Dantes Inferno II, Das Auge der Hölle

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Dantes Inferno II, Das Auge der Hölle
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Akron

Das Auge der Hölle

Inferno II: Die Höllen der Sexualität und der Verschwörungstheorien

llustrationen von Voenix

und Patricia Louise


Akron Edition GmbH

Zu diesem Buch

Der vorliegende Thriller handelt von einem Streifzug durch die jahrhundertelange Geschichte menschlicher Alpträume, und ist die Fortsetzung der Trilogie, die auf „Dantes Inferno“, einer Reise durch die Unterwelt, folgt. Während der Held mit seinem Mentor die dunklen Bilder in der Abstellkammer der menschlichen Psyche bereist, die ihn unter anderem durch die höllischen Exzesse der sexuellen Folter in der Skorpion-Hölle führen, explodiert in der Zeitungsredaktion eine Bombe. Im selben Augenblick erwacht er im Hotelzimmer neben einer geheimnisvollen Frau, die ihn an die schrecklichen Szenen seines Traumes erinnert. Zugleich fällt ihm ein, daß er zu einer wichtigen Redaktionssitzung muß, und er verläßt fluchtartig den Ort. Auf der realen Ebene ist er Journalist, und der Chefredaktor schickt ihn zum Interview mit einem teuflischen Autor, der am Abend auf einem Kongreß über den Geheimbund der alten atlantischen Priester referieren will, die mittels eines „magischen Auges“ aus dem Sternbild des Roten Drachens herübergechannelt sind. Auf dem Weg ins Hotel wird er zuerst von einem Taxi gerammt und im Koma anschließend von Akron zu einer goldenen Pyramide geführt. Im Inneren des virtuellen Gebildes begegnet er wieder der Fremden aus dem Hotelzimmer, die ihm erklärt, daß sie sich in den kollektiven Träumen der Menschheit befänden, in denen die alten Zauberer ihre schwarzen Geheimnisse versteckt hatten, nachdem Atlantis von einer Atombombe zerstört worden war. Sie zeigt ihm ein elektronisches Kraftfeld, in dem der Geist des Autors gefangen ist, und aus dem dieser telepathisch mit Eva, seiner Redaktionskollegin, kommuniziert. Der Geist warnt Eva vor der „als zukünftige Erinnerung in die Träume der Leser installierten“ Bombe, die in Kürze in der Redaktion hochgehen wird, und erklärt ihm nebenbei, daß er von einer als Journalistin getarnten Agentin noch an diesem Abend in seinem Hotelzimmer entführt werden soll. Um die Sache zu klären, entschließt sich der Reisende, ins Hotel zu fahren, und ruft ein Taxi herbei. Auf dem Weg überfahren sie seinen Doppelgänger, der sich vor den Wagen stürzt, um seine Alpträume zu beenden, und die Fahrerin, die sich ihm als eine moderne Wächterin der Unterwelt vorstellt, teilt ihm mit, daß er nur ein Gedanke im Hirn des bewußtlosen Schreibers sei. Er befinde sich noch immer in einem entrückten Bewußtseinszustand, nachdem er vor zwanzig Jahren von einem Auto überfahren worden wäre, und bleibe solange in seinen Vorstellungen gefangen, bis jemand seine Geschichte zu Ende träume.


www.roterdrache.com

Akron (C. F. Frey), Schriftsteller, Essayist und Magier-Philosoph vom Bodensee, befaßt sich seit Jahrzehnten mit Astrologie, Magie, Tiefenpsychologie und Kunst. Während seiner Musikstudien in München Mitglied (Schlagzeuger) verschiedener deutscher Rock-Gruppen, dabei erste Kontakte mit esoterischen Zirkeln und Bruderschaften. 1971 erschien sein Bucherstling, ein Roman. Später gab er eine avantgardistische Literatur-Zeitung heraus und experimentierte mit alternativen Denkmodellen. Daneben betätigte er sich auch in anderen Bereichen, textete eine Rock-Oper und arbeitete fünf Jahre als Musik- und Theaterkritiker bei einer Tageszeitung. Ab 1987 schrieb er eine Reihe von Büchern, von denen „Der Crowley-Tarot“ (mit Hajo Banzhaf, 1991), „Baphomet“ (mit den magischen Tarotkarten von Oscar- Preisträger H. R. Giger, 1992) und „Das Astrologie-Handbuch“ (1995) große Beachtung erhielten und in ihren Sparten zu Bestsellern avancierten. Heute befaßt er sich mit inneren Techniken, gibt Seminare und ist Begründer eines Arbeitskreises für Energietransfer, Initiations- und Schattenarbeit („Templum Baphomae“), der sich mit den menschlichen Prägungen hinter den kollektiven Bildern auseinandersetzt und hinterfragendes Denken mit „Erlebtem Wissen“ kombiniert.

