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Der Graf von Bragelonne

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Und er riß den Ring von seiner Hand und steckte ihn an den Finger von Aramis.

Dann wandte er sich an die zwei Zuschauer dieser Scene und sprach:

»Seid Zeugen und bezeugt bei Gelegenheit, daß ich krank am Körper, aber gesund am Geist, frei und freiwillig, diesen Ring, das Zeichen der Allmacht, Monseigneur d’Herblay, Bischof von Vannes übergeben, den ich zu meinem Nachfolger ernenne, und vor dem ich, ein demüthiger Sünder, bereit vor Gott zu erscheinen, mich als der Erste verbeuge, um Allen das Beispiel zu geben.«

Und der Franciscaner verbeugte sich wirklich, während der Jesuit und der Arzt auf die Knie fielen.

Aramis, während er bleicher wurde, als der Sterbende selbst, heftete seinen Blick auf alle Mitglieder dieser Scene. Der befriedigte Ehrgeiz floß mit seinem Blut nach seinem Herzen.

»Beeilen wir uns,« sagte der Franciscaner; »was ich hier zu thun hatte, drängt mich, verzehrt mich. Ich werde es nie erreichen.«

»Ich werde es thun,« sprach Aramis.

»Es ist gut,« sagte der Franciscaner.

Dann sich an den Jesuiten und an den Arzt wendend:

»Laßt uns allein.«

Beide gehorchten.

»Mit diesem Zeichen,« sprach er, »seid Ihr der Manu, dessen es bedarf, um die Erde umzuwälzen, mit diesem Zeichen werdet Ihr niederstürzen, mit diesem Zeichen werdet Ihr aufbauen: In hoc signo vinces

»Schließt die Thüre,« sagte der Franciscaner zu Aramis.

Aramis schob die Riegel vor und kehrte zu dem Franciscaner zurück.

»Der Papst hat gegen den Orden conspirirt,« sagte der Franciscaner, »der Papst muß sterben.«

»Er wird sterben,« erwiederte Aramis ruhig.

»Man ist siebenmal hunderttausend Livres einem Kaufmann in Bremen, Namens Donstett, schuldig, der hierher gekommen ist, um die Garantie meiner Unterschrift zu holen.«

»Er wird bezahlt werden,« sagte Aramis.

»Sieben Maltheser Ritter, deren Namen Ihr hier findet, haben durch die Schwatzhaftigkeit eines Affiliirten vom elften Jahr die drei Geheimnisse erfahren; man muß wissen was diese Menschen mit dem Geheimniß gemacht haben, sich desselben wieder bemächtigen und es vertilgen.«

»Es soll geschehen.«

»Drei gefährliche Affiliirte müssen nach Thibet geschickt werden, um dort zu sterben; sie sind verurtheilt, hier sind ihre Namen.«

»Ich werde den Spruch vollziehen lassen.«

»Dann Ist eine Dame in Antwerpen, eine Großnichte von Ravaillac; sie hat gewisse Papiere, welche den Orden in ihren Händen compromittiren. Es wird der Familie seit einundfünfzig Jahren eine Pension von hunderttausend Livres bezahlt . . . die Pension ist drückend, der Orden ist nicht reich. Die Papiere für eine Geldsumme, einmal gegeben, abkaufen oder im Fall der Weigerung die Pension, ohne sich zu gefährden, unterdrücken.«

»Ich werde hierfür sorgen.«

»Ein Schiff, das von Lima kam, mußte in der vorigen Woche im Hasen von Lissabon einlaufen; es ist scheinbar mit Chocolade, in Wirklichkeit mit Gold befrachtet. Jede Goldstange ist unter einer Lage Chocolade verborgen. Dieses Schiff gehört dem Orden, und ist siebenzehn Millionen Livres werth. Ihr werdet es reclamiren lassen. Hier sind die Ladungsbriefe.«

»In welchen Hafen soll ich es kommen lassen?«

»Nach Bayonne.«

»Treten keine widrigen Winde ein, so wird es binnen drei Wochen dort sein. Ist dies Alles?«

Der Franciscaner machte mit dem, Kopf ein bejahendes Zeichen, denn er konnte nicht mehr sprechen, das Blut beströmte seine Kehle und seinen Kopf und schoß aus dem Mund, aus den Nasenlöchern, aus den Augen hervor. Der Unglückliche hatte nur noch Zeit, Aramis die Hand zu drücken, und fiel ganz krampfhaft zusammengezogen von seinem Bett auf den Boden.

