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Windschiefe Gestalten

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Urban gab sich den Anschein, als ob er der produktiven Kehrseite des Tieres nicht recht traue, erhob die Augen nach oben und machte, so schnell er nur konnte, einen Schritt über die Türschwelle.

Klatsch, da lag seine Last abermals, und zwar auf den feuchten Sandsteinplatten eines überwölbten Korridors. Zu gleicher Zeit aber sprang eine Tür auf, ein Lichtstrahl drang heraus, und in diesem zeigte sich mit einem Gänsekiel zwischen den Zähnen das struppige Pinschergesicht eines bajuvarischen Polizeikommissärs.

»Was zum Teufel geht hier vor?« schrie der in seiner Nachtruhe Gestörte. »Bringt ihr den heiligen Christoph mit seiner Stange hier herein? Wo habt ihr denn das Jesuskind gelassen? Nehmt den Menschen da den Mastbaum ab, bevor er damit das Kreuzgewölbe durchstößt!«

»Entschuldigen Sie,« stotterte der Häftling los und gab sich Mühe, noch seine Augenbrauen bis zum Munde herunterzuziehen, »o—ohne das Co—orpu—us, wollte sagen Corpus da—di—delicti – delicti i—ist die Schu—Schuldfrage ni—nicht zu beleuchten. Sie gestatten, daß ich eintre—trete und die Kleinigkeit zu den Akten lege.«

Mit diesen Worten war Urban Herr der Situation geworden. Er stand im Zimmer, plazierte seinen Christbaum über den Schreibtisch hin und konnte, wenn er nur wollte, in jedem Augenblick das Polizeigebäude in Flammen aufgehen lassen, wenn er nur aus Ungeschicklichkeit die Petroleumlampe auf den Boden warf. Dem Beamten erschien der Mensch wie der Elefant in einem Damenboudoir. Er brauchte sich ja nur zu regen, und es fiel der Verputz von den Wänden. Ein solches Untier, das überdies stotterte und vielleicht gar noch unzurechnungsfähig war, mußte er mit allen Mitteln loszuwerden suchen. Er raffte nun alle seine Liebenswürdigkeit zusammen und bat den Vorgeführten, seine Angelegenheit selber vorzutragen. Urban tat dies, und zwar so, daß er alle Schuld auf den Christbaum abwälzte. Er schilderte unter vielem Gesichterschneiden, wie dieser Ränkevolle ihn bald unter der Nase gekitzelt, bald in die Hände gestochen habe, so daß es stellenweise unmöglich gewesen wäre, ihn von Körperverletzungen abzuhalten. Daß seine Person darüber in Ungelegenheiten gekommen, das nahm er der Polizei weiter nicht übel, wenn sie sich nur entschließen könne, das ungefüge Holz einstweilen in sicherem Gewahrsam zu behalten.

Dem Kommissar war der Gänsekiel aus dem Munde gefallen, da er seine liebe Not hatte, das Dreinreden der Polizisten zu verhindern. Er war zum reinen Hampelmann der Höflichkeit geworden. »Wenn Euer Gnaden das Bureau zu einem Holzstall machen wollen? Wir unsrerseits sind natürlich einverstanden,« sagte er noch und begleitete seinen nächtlichen Besuch bis zur Haustürschwelle hin. Der Rabe auf seiner Laterne oben pickte mit dem harten Schnabel nach der Eisenstange des Trägerarmes und rief »Spitzbub!« von seinem Sitze herunter, als Urban durch das Tor der äußeren Mauer schritt.

Großʼ Unrecht hatte der Vogel dem Stotterer nicht getan, als er ihm den Schimpfnamen nachrief. Zwar hatte der Beschimpfte aus dem Polizeikasten nichts mitgenommen, aber spitzbübisch war es ihm doch zu Mut. Er hatte nämlich eine geheime Freude darüber: erstens, daß es ihm gelungen, der Polizei ein Schnippchen zu schlagen, und zweitens deswegen, weil er noch ledig war. Ach, er wußte ja in diesem Augenblick noch nicht, daß, wie auf Fausten, das Verhängnis in Hundsgestalt auf ihn lauerte. Der Mond schien so hell in die einsamen Straßen herunter, die diese Nacht ihm und ihm ausschließlich gehörten. Der Teufel des Alkohols, der noch in seinen Adern spukte, bearbeitete ihn eben zu irgendeiner außerordentlichen Tat, zum Schilderabhängen, Holzversetzen, Haustürenzubinden, als an seinem linken Wadenbein ein Hund herumschnupperte. Urban sah den armen Schacher mitleidsvoll an und suchte aus ihm herauszuexaminieren, wie er heiße, wo beheimatet und in welcher Krankenkasse. Als alle diese gewiß vernünftigen Fragen nur mit einem leisen Winseln beantwortet wurden, überlegte sich Urban, daß er ein Tor sei, sein eigen Gehirn anzustrengen, wo es doch in deutschen Landen Polizeigehirne gibt, die über solche kitzlige Fragen Auskunft zu geben haben.

