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Windschiefe Gestalten

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So sahen denn eines Tages die Wegweiser das Donautal hinunter einen Handwerksburschen an sich vorüberwalzen, der seine Habe in einem blauen Felleisen unter einem federgeschmückten Lederhütchen auf dem Buckel trug. Die hölzernen und steinernen Standesbeamten hatten natürlich auch noch anderes zu beobachten, als da sind: Flüchtige Bankdirektoren, geschlagene Österreicher, siegreiche Preußen und ausgewiesene Jesuiten, und sie hatten den Handwerksburschen mit den verstaubten Stiefeln rein und sauber vergessen.

* * *

Da flitzte längere Jahre später ein elegantes Auto an ihnen vorüber. Es fuhr so schnell, daß man weder seine Nummer erkennen mochte, noch auch das Gesicht seines einzigen Insassen. Nur so viel ließ sich kühn behaupten, daß dieser Fahrgast nicht mehr jung war. Ein grauer Vollbart schlug seine schäumenden Wellen um ein wettergebräuntes Gesicht, aus dem eine rote Nase und zwei vergnügte Augen selbstzufrieden über die Gegend schauten. Was hilft dir, Leser, wenn ich dir stundenlang den Mund und die Ohren des Reisenden beschreibe, wenn ich alle Haare seines Kopfes zähle, wenn ich ihn wiege und dir sage: So und so viel Kilo ist er schwer? Nein, du wirst ihn doch nicht erkennen. Zu sehr hatten die Jahre den Mann verändert. Wenn ich dir nun aber sage, daß er in der Brusttasche ein blutbeflecktes Taschentuch mit sich trug, würdest du dann eine Ahnung davon bekommen, daß du den Hans Unstern vor dir hast?

Aber, was sage ich da? So hieß er ja nicht mehr. Bald werden wir hören, warum.

Der reisende Mühlbursche von dazumal hatte es zu Batum am Schwarzen Meere gut getroffen. Er war in ein großes Geschäft gekommen. Lernbegierig und voller Eifer, wie er war, hatte er sich in das Vertrauen seines Herrn hineingearbeitet, und bald war er wie ein Glied der Familie geworden. Seinen Vornamen Johannes hatte man in Iwan übersetzt, und den Zunamen Unstern hatte er in einer Anwandlung von Vermessenheit, als es ihm gut ging, in Glückstern umgewandelt. Vielleicht auch, daß ihn bei dieser Änderung schon der Gedanke leitete, daß er unerkannt bleiben wollte, wenn er wieder einmal heimkäme, und heimkommen wollte er. Er war reich und alt. Beides hatte ihm die Fremde gegeben. Vom Vaterlande erhoffte er Ruhe und als Abschluß seines Lebens ein kühles Grab. Er gondelte also über das Schwarze Meer, kaufte an der Donaumündung ein Auto und steuerte dieses nun das Flußtal entlang der Heimat zu. Über den Schwarzwald hinweg gingʼs dem Rheine entgegen, und der Vogel war wieder dort, wo er geheckt worden war und fing an, sich sein Nest zu bereiten. Ein verlottertes Bauerngut wurde zu einer Musterwirtschaft umgekrempelt. Das Herrenhaus war sauber, ja sogar verlockend herausgeputzt, so zwar, daß es weder an angejahrten, noch an ganz jungen Evastöchtern fehlte, die gerne in solchen Räumen die Rolle einer Hausfrau gespielt hätten. Es mangelte nicht an allerlei mehr oder minder versteckten Anspielungen auf die Mühsalen des Alleinlebens, selbst nicht an Bemühungen von Agenten, die aus dem heiligen Sakrament der Ehe ein einträgliches Geschäft zu machen wissen. Allein, der interessante Mann aus der Fremde blieb kalt und unzugänglich. Er ließ sich nicht zu Mahlzeiten einladen und lud seinerseits niemanden ein. Er war durch eine frühere Erfahrung gewarnt. Sein Haus war seine Burg, zu deren Verteidigung er sich nach Hilfskräften umsah. So durchreiste er die ganze Vorderpfalz, bis er in der Gegend von Neustadt eine Haushälterin fand, die mehr Haare unter der Nase als auf dem Kopfe hatte und mit Worten und Kochlöffeln so kräftig um sich warf, daß nicht einmal die Schweinehändler sich in ihre Nähe getrauten. Dem Pfälzer Hausdrachen, Ursula genannt, gab Iwan Glückstern noch einen Cerberus zum Beistand. Dieser Ausbund von hundsgemeiner Häßlichkeit war bei einem Frankfurter Wasenmeister gekauft. Er schien die langgesuchte Darwinistische Zwischenstufe zwischen den Säugetieren und Amphibien darzustellen. Sein Kopf ähnelte dem eines Wildschweinferkels, sein Körper einem Seehund. Seine kurzen vier Beine glichen Handkäsen, und sein langer Schwanz einem Chevauxlegersäbel. Er kroch mehr, als er ging, und bissig, wie er war, machte er sich über alles her, was menschliche Waden hatte. So war er der Schrecken aller Bettler und Hausierer.