Aramis legte ihm seine Hand aufs Herz; das Herz hatte zu schlagen aufgehört.

Indem er sich bückte, bemerkte er, daß ein Bruchstück von dem Papiere, das er dem Franciscaner übergeben, den Flammen entgangen war.

Er hob es auf und verbrannte es bis auf das letzte Atom.

Dann sich des Arztes und des Beichtigers erinnernd, sagte er zu dem letzteren:

»Euer Beichtender ist bei Gott; es bedarf für ihn nur noch der Gebete und der Todtenbestattung. Bereitet Alles für ein einfaches Begräbniß, und so, wie es sich für einen armen Mönch geziemt. Geht.«

Der Jesuit ging hinaus.

Dann sich gegen den Arzt umwendend, dessen bleiches, ängstliches Gesicht er wahrnahm, sagte er leise:

»Herr Grisart, leert dieses Glas aus und reinigt es; es ist darin noch zu viel von dem übrig, was Euch der große Rath darein zu thun befohlen hat,«

Betäubt, gelähmt, vernichtet, wäre Grisart beinahe rücklings niedergestürzt.

Aramis zuckte die Achseln als Zeichen des Mitleids, nahm das Glas und goß den Inhalt in die Asche des Kamins.

Dann entfernte er sich mit den Papieren des Tobten.

XI.
Sendung

Am andern Tag oder vielmehr an demselben Tag, denn die von uns erzählten Ereignisse nahmen ihr Ende erst um drei Uhr Morgens vor dem Frühstück, und da der König sich mit den zwei Königinnen nach der Messe begab, da Monsieur mit dem Chevalier von Lorraine und einigen andern Günstlingen zu Pferde stieg, um nach dem Flusse zu reiten und sich mit einem der berühmten Bäder zu erquicken, in welche die Damen so verliebt waren, da endlich nur noch diejenigen im Schloß waren, welche unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit nicht ausgehen wollten, sah man, oder sah man vielmehr nicht, Montalais, La Vallière nach sich ziehend, die sich so gut als möglich verbarg, aus dem Zimmer der Ehrenfräulein schlüpfen, und beide gelangten, durch den Garten huschend und beständig umherschauend, zu den rautenförmig gepflanzten Baumgruppen.

Das Wetter war trübe, ein glühender Wind beugte die Blumen und Gesträuche; der brennende Staub stieg, von den Wagen emporgetrieben, in Wirbeln zu den Bäumen auf.

Montalais, die auf dem ganzen Marsch die Functionen eines geschickten Kundschafters versehen hatte, machte noch einige Schritte, wandte sich sofort um, um sich zu versichern, daß kein Mensch horchte oder kam, und sagte dann:

»Oh! Gott sei Dank, wir sind ganz allein. Seit gestern spionirt hier alle Welt, und bildet einen Kreis um uns, als ob wir pestkrank wären.«

La Vallière ließ den Kopf sinken und stieß einen Seufzer aus.

»Das ist unerhört,« fuhr Montalais fort, »von Herrn Malicorne bis auf Herrn von Saint-Aignan will Jedermann unser Geheimniß erhaschen. Sprich, Louise, erinnern wir uns ein wenig, damit ich weiß, an wen wir uns zu halten haben.«

La Vallière schlug ihre schönen Augen so rein und so tief wie das Azur eines Frühlingshimmels zu ihrer Gefährtin auf und erwiederte:

»Und ich, ich frage Dich, warum wir zu Madame berufen worden sind, warum wir bei ihr geschlafen haben, statt wie gewöhnlich in unserem Zimmer zu schlafen; warum Du spät nach Hause zurückgekehrt bist und woher die Ueberwachungsmaßregeln rühren, die man diesen Morgen in Beziehung auf uns getroffen hat.«

»Meine liebe Louise, Du erwiederst meine Frage durch eine Frage, oder vielmehr durch zehn Fragen, was nicht antworten heißt, und da dies Dinge von geringerer Bedeutung sind, so kannst Du warten. Was ich dich frage, denn Alles wird hiervon ausgehen, ist, ob ein Geheimniß obwaltet, oder ob keines obwaltet.«

»Ich weiß nicht, ob ein Geheimniß obwaltet,« sagte La Vallière, »aber was ich meines Theils weiß, ist, daß eine Unklugheit stattgefunden hat; seit meinem albernen Wort und meiner noch viel albernen Ohnmacht von gestern, macht Jeder hier seine Commentare über uns.«

»Sprich für Dich,« sagte Montalais lachend, »für Dich und Tonnay-Charente, die Ihr jede gestern Eure Erklärungen den Wolken gemacht habt, Erklärungen, welche leider aufgefangen worden sind.«

La Vallière neigte das Haupt.