www.akron.ch

Impressum

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Akron: Das Auge der Hölle

Inferno II: Die Höllen der Sexualität und der Verschwörungstheorien

Der Astroführer durch die Unterwelt Band 2/

Akron. - Arbon: Akron, 2002

Elektronischer eBook-Satz 2013: ArsAstrologica

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

ISBN 9783905372403

Copyright 2002 by Akron Verlags AG

Layout und Bildbearbeitung: Akron/​Voenix

Titelbild: Patricia Louise Cooney

Illustrationen: Patricia (S. 26, 31, 34,43,44,54,78,80,88,101,165,171,176 & 186) und Voenix (alle übrigen)

Gesamtgestaltung: Akron

Akron Edition GmbH

Ruhberg 20

CH - 9000 St. Gallen

Tel. +41 (0)71 2789 666

Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, sowie fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdruck sind vorbehalten.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort Das Auge der Hölle aus multipler Sicht

Ein kleiner Exkurs in die multidimensionale Welt der Psyche

Prolog – Die Spirale des Träumers

...oder das in den Anfang eingedrehte Ende

Skorpion

Die Höllen der Sexualität

Sonne

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Der Phallus des Baphomets

Die Hölle sexueller Animalität

Mond

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Baphomas Kaviar

Die Hölle psychischer und physischer Erniedrigung

Merkur

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Der sich selbst verschlingende Spalt

Die Hölle emotionaler Neurosen und Zwangsvorstellungen

Venus

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Das Ei der Drachin

Die Hölle sexueller Gier und unkontrollierter Leidenschaft

Mars

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Die Geburt des Reptils

Die Hölle der selbstzerstörerischen Triebnatur

Jupiter

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Die Pyramide der Magier

Die Hölle gewaltsamer Aufbrechung der Grenzen zum Unbewußten

 

Saturn

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Die Hölle der Katharsis

Die Hölle blockierter Transformationsprozesse und schmerzhafter Auferstehung

Intermezzo - Le Salon Rouge

Schütze

Die Höllen der Verschwörungstheorien

Sonne

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Der Rote Drache

Die Hölle des geistigen Ausdehnungsprinzips

Mond

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Der Ring der Zauberer

Die Hölle kosmischer Vernetzung

Merkur

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Der Traum von Atlantis

Die Hölle der Verdrehungen zwischen Kopf und Seele

Venus

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Das Auge der Hölle

Die Hölle der Selbstreflexion aus der Sicht der Träume

Mars

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Die multiple Sicht des Autors

Die Hölle mehrperspektivischer Erkenntnis

Jupiter

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Das Erinnerungsgeflecht der alten Vampire

Die Hölle der Relativität des Seins

Saturn

Sündenregister (Schuld, Strafe, Lösung)

Niemands in meine Seele implizierter Traum

Die Hölle der Desillusionierung eingebildeter Ziele

Epilog - Die Schwelle zum Paradies

Nachwort von Voenix


Das Auge der Hölle aus multipler Sicht

Ein kleiner Exkurs in die multidimensionale Welt der Psyche

Ich habe einmal mit dem Wächter gesprochen und ihn gefragt, wie man tiefer in die Geheimnisse der Seele eindringen könne. Er antwortete mir, er wisse dafür keine Lösung. Da erzählte ich ihm, daß ich ein Buch über die Hölle schreiben wolle. „Nur ein Narr traut sich ein solches Unterfangen zu“, entgegnete er ruhig, „denn die Hölle sprengt alles, was du verstandesmäßig kontrollieren kannst!“ Dann führte er mich Stufe um Stufe zu einer finsteren Gruft hinab, in deren Boden ein Auge wie das Tor zur Hölle eingelassen war. „Willst du wirklich wissen, was die Hölle ist, dann warte hier, bis deine Erinnerung erwacht“, sagte er und war verschwunden. Ich weiß nicht mehr, wie viele Jahre es dauerte, bis ein Mann mit einer Kapuze mich freundlich aufforderte, seinem Blick zu folgen: „Nichts, was verstanden werden kann, kann die Hölle sein: Wirfst du aber einen Blick in den Abgrund deiner Seele hinein, kannst du mit meinen Augen auf der anderen Seite erwachen!“ So sprach die düstere Gestalt. Und von da an verlief sich die Spur des Fragenden…