Er also frisch voran und auf das Polizeigebäude zu. Der Hund hinter ihm nach. Die Schelle schrillte über den Hof. Der Rabe krächzte hinter der Mauer. Die Pforte öffnete sich, und der Stotterer stand wieder einem Polizisten gegenüber.

»I—ich wü—wünsche, vor den Herrn Kommissar geführt zu werden.«

»Mit dem Hund zusammen?«

»Ge—gerade wegen dieser Kre—Kreatur.«

Schritte hallten durch den Korridor, eine Tür sprang auf, und der Mann mit der Gänsefeder im Munde saß da im Scheine der Petroleumlampe.

»Sie abermals,« sagte er verwundert: »Nicht wahr, Urban ist doch Ihr Name? Kommen Sie, um Ihren Balken abzuholen?«

»U—um alle Welt u—und sieben Dörfer ni—nicht. Ich brin—bringe abermals ein Lebewesen. Auf dem Heimweg hab ich einen Hund gefunden. Hättʼ ich ihn mitgenommen, wa—warʼs Fundunterschlagung. Was tun in der Nacht, so denk ich mir und verfiel im Na—Nachsinnen auf die Polizei. Da hat der Vagabund ein wa—warmes Zimmer, rechne ich, und wird morgen wieder seinem Ei—Eigentümer zugestellt.«

»Soll alles geschehen, wie Sie verlangen, Herr Urban. Wünschen Sie nicht etwa noch eine schriftliche Bestätigung, daß Sie allhier einen Hund abgeliefert haben?«

»Ka—kann in keinem Falle etwas schaden,« gab der Stotterer zurück, nahm einen Zettel entgegen und ging unter vielen Verbeugungen von dem Kommissar hinweg.

Wieder auf der Straße, mit dem Hoftor im Rücken, wurde Urban von dem freventlichen Gedanken überfallen: »Paß auf! Sobald die da drinnen vermuten, daß du um die Ecke seiest, so werden sie dem Hund einen Tritt vor den Steiß geben und ihn auf die Straße befördern.« Er stellte sich nun so auf, daß er vom Polizeigebäude aus nicht erspäht werden konnte, während doch das ganze breite Tor vor seinen Blicken lag. Und was er vorausgesetzt hatte, das traf ein. Ein Spalt klaffte drüben – und in den Mondschein heraus flog unter einem jähen Aufschrei ein Hundekörper. Der Vierfüßler mußte nicht allzusanft aufs Pflaster gekommen sein, denn er suchte mit eingezogenem Schwanze winselnd das Weite.

Urban mit flinken Schritten hinter ihm her. Man kam auf die Domstraße und den Marktplatz, auf welchʼ letzterem noch einige Weidenkörbe standen. In einen derselben hatte sich der Hund verkrochen. Sein Versteck bot keinen Schutz. Er wurde hervorgezogen, an einen Strick gebunden, um neuerdings der Polizei vorgeführt zu werden. Auf dem Anmarsch hatte sich der Stotterer zurechtgedacht, wie er in beweglichen Worten dem Polizeibeamten schildern wolle, daß er auf dem Heimwege abermals einen Hund gefunden habe und wie er auch dieses Tier vertrauensvoll den sicheren Händen der Behörde übergebe, zur Beruhigung seines Gewissens und dann auch, um den Fortbestand des Staates zu sichern. Doch auch diesmal hatte der Probekandidat seine Rede vergeblich einstudiert. Als er vors Polizeigebäude kam, fand er nicht nur das Tor geschlossen, sondern auch den Schellenzug heruntergenommen. Urban schonte seine Fäuste nicht und pochte gewaltsam an den Planken herum. Ein Licht im zweiten Stockwerk wurde ausgedreht und der Rabe schrie aus Leibeskräften »Spitzbub«, – eine Menschenstimme aber ließ sich von nirgends her vernehmen.

»Wer hättʼs nur glauben mögen, daß auch die Polizei etwas erlernen kann?« sagte Urban ohne zu stottern vor sich her, nahm den Hund und brachte ihn heimwärts nach seiner Wohnung.

