sagte Rotrou.

»Es heißt »Melita,« antwortete schüchtern der ganz schwarzgekleidete junge Mann.

»Ah, ah, wenn ich mich recht erinnere,« bemerkte Richelieu, »seid Ihr jener Herr Corneille, von dem Rotrou sagt, dass er bestimmt sei, uns Alle zu verdunkeln und ihn selbst vor allen Anderen?«

»Die Freundschaft ist nachsichtig, Monseigneur, und mein Landsmann Rotrou ist für mich mehr als ein Freund; er ist mir ein Bruder!«

»Ich liebe es, unter den Dichtern jene Freundschaftsbündnisse zu sehen, welche die Alten so oft besungen haben, die sie aber stets unter Kriegern und nie zwischen Poeten erstehen ließen.«

Dann sich zu Corneille wendend, fragte er rasch:

»Und seid Ihr ehrgeizig, junger Mann?«

»Ja, Monseigneur; ich habe vor Allem einen Ehrgeiz, dessen Erfüllung mich grenzenlos entzücken würde.«

»Und welchen?«

»Fragt meinen Freund Rotrou.«

»Oho! Da haben wir ja einen gar schüchternen Ehrgeizigen!«

»Besser als das, Monseigneur, einen bescheidenen.«

»Und kann ich diesem Ehrgeiz Genüge tun?«

»Ja, Monseigneur, durch ein einziges Wort.«

»Nun, so sprecht; niemals war ich geneigter, den Ehrgeiz Anderer zu befriedigen, als jetzt, wo ich meinen eigenen gescheitert sehe.«

»Monseigneur,« nahm jetzt Rotrou das Wort, »mein Freund strebt nach der Ehre, unter die Zahl Eurer Mitarbeiter aufgenommen zu werden. Wären Ew. Eminenz Minister geblieben, so hätte er den Erfolg seines Stückes abgewartet, um sich Euch vorstellen zu lassen; da Ihr aber nun wieder ein einfacher großer Mann geworden seid, der Zeit für sich und für Andere hat, sagte er mir: »Johann, mein Freund, der Kardinal wird sich jetzt der Poesie in die Arme werfen; beeilen wir uns, damit wir den Platz nicht schon besetzt finden.«

»Der Platz ist nicht besetzt, Herr Corneille,« sagte der Kardinal, »und er gehört Euch; Ihr werdet mit mir zu Nacht essen, meine Herren, und wenn bis dahin unsere anderen Gefährten kommen, werde ich Euch noch heute Abend den Plan zu einer neuen Tragödie auseinandersetzen, den ich in flüchtigen Umrissen skizziert habe.«

Der Kardinal täuschte sich in seinen Voraussetzungen nicht, und am Abend vereinigte dieselbe Tafel alle Die, welche man seitdem die fünf Autoren genannt hat, nämlich Bois-Robert, Colletet, L'Etoile, Rotrou und Corneille.

Richelieu machte mit der Herzlichkeit eines Kameraden den Wirt. Als die Tafel zu Ende war, begab man sich in das Arbeitscabinet, wo Richelieu, der vor Eifer brannte, sie seinen Enthusiasmus für das begonnene neue Werk teilen zu lassen, sich beeilte, aus seinem Schreibtische ein kleines Heft zu ziehen, auf dessen Umschlag er mit seinen großen Schriftzügen geschrieben hatte: »Mirame.«

»Meine Herren,« sagte der Kardinal, »von Allem, was wir bis jetzt unternommen haben, ist dies meine Lieblingsarbeit. Der Name »Mirame« den Ihr bereits Alle gelesen habt, wird Euch nichts über den Inhalt verraten, denn sowohl der Titel, wie das Werk sind reine Erfindung; da es dem Menschen indes eigentlich nicht gegeben ist, zu erfinden, sondern nur allgemeine Ideen und vollbrachte Tatsachen unter einer neuen Form wiederzugeben, werdet Ihr wahrscheinlich unter den angenommenen Namen und Örtlichkeiten wirkliche Personen und Orte erkennen. Ich verhindere Euch nicht, selbst laut die Glossen zu machen, die sich Eurem Geiste aufdrängen.«

Die Zuhörer verbeugten sich und nur Corneille sah mit seinen Freund, als wollte er sagen:

»Ich verstehe von dem Allen nichts, aber ich verlasse mich auf Dich, dass Du mir die Aufklärungen geben wirst.«

Rotrou antwortete ihm durch ein Zeichen, dass er alle Aufklärungen haben sollte, die ihm wünschenswert erscheinen würden.

