Read the book: «Die Großmeister des Mordes: Alfred Bekker präsentiert 12 Strand Krimis», page 9

Font:

»Mir ist, als wäre ich nicht richtig da«, flüsterte sie. »Als würde ich auf einer riesengroßen Wolke schweben. Was haben die mir gegeben?«

»Alles, was Sie brauchen, um schnell wieder fit zu werden«, antwortete der Detektiv.

»Was ist mit Belinda?« Eine Träne rann aus Kimberleys Augenwinkel.

Hank Hogan hob die breiten Schultern. »Ich weiß es nicht.«

»Warum hat uns dieser Kerl überfallen?«

»Ich werde es herausfinden. Hören Sie, Kimberley, ich weiß, es geht Ihnen nicht gut, und der Arzt wird mich in fünf Minuten hinauswerfen. Aber es wäre sehr wichtig für mich, zu erfahren, was geschehen ist. Würden Sie es mir bitte so genau wie möglich erzählen?«

Kimberley Gish nickte kaum merklich. Sie schloss die Augen, ließ den Erinnerungsfilm laufen und schilderte mit schwacher Stimme, was sie sah.

Es war bedauerlicherweise nicht sehr viel. Sie hatte nur wenig von dem Überfall mitbekommen. »Das – das ging alles so furchtbar schnell«, flüsterte sie. »Kaum hatte der Kerl Belinda niedergeschlagen, verlor auch ich schon das Bewusstsein.«

»Haben Sie ihn gesehen? Wie sah er aus?«

»Ich erinnere mich nicht an den Mann, Hank.«

Amnesie, dachte ich. Das ist kein Einzelfall. Der menschliche Geist schützt sich auf diese Weise. Wenn es zu einem traumatischen Schock kommt, schaltet er kurzerhand ab. Personen, die einen Unfall hatten, können sich oft tage- bis wochenlang nicht an die letzten Sekunden vor dem Blackout erinnern. Aber irgendwann fällt ihnen zumeist doch wieder alles ein.

»Hatten Sie das Gefühl, dass der Mann schon länger hinter Ihnen her war, Kimberley?«, erkundigte sich Hank Hogan.

Genau dieselbe Frage hätte ich jetzt auch gestellt, ging es mir durch den Sinn.

»Oder war das Ganze eine Spontanaktion?«, fügte Hank hinzu. »Er sah euch beide – und schlug zu. War das Verbrechen eiskalt geplant oder nicht? Was meinen Sie?«

Kimberley sah den Hünen traurig an. »Ich wollte, ich könnte Ihnen darauf eine Antwort geben, Hank. Aber ich kann es nicht. In meiner Erinnerung gähnt ein schwarzes Loch, das ich nicht schließen kann.«

»Es wird sich von selbst schließen«, tröstete der Detektiv sie. »Vielleicht schon bald.« Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Machen Sie sich keine Sorgen …«

Wieder rann eine Träne aus Kimberleys Augenwinkel. »Ich muss immerzu an Belinda denken. Daran, wie es ihr geht. Vielleicht würde auch sie ärztliche Hilfe brauchen, doch sie wird keine bekommen, solange sie sich in der Gewalt dieses Verbrechers befindet. Warum hat er das getan, Hank? Das ist doch verrückt. Belinda ist nicht reich. Was für einen Sinn hat es, sie zu entführen?«

»Vielleicht möchte mir jemand eins auswischen«, mutmaßte der Privatdetektiv. »Jemand, dem ich in der Vergangenheit das kriminelle Handwerk gelegt, den ich möglicherweise ins Zuchthaus gebracht habe.«

Hinter mir öffnete sich die Tür. Dr. Foster erschien. Mit einem Gesicht, als wollte er mich in die Wade beißen. Er ließ uns unfreundlich wissen, dass die fünf Minuten, die er uns zugestanden hatte, schon längst um seien.

»Machen Sie's gut, Kimberley«, sagte Hank. »Alles Gute. Wir sehen uns morgen wieder. Vielleicht erinnern Sie sich dann schon an einiges mehr.«

Ich sah den schrumpeligen Stationsarzt an und dachte: Gleich wird er kläffen. Um ihm das zu ersparen, verließ ich den Raum. Milo und Hank folgten mir.

Milo wies mit dem Daumen über seine Schulter. Auf die Tür, die Dr. Foster geschlossen hatte. »Du hast da drinnen etwas gesagt, Hank …«

»Dass mir jemand eins auswischen möchte?«, fragte unser bester V-Mann.

»Ja.«

»Das war nur so ein Geistesblitz«, sagte Hank.