Am andern Morgen sah er sich seinen Gast etwas näher an. Das Tier war schön, ein echter Foxterrier, dreifarbig und mit zitternden Härchen um die Schnauze herum. Seine Augen hatten etwas Lauerndes, fast so, als ob er eine Antwort auf die Frage erwartet hätte: »Und wenn ich nun nicht abgeholt werde, darf ich bei dir bleiben?«

Urban mochte den Hereingeschneiten gut leiden, fuhr ihm mit der Hand über die Ohren und sagte zu sich selber: »Zu einer Frau wirst du es nicht bringen. Behalte, was dir vom Himmel geschickt ist, und versuchʼs mit einem Hunde zusammen zu leben.«

So spazierte er denn einmal mit seinem neuen Genossen im Hause und auf dem Speicher herum. Der Terrier fuhr wie ein Blitz unter die alten Kisten hinunter, steckte in jedes Astloch seine Nase hinein und scharrte mit den Pfoten zwischen den Fässern.

»Den Ratten wird er das Leben verbittern,« überlegte sich Urban und fing an so langsam auszurechnen, was im Geschäfte herausgewirtschaftet werden könne, wenn die Salamiwürste unversehrt und die Krachmandeln ungeknackt bleiben sollten. Die Summe des ersparten Geldes war eine sehr respektable; allein der Hund war ja noch nicht unbestrittenes Eigentum seines jetzigen Inhabers. Er konnte dies aber werden, wenn einige Formalitäten erfüllt und das Tier dann nicht zurückgefordert war. Also, in dem Amtsverkündiger mußte unter der Schutzmarke »Zugelaufen!« ein Personalausweis für einen Hundestrolch veröffentlicht werden. Urban faßte die Urkunde so ab, daß der gläubige Zeitungsleser glauben mußte, ein Fischotter sei in eine Falle gegangen und werde gegen Entgelt in den Faßlagern der Firma »Rund und Bündig« gezeigt werden. Selbstverständlich, daß niemand kam, der nach einem Terrier gefragt hätte. Schon war eine Woche, ja ein Monat ins Land gegangen, und Lora hatte sich an diesen seinen neuen Namen, an seinen Herrn und an die Hauskatze gewöhnt. Die Kost seiner Herrschaft befriedigte den Hund, und er selber so wenig wie der Stotterer Urban dachten noch daran, daß es zu einer Änderung der bestehenden Rechtsverhältnisse kommen könne.

Da geschah eines Tages doch, was man seither für unmöglich gehalten hatte. Herr Urban hatte an einem Sommerabend seinen Promenadenrock angezogen, um nach einem Biergarten vor die Stadt hinauszupilgern. Lora war während dieses Geschäftes um ihn herum gesprungen und hatte es mit Bellen, Winseln und Pfotenaufheben fertig gebracht, daß er mitdurfte. Als Herr und Hund eben zum Tore hinaus wollten, kam dem ersteren der Gedanke, Lora käme auf dem Gange vor die Stadt ins Angesicht von vielen Menschen, und man könne sie wiedererkennen und zurückfordern. Der Vorsicht halber schnitt Urban aus einer steifen Türvorlage ein Mäntelchen und hängte es dem Köter über den Rücken. So zu einer Schildkröte herausmaskiert, hielt er ihn gesichert gegen jeden Besitzanspruch, von welcher Seite er nun auch kommen mochte.

 

Zu Anfang des Spazierganges verlief alles nach Wunsch, nur daß die Katzen vor der neuartigen zoologischen Erscheinung krumme Buckel machten und die Kindsmädchen ihre Schützlinge in die Kinderwagen hineinretteten. Je näher man indes dem Biergarten kam, um so dichter wurde der Pilgerstrom, so zwar, daß Lora zeitweise vor lauter Menschenbeinen nicht zu sehen war. Sobald aber Urban pfiff oder »Lora« rief, war er doch immer wieder dort, wo er hingehörte, nämlich hinter den Absätzen seines Herrn.