War Herrn Glücksterns Herz so verwildert, daß er sich nur in der Gesellschaft von Bestien wohlfühlte? Keineswegs: er war weich, im stillen wohltätig, liebte den Morgengesang der Vögel und die Blumen seines Gartens. Eine einzige schlechte Erfahrung mit den Menschen hatte ihn scheu gemacht. In der Abgeschlossenheit von ihnen suchte er sein Glück. Deshalb schlief er lang, weilte lesend bis zur neunten Stunde am Frühstückstische und begoß dann die Nelken auf seinem Fensterbrett. So der jeweilige Beginn seines Tagewerks, das mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerkes umlief.

Und doch auch hier bei aller Sorgfalt eine Ausnahme. In einer dieser weihevollen Morgenstunden geschah trotz des Cerberus etwas Außerordentliches, noch nie Dagewesenes. Irgend ein Verbrecher mußte vergessen haben, das Hoftor abzuschließen. Menschen waren in den Vorgarten gekommen, und zu den Blumenfenstern herauf drangen die verstimmten Melodien einer Drehorgel. Sofort bewaffnete sich Urschel mit einem Scheuerhaken, während der Hund unter unbändigem Gebell an der Stubentür kratzte. Keine Frage, wäre Herr Glückstern nicht dazwischen gesprungen, so müßte sich im Hofe unten innerhalb einer Minute eine blutige Balgerei entwickelt haben. Aber so sehr der Hausbesitzer auch von den Launen seines Hundes und seiner Wirtschafterin abhängig sein mochte, in diesem kritischen Augenblicke besaß er doch noch Autorität und Feldherrngeschicklichkeit genug, um den Zweibund in die Küche zu drängen. Als diese Heldentat vollbracht war, trat er ans Fenster und lud mit Rufen und Winken die fahrenden Musikanten ein, zu ihm herein ins Zimmer zu kommen.

Bald darauf hörte man von der Treppe her ein überlautes Poltern und Stolpern, fast so, als ob eine kleine Armee von Stelzfüßlern im Anzug wäre. Dann ein Tasten und Gripsen an der Türklinke, gegen welche Ungebühr von der Küche her das Ungeheuer von Hund mit besonders lautem Gebelle protestierte. Endlich aber schien der gesuchte Griff gefunden. Die Pforte tat sich auf, und in ihrem Rahmen erschienen außer einer Drehorgel zwei reduzierte Gestalten, eine männliche und eine weibliche.

Auf den ersten Blick hatte Iwan erkannt, daß der Orgelspieler ein Blinder und seine Begleiterin – — ach, ihm schlug das Herz bis zum Halse herauf – seine Begleiterin die ehemalige Huberstochter, seine voreinstmalige Gemahlin war. Um nun seinerseits nicht erkannt zu werden, legte er in seine Rede einen fremden Akzent und staffierte seine Einladung, am Frühstückstische Platz zu nehmen, reichlich mit eingelegten Worten aus der russischen Sprache aus. Sehr zustatten kam dem Hausherrn der Umstand, daß es auf der Tafel an Geschirr fehlte. Er gewann so Zeit, sich zu sammeln. Indem er nach der Küche ging und seinen Hausdrachen aufforderte, das Fehlende zu ergänzen, gewann er seine Fassung wieder. Urschel erschien neben dem beständig bellenden Cerberus im Zimmer, knurrte ihrerseits über hergelaufenes Lumpenpack, Zigeunergesindel und Matzenberger Tagdiebe, trug aber gleichwohl unter den drohenden Blicken ihres Gebieters alles herbei, was das Herz hungriger Spielleute erfreuen mag, Wurst und Schinken, Butter und Käse und, nicht zu vergessen, einige Flaschen eines braunroten Südweines. Als alles soweit hergerichtet war, durften der Hund und die edle Pfälzerin sich entfernen. Sie taten dies auch nach der Küche hin, nicht aber, ohne daß sie beide noch reichlich geschnauzt, gehustet und geknurrt hätten.

Als Herr Glückstern mit seinen Gästen allein war, nötigte er diese an den Tisch heran. Das Weib halfterte seinem Manne die Orgel von der Schulter, faßte ihn selbst beim Ärmel und drückte ihm die Stuhllehne in die Hand, damit er sich daran zurechttasten könne. »Blind sein, schweres Los,« dachte Iwan, während das resolute Weib nach dem Brot und Käse griff und ihrem Manne vorlegte. Als dies geschehen war, dachte sie auch an sich und aß mit kräftigem Appetit. Der Gastgeber Iwan sah ihr zu, ermunterte sie und fragte so nebenbei über das Woher und Wohin. »Von drüben,« sagte die Fahrende, »aber ich könnte auch sagen von droben, von drunten, denn wir Unsteten sind nirgends zu Hause und überall.«