»Der aber ins Schwarze getroffen haben könnte«, meinte Milo. »Denk mal scharf nach«, forderte er den blonden Hünen auf. »Wem würdest du einen solchen Racheakt zutrauen?«

»Oh, da fallen mir auf Anhieb mindestens zwanzig linke Bazillen ein.«

»Dann fang mal an zu sieben«, sagte Milo.

»Niemand entführt nur um des Entführens willen«, meldete ich mich zu Wort.

Hank sah mich an. Seine Stirn war sorgenumwölkt. »Du meinst, da kommt noch etwas hinterher.«

»Ist doch klar«, sagte ich. »Ich könnte mir vorstellen, dass sich der Kidnapper demnächst bei dir melden wird. Um irgendetwas loszuwerden. Vielleicht eine Geldforderung. Oder die Nachricht, was er mit Belinda anzustellen gedenkt, wenn du nicht tust, was er von dir will.«

Zornesröte schoss in Hanks Gesicht. Er ballte die großen Hände zu Fäusten, die die Härte von Schmiedehämmern hatten, und knurrte aggressiv: »Ich breche dem Bastard sämtliche Gräten, wenn …«

»Ist noch was?«, fiel ihm Dr. Rob Foster ins Wort. Er war an uns herangetreten.

Ich drehte mich zu ihm um. »Nein.«

»Würden Sie dann bitte die Station verlassen?«, sagte der Mediziner, nicht besonders freundlich. Es schien ihn zu ärgern, dass er vorhin klein beigegeben hatte.

»Aber ja doch«, murmelte Hank.

Wir gingen den Gang entlang und riefen den Fahrstuhl per Knopfdruck vom achten Stock herunter.

*

»Donnerwetter«, sagte die leicht übergewichtige Nutte, als Jack Corrington endlich fertig war.

Er grinste breit. »Na ja. Dreieinhalb Jahre sind dreieinhalb Jahre. Da kommt schon was zusammen.«

»Manche helfen sich im Knast gegenseitig, hört man.«

»Zu der Sorte habe ich noch nie gehört.« Corrington hatte mit ihr einen Pauschalbetrag vereinbart und auch, wie das so üblich war, gleich gelöhnt.

Er hatte ihr von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, damit sie sich auf das, was auf sie zukam, einstellen konnte, und sie hatte ihm einen fairen Preis gemacht, weil sie ein Herz für Ex-Knackis hatte, wie sie sagte.

Ihr Name war Chantalle. Hatte sie ihm verraten. Er war sicher, dass sie einen wesentlich hausbackeneren Namen hatte. Nicht so klangvoll. Nicht so branchenüblich. Vielleicht Ivy. Oder Edna. Oder Meg.

Überall auf der Welt gibt es Prostituierte, die sich Chantalle nennen, dachte er. Warum eigentlich? Was ist so großartig, so schlüpfrig, so verrucht, so erotisch an diesem Namen?

Er zog sich an.

»Kannst gern mal wieder kommen«, meinte Chantalle. Sie zündete sich eine lange dünne Zigarette an und pumpte den ersten Zug bis in ihre Zehenspitzen hinunter. »Mit dir hat es mir echt Spaß gemacht.«

Er grinste skeptisch. »Ich wette, das sagst du zu jedem Kerl.«

»Stimmt«, gab sie ehrlich zu. »Aber bei dir ist es wahr. Hattest du eine Freundin, bevor du …«

»Klar hatte ich eine Freundin.«

Chantalle blies Rauchringe in die Luft. Einen durch den andern. Corrington hätte das nicht so perfekt hingekriegt. »Sie hat nicht auf dich gewartet, hm?«, sagte Chantalle. »Sonst wärst du nicht zu mir gekommen, sondern wärst schnurstracks zu ihr gelaufen.«

Er lachte. »Hey, du bist ja ziemlich hell auf der Platte.«

»Dachtest du, Nutten wären blöd?«

Er antwortete nicht, schloss seinen Hosenstall und zog sein Jackett an. Plötzlich hielt er inne.

»Was ist?«, fragte Chantalle. Sie schnippte die Zigarettenasche neben dem Bett auf den Boden. Deshalb war es in ihrem Apartment auch nirgendwo klinisch sauber.

»Du erinnerst mich an jemand«, verriet ihr Corrington nachdenklich.

»An wen?«, wollte Chantalle wissen.

»An meine erste Prostituierte. Ihr Name war Leonie. Und ich war noch … Na ja, du weißt schon. Ich hatte noch nie … Ich war noch Jungfrau. Ich hatte gerade meinen ersten Einbuch hinter mir …«

»Wie alt warst du damals?«, fragte Chantalle.