Richelieu ließ den beiden jungen Leuten Zeit, ihre Zeichensprache miteinander zu sprechen, und nahm dann wieder das Wort:

»Ich nehme einen König von Bithynien an, gleichviel welchen, der Gegner eines Königs von Colchis ist. Der König von Bithynien hat eine Tochter Namens Mirame, und diese eine Vertraute Namens Almire, und eine Dienerin Namens Alcine. Seinerseits hat der König von Colchis, welcher sich im Kriege mit dem Könige von Bithynien befindet, als Günstling einen sehr schönen, sehr verführerischen, sehr eleganten Mann. Wir brauchen in einem Nachbarland Frankreichs wohl nicht lange zu suchen, um den Typus für Arimant aufzufinden.«

»Der Herzog von Buckingham!« sagte Bois-Robert.

»Richtig!« erwiderte Richelieu.

Rotrou stieß Corneille an, welcher große Augen machte und jetzt nicht mehr von der Sache begriff, als früher, obgleich der Name Buckingham die Situation wesentlich beleuchtete.

»Azamor,« fuhr der Kardinal fort, »der König von Phrygien, der Verbündete des Königs von Bithynien, ist nicht nur der Anbeter, sondern auch der Verlobte Mirame's.«

»Welche ihn nicht liebt,« warf Bois-Robert ein, »da sie in Arimant verliebt ist.«

»Du hast gut geraten, Le Bois!« lachte der Kardinal, »Ihr kennt nun die Situation, meine Herren!«

»Sie ist sehr einfach,« bemerkte Colletet; »Mirame liebt den Feind ihres Vaters; sie verrät ihren Vater um ihres Geliebten willen.«

Rotrou versetzte seinem Freunde Corneille einen zweiten Stoß mit dem Knie.

Corneille verstand von der Sache mit jedem Augenblicke weniger.

»Was für Ausdrucke Ihr da wieder gebraucht, Colletet,« sagte der Kardinal; »sie verrät, sie verrät! Eine Frau verrät wohl ihren Mann, aber eine Tochter verrät nicht ihren Vater; das wäre zu stark; nein, sie begnügt sich damit, ihren Geliebten in den Gärten des Palastes zu empfangen.«

»Wie eine gewisse Königin von Frankreich,« bemerkte L'Etoile, »den Lord Buckingham.«

»Gut; aber schweigt, L'Etoile; wenn Euer Vater das erführe, würde er nicht versäumen, diese Lästerung in seiner Chronik zu verzeichnen. – Man kommt endlich zum Kampfe. Arimant, zuerst Sieger, wird schließlich durch einen in der Kriegsgeschichte so gewöhnlichen Umschwung des Glückes von Azamor besiegt. Mirame erhält nacheinander von seinem Siege und von seiner Niederlage Nachricht, was ihr Gelegenheit gibt, den entgegengesetzten Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Der besiegte Arimant wollte seine Schmach nicht überleben, er hat sich in seinen Degen gestürzt, man hält ihn für todt. Mirame will sterben und wendet sich an ihre Vertraute, die Herzogin von Chevreuse – ich irre mich, und begreife nicht, wie mir dieser Name auf die Zunge geriet – sie wendet sich an ihre Vertraute, Almire, welche ihr den Vorschlag macht, sich in Gemeinschaft mit ihr mittelst eines von Colchis gebrachten Krautes zu vergiften. Beide atmen den Duft des Krautes ein und sinken ohnmächtig nieder. Während dieser Zeit hat man die Wunden Arimant's verbunden, welche keineswegs tödtlich sind. Er kommt zu sich, aber nur, um über den Tod Mirames in Verzweiflung zu geraten. Endlich beschwichtigt Almire die allgemeine Angst mit der Mitteilung, dass sie der Prinzeß bloß ein einschläferndes, keineswegs aber ein giftiges Kraut zu riechen gegeben habe, dasselbe, womit Medea den Drachen einschläferte, als das goldene Vließ geraubt werden sollte. Mirame erwacht und erfährt, dass ihr Geliebter am Leben ist, dass der König von Colchis Friedensanträge gemacht hat, dass Azamor auf ihre Hand verzichtet, und dass nichts mehr ihrer Verbindung mit Arimant im Wege steht.«

»Bravo!« riefen Colletet, Bois-Robert und L'Etoile im Chor.