„Das Auge der Hölle“ hat keinen Handlungsablauf im dualen Sinn, denn das Buch ist aus der Sicht des Unbewußten formuliert. Auf den ersten Blick scheint das Ganze eine wirre Mischung aus Gedankenfragmenten zu sein. Rückblenden werden ansatzlos eingefügt und Zeiten völlig durcheinandergewirbelt. Eine zeitlich lineare Abfolge existiert ansatzweise nur im ersten Teil. Im Verlauf der Geschichte wird die Zukunft mit der Vergangenheit verquirlt und in die scheinbare Gegenwart integriert, die sich aber wiederum als Alptraum einer „vergessenen“ Erinnerung herausstellt. Deshalb braucht es etwas Übung, bis man die richtige Technik beherrscht. Ähnlich, wie man bei dreidimensionalen Bildern nicht krampfhaft auf die Oberfläche schauen darf, sondern sich leicht schielend durch das Bild „hindurchfallen“ lassen muß, so sollte man kontemplativ über die Zeilen gleiten, ohne am Verstehen-Wollen der einzelnen Passagen hängenzubleiben. Dann versteht sich die Aussage schon nach wenigen Seiten wie von selbst, denn der Text ist so strukturiert, daß sich die Bilder im Unbewußten ganz von alleine aufspannen, solange man die kontrollierende Absicht des Verstandes loslassen kann.

Bevor wir uns aber mit dem geistigen Hintergrund eines Buches befassen, zu dessen Verständnis man nach einer Anleitung sucht, müssen wir uns zuerst mit der Vorstellung anfreunden, daß die „Beschreibung der Welt“ nur in unserem Kopf existiert und zwar durch die Brille, die uns unser soziales Umfeld diktiert. Diese Sichtweise verändert sich im Leben je nach Verschiebung des Fokus, durch dessen Linse wir die Welt betrachten. Jede Veränderung der Perspektive verwandelt natürlich auch den Hintergrund, auf den sich die Erfahrung der ursprünglichen Sichtweise bezieht, und man kann von verschiedenen Standpunkten aus verschiedene Assoziationsebenen auslösen, die unbekannte Teile unserer Persönlichkeit freilegen. Andererseits wird jedes „zukünftige Erlebnis“ an den Erfahrungen der Vergangenheit gemessen und der Gefühlswert des Zukünftigen damit aus dem Verflossenen assoziiert. Somit ist die „zukünftige Erfahrung“ lediglich das Resultat der Messung neuer Eindrücke an den vergangenen Beobachtungen auf anderen Ebenen, deren Auswirkungen wie die Ringe eines ins Wasser geworfenen Steines sich immer wieder auf die ursprüngliche Prägung in der Kindheit beziehen. Die „Straße der Zukunft“ rollt auf dem Pflaster vergangener Erfahrungen, und das ganze Leben ist im Grunde weniger ein fortlaufender Abenteuerroman, sondern eine sich immer enger zusammenziehende „Episodengeschichte“, die sich nur durch die kontrollierende Instanz des Egos wie eine fortlaufende Geschichte anfühlt. „Das Auge der Hölle“ illustriert diesen Mechanismus, wenn sich die vielen Wege mit zunehmender Dauer immer mehr verdichten und die immer wieder gleichen Bilder durch verschiedene Sichtweisen und Rückblenden zu einer fixen Realität verbinden, die dem Leser zeigt, wie simple Bilder durch bloße Vernetzung zu ganzen Vorstellungs- und Empfindungskomplexen im menschlichen Hirn „realisiert“ werden.