Da plötzlich, als man eben in den Wirtschaftsgarten trat, schien das undankbare Geschöpf alle Wohltaten vergessen zu haben, womit man es überhäuft hatte. Wie der Engerling die Larve hinter sich läßt, so war Lora aus seinem Mäntelchen herausgesprungen und hüpfte nun an einer Dame hoch, ohne irgendwie auf deren Kleid oder Sonnenschirm Rücksicht zu nehmen. Nein, es war schon nicht mehr schön, wie er die Gute zurichtete, zumal da unmittelbar vor deren Füßen der Kellnerin ein Hammelragout in den Sand gefallen war. Und doch, die Dame schien ihrer Kleider gar nicht zu achten. Eine schier überirdische Glückseligkeit strahlte aus ihren verklärten Augen, und als ihre Lippen den Namen Dora nannten, da warʼs, als ob die reine unverlorene Paradieseswonne einem neuen Gottesgarten als klarer Silberstrom entfließe. Urban merkte allerdings, daß da etwas flüssig geworden war, was er für fest gehalten hatte, und er schrie aus Leibeskräften »Lora«. Aber wie ein Zephyrsäuseln tönte ein »Dora« wieder an sein Ohr, und nun war in dem tragischen Konflikt der Pflichten dem armen Vierfüßler jede Vernunft abhanden gekommen. Wie von der Tarantel gestochen, sauste er über Soleierkörbe, Monatsrettiche und Maßkrüge hinweg zwischen »Lora« und »Dora« hin und her. Einen stelzbeinigen Orgelmann hatte der Terrier schon über den Haufen gerannt und einen Brezelbuben überfallen, als sich der Wirt mit einer Hundspeitsche nahte. Angesichts dessen, was nun kommen mußte, verzichtete der Hund einstweilen auf die Zärtlichkeiten von hüben und drüben und legte sich außerhalb des Biergartens wie eine Sphinx geheimnisvoll auf einen Backsteinhaufen.

Urban seinerseits warf verlegene Blicke nach der Dame hinüber, die mit seinem Hunde irgendwie in Beziehungen gestanden haben mochte. Kannte er die übrigens nicht? Himmel und Wetter, da fiel ihm eben ein, war das denn nicht die gleiche, bei der er sich einen Korb geholt hatte? Was hatte ihr denn an ihm nicht gefallen? Sein Stottern warʼs gewesen, etwas rein äußerliches, und nun stellte es sich heraus, daß sie durch ein einziges Seelenband, durch die gemeinsame Liebe zu einem Hunde miteinander verbunden waren. Urban mußte wieder und wieder nach der Dame hinschauen. Sie gefiel ihm heute schon beinah. Ihr Auge hatte nicht mehr das Stolzverächtliche von dazumal. Etwas Bittendes drang wie feuchter Perlenglanz zwischen den Lidrändern durch und schien fragen zu wollen, um welche Summe der Hund wieder zu erwerben wäre. Mehr noch, ein innerer Drang hatte sie mehrere Male schon vom Stuhle gehoben. Sie hatte offenbar die Absicht, sich näher an Urban heranzumachen, traute aber dem Wetter nicht in der Erinnerung an alte Rücksichtslosigkeiten. Es war offensichtlich, sie litt, litt unter Selbstvorwürfen, und zwar um so mehr, je heftiger auf seinem Backsteinhaufen der Hund winselte und in seiner Not zu flehen schien, daß man seinem Hundeherzen die schwere Entscheidung für ein Hüben und Drüben ersparen möge, indem man sich aussöhnte und schließlich als eine glückliche Dreieinigkeit vom Biergarten wegginge. Keine Frage, der Wille zu einer Annäherung war da. Wenn doch nur irgend etwas sich ereignen wollte, was die Körper zueinander brächte, so dachte man auf beiden Seiten, als wie gerufen ein Windstoß kam und der Dame Taschentuch mitnahm, während sie eben noch an ihrem Kleide herumputzte. Im Nu hatten Urban und sein Hund sich über die kostbare Reliquie hergemacht. Vor dem Eingang zu einem Schweinestall ward der Ausreißer zum Stehen gebracht, ob durch Urbans Hände oder das Hundegebiß, muß unentschieden bleiben. Sicher aber ist, daß der Stotterer die willkommene Gelegenheit ergriff, um in wohlgesetzter Rede das verlorene Pfand zurückzugeben und die Frage anzuschneiden, ob er nicht verantwortlich wäre für allen Schaden, den der unleidliche Köter sehr zum Leidwesen seines Herrn angerichtet habe.

»Er hat Ihr Kleid ruiniert, Ihren Schirm beschmutzt,« sagte Urban, ohne im geringsten zu stottern.

»Zur Strafe dafür werde ich den Übeltäter mit nach Hause nehmen,« entgegnete die Dame.