»Die Situation und deren Entwicklung sind wirklich spannend,« sagte Rotrou; »was hältst Du davon, Corneille?«

Corneille machte ein Zeichen mit dem Kopf.

»Ihr scheint mir ein kalter Veurtheiler zu sein, Herr Corneille,« sagte Richelieu etwas pikiert über das Schweigen des jüngsten seiner Zuhörer, von dem er den größten Enthusiasmus gehofft hatte.

»Nein, Monseigneur,« erwiderte Corneille; »ich dachte eben über die Aktschlüsse nach.«

»Diese sind ja in der Handlung vollkommen angezeigt; der erste Act endet mit der Szene zwischen Almire und Mirame, in welcher Letztere einwilligt, Arimant im Garten zu empfangen. Der zweite schließt mit einem Monologe Mirame's, in welchem sie sich, nachdem sie den Geliebten empfangen, Vorwürfe über ihre Unklugheit macht. Am Schluss des dritten Aktes drückt Azamor seine Verzweiflung darüber aus, dass Mirame ihm den besiegten Arimant vorziehe; der Entschluss der Prinzeß, in den Tod zu gehen, bildet den natürlichen Schluss des vierten Aufzuges, und ebenso natürlich endet das Stück mit der Einwilligung des Königs von Bithynien, seine Tochter die Gattin Arimant's werden zu lassen.«

»Wenn aber der Plan dergestalt gegliedert ist, Monseigneur,« sagte L'Etoile, »so ist ja das Stück fertig.«

»Es ist nicht nur der Plan gegliedert, sondern ein Teil der Verse ist ebenfalls bereits fertig.«

»Hören wir die Verse!« rief Bois-Robert.

Der Kardinal las nun für die ersten beiden Akte eine Reihe von Versen vor. welche pflichtschuldigen Beifall fanden.

»Für den dritten Act habe ich noch einige Szenen skizziert,« sagte er, »welche ich demjenigen von den Herren mitteilen will, der sich mit diesem Acte befassen wird.«

»Wer aber,« fragte Bois-Robert, »wird die ersten beiden Akte übernehmen? Wer wird es wagen, seine Verse zwischen und vor die Verse Ew. Eminenz zu —«

»Meine Herren,« sagte Richelieu, der, so streng er gegen sich selbst in politischen Dingen auch sein mochte, dem Lobe des literarischem Gebiete zugänglich war, wie ein Kind, und dem daher Bois-Robert's Frage große Freude machte, »wenn Ihr die Aufgabe der beiden ersten Akte für eine zu schwierige haltet, so konnte man ja über alle fünf Akte das Los entscheiden lassen.«

»Die Jugend fürchtet sich vor nichts,« sagte Rotrou; »ich und mein Freund Corneille, wir übernehmen die ersten zwei Akte.«

»Wagehälse!« rief Richelieu lachend.

»Ew. Eminenz werden nur so gütig sein müssen, uns den genau auseinandergesetzten Plan der Szenen zu geben, damit wir nicht einen Augenblick von Euren Intentionen abweichen.«

»Dann,« rief Bois-Robert, »übernehme ich den dritten Act.«

»Und ich den vierten,« sagte L'Etoile,

»Mir bleibt also der fünfte übrig,« bemerkte Colletet; »Ende gut, Alles gut!«

»Wenn Ihr dm fünften Act übernehmt, Colletet,« sagte der Kardinal, »so muss ich Euch einige Andeutungen geben.«

Und ihn an der Schulter berührend, gab er ihm ein Zeichen, ihm in eine Fensternische zu folgen, wo er sich leise mit ihm unterhielt.

Während dieser Zeit neigte sich Rotrou zu dem Ohre seines Freundes Corneille.

»Peter,« sagte er, »von diesem Augenblicke an ist Dein Glück in Deiner Hand und es ist nun an Dir, es nicht entschlüpfen zu lassen.«

»Was muss ich dazu tun?« fragte Corneille ganz unbefangen.

»Du musst Verse machen, welche nicht besser sind, als die des Herrn Kardinals,« erwiderte Rotrou, ihm auf die Schulter klopfend.

Corneille blickte seinen Freund ganz verblüfft an.