»In der That, Du beugst mich nieder,« sprach sie.

»Ich?«

»Ja, diese Scherze tödten mich.«

»Höre, höre, Louise. Das sind keine Scherze . . . es kann im Gegentheil nichts ernster sein. Ich habe, Dich nicht aus den, Schloß fortgezogen, ich habe nicht die Messe versäumt, ich habe nicht eine Migräne vorgeschützt, wie Madame, eine Migräne, welche Madame eben so wenig hatte, als ich; ich habe endlich nicht zehnmal mehr Diplomatie entwickelt, als Herr Colbert von Herrn von Mazarin geerbt und Herrn Fouquet gegenüber zur Anwendung gebracht hat, um Dir meine Schmerzen zu erzählen, einzig und allein zu dem Ende, daß Du, wenn wir allein sind, wenn uns Niemand hört, die Feine gegen mich spielst. Nein, nein, glaube mir, wenn ich Dich befrage, geschieht es nicht bloß aus Neugierde, sondern weil die Lage der Dinge wirklich kritisch ist. Man weiß, was Du gestern gesagt Hast, man schwatzt über diesen Gegenstand. Jeder schmückt die Sache, so gut er kann, mit den Blumen seiner Phantasie aus; Du hast diese Nacht die Ehre gehabt, und hast noch diesen Morgen die Ehre, meine Liebe, den ganzen Hof zu beschäftigen, und die Zahl der zärtlichen und geistreichen Dinge, die man Dir in den Mund legt, würden Fräulein von Scudéry und ihren Bruder vor Aerger bersten machen, wenn sie ihnen getreulich berichtet würden.

»Ei! meine gute Montalais,« erwiederte das arme Kind, »Du weißt besser, als irgend Jemand, was ich gesagt habe, da ich es in Deiner Gegenwart sagte.«

»Ja, ich weiß es. Mein Gott! das ist nicht die Frage. Ich habe nicht ein Wort von dem vergessen, was Du gesprochen; doch dachtest Du auch, was Du sagtest?«

Louise wurde unruhig.

»Abermals Fragen!« rief sie; »mein Gott! wie kommt es, daß, während ich Alles in der Welt gäbe, um zu vergessen, was ich gesagt habe, Jeder sich verschwört, um mich daran zu erinnern. Oh! es ist abscheulich!«

»Was denn?«

»Eine Freundin zu haben, die mich verschonen mußte, die mir rathen, mich durch ihre Hülse retten könnte, und mich umbringt, ermordet!«

»La! la! sieh, nachdem Du zu wenig gesprochen, sprichst Du nun zu viel. Niemand denkt daran, Dich umzubringen, nicht einmal, Dir Dein Geheimniß zu stehlen; man will es freiwillig und auf keine andere Art bekommen; denn es handelt sich nicht allein um Deine Angelegenheiten, sondern auch um die unsrigen; und Tonnay-Charente würde es Dir sagen, wie ich, wenn sie da wäre: denn gestern Abend bat sie mich um eine Unterredung in unserem Zimmer, und ich begab mich dahin nach den Manicamp’schen und Malicornschen Unterredungen; da erfahre ich bei meiner allerdings etwas verspäteten Rückkehr, Madame habe die Ehrenfräulein sequestrirt, und wir schlafen bei ihr, statt in unserer Wohnung zu schlafen. Madame hat aber die Ehrenfräulein sequestrirt, damit ihnen keine Zeit bleibe, sich zu erinnern und mit einander zu bereden, und diesen Morgen hat sie sich mit Tonnay-Charente in derselben Absicht eingeschlossen. Sage mir nun, meine liebe Freundin, wie weit wir auf Dich rechnen können, wenn wir Dir sagen werden, wie weit Du auf uns rechnen kannst.«

 

»Ich verstehe die Frage nicht ganz, die Du an mich richtest,« erwiederte Louise sehr aufgeregt.