»Sie müssen doch irgendwo geboren sein,« forschte der Hausherr weiter. »Aber ich will nicht in Sie dringen, wenn die Gegenwart Ihres Mannes Ihnen Schweigen auferlegt.«

»O, wegen dem können Sie nach allem fragen. Man kann eine Kanone neben ihm losschießen, ohne daß er es hört. Er ist so taub wie ein Grabstein. Eine Kesselexplosion hat ihn um Gesicht und Gehör gebracht, und mich um meine Habe. Seitdem irren wir in der Welt herum, aber ich habʼs nicht besser verdient.«

»Vielleicht sind Sie strenger gegen sich, als recht ist. Barmherziger Gott, wer hat aus seinem Leben nicht mancherlei zu bereuen?«

»Verteidigen Sie mich vor dem ewigen Richter, vor dem Rächer da in meinem Herzen drinnen werden Sie es nicht können. Ich war ein eitles flatterhaftes Ding, von der Selbstsucht und vom Geiz zerfressen. Die Liebe war in mir nur der Vogelleim, auf den ich einstens einen bunten Zeisig lockte. Er gefiel mir wohl, aber als ich Opfer für ihn bringen sollte, war mein Gefühl versteinert, mein Ohr war taub für seine Klage. So stieß ich ihn erbarmungslos von mir weg. Der arme Kerl ließ seine Mühle im Stich, wanderte und ist im Leben draußen zugrunde gegangen durch meine Schuld.«

»Nicht diese vorschnelle Strenge gegen Euch selber. Nicht jeder geht gleich unter, der seine Scholle verläßt; selbst dann noch nicht, wenn er sich aufs Wasser wagt.«

»Doch, er, den ich meine, lebt nicht mehr, der Mann, der Johann Unstern hieß und so unglücklich war, daß er mich kennen lernte. Als ich zum zweiten Male heiraten wollte, haben wir ihn ausschreiben lassen. Doch von nirgends her kam über ihn eine Kunde. Auf allen europäischen Märkten bin ich mit der Orgel herumgezogen. Millionen von Menschen sind an meinen Augen vorübergewallt; wie ich auch nach ihm suchte, einen Hans Unstern fand ich nicht mehr unter den Lebenden.«

 

»Und trauern Sie wohl zuweilen um den Verschollenen?«

»Jetzt mehr, wie gleich nach unserer Trennung. Anfangs ärgerte mich der Umstand, daß er sich keine Mühe gab, mich zu sich zurückzuziehen, und aus Trotz beinah griff ich zu, als sich mir eine Gelegenheit bot, mich wieder zu verheiraten. Mein neuer Bräutigam war ein gebildeter Fabrikant. Da mein Vater derweilen gestorben war, so konnte ich frei über mein Erbteil verfügen. Ich steckte es in das Unternehmen, und alles ging gut, bis eine Explosion im Laboratorium alles ruinierte, die Gesundheit meines Mannes, unser Vermögen und meinen Lebensmut. Vor dem letzten verzweifelten Schritt hält mich nur der eine Gedanke zurück, daß ich weiterleben müsse, um meine Schuld zu büßen.«

Iwan Glückstern war nach diesen Worten aufgestanden und in ein Nebenzimmer gegangen. Als er wieder kam, hatte sich das Paar der Fahrenden vom Frühstückstische erhoben. Die Orgel hing dem Blinden wieder vor dem Leib, und die Frau hatte ihren Mann am Ärmel gefaßt. Urschel, die Haushälterin, war mit dem ewigknurrenden Cerberus in die Stube getreten und fegte mit einem Scheuerlappen an den Stühlen herum, auf denen die Fahrenden gesessen. Sie traute nicht. »Mit solchen Leuten reisen ohne Fahrschein noch andere Kreaturen, die niemand weder auf seinem Kopf, noch in seinen Kleidern beherbergen mag,« knurrte sie.

Während dieses Reibens und Wischens war Herr Glückstern mit einem Päckchen in der Hand ins Zimmer getreten. Er näherte sich und suchte die zierliche Gabe unbemerkt in den Ärmel der Fremden zu schieben. Aber sein Hausdrache hatte scharfe Augen, und mit giftiger Zunge stieß sie die Worte hervor:

»Noch schöner; hier zu Lande werden gar die Läuse bezahlt, die solch ein Lumpenpack einem zurückläßt.«

Er, an dessen Adresse die Schimpfrede gerichtet war, beachtete sie nicht. Er fuhr sich verstohlen mit dem Taschentuch über die Augen und trat ans Fenster. Traurig sah er den Wegemüden nach, die über dem Bache drüben sich abmühten, sich und ihr Instrument in eine Herberge hineinzuzwängen. —

Am nächsten Morgen wurde ihm beim Frühstück serviert, was die Schenkwirtin der Urschel zugetragen, eine merkwürdige Geschichte: Ohne Abendbrot waren die Spielleute plötzlich aufgebrochen, nachdem das Orgelmensch längere Zeit vor einem Haufen Papiergeld und einem blutigen Sacktuch gesessen und herzzerbrechend geweint habe.

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