XIV.
Neuigkeiten vom Hofe

Nachdem die fünf Acte von »Mirame« verteilt waren, und Colletet seine Instruktionen für den letzten Act erhalten hatte, nahmen die Mitarbeiter des Kardinals Abschied von demselben, bis auf Corneille und Rotrou, welche er noch einen Teil der Nacht bei sich behielt, um ihnen den genauen Plan der beiden ersten Akte zu diktieren.

Bois-Robert sollte am andern Morgen wieder kommen, um die Instruktionen für sich und die andern beiden Mitarbeiter zu holen, denen er sie dann mitzuteilen hatte.

Corneille und Rotrou übernachteten in Chaillot.

Am anderen Morgen frühstückten sie mit dem Kardinal, der ihnen seine letzten Bemerkungen machte; wahrend des Frühstückes kam Bois-Robert. Corneille und Rotrou verabschiedeten sich. Bois-Robert blieb.

Der Kardinal hatte vor diesem Letzteren keine Geheimnisse und Bois-Robert bemerkte, trotz dem Anscheine, den sich Richelieu zu geben bemühte, als beschäftige er sich nur mit der Comödie, wie sehr der Kopf des großen Mannes von anderen, weit wichtigeren Dingen eingenommen war.

Bois-Robert hatte mit Charpentier und Rossignol gesprochen; er wusste um die Rückkunft der Gesandten Beautru, La Saludie und Charnassé; er hatte auch Pater Josef in seinem Kloster besucht und dem Kardinal erzählt, welche Antwort dieser dem Könige gab.

Der Kardinal war über diese Antwort sehr erfreut, denn er setzte volles Vertrauen in die Verschwiegenheit des Mönches, misstraute aber dessen Ehrgeiz. In der Tat verriet ihn Pater Josef später; damals mochte er aber die Stunde zum Verrathe noch nicht für geeignet halten. Endlich erfuhr der Kardinal durch Bois-Robert, dass Lopez und Souscarières dem Könige ihren Bericht erstattet hatten.

Alle Hoffnung, den König in Chaillot zu sehen, war also noch nicht verloren und, der dritte Tag, den der Kardinal der Grenze seiner Hoffnungen gesetzt hatte, war noch nicht Verflossen.

Gegen zwei Uhr ertönte der Galopp eines Pferdes und der Kardinal eilte an das Fenster, obwohl er ziemlich sicher war, dass der Reiter nicht der König sein konnte.

So sehr er sich in seiner Gewalt hatte, konnte Richelieu doch einen Freudenschrei nicht unterdrücken; ein Page in den königlichen Farben sprang vom Pferde, warf die Zügel einem Lakaien zu, und der Kardinal erkannte in ihm jenen Saint-Simon, welcher Marion de Lorme die für Richelieu so wichtigen Nachrichten gebracht hatte.

»Bois-Robert,« rief der Kardinal, »lass diesen jungen Mann zu mir herein und sorge dafür, dass wir nicht gestört werden.«

Bois-Robert eilte die Treppe hinab, und bald darauf ließen sich die Schritte des jungen Mannes hören, der die Stufen, immer vier auf einmal, hinaufsprang.

In der Tür des Zimmers, wo ihn der Kardinal erwartete, stand er plötzlich diesem gegenüber.

Der junge Mann riß den Hut vom Kopfe und ließ sich auf ein Knie nieder.

»Was tut Ihr da. mein Herr?« fragte lachend der Kardinal, »ich bin nicht der König.«

»Ihr seid es nicht mehr, Monseigneur; aber mit Gottes Hilfe sollt Ihr es bald wieder werden.«

An freudiges Beben durchzuckte den Kardinal, als er diese zuversichtlichen Worte hörte.

»Ihr habt mir einen großen Dienst geleistet, mein Herr,« sagte er, »und wenn ich wieder Minister werden sollte, was ich vielleicht Unrecht habe, herbeizuwünschen, werde ich trachten, meine Feinde zu vergessen, aber ich werde mich bestimmt meiner Freunde erinnern. Habt Ihr mir eine gute Nachricht anzukündigen? Aber so erhebt Euch doch, ich bitte Euch darum.«

»Ich komme im Auftrage einer schönen Dame, deren Namen ich in Eurer Gegenwart nicht zu nennen wage, Monseigneur,« sagte St. Simon.