»Dreizehn.«

Chantalle hob beeindruckt die dunklen Augenbrauen. »Früh übt sich, wer ein Meister werden will.«

»Ich habe alles, was mir der Einbruch eingebracht hat, mit Leonie vervögelt.«

»Sie war eine gute Lehrmeisterin.«

Corrington nickte. »O ja. Das war sie.«

»Und ich sehe aus wie sie?«

Corrington zuckte mit den Achseln. »Irgendwie.«

»Vielleicht bin ich es.«

Corrington schüttelte den Kopf. »Ganz sicher nicht. Leonie lebt nicht mehr. Ich hatte dreimal das Vergnügen mit ihr. Dann hat ihr ein durchgeknallter Freier die Kehle durchgeschnitten.«

Chantalle seufzte. »Manchmal kann dieser Job schon verdammt gefährlich sein.«

Corrington zeigte auf sie. »Pass auf dich auf.«

Sie nickte. »Mach ich, Süßer. Gehst du jetzt zu deiner Freundin?«

»Mal sehen.«

»Wenn sie nichts mehr von dir wissen will – du findest mich hier.« Sie spreizte verführerisch die Beine. »Und ich bin für dich allzeit bereit.«

Er nickte und ging.

*

Das Haus am East River war alt und schäbig. Es stank darin so erbärmlich, dass ich am liebsten meine Nasenflügel zugeklappt hätte.

Im Erdgeschoss wohnte keiner mehr. Sämtliche Türen standen offen. Die früheren Mieter hatten vermutlich bessere Bleiben gefunden.

Dutzende herrenloser Katzen hatten sich an ihrer Stelle hier eingenistet. Die Bude war für die vierbeinigen Hausbesetzer das reinste Eldorado.

Niemand würde sie vertreiben. Hier konnten sie unbehelligt leben und sich nach Belieben vermehren. Und zu hungern brauchten sie auch nicht, weil es zur Genüge leckere Mäuse und fette Ratten gab.

Ich zog meine SIG Sauer aus dem Schulterhalfter. Nicht wegen der vielen Katzen – oder weil ich Angst vor den Mäusen und Ratten hatte -, sondern wegen Jim Burns.

Angeblich war er ein höchst unangenehmer Zeitgenosse. Er redete nicht gern, und wenn man ihm auf den Geist ging, antwortete er mit »bleischweren« Argumenten, die direkt aus seiner Kanone kamen.

Hank Hogan hatte uns vor ihm gewarnt. »Seht euch vor, wenn ihr zu Burns geht. Der Mann schießt aus allen Knopflöchern, wenn man ihn reizt.«

»Er würde das Echo, das er damit auslöst, nicht vertragen«, hatte Milo gebrummt.

Hank hatte eine Liste all jener Typen aufgestellt, die nicht gut auf ihn zu sprechen waren, und denen er zutraute, Belinda Fox entführt zu haben. Und Jim Burns stand auf dieser Liste ganz weit oben.

Auf Platz zwei, um es zu präzisieren. Der Mann auf Platz eins hieß Kowalski. Norman Kowalski. Den wollte sich Hank selbst vornehmen.

Verfolgt von argwöhnischen Katzenblicken, stiegen wir zum ersten Stock hinauf. Die Dienstpistole lag schwer in meiner rechten Hand.

Wenn Burns es auf die harte Tour wollte – wir würden nicht kneifen. Lieber wäre es uns allerdings gewesen, wenn er mit sich vernünftig hätte reden lassen. Die gute alte Hardrockgruppe Deep Purple empfing uns in der ersten Etage mit einem Sound, der so satt war, dass Milo und ich uns nur noch mit Handzeichen verständigen konnten.

Wir näherten uns mit schussbereiten Waffen der Tür, hinter der offenbar die knallharte Band Aufstellung genommen hatte und jetzt rockte, was das Zeug hielt.

Burns liebte es allem Anschein nach laut. Er hatte seinen Ghettoblaster oder irgendeine andere leistungsstarke Sound machine auf volles Rohr gestellt. Manche Irre dröhnen sich auf diese Weise völlig zu. Für sie ist Musik in Überlautstärke eine Art Ersatzdroge.

Milo und ich positionierten uns links und rechts neben der schäbigen Tür. Ich hob die linke Hand und begann mit dem Countdown – von fünf herunter.

In mir wuchs die Spannung.

Würde Burns versuchen, seinem schlechten Ruf gerecht zu werden? Würde er sich friedlich geben, wenn ihn zwei schwarze Mündungsaugen eiskalt anstarrten? Würde er durchdrehen?