»Hm! Du siehst mir im Gegentheil aus, als ob Du sie sehr gut verständest. Doch ich will meine Fragen genauer stellen, damit Dir nicht das Mittel der geringsten Ausflucht bleibt. Höre mich also:

»Liebst Du Herrn von Bragelonne? Ist das nicht klar?«

Bei dieser Frage, welche wie das erste Wurfgeschoß einer Belagerungsarmee in einen belagerten Platz fiel, machte Louise eine Bewegung und rief:

»Ob ich Raoul liebe! meinen Freund aus der Kindheit, meinen Bruder!«

»Nein! nein! Da entschlüpfst Du mir abermals, oder Du willst mir vielmehr entschlüpfen. Ich frage Dich nicht, ob Du Raoul, Deinen Freund aus der Kindheit, Deinen Bruder liebest, ich frage Dich, ob Du den Herrn Vicomte von Bragelonne, Deinen Bräutigam, liebest?«

»Oh! mein Gott! meine Liebe, welche Strenge im Wort!«

»Keine Gnade . . . ich bin nicht mehr, nicht welliger streng, als gewöhnlich; ich richte eine Frage an Dich, antworte auf diese Frage.«

»Gewiß,« erwiederte Louise mit erstickter Stimme, »Du sprichst nicht als Freundin mit mir, doch ich werde Dir als aufrichtige Freundin antworten.«

»Wohl! ich habe ein Herz voll Skrupel und lächerlichen Stolzes in Beziehung auf Alles das, was eine Frau geheim halten soll, und nie hat Jemand in dieser Hinsicht im Grunde meines Herzens gelesen.«

»Ich weiß es wohl, wenn ich darin gelesen hätte, so würde ich Dich nicht befragen, ich würde einfach zu Dir sagen: Meine gute Louise, Du hast das Glück, Herrn von Bragelonne zu kennen, der ein artiger Junge und eine vortheilhafte Partie für ein Mädchen ohne Vermögen ist. Herr de la Fère wird seinem Sohn so etwa fünfzehntausend Livres Rente hinterlassen. Du wirst also als Frau dieses Sohnes dereinst fünfzehntausend Livres Einkommen haben; das ist vortrefflich. Gehe also weder rechts, noch links, gehe vielmehr gerade auf Herrn von Bragelonne, das heißt, auf den Altar zu, an den er Dich führen soll. Hernach, nun! Hernach wirst Du, je nach seinem Charakter, emancipirt oder Sklavin sein, Du wirst nämlich das Recht haben, alle Albernheiten zu begehen, welche zu freie oder zu sehr geknechtete Leute begehen; das ist es, meine liebe Louise, was ich vor Allem sagen würde, wenn ich im Grund Deines Herzens gelesen hätte.«

»Und ich würde Dir dafür danken,« stammelte Louise, »obgleich mir der Rath nicht ganz gut scheint.«

»Warte, warte . . . Sogleich, nachdem ich ihn Dir gegeben, würde ich beifügen: Louise, es ist gefährlich ganze Tage, den Kopf auf die Bücher gesenkt, die Hände träg, die Augen umherirrend, zuzubringen; es ist gefährlich, die düsteren Alleen zu suchen und nicht mehr zu lächeln bei den Unterhaltungen, welche alle Herzen junger Mädchen erschließen. Es ist gefährlich, Louise, mit der Fußspitze, wie Du es auf dem Sand gethan, Buchstaben zu schreiben, die Du immerhin verwischen magst, sie werden dennoch unter der Ferse erscheinen, besonders wenn diese Buchstaben mehr einem L als einem B gleichen; es ist unendlich gefährlich, sich tausend bizarre Phantasieen, Früchte der Einsamkeit und der Migräne, in den Kopf zu setzen; diese Phantasieen höhlen die Wangen eines armen Mädchens aus, während sie zugleich sein Gehirn austrocknen: so daß man bei solchen Gelegenheiten nicht selten die angenehmste Person der Welt die verdrießlichste, die geistreichste Person die albernste werden sieht.«

»Ich danke, meine liebe Freundin, erwiederte La Vallière mit sanftem Ton, »es liegt in Deinem Charakter, daß Du so mit mir sprichst, und ich danke Dir, daß Du Deinem Charakter gemäß redest.«