»Und würden derart einen Einsamen ganz zum Eremiten machen. Könnten Sie so grausam sein?«

»Gewiß, einem Menschen gegenüber, der eigensinnig genug ist, ein Wort nicht noch einmal zu sagen, weil erʼs schon einmal gesagt hat. Wie wäre es denn, mein Verehrtester, wenn wir zukünftig gemeinsam an der Hundesteuer zahlten?«

Was soll ich nun des Ferneren noch meinen Witz verschleudern? Es gingen die drei zusammen nach der Stadt zurück. Es ist anzunehmen, daß der Terrier seiner Natur nach gebellt und Urban etwas gestammelt haben wird, was ihm übrigens an zuständiger Stelle nicht übel genommen wurde, denn wer hört nicht gern ein Stammeln bei einer Liebeserklärung? Unsere Freundin war nicht anders wie ihre Schwestern, und wenn derart alle Menschen geartet gewesen wären, so hätte auch einmal ein Stotterer im Kirchenregiment das Wort geführt. So führte er es bald darauf in einem bescheidenen Haushalt; denn er hatte Gnade gefunden vor einer Tür, die vor nicht langer Zeit mit sieben Siegeln für ihn noch verschlossen war.

Ausgeschlossen, daß ich einem meiner Leser grollen würde, wenn er es mir zum Vorwurf machte, daß der Gesinnungswechsel unserer Heldin psychologisch nicht genügend begründet sei. Aber ich bitte, doch bedenken zu wollen, daß er eines Hundes wegen vor sich gegangen ist, daß Urbans Braut sechs Jahre älter geworden, um eine bombensichere Erbschaft gekommen war und ein neues Gebiß brauchte.

Thomas Zweifler

Unbeschadet seines ominösen Vor- und Zunamens war er gleichwohl der Sohn eines streng orthodoxen Missionars. Seine Wiege, wenn man eine Bastmatte so nennen will, stand in den sumpfigen Lagunen, die sich längs der afrikanischen Gold- und Elfenbeinküste in erschreckender Langeweile hinziehen. Die weise Frau, die unserm Thomas das Herauskriechen aus dem Dunkeln in die Helle der Tropensonne erleichterte, stand im Geruche großer Heiligkeit, verbunden mit dem Ruf, daß ihrem Geiste die fernste Ferne in Ort und Zeit erreichbar sei. Sie hatte ein Bauchgrimmen im Innern der Mutter Erde vorausgesagt, und richtig, zehn Jahre später erlebte die Menschheit das Erdbeben von St. Franzisko. Sie hatte von dem Absturz eines Drachen aus dem blauen Äther geträumt, und gleich am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts krachte der älteste Fürstenthron der Welt zusammen und der bezopfte Chinesenkaiser aus dem erlauchten Hause der Mandschu lag entthront am Boden.

Wer wird sich wundern wollen, daß man einer solchen Sibylle glaubte, als sie dem eingeborenen Missionarssohn das Horoskop stellte und weissagte, er werde zwischen den Zähnen eines Krokodils enden, zumal diese Art von Bestattung in der dortigen Gegend keine Seltenheit ist. Ins Röhricht und Schilf der Sümpfe hinein pflegen die Saurier ihre Nester zu bauen, und Thomas wäre nicht der erste Knabe gewesen, der beim Geschäft des Eiersuchens von solch einem Ungetüm überrascht und mit Haut und Haaren aufgefressen worden wäre.

Bevor es übrigens noch ganz so weit kam, traten andere Lebewesen auf, die den Thomas Zweifler für sich beanspruchten und damit die Weissagung der erleuchteten Hebamme zuschanden machen konnten. Diese Neidhammel waren kleine, fast nur aus Rüsseln bestehende Geschöpfe, singende Unholde, die dem Erwachsenen den Schlaf hinmorden und dem Kinde das Blut aus den Adern saugen. Moskitos heißt man sie und tut ihnen damit noch eine Gefälligkeit. Man sollte sie Herodiaten nennen, denn sie haben mehr Kinderleben auf dem Gewissen als weiland der Beherrscher von Samaria und Idumäa. Um es kurz zu machen, die Mordgesellen waren über die weiße Haut des kleinen Zweifler hergefallen und hatten ihre verteufelten Impflanzetten in das zarte Gewebe des kindlichen Kaukasierfelles hineingetrieben. An tausend Stellen der Haut entstanden rote Tüpfel, so daß Thomas aussah wie eine Schwarzwaldforelle. Da seine Glieder immer schlaffer und runzeliger wurden, fing es der Hebamme an, für den Wert ihrer Weissagung bange zu werden. Ein vorzeitiger Tod des Kindes mußte sie diskreditieren. Zeit zu gewinnen suchen, das warʼs, was Schlauheit und eigener Vorteil ihr anrieten. Ihre unmaßgebliche Ansicht den verehrlichen Eltern gegenüber war es denn, daß man das Kind nach Europa bringen müsse, wenn man es für seine endgültige Bestimmung konservieren wolle. Da kein Kinderarzt aufzutreiben war, der aus Geschäftsneid das Gegenteil behauptete, so behielt die Hellseherin recht, und die verehrlichen Schöpfer des Thomas Zweifler entschlossen sich zu einer vorübergehend gedachten Trennung von ihrem Werk.