Wir haben es in der Psyche aber nicht nur mit Erlebnissen zu tun, an die wir uns erinnern können, sondern auch mit Begebnissen, die wir von uns abgespalten haben, da wir uns mit ihnen nicht identifizieren können. Und neben den bewußten und verdrängten Vorgängen haben wir uns auch noch mit unerlebten, aber uns zugehörigen Erfahrungsmustern auseinanderzusetzen, die wir energetisch in unsere Erinnerungen eingeknüpft haben. Diametral zu den Ereignissen, die wir zwar erlebt, aber verdrängt haben, gibt es diese „unerlebten Wunschvorstellungen“, die wir nicht erfahren haben, die aber trotzdem so stark mit uns verbunden sind, daß wir sie als Teil unserer Erinnerung betrachten (beispielsweise „Akron“, mein Alter ego). Diese Geschehnisse bilden mit anderen unerlebten Energien Erlebnisbündel, die unter unserer Bewußtseinsschwelle eigene Handlungsabläufe kreieren und, ohne je Realität zu werden, auf unsere Persönlichkeit großen Einfluß nehmen. Sie können das mentale Geschehen verändern, so daß wir im Nachhinein tatsächlich glauben, unrealisierte Begebenheiten in der Wirklichkeit erfahren zu haben. Mit anderen Worten: Unbewußt gibt es keine duale Schiene Vergangenheit-Zukunft, sondern das ganze menschliche Erleben ist wie ein Spinnennetz so in die Psyche verwoben, daß wir jedes zukünftige Ereignis mit ähnlichen vergangenen Erfahrungen vergleichen und das Erlebnis an der Stelle im Netz positionieren, an der es an vergangene Ähnlichkeiten anknüpft.

Aus diesen Gründen kann eine Geschichte aus der Position des Unbewußten auch nicht linear erzählt werden, sondern sie wird in unterschiedlichen Erzählungskomplexen über das ganze „Assoziationsfeld der Psyche“ verteilt, deren Fortlauf nicht „fadenförmig“ verläuft, sondern sich von den verschiedenen „Assoziationsgeflechten“ aus zu einem unsichtbaren Ganzen „strickmusterförmig“ entwickelt. Vereinfacht ausgedrückt stellt sich der Geist dieses Spinnennetzes als „zukünftige Erinnerung“ dar, d. h. entweder als vergessenes Ereignis, das im Unbewußten wirkt, bis es sich wieder in die Gegenwart drängt, oder (in ihrer verkehrten Überlappung) als psychisch mögliche, aber unerlebte Vergangenheit, die, obwohl die Seele dafür bereit gewesen wäre, nicht in das reale Geschehen durchgedrungen ist. Als unerlebte Wirklichkeit kann sie weiter im Unbewußten wirken, zumindest solange, bis sich das „unbearbeitete“ Unerlebte in die Zwischenwelt der Träume und Phantasien eingefügt hat (und die von den Menschen oft in ihre Biographien eingearbeitet werden, obwohl sie real gar nie stattgefunden haben). Da sich die vielen Handlungsfäden vor dem „inneren Auge der Seele“ trotzdem zu einem Ganzen verbinden können, auch wenn der Verstand das „Strickmuster“ linear nicht zu entschlüsseln weiß, muß das „Auge der Hölle“ mit dem „inneren Sehen“ erfühlt werden, damit sich dem Leser die vielschichtigen inneren Perspektiven vor seinem geistigen Erleben auftun können.

Arbor Felix, 12. August 2002 - 01h55

C. F. Frey



Es stehen viele Geschichten in den geheimnisvollen Zauberbüchern, den schwarzen, unergründlichen Apokryphen der Hölle. Sie berichten von Dingen und Geschehnissen, die sich in der Tiefe der Erde ereignen, in der Finsternis der Nacht, aber nirgends, o Wanderer, findet sich die Geschichte der Seelen, die den Seufzern der Leere lauschen, dem Räuspern des Nichts, und die in der Einsamkeit schaudern und vergeblich einen Ausweg aus dem Schreckensgewölbe ihrer Träume suchen. Sie sühnen in den Verstrickungen ihrer Bilder, den Gefängnissen der Sehnsüchte, und sind sich dabei ihrer Strafe bewußt, obwohl sie versuchen, sie aus ihrem Gedächtnis zu tilgen: Aber so wahr ich hier stehe, sie müssen durch die Hölle hindurch, denn

 

… das Licht der Erkenntnis

leuchtet aus dem Vorhof der Hölle!


Die Spirale des Träumers…

Ich saß an meinem Schreibtisch und grübelte darüber nach, wie es in meinem Leben weitergehen sollte. Nichts wollte mich erfreuen, meine Gedanken gingen ins Leere; ich fühlte mich überall frustriert. Eigentlich wollte ich ein Buch über das Ringen um die Sinnfrage schreiben, die den Menschen oft in seiner Lebensmitte befällt, doch dann fühlte ich mich selbst in die Abgründe hineingerissen, die ich nur beschreiben wollte, und auf einmal kam mir mein Leben völlig sinnlos vor. „Der Schatten auf meiner Seele muß verschwinden“, dachte ich laut. Ich spürte das mitleidslose Rad der Zeit, das sich in meinem Körper drehte.