»Spreche ich so für die hohlen Träume? Nimm von meinen Worten, was Du davon nehmen zu müssen glaubst. Höre, es fällt mir da ein Mährchen von einem melancholischen Mädchen ein . . . Herr Dangeau hat mir das einst erklärt, Melancholie ist aus zwei griechischen Wörtern zusammengesetzt, von denen eines schwarz und das andere Galle bedeutet. Ich träumte also von dieser jungen Person, welche an schwarzer Galle starb weil sie sich eingebildet, der Prinz, der König oder der Kaiser . . . meiner Treue, gleichviel wer, bete sie an, während der Prinz, der König oder der Kaiser, wie Du willst, sichtbar anderswo liebte, und was sonderbar ist, und was sie nicht bemerkte, indeß es Jedermann um sie her bemerkte, sie nur zum Liebesdeckmantel nahm. Nicht wahr, Du. lachst, wie ich, über diese arme Närrin?«

»Ich lache,« stammelte Louise, bleich wie eine Todte, »ja, gewiß lache ich.«

»Und Du hast Recht, denn die Sache ist belustigend. Die Geschichte, oder das Mährchen, wie Du willst, hat mir gefallen, deßhalb habe ich es im Kopf behalten und erzähle es Dir. Du kannst Dir denken, meine liebe Louise, welche Verheerungen in Deinem Gehirne eine Melancholie dieser Art anrichten würde. Ich, was mich betrifft, habe beschlossen. Dir die Sache zu erzählen; denn wenn die Sache einer von uns begegnen würde, so müßte sie sehr von folgender Wahrheit überzeugt sein: Heute ist es ein Köder, morgen wird es ein Hohn; übermorgen wird es dir Tod sein.«

La Vallière bebte und erbleichte, wenn es möglich, noch mehr.

»Kümmert sich ein König um uns,« fuhr Montalais fort, »so läßt er es uns wohl sehen, und sind wir das Gut, nachdem er begehrt, so weiß er sich sein Gut zu verschaffen. Du siehst also, meine liebe Louise, unter solchen Umständen müssen zwei junge Mädchen, wenn sie einer solchen Gefahr preisgegeben sind, sich jegliches Vertrauen schenken, damit die nicht melancholischen Herzen die überwachen, welche es werden können.«

»Stille! stille!« rief La Vallière, »man kommt.«

»Man kommt in der That,« sagte Montalais, doch wer kann kommen? es ist alle Welt mit dem König in der Messe oder mit Monsieur im Bad.«

Am Ende der Allee erblickten die Mädchen alsbald unter der grünen Arcade den anmuthigen Gang und die reiche Statur eines jungen Mannes, der, seinen Degen unter dem Arm, den Mantel darüber, ganz gestiefelt und gespornt, sie von fern mit einem sanften Lächeln grüßte.

»Raoul!« rief Montalais.

»Herr von Bragelonne,« murmelte Louise.

»Hier kommt ein ganz natürlicher Ritter für unsern Streit,« sagte Montalais.

»Oh! Montalais! Montalais! habe Mitleid,« rief La Vallière, »sei nicht unerbittlich, nachdem Du grausam gewesen.«

Mit der ganzen Glut eines Gebetes ausgesprochen, verwischten diese Worte, auf dem Gesicht, wenn nicht im Herzen von Montalais jede Spur von Ironie.

»Oh! nun seid Ihr schön, wie Adonis, Herr von Bragelonne, und ganz bewaffnet und gestiefelt wie er,« rief sie Raoul zu.

»Meinen tausendfachen Respect, mein Fräulein,« erwiederte Raoul, indem er sich verbeugte.

»Doch warum diese Stiefel?« fuhr Montalais fort, indeß La Vallière, während sie Raoul mit einem Erstaunen, dem ihrer Freundin ähnlich, anschaute, doch ein Stillschweigen beobachtete.

»Warum?« fragte Raoul.

»Ja, das möchte ich wissen,« erwiederte Montalais.

»Weil ich abreise,« sprach Bragelonne, Louise anschauend.

La Vallière fühlte sich von einem abergläubischen Schrecken erfaßt und wankte.

»Ihr reist ab, Raoul!« rief sie, »und wohin geht Ihr?«

»Meine liebe Louise,« antwortete der junge Mann mit der ihm natürlichen Freundlichkeit, »ich gehe nach England.«

»Und was wollt Ihr in England machen?«

»Der König schickt mich dahin.«

»Der König!« riefen gleichzeitig Louise und Aure, welche unwillkürlich einen Blick wechselten, um sich einander an dir so ’eben unterbrochene Unterredung zu erinnern.

Diesen Blick faßte Raoul auf, aber er konnte ihn nicht begreifen.