Der Vater Zweifler, um die Wirklichkeit seiner Reise schon durch eine Gewandung zu betonen, setzte einen steifen Rundkopffilzhut auf, zog einen schwarzen Überzieher an und legte sich längelangs zwischen schwarze Ruderer in ein Kanu hinein. Die seetüchtigen Kruneger stachen nach dem Takte eines monotonen Singsangs ins Wasser der Sümpfe hinein, und fort ging es im Grabgeruch der Lagunenluft ans Gestade von Kotonu hinüber. Wie hergezaubert wiegte sich in vollem Schmuck aller seiner geblähten Segel ein Dreimaster vor dem kilometerlangen Eisensteg der flachen Küste. Vater Zweifler unterhandelte in plattdeutschem Idiom mit dem stoppelbärtigen Kapitän, der eine kleine Tonpfeife in seinem Räubergesicht stecken hatte, und erfuhr: »Datt det Schepp in vier Tagen mit der Bestimmung Kuxhaven in See stechen werde.«

Ehe diese Zeit noch ganz verstrichen war, sah man den Vater Zweifler mit einem Kind auf dem Arm und einer Ziege am Strick über den Landungssteg schreiten. Daß man für den geißbeinigen Passagier die Überfahrtsgebühr nicht scheute, geschah auf Anraten der Hebamme hin, die natürlich alles Interesse daran hatte, anderer Leute Geld zu verschwenden, um den Glorienschein des Prophetentums jetzt und in Zukunft über sich leuchten zu lassen.

Der Hund, der zu jedem Segelschiff gehört wie der Henkel an die Tasse, protestierte eine kleine Weile gegen die befremdliche Anwesenheit des Missionars, suchte sich aber, als dieser von Bord gegangen war, sehr rasch mit der Ziege und dem Kind auf einen vertraulichen Fuß zu stellen. Während er die ungewohnten Mitreisenden noch von allen Seiten benasenscheinigte, wurde er durch ein unbändiges Lachen, das rauh und mißtönig die Luft durchsägte, in seinem Forschereifer unterbrochen.

Was war geschehen? Was war geschehen? Nun etwas, was – von einem Missionar abgesehen – ein jeder andere Sterbliche voraussehen konnte. Ein scharfer Windstoß, der über die unendliche Fläche des tropenwarmen Ozeans nach den kühleren Bergen hinstrich, war dem Gottesmanne unter die Hutkrempe gefahren und wälzte nun die feierliche Kopfbedeckung vor dem Kulturträger her über den Laufsteg hin dem Lande zu. Ob der Hutlose sich selber mit Gottes Hilfe sein Eigentum wieder einholen konnte, durfte nicht abgewartet werden. Das Schiff mußte offene See erreicht haben, ehe am Steuerbord das Land verschwand und vor der Backbordseite die Sonne hinter der Kimme ins Meer ging. Während nun ein buhlender Monsun die Segel schwängerte und das Schiff auf die hohe See hinaustrieb, machten die Matrosen unter sich aus, wer in den folgenden Wochen die Geiß zu melken, und wer das Kind zu füttern habe.

Der Mond kam und versilberte mit weißem Glast das Takel- und Segelwerk. Wie die Taube vor dem Habicht, flog das Schiff in den folgenden Stunden vor dem Winde her. Die Bemannung hatte nichts zu tun. Das Sägen und Hämmern, das sich hören ließ, hatte mit der Nautik nichts zu schaffen, eher mit dem Zimmermannsgewerbe. Und in der Tat, ehe noch der zweite Matrose die erste Wache am Ausguck ablöste, stand neben der Hundshütte ein Ziegenstall, in dem die Nährmutter vom jungen Zweifler die milde Nacht ihrer sommerhellen Seereise verträumte, während ihr schlummerndes Ziehkind in einer Hängematte von der Decke des Obermatrosen niederpendelte.