„Doch einer tieferen Auseinandersetzung mit den Hintergründen deiner Probleme gehst du tunlichst aus dem Wege“, hörte ich eine näselnde Stimme in mir, die ich für mein abgespaltenes psychologisches Verständnis hielt, „statt dessen versuchst du, das Leben für dein Scheitern verantwortlich zu machen, statt dir vor Augen zu führen, wo das Übel sitzt und wie schwer es ist, Bestehendes dort zu verändern, wo du selbst Sachverwalter des Bestehenden bist, nämlich in deinem eigenen Kopf.“

„Ich weiß manchmal auch nicht, wie sich diese düsteren Gedanken in mir zusammenballen, aber ich wünsche mir, daß du mir hilfst, meine Depressionen zu überwinden“, erwiderte ich dem Geist dieser Stimme, die in mir sprach und die ich als inneren Dialog wahrnahm, als sie die Beweggründe meiner Denkmuster kritisierte: „Auch jetzt versuchst du, über deine Krise intellektuell zu debattieren, aber nicht, um deine Ziele zu verändern, sondern nur, um deine Lage zu verdrängen. Wie solltest du da je zur Einsicht gelangen, es sei denn…“, sagte sie, einen Sekundenbruchteil innehaltend, um mir die Gelegenheit zu geben, ihr beizustimmen und mich nach einem möglichen Ausweg zu erkunden, was ich auch sofort mit der Frage tat: „Es sei denn was?“

„Es sei denn, du ließest dich bedingungslos in deine innere Hölle hineinfallen“, antwortete die Stimme und machte wieder eine kleine Pause, um diese abschließende Botschaft gewissermaßen in mich einsinken zu lassen: „In deinen Ängsten drückt sich eigentlich nur die Tatsache aus, daß du die Erkenntnisse deiner Sinnlosigkeit nicht als Befreiung von den gesellschaftlichen Mustern, sondern als unzulässige Abweichung von den sozialen Abläufen und damit als Schuld erfährst. Der Wille zur Genesung kann also nicht bedeuten, den Lebenssinn zurückzuholen, sondern ihn für immer zu verlassen.“

„Wie?“ entschlüpfte mir die Frage, denn irgendwie ahnte ich schon, daß die Stimme recht hatte. Die Frage war nur: Wie? Wie sollte das geschehen?

„Zum Beispiel, indem du der Hölle ins Auge siehst!“ orgelte es in meinem Inneren.

Meine innere Stimme wollte mich wohl veralbern: „Hast du keinen originelleren Ratschlag für mich?“ fragte ich.

„Erst wenn dein Ego an der Pein seiner verdrängten Erinnerungen zerschellt“, dröhnte sie, „werden alle deine unterdrückten Persönlichkeitsanteile aus den Umklammerungen des unterdrückenden Denkens wieder frei und du kannst alles sein, was du sein möchtest. Vieles ist in dir, du brauchst es nur zu wollen. Sieh jetzt durchs Fenster!“

Ich starrte durch das Fenster in die Sonne, und von einer Sekunde zur anderen entzündete sich mit ungeheurer Kraft ein Feuerwerk von Visionen in meinem Kopf. Es war, als ob die mir bekannte Realität zusammenbrach, denn inmitten der Flammen sah ich ein seltsames Antlitz aufleuchten, als hätten sich sämtliche Poren seiner Haut in Licht verwandelt. Zudem erblickte ich darin mein eigenes Gesicht: mitten im Zimmer, in dem ich mich befand, und das Fenster war mein Augenlicht! Das also war der Blick, der sich ins eigene Auge sah, und in meinem eigenen Auge sah ich die Sonne aufgehen und mitten darin Akron, mein Alter ego, glühen. Dann materialisierte sich vor mir die Schwingungsenergie, die ich plötzlich sehen konnte, und eine weiße Lichtaura zog mich an. Ich spürte, wie meine Wirbelsäule in rasende Vibrationen geriet. Irgendwie fühlte ich mich auf einmal in zwei Teile gespalten, denn ich spürte, wie ich an meinem Arbeitsplatz saß und die Ideen in die Tasten hämmerte, die mir durch den Kopf blitzten, und gleichzeitig nahm ich die luziden Wände meiner Geschichte als Spiegelrahmen einer mir unsichtbaren Welt wahr, in der ich meinem Seelenführer begegnete, irgendwo zwischen Himmel und Erde. Sanft faßte er mich bei der Hand und sprach: „Was weißt du von der Wirklichkeit, die dich umgibt?“ Eine himmlische Gestalt in einem dunkelblauen Mantel stand vor mir und blickte mich unter ihrer Kapuze freundlich an. Die funkelnden Augen leuchteten in ihrem rötlichen Glanz aus der Tiefe der Finsternis hervor und ließen mich am ganzen Körper erzittern.