»Gut, ich werde ihn zu erraten suchen.«

»Sie beauftragte mich, Euch zu sagen, dass sie den König gegen drei Uhr sprechen würde, und dass es mit unrechten Dingen zugehen müsste, wenn Se. Majestät nicht um drei ein halb Uhr in Chaillot wäre.«

»Diese Dame,« sagte Richelieu, »gehört wahrscheinlich nicht zum Hofe, oder geht nicht an den Hof, sonst setzte sie nicht voraus, dass Se. Majestät den ergebensten seiner Untertanen besuchen werde.«

»Die Dame gehört wirklich nicht zum Hofe,« sagte St. Simon lächelnd, »auch kommt sie nie an den Hof, aber viele Leute vom Hofe kommen zu ihr und rechnen sich dies zur Ehre; daraus folgt, dass ich sehr viel auf ihre Prophezeiungen geben würde, wenn sie mir welche machte.«

»Hat sie Euch nie prophezeit?«

»Mir, Monseigneur?« fragte St. Simon mit dem hellen, sorglosen Lachen der Jugend.

»Ja. Hat sie Euch zum Beispiel nie gesagt, wenn, aller Wahrscheinlichkeit nach, Baradas in Ungnade beim Könige fiele, würde St. Simon sein Nachfolger werden, und dass ein gewisser Kardinal, der Minister war, und von dem man annimmt, dass er es wieder werden wird, weit entfernt, sich diesem Avancement zu widersetzen, es vielmehr nach besten Kräften unterstützen würde?«

»Sie hat mir wohl etwas Derartiges gesagt, Monseigneur; das war aber keine Prophezeiung, sondern ein Versprechen, und ich traue den Versprechungen Marions nicht viel; mein Gott, jetzt habe ich den Namen genannt, ohne es zu wollen.«

»Ich bin wie Cäsar,« sagte Richelieu, »mein rechtes Ohr ist etwas harthörig; ich habe den Namen auch nicht gehört.«

»Verzeihung, Monseigneur, ich habe geglaubt, dass Cäsar auf dem linken Ohr schlecht gehört habe.«

»Es ist möglich; jedenfalls habe ich einen Vorteil vor ihm; ich bin stets auf dem Ohre taub, auf welchem ich nichts hören will. Aber Ihr kommt ja vom Hofe! Was gibt es daselbst Neues? Natürlich frage ich nur nach Neuigkeiten, die in Paris Jedermann weiß, die ich aber nicht erfahren habe, da ich in Chaillot, d.h. in der Provinz, wohne.«

»Die Neuigkeiten? Ich will sie in drei Worten mitteilen, Monseigneur. Vor drei Tagen hat der Herr Kardinal seine Entlassung eingereicht und es war großer Jubel im Louvre.«

»Ich weiß das.«

»Der König hat der ganzen Welt Versprechungen gemacht; fünfzigtausend Taler dem Herzog von Orleans, sechzigtausend Livres der Königin-Mutter, dreißigtausend der regierenden Königin.«

»Und hat er ihnen auch diese Summen gegeben?«

»Nein, und das ist die Unklugheit. Die erhabenen Beschenkten vertrauten dem Worte des Königs, und statt sich von ihm auf der Stelle Anweisungen an einen gewissen Charpentier, der Intendant zu sein scheint, ausstellen zu lassen, begnügten sie sich mit seinem Versprechen, aber —«

»Aber?«

»Aber als der König am andern Tage aus dem Hause des Kardinals zurückkehrte, wollte er Niemand empfangen, und schloss sich ein. Zu Mittag speiste er in der alleinigen Gesellschaft L'Angely's, dem er dreißigtausend Livres schenken wollte, die dieser aber rundweg zurückwies.«

»Ah!«

»Das setzt Ew. Eminenz in Erstaunen?«

»Nein.«

»Dann ließ er Baradas kommen, dem er ebenfalls dreißigtausend Livres geschenkt hatte, der aber klüger war, als die Anderen, sich eine Anweisung ausstellen und diese sofort auszahlen ließ.«

»Und die Anderen?«

»Die Anderen warten noch immer. Heute Morgen war im Louvre großer Rat, zusammengesetzt aus den beiden Königinnen, dem Herzog von Orleans, den beiden Marillac's, Lavieuville, welcher vor Wut darüber schäumt, dass Charpentier die Schlüssel zum Staatsschatz hat, während doch er Oberintendant der Finanzen ist, und Bassompierre —«

»Und der König, der König —?«

»Der König?« wiederholte fragend St. Simon.