Er schrieb ihn daher ganz natürlich der Theilnahme zu, welche die zwei Mädchen für ihn hegten.

»Seine Majestät,« sagte er, »hat die Gnade gehabt, sich zu erinnern, daß der Herr Graf de la Fère von König Karl II. wohl gelitten ist. Diesen Morgen beim Abgang zur Messe machte mir der König, als er mich auf seinem Wege sah, ein Zeichen mit dem Kopf. Ich näherte mich Ihm. »»Herr von Bragelonne,«« sagte er zu mir, »»Ihr werdet zu Herr Fouquet gehen, der von mir Briefe für den König von Großbrittanien erhalten hat; diese Briefe werdet Ihr überbringen.«’

»Ich verbeugte mich.«

»»Ah!«« fügte er bei, »»ehe Ihr abreiset, werdet Ihr wohl die Aufträge von Madame an den König, ihren Bruder, übernehmen.««

»Mein Gott!« flüsterte Louise, zugleich ganz zitternd und ganz nachdenkend.

»So schnell! Man befiehlt Euch, so schnell abzureisen,« sagte Montalais, wie gelähmt durch dieses seltsame Ereigniß.

»Um denjenigen, welche man achtet, gut zu gehorchen, muß man rasch gehorchen,« erwiederte Raoul. »Zehn Minuten, nachdem ich den Befehl erhalten, war ich bereit. Benachrichtigt, schreibt Madame den Brief, mit dem ich von ihr beauftragt zu werden die Ehre habe. Mittlerweile, da ich von Fräulein Tonnay-Charente erfahren, Ihr müsset bei diesen Baumgruppen sein, ging ich hierher, und ich finde Euch Beide.«

»Und Beide ziemlich leidend, wie Ihr seht,« sagte Montalais, um Louise zu Hilfe zu kommen, deren Gesicht sich sichtbar veränderte.

»Leidend?« wiederholte Raoul, indem er mit einer zärtlichen Neugierde Louise de la Vallière die Hand drückte. »Oh! in der That, Eure Hand ist eiskalt.«

»Es ist nichts.«

»Nicht wahr, Louise, diese Kälte geht nicht bis zum Herzen?« fragte der junge Mann mit einem zarten Lächeln.

Louise erhob rasch das Haupt, als wäre diese Frage durch einen Verdacht eingegeben oder durch einen Gewissensbiß hervorgerufen worden.

»Oh! Ihr wißt,« sprach sie mit einer gewissen Anstrengung, »nie werde ich kalt gegen einen Freund, wie Ihr, sein, Herr von Bragelonne.«

»Ich danke, Louise. Ich kenne Euer Herz und Eure Seele, und weiß, daß man nicht nach der Berührung der Hand eine Zärtlichkeit wie die Eurige beurtheilt. Louise, es ist Euch bekannt, wie sehr ich Euch liebe, mit welchem Vertrauen ich Euch mein Leben gegeben habe; Ihr werdet mir also verzeihen, wenn ich ein wenig als Kind mit Euch spreche.«

»Sprecht, Herr Raoul,« sagte Louise ganz bebend, »ich höre Euch.«

»Ich kann mich nicht von Euch entfernen, indem ich eine, allerdings alberne Qual, die mir aber dennoch mein Innerstes zerreißt, mit mir fortnehme.«

»Ihr entfernt Euch also auf lange Zeit?« fragte La Vallière mit gepreßter Stimme, während Montalais den Kopf abwandte.

»Nein, und ich werde wahrscheinlich nicht vierzehn Tage abwesend sein.«

La Vallière drückte eine Hand auf ihr Herz, das dem Brechen nahe war.

»Es ist seltsam,« fuhr Raoul, das Mädchen schwermüthig anschauend, fort; »oft habe ich Euch verlassen, um zu gefahrvollem Zusammentreffen zu gehen. Ich entfernte mich damals heiter, das Herz frei, den Geist ganz berauscht von zukünftigen Freuden, von zukünftigen Hoffnungen, und es handelte sich damals für mich darum, den Kugeln der Spanier oder den schweren Hellebarden der Wallonen zu trotzen, heute gehe ich ohne irgend eine Gefahr, ohne irgend eine Unruhe, um auf dem leichtesten Weg der Welt eine schöne Belohnung zu holen, die mir diese Gnade des Königs verspricht . . . ich werde vielleicht Euch erobern, denn welche kostbarere Gunst, als Euch, könnte mir der König bewilligen! Nun denn! Louise, ich weiß in der That nicht, wie das kommt, aber diese ganze Zukunft, dieses ganze Glück entflieht vor meinen Augen, wie leerer Rauch, wie ein chimärischer Traum, und ich habe hier im Grunde meines Herzens einen großen Kummer, eine unaussprechliche Niedergeschlagenheit, etwas Düsteres, Träges, Todtes, wie ein Leichnam. Oh! Ich weiß wohl, warum, Louise; weil ich Euch nie so sehr geliebt habe, als in diesem Augenblick. Oh! mein Gott! mein Gott!«