„Genug, um immer wieder ins Loch meiner Depressionen zu fallen“, stammelte ich sichtlich aufgeregt.

„Komm mit! Ich führe dich zur Tür…“ Und aus der Sonne brach ein glänzender Lichtstrom hervor und fiel auf „Dantes Inferno“ im Regal an der Wand, das wie ein magisches Fenster zwischen vielen anderen Büchern stand. Als ich gebannt hinsah, hatte ich das merkwürdige Gefühl, als ob sich eine dreidimensionale Projektion auf dem Buchrücken abzeichnete mit einem irisierenden Leuchten an den Kanten der Ränder, in denen ich plötzlich so etwas wie einen in ein Dreieck eingedrehten Kreis zu erkennen glaubte. Der Kreis begann sich im Dreieck zu drehen und schimmerte wie ein virtuelles Auge. Auf komplexe Weise verknäult und verknotet, stülpte sich das Bild langsam vor meinem Gesichtsfeld um, so daß sich das Innere nach außen wand, und auf einmal hatte ich den Eindruck, daß das Auge ein inneres Loch war, das mich ansaugte. Eine Sekunde lang glaubte ich, es wäre mein eigener Blick, als ich mich selbst auf mich zufliegen sah, meine persönliche Perspektive, die sich zu einem riesigen Auge ausgerollt hatte. Ich empfand eine Art Einladung, einen leichten Sog, und dann hatte ich das seltsame Gespür, als ob ein Teil von mir selbst das Auge war, das durch sich selbst hindurchsah. Blitzschnell erhob ich mich, mehr von der Aussicht beflügelt, etwas verpassen zu können, das bis jetzt nur in meiner Phantasie bestand, als vom Wunsch angetrieben, mich in neue Abenteuer zu stürzen. Ich zog das Buch aus dem Regal und schlug es auf, und da verfing sich mein Blick auch sofort in der flammenden Widmung, die auf der Innenseite prangte:

„Das Auge der Hölle leuchtet aus dem Blick der Erkenntnis!“


Ich ließ das Buch sinken und spürte gleichzeitig einen heftigen Schlag, und mit einem dumpfen Knall fiel der „Dante“ aus meinem Bücherregal auf den Boden und ließ ein Stück Sternenhimmel dahinter erscheinen. Ich schaute auf, und mit einem Mal wurde ich mir eines Porträts gewahr, das in der Nische eingelassen war, und zwar so, daß man es nur sah, wenn man einen der Riesenwälzer aus dem Regal herausgenommen hatte. Es mußte sich um ein Ahnenporträt handeln, auch wenn es mir seltsam vorkam, daß es so versteckt hinter den Büchern war und nicht wie die anderen Porträts in der Familiengalerie hing. Der Glanz der Abendsonne brachte das Bild dabei wunderbar zum Ausdruck. Es stellte einen Mann unter einer mächtigen Kapuze dar, dessen Gesicht verdeckt im Schatten lag; nur die roten Augen funkelten hervor. Das Gesicht war mir sehr vertraut und irgendwie schienen mir auch seine Augen zu antworten, denn einen Moment hatte ich das komische Gefühl, als blinzelten sie mich an: „Erkennst du mich?“ hörte ich eine Stimme. „Weißt du, wer ich bin?“

„Wo sind wir hier?“ brach es statt einer Antwort aus mir heraus. Meine Persönlichkeitsstruktur sammelte sich in einer weichen, wabbeligen Hirnmasse, und ich bemerkte, wie fremde Gedanken durch mich hindurch zu wirken begannen.