Am nächsten Morgen, als vom afrikanischen Festlande schon nicht mehr die Spur zu sehen war, wurde Nereus der Schiffshund durch ein ungewohntes Rauschen aus dem Schlafe geweckt. Er schlug die Augen auf und gewahrte, wie der Segelflicker neben der Ziege saß und aus deren Euter eine weiße Flüssigkeit in einen Eimer preßte.

 

»Sollte das Milch sein?« dachte er bei sich, »ei, dann hätten ja die Menschen sich zum Transport dieser leckeren Flüssigkeit ein bequemes Gefäß auf vier magere Beine gestellt. Wenn das Ding keine Hörner hätte, wäre es gewiß nicht unrentabel, wenn man sich mit ihm auf einen vertraulichen Fuß stellte.«

So dachte er und blinzelte schlaftrunken, zuweilen wie ein richtiger Spion, zwischen den zitternden Augenlidern hindurch und gewahrte, wie der kleine Thomas Zweifler aus der Kombüse gekrochen kam und einen Holznapf ausleckte, den der Segelflicker offenbar für den Knaben zurechtgestellt hatte. Durch diese schlichte Beobachtung hatte das Patenkind des Meergottes mehr gelernt als mancher, der zu Pobelsdorf drei Semester lang vor dem Katheder eines Landwirtschaftslehrers gesessen hat. Für den Hundediplomaten kamʼs nun vor allem noch darauf an, daß er mit dem wandernden Milchreservoir in handelspolitischen Kontakt kam.

Als der Segelflicker den Ziegenstall gereinigt und das Deck verlassen hatte, kroch Nereus aus seiner Hütte hervor, leckte dem Knaben die weißen Überreste seines Frühstücks von den Backen herunter und näherte sich mit einem tiefen Bückling, wohlverstanden nachdem seine Zunge ihn belehrt hatte, daß die Augen ihm kein Trugbild vormachten, der Milchfabrik. Die Ziege ihrerseits nahm das hündische Kompliment mit einer großartigen Erhebung auf die Hinterbeine entgegen, neigte den Kopf nach unten und tat so, als ob sie nicht übel Lust hätte, den Bettelbuben auf die Hörner zu nehmen und seinem Namensvetter entgegenzuwerfen, der das Schiff mit lebendem und totem Inventar auf seinem Rücken trug.

Da sich die Hochwohlgehörnte aber vornehm hütete, den Vertreter einer anderen vierfüßigen Großmacht auch nur im geringsten zu brüskieren, so stellte sich zur Freude des einzigen Zuschauers zwischen Hund und Ziege ein vertrauliches Verhältnis her, das dem einen Teil erlaubte, ein Geißenohr abzuschlecken, während es dem andern gestattete, das Hundebiest mit der harten Stirne wider eine Schiffswand zu drücken, so nachhaltig, daß man die Rippen krachen hörte. Da die beiden Vierbeiner den Himmel und andere Vorgesetzte für ihre Leibesnahrung sorgen ließen, so hatten sie Zeit, ihre Vorstellungen beliebig oft zu wiederholen. Ohne gerade an eine bestimmte Stunde den Anfang des Schauspiels zu binden, taten sie es an stillen Abenden, wenn die Mannschaft rauchend an Deck saß und der Wind mit sanftem Druck das gediegene Schiff wie über eine geölte Glasplatte schob. Viel sprang für die beiden Schauspieler freilich nicht heraus. Eine Gelberübe aus der Küche oder ein Wurstzipfel aus der Rauchkammer war das magere Honorar, mit dem die Künstler sich begnügen mußten, wenn sie nicht das Gelächter und den lauten Beifall diskontieren wollten, der sich erhob, wenn der Hund im Eifer seiner Verfolgung die Ziege am Schwanz gepackt hatte und diese aus dem namenlosen Verdauungsschlauch einige Pillen verlor.

Bei ruhiger See und vortrefflichem Gesundheitszustande an Bord näherte sich das Schiff bereits den Kapverdischen Inseln. Da kam der Harmadan aus der Sahara herausgefegt und legte sich dem Schiff mit rohem Druck auf die Steuerbordseite. Alle Linien wurden aus ihrer Richtung gedrängt. Was lotrecht war, wurde schräg, und das Horizontale vertikal. Tagelang hing die Reeling auf der Backbordseite nach linkshin über, und ihre Bekrönung, statt ein bequemer Pfad zu sein, wurde eine Kante, kaum breiter als ein Messerrücken.

