Versöhnlichkeitsgestört

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Versöhnlichkeitsgestört
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Adriana Wolkenbruch

Versöhnlichkeitsgestört

Menschen außer sich

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Inhaltsverzeichnis

Titel

VERSÖNLICHKEITSGESTÖRT - Menschen außer sich

1.FREIGANG

2.SCHUTZSCHICHTEN

3.AUSSER

4.SICH

5.ERHEBEND

6.MEHRSEELIG

Impressum neobooks

VERSÖNLICHKEITSGESTÖRT - Menschen außer sich

Sind Menschen, die „außer sich“ sind mehr als sie selbst? Und wenn ja, was sind sie zusätzlich noch? Oder fehlt Menschen, die „außer sich“ sind etwas? Entlasten sie andere, weil sie etwas übernehmen oder belasten sie andere? Diese Fragen bewogen mich zu der Arbeit an folgenden Kurzgeschichten, die vollkommen ernst zu nehmen sind. Es darf natürlich trotzdem auch gelacht werden.

1.FREIGANG

Meine Wohnung ist vollkommen schwarz von innen. Sie liegt in einem Hochhaus. Auf dem Balkon stehen drei Aschenbecher. Alle sind voll. Ich habe vielleicht alle drei Tage Kraft, sie zu leeren. Ich kaufe alle zwei Wochen ein. Öfter schaffe ich es nicht, das Haus zu verlassen. Es gibt Tage, an denen ich mein Bett nicht verlassen kann. Jeder Rollstuhlfahrer verlässt sein Bett. Natürlich nicht, wenn er stark depressiv ist. So wie ich. Eine Sozialarbeiterin hat mir erzählt, dass gesunde Ernährung gut für die Stimmung ist. Ich habe gerade genug Geld für die Zigaretten und die Fertigpizzen und den Kaffee. Schon seltsam, wie anstrengend es ist, einfach am Leben zu sein. Ich könnte zu einer offenen Einrichtung gehen, einer sogenannten Tagesstätte.Aber weil ich es zu unregelmäßig schaffte, wurde ich hinaus geschmissen. Und jetzt klingelt es an der Tür. Verdammt, es kann ein Packet sein mit Weihnachtsplätzchen. Von meiner Mutter. Sie sind selbstgebacken. Total lecker. Ich raffe mich auf, schäme mich für mein Äußeres, die drei Aschenbecher auf dem Balkon und das dreckige Geschirr in der Kochnische. Ich schlurfe zur Tür. Öffne. Eine Frau mittleren Alters, große Augen, hagerer Körper, stark geschminkte schmale Lippen. „Hallöchen“, ruft sie und winkt zur unnötigen Verdeutlichung mit der Hand. „Hallo“, presse ich heraus. Es ist lange her, dass ich mit jemandem gesprochen habe. „Tut mir so leid, dass ich störe, aber mein Dieter…“, sie verdreht die Augen. „Mein Dieter ist wieder auf Achse…“ Ich bin schockiert. Mein Gehirn arbeitet so schnell wie seit Monaten nicht mehr. Entweder ihr Dieter ist arbeiten und sie sucht einen anderen Idioten, der ihr Irgendetwas repariert oder sie hat etwas bestimmtes ganz nötig. Es gibt solche Frauen, die bereit sind, es mit jedem… mir wird übel. „Es tut mir wirklich leid, aber ich muss in ihre Wohnung… mein Dieter ist auf ihren Balkon und dann in Ihre Wohnung…“ „Dieter“, wiederhole ich monoton. „Ja, mein Kater!“ „Oh“, sage ich erleichtert. „Sie haben eine sehr raue Stimme“, sagt sie , jetzt leicht misstrauisch. „Ich bin ja auch ein Mann.“ Ich muss fast schon schmunzeln über mich selbst. So einen trockenen Humor hatte ich noch nie an den Tag gelegt. Muss an ihren Glubschaugen und der lächerlichen NEONGELBEN Jogginghose liegen, die vor mir stehen. Man kommt sich direkt vor, als befände man sich auf einer Kabarettbühne. „Da!“, ruft sie, ich habe ihn gesehen, er lief von da nach da!“ Sie fuchtelt mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum. Was sie auch vor hat, ich werde es überleben. Seltsam, dass Menschen mit Selbstmordgedanken so eine starke Angst vor dem Tod haben. Ich trete zur Seite. „Gehen sie ruhig rein“, sage ich möglichst freundlich, denn ich bin mir durchaus bewusst, dass mein Äußeres etwas abschreckend wirken könnte. Sie hüpft an mir vorbei. „Er ist manchmal so verstört, flötet sie, er kommt ja aus dem Tierschutz!“ Ich will gerade fragen, ob die da nicht gut mit den Tieren umgehen, da wird mir bewusst, dass es wohl eher um Dieters gesamten Lebensweg geht. Da taucht Frauchen mit dem Kater auf dem Arm vor mir auf. „Vielleicht hat er irgendwo hingepinkelt…“ Ich winke ab. „Wir haben doch alle unsere Macken…“ Der komplett schwarze Kater schaut mich aus seinen giftgrünen Augen an und faucht. Ich winke ab. „Gut, danke nochmal, ich heiße übrigens Gaby.“ Sie versucht mir ihre Hand zu geben. Ich schüttele mit meiner Hand ihren rechten Zeigefinger. Dieter stößt ein gefährliches Brummen aus und schon sind die beiden aus meiner Wohnung. Ich schließe langsam, ganz vorsichtig meine Wohnungstür. Gedanken wie „man müsste ein Schutznetz anbringen“, schießen mir durch den Kopf. Nach drei Wochen und keiner erneuten Begegnung mit Gaby oder Dieter klingele ich an der Tür der Nachbarwohnung. Eine junge Frau öffnet Kaugummikauend. Eine schlechte Angewohnheit so zu Kauen. „Ja?“ Ich räuspere mich und strecke ihr meine Hand entgegen. „Harald.“ „Und.“ Dieses Kauen nervt. „Ja, vor ein paar Tage hatte ich Besuch von einem schwarzen Kater und seinem Frauchen… Ich wollte mal vorbeischauen.. wie es ihnen so geht..“ Die Göre grinst. „Das ist meine Mutter. Sie war nur für ein paar Tage hier, bis sie in ihre Wohnung ziehen kann.“ Ich bekomme feuchte Augen und habe Angst zu weinen und normalerweise hätte sie mir doch in diesem dreckigen Hochhaus die Tür vor der Nase zuschlagen müssen und „Verpiss Dich, Du Spinner!“ hinter mir her schreien. Vorher. Ich hasse mein Leben. Mir brechen die Knie ein und ich sinke auf den Flur. Diesen engen Flur ohne Tageslicht. „Alles okay?“ Sie hat sich neben mich gehockt. Ich kann nichts sagen. Ich habe Angst. „Geht es den beiden gut?“, winsele ich. „Ja. Sie haben eine Wohnung auf dem Dorf. Meine Mutter hat jetzt Ruhe vor dem Typen. Und Dieter hat wie gewohnt Freigang.“ „Freigang“, nuschele ich. „Ja der kleine Panther, also – Dieter braucht es, draußen herumzulaufen.“ Ich nicke. Ich verstehe das so gut. Ich habe das Gefühl, ich liebe Dieter und Gaby.

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