„Gleich wirst du dich wieder erinnern, allmählich wirst du den Standpunkt verstehen, den du in diesem Buch einnimmst…“ Zuerst kroch mir eine lähmende Kälte in den Rücken und dann spürte ich einen eisigen Atem im Genick. Erschrocken drehte ich mich um und entdeckte eine dunkle, gesichtslose Gestalt hinter meinem Sessel. Sie machte mir Angst, und auf meine unausgesprochene Frage, was sie denn hier zu suchen habe, antwortete sie ebenso lautlos: „Auch wenn es unmöglich ist, mich zu erfassen, weil ich mehr bin, als du je sehen wirst, mehr, als du begreifen kannst, bin ich trotz allem auch ein Teil von dir. Mein Name ist NIEMAND. Ich bin der Wächter an der Schwelle und erscheine jedem in der Gestalt, in der er mich sehen will…“

„Wieland?“ Der Name hörte sich undeutlich an und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte.

„Genauso, wie das Universum in viele verschiedene Perspektiven aufgeteilt ist, ist auch die Persönlichkeit ein Konglomerat von verschiedenen Selbst, die zahllose Ebenen durchwächst, und dort, wo sie sich mit anderen Dimensionen schneidet, entsteht ein Loch, durch das du in andere Personen eindringen kannst. Komm mit! Ich führe dich zur Tür…“

Unfähig, mich zu rühren, konnte ich spüren, wie ihre Energie in meinen Körper floß. Sie legte mir ihre eisige Hand auf die Schulter und sprach: „Hab keine Angst! Es ist nur eine virtuelle Hölle in deinem Kopf… niemand will dir Böses tun!“

„Wer bist du?“ schrie ich, der Verzweiflung nahe. Ich fühlte, wie sich in meinem Gehirn eine Vorstellung formte, die sich in der räumlichen Sphäre manifestierte. „Was willst du von mir?“

„Hast du mich nicht verstanden? Ich sagte doch, mein Name ist NIEMAND!“ Die Stimme bekam einen triumphierenden Unterton: „Auf deinen Ruf bin ich gekommen, um dir zu zeigen, was du suchst!“

Erschreckende Gewißheit breitete sich in meinem Kopf aus: „… und NIEMAND will mir Böses tun?“ Hämisches Gelächter erfüllte den Raum.

Das war nicht Akron, spürte ich. „Sei ganz ruhig!“ flüsterte mir die sanfte Stimme ins Ohr: „Solange du nicht erkennst, gibt es kein Entrinnen, dein Schatten holt dich ein, wo immer du dich zu verstecken suchst. Aber wenn du mir deine Hand reichst und mit mir hinabtauchst zu den Quellen des Vergessenen, so wirst du dich an Erlebnisse erinnern, die Seelen nicht sehen können, weil sie sie verdrängen auf ihrer Reise ins Licht…“

NIEMAND schien einen empfindlichen Nerv in mir getroffen zu haben, denn ich fühlte, wie mir Tränen in die Augen traten. „Ich danke dir für die Einladung“, schluchzte ich. „Sage mir, daß du Akron bist!“

„Aber ja doch!“ antwortete er. „Ich sagte schon, daß NIEMAND Akron ist, denn wenn du wieder in der realen Welt erwachst, wirst du alles vergessen haben. Auch wirst du dich an NIEMAND mehr erinnern. Es sei denn…“

„… es sei denn, ich ließe mich in meine verdrängte Hölle hineinfallen - ich hab’s nicht vergessen“, äffte ich ihn nach, auf den vergangenen Dialog mit meiner inneren Stimme anspielend.

„Es sei denn, du ließest dich in die zukünftige Absicht des Lesers hineinfallen, dich auf der Reise begleiten zu wollen! Deshalb habe ich dir die verdrängten Erinnerungen rückwirkend auf den Bildschirm projiziert.“ Es war das Auge eines alten Mannes, das mich im eigenen Blick, ein gespiegeltes Bild im Spiegel und zugleich Spiegel selbst, ansah: „Du glaubst mir nicht? Dann sieh doch mal hinüber in deine Alltagswelt!“

Es war mein eigenes Gesicht, das verdeckt im Schatten lag, das Bild aus dem Regal, das vor mir erschien, während eine digitalisierte Stimme aus dem Gehäuse piepste: „Click mich an, dann wachst du als ‘Geträumter’ direkt in der Hölle deiner zukünftigen Erinnerung auf!“