Bei diesem letzten Ausruf, der aus einem gebrochenen Herzen hervorkam, zerfloß Louise in Thränen und warf sich in die Arme von Montalais.

Diese, welche jedoch nicht zu den Weichsten gehörte, fühlte ihre Augen feucht werden und ihr Herz sich in einem eisernen Ring zusammenpressen.

 

Raoul sah die Thränen seiner Braut. Sein Blick drang nicht, suchte nicht über ihre Thränen hinauszudringen. Er beugte ein Knie vor ihr und küßte ihr zärtlich die Hand.

»Steht auf! steht auf!« sagte Montalais, selbst dem Weinen nahe, »Athenais kommt zu uns.«

Raoul wischte sein Knie mit der Kehrseite seines Aermels ab, lächelte noch einmal Louise zu, die ihn nicht einmal anschaute, und wandte sich, nachdem er Montalais innig die Hand gedrückt, um, um Fräulein von Tonnay-Charente zu begrüßen, deren seidenes Kleid man über den Sand der Allee hinstreifen zu hören anfing.

»Hat Madame ihren Brief beendigt?« fragte er, als das Mädchen im Bereich seiner Stimme war.

»Ja, Herr Vicomte, der Brief ist beendigt, gesiegelt, und Ihre Königliche Hoheit erwartet Euch.«

Bei diesem Wort nahm sich Raoul kaum die Zeit,

Athenais zu grüßen; er warf einen letzten Blick auf Louise, machte Montalais ein letztes Zeichen, und entfernte sich in der Richtung des Schlosses.

Doch während er sich entfernte, wandte er sich noch einmal um.

Am Ende der großen Allee mochte er sich immerhin umdrehen, er sah nichts mehr.

Die drei Mädchen hatten ihn ihrerseits mit sehr verschiedenartigen Gefühlen verschwinden sehen.

»Endlich,« sagte Athenais, die zuerst das Stillschweigen brach, »endlich sind wir allein, und haben volle Freiheit, über die große gestrige Angelegenheit zu plaudern, und uns über das Benehmen zu verständigen, das wir befolgen müssen. Wenn Ihr mir aber Aufmerksamkeit schenken wollt,« fuhr sie fort, während sie nach allen Seiten schaute, »so will ich Euch so kurz als möglich unsere Pflicht erklären, was ich darunter verstehe, und wenn Ihr mich nicht mit einem Wort begreift, den Willen von Madame.«

Und Fräulein von Tonnay-Charente legte einen Nachdruck auf diese letzten Worte, daß ihren Freundinnen kein Zweifel über den offiziellen Charakter blieb, mit dem sie bekleidet war.

»Den Willen von Madame?« riefen zu gleicher Zeit Montalais und Louise.

»Ultimatum!« erwiederte Fräulein von Tonnay-Charente diplomatisch.

»Aber, mein Gott, Fräulein,« flüsterte La Vallière, »Madame weiß also . . . «

»Madame weiß mehr, als wir gesagt haben,« artikulirte Athenais ganz scharf. »Halten wir uns also gut, meine Fräulein.«

»Oh! ja,« sagte Montalais, »Ich höre auch mit allen meinen Ohren. Sprich, Athenais.«

»Mein Gott! mein Gott!« murmelte Louise ganz zitternd, »werde ich diesen grausamen Abend überleben?«

»Oh! erschreckt nicht so sehr,« sagte Athenais, »wir haben das Gegenmittel.«

Und sie setzte sich mitten zwischen ihre zwei Gefährtinnen, nahm von jeder derselben eine Hand, vereinigte sie in ihren Händen und begann:

Ueber dem Geflüster ihrer ersten Worte hätte man den Lärmen eines Pferdes hören können, das auf dem Pflaster der Landstraße, außerhalb dem Gitter des Schlosses, da hingaloppirte.