Mit diesem Umschwung der Verhältnisse hatte der verwegene Leichtsinn der Ziege nicht gerechnet, und als sie wieder einmal von Nereus verfolgt sich aufs Geländer rettete, glitt sie aus und fiel ins Meer hinunter. Was halfʼs, daß der Hund laut aufheulte und seiner Gespielin nachsah ins gurgelnde Kielwasser? Sein tränendes Auge konnte nur konstatieren, daß die vielbewunderte Artistin zwischen den glatten Leibern ölglänzender Haifische verschwunden war.

Allgemeine Trauer herrschte auf dem Segler, und es fehlte nicht viel, und man hätte am Fockmast die Flagge und die Toppe gezogen. Jedem der einsamen Menschen war mit dem Verlust des munteren Tieres etwas abhanden gekommen, am meisten dem kleinen Thomas. Als ihm die Milch fehlte, schrumpfte er wie eine überreife Gurke in der sandigheißen Harmadanatmosphäre zusammen. Es half nichts, daß die Matrosen aus Wasser und altersgrauem Schiffszwieback einen Brei zusammenrührten und damit seinen Magen stopften. Er wurde dünner und dünner und erst recht dünn, als man ihn mit dem stärkenden Kindermehl fütterte. In den Wochen, die man zwischen dem Kap Spartel und de la Roca schaukelte, schien er dem Tode geweiht und die Weissagung der geburtshelfenden Sibylle war zur krassesten Unwahrscheinlichkeit geworden.

Indes, noch warʼs nicht aller Tage Abend. Das Kap St. Vincent kam in Sicht, und das Gelb des Tajowassers befleckte das edle Meergrün des atlantischen Ozeans. Das Schiff nahm östlichen Kurs, hatte bald von rechts und links Land an seiner Seite und machte fest an den Kaimauern von Lissabon. Hier hatte man Kaufmannsgüter auszuladen, und mit diesen beförderte man auch den kleinen Rekruten ans Land und in eine fromme Heilsarmee hinein, die ihn zunächst einmal herausfütterte. Als er so weit war, daß er ohne Gefahr für die Polstersitze eines Eisenbahnwagens weiterbefördert werden konnte, machte er die Landreise durch die Pyrenäen, durch Frankreich und einen Teil von Deutschland nach einer Missionarbildungsanstalt in der Schweiz. Im genannten Institut legte er den üblichen Weg vom Kindchesbrei durch die Lebertranstube bis zum Sauerkrautsaale und dem Kommißbrotzimmer zurück. Nebenher erfuhr er, in wieviel Tagen Gott die Welt erschaffen habe, wie die Menschen sich selber um den Besitz des Paradieses brachten und mit welchem Instrumente Kain seinen Bruder Abel erschlagen habe. Ob die Erzväter Noah und Abraham nach des Zöglings Geschmack waren oder nicht, darnach wurde nicht gefragt; sie mußten geschluckt und verdaut werden, wie seinerzeit der Lebertran. Und warum auch hätte man ihn mit einer Extrawurst traktieren sollen? Er war als der Sohn eines armen Missionars aufgenommen worden und genoß in der Annahme, daß er dereinst in den Dienst der Heidenbekehrung treten werde, freie Station und die zweckdienliche Erziehung. Da er neben der Gottesgelehrtheit her, um den Lebenswandel der Menschen verbessern zu können, das Schuhmacherhandwerk erlernen mußte, so war er allgemach an die fünfundzwanzig Jahre alt geworden, als er mit einer Bibel im Koffer, einer Schusterahle in der Tasche und einem Regenschirm unterm Arm zu Hamburg über den Rödingsmarkt ging, um sich nach der Goldküste einzuschiffen. Er traf an Bord des netten Woermanndampfers eine Anzahl gleichgesinnter Heidenbekehrer, die für die Firma Luther aus Wittenberg reisten und die ihn mit ernstem Nachdruck vor den Stiefbrüdern warnten, die in langen Soutanen im Salon auf- und abliefen und ihr Tagespensum Brevier mit bebenden Lippen herunterbeteten. Unnötig, daß seine protestantischen Amtsbrüder den Thomas vor den katholischen behüten wollten. Diese selber trennten sich mit vorsichtiger Zurückhaltung von jenen, indem sie sich ihre keineswegs frugalen Mahlzeiten an einem separaten Tische servieren ließen. Als nun gar in Southampton noch die Abgesandten der anglikanischen Kirche hinzukamen, waren drei einander vermeidende Gruppen da, die ihr dreifach anders gefärbtes Christentum dem verblendeten Heidentum zu gefälliger Auswahl anboten.

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