»War er bei der Beratung zugegen?«

»Nein, Monseigneur; er hat sagen lassen, dass er sich unwohl befinde.«

»Und wovon war bei der Beratung die Rede? Wisst Ihr etwas davon?«

»Wahrscheinlich von dem bevorstehenden Kriege.«

»Woraus schließt Ihr das?«

»Monseigneur Gaston ging wütend weg, weil Bassompierre ihm etwas gesagt hatte.«

»Was war das?«

»Monseigneur bestimmte in seiner Eigenschaft als Generallieutenant den Marsch der Armee; es handelte sich darum,

über einen Nuß zu setzen; wenn ich nicht irre, über die Durance.«

»An welchem Punkte werden wir hinübergehen?« fragte Bassompierre.

»Hier, mein Herr,« antwortete Gaston, den Finger auf die Landkarte setzend.

»Ich muss Euch bemerken, Monseigneur,« sagte Bassompierre, »dass Euer Finger keine Brücke ist;« darüber wurde Monsieur furchtbar aufgebracht.«

Ein freudiges Lächeln flog über die Züge des Kardinals.

»Ich weiß nicht,« sagte er, »warum ich sie nicht wirklich die Flüsse überschreiten lassen soll, wo sie wollen, da ich mich abseits halten und über ihr Missgeschick lachen kann.«

»Ihr werdet nicht darüber lachen, Monseigneur,« erwiderte St. Simon mit einem Ernst, den man dem jungen Manne keineswegs zugetraut hätte.

Richelieu blickte ihn an.

»Ihr werdet nicht darüber lachen,« wiederholte der Page, »weil ihr Missgeschick zugleich das Unglück Frankreichs sein würde.«

»Ihr sagt also,« lenkte Richelieu das Gespräch ab, »dass der König seine Familie seit vorgestern nicht gesehen hat?«

»Niemand, Monseigneur; ich weiß es bestimmt.«

»Und dass Baradas allein seine dreißigtausend Livres wirklich erhalten hat?«

»Dessen bin ich sicher, denn er hat mich geholt, um ihm seinen Schatz nach seinem Zimmer tragen zu helfen.«

»Und was wird er mit seinem Reichtum anfangen?«

»Vorderhand nichts; aber in einem Briefe hat er Marion de Lorme angeboten. – da ich den Namen einmal genannt habe, darf ich ihn doch wiederholen?«

»Nun, was hat er Marion de Lorme angeboten?«

»Sein Vermögen in Gesellschaft mit ihm durchzubringen.«

»Und hat er ihr mündlich diesen Antrag gemacht?«

»Nein, glücklicherweise in einem Briefe.«

»Und Marion hat, wie ich hoffe, diesen Brief aufbewahrt? Sie hat ihn wohl in Händen?«

St. Simon zog seine Uhr.

»Es ist jetzt halb vier; in diesem Augenblick muss sie sich des Briefes bereits entledigt haben.«

»Wem hat sie ihn übergeben?« fragte lebhaft der Kardinal.

»Wem als dem Könige.«

»Dem Könige?«

»Und das eben ließ sie hoffen, dass der Tag nicht verstreichen würde, ohne dass Ihr Se. Majestät wiederseht, Monseigneur!«

»O, jetzt begreife ich.«

In diesem Augenblicke hörte man das Rollen eines Wagens.

Der Kardinal stürzte sich erblassend auf einen Stuhl.

St. Simon lief an das Fenster.

»Der König!« rief er.

Zugleich wurde die Tür des Zimmers heftig aufgerissen, und auch Bois-Robert stürzte mit dem Ruf herein:

»Der König!«

Auch die Tür, welche zu den Gemächern der Frau von Combalet führte, öffnete sich und diese trat herein, mit bebenden Lippen murmelnd:

»Der König!«

»Entfernt Euch Alle,« gebot der Kardinal, »und lasset mich allein mit Sr. Majestät.«

Die Anwesenden entfernten sich durch verschiedene Türen, während der Kardinal sich seine hohe Stirn mit einem seidenen Tuche trocknete.

Man hörte draußen auf der Treppe Schritte, die sich Stufe für Stufe in gemessener Weise näherten.

Guillemot erschien in der Tür, deren beide Flügel er öffnete, indem er feierlich anmeldete:

»Der König!«

»Meiner Treu!« flüsterte der Kardinal, »meine Nachbarin Marion ist eine große Diplomatin!«

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Release date on Litres:
10 December 2019
Volume:
1190 p. 1 illustration
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Public Domain