Ich zog einen Finger nach dem andern ein. Und als keiner mehr zu sehen war, öffnete mein Partner für mich die Tür. Sie schwang langsam auf.

Ich schraubte mich augenblicklich in die dröhnende Klangwolke. Meine SIG kam selbstverständlich mit, und sie wäre zu jedem unfreundlich gewesen, der es zu mir gewesen wäre.

Aber da war niemand.

Nur Deep Purple. Überall. In der Luft. Hinter den Tapeten. In den Wänden. Unter dem Teppich.

Mein Brustkorb dröhnte. Meine Ohren schmerzten.

Das wäre selbst für einen, der stocktaub ist, zu viel, dachte ich. Wie hält Burns das aus? Ist er am Ende gar nicht daheim? Hat er die Musik ganz laut aufgedreht und ist abgehauen? Bekämpft er auf diese Weise eine Kakerlakenplage? Wie gut hören Küchenschaben eigentlich?

Milo folgte mir, sobald ich ihm anzeigte, dass die Luft im Moment zwar laut, aber rein war. Gemeinsam wagten wir uns tiefer in die Wohnung hinein.

Ich entdeckte die Lärmquelle. Ein futuristisches Gebilde aus Glas, Stahl, Gummi, Stoff, Blech, Plastik und weiß der Geier, was noch allem.

Von protzigen Lautsprechern flankiert. Das Ungeheuer schien im Takt der Musik Feuer zu speien. Ständig zuckten mal hier, mal da Lichter auf.

Ich konnte der Versuchung nur sehr mühsam widerstehen, dieses Monster mit einer schnellen Kugel zu killen, es für immer zum Verstummen zu bringen.

Was würde geschehen, wenn ich das Gerät abschaltete? Würde sich Jim Burns dann zeigen? Mit einer Waffe in seinen Händen, so groß und schwer, dass nicht einmal John Rambo sie hätte tragen können?

Kaum war mir dieser Gedanke gekommen, da sah ich Burns. Er war splitterfasernackt, schob sich von links – hüpfend wie Chuck Berry, mit dem Rücken zu mir - in mein Blickfeld und spielte Luftgitarre. Ekstatisch zuckend. Geistig total weggetreten. Voll im Deep-Purple-Rausch. Von oben bis unten tätowiert. Ein lebendes Bilderbuch.

Ich sah einen Drachen, zwei kämpfende Piraten, einen Papagei, ein Krokodil, einen Dolch, einen Säbel, einen Delfin, einen Totenkopf, eine Rose, eine Schlange, einen Atompilz, mehrere nackte Mädchen, zwei kopulierende Affen, ein Skelett und noch vieles mehr.

Hank hatte gesagt, der Knabe würde immer gleich aus allen Knopflöchern schießen. Nun, dann war er jetzt nicht gefährlich, denn er war nackt.

Es gab also keine Knopflöcher, aus denen er hätte schießen können. Ich beschloss, mich bemerkbar zu machen, indem ich für Stille sorgte.

Da ich den Ausschaltknopf erst hätte suchen müssen, zog ich kurzerhand den Stecker aus der Dose. Grabesstille - wie ein Hammerschlag.

Absolut und urplötzlich. Das war ein »Knaller«. Damit hatte Jim Burns nicht gerechnet. Das stieß ihn aus den nicht vorhandenen Pantoffeln.

Er flitzte aus meinem Blickfeld, und im nächsten Moment krachte schon der erste Schuss. Die Kugel hackte irgendwo ein Loch in die Wand.

»Verdammt, wer seid ihr?«, schrie Burns erst danach. Das war seine Maxime. Zuerst schießen, dann fragen.

»FBI!«, antwortete ich.

»Bullen?« Er fand uns zum Kotzen. Das war deutlich zu hören. »Was zum … Was wollt ihr?«

»Legen Sie die Waffe weg, Burns!«, verlangte ich schneidend.

»Scheiße, ich habe euch nicht erlaubt, meine Wohnung zu betreten. Ihr hattet kein Recht dazu.«

»Hätten Sie's bei dem Radau gehört, wenn wir geklopft hätten?«, fragte Milo.

»Das war kein Radau«, schnappte Jim Burns, als hätte mein Partner ihn beleidigt. »Das war Musik.«

»Wir wollen Sie sehen, Burns!«, rief ich. »Mit erhobenen Händen! Unbewaffnet!«

»Wieso seid ihr hier? Ich habe nichts verbrochen.«

»Wir möchten mit Ihnen reden«, antwortete ich. »Nur reden. Okay?«

»In aller Freundschaft«, ergänzte Milo.

»In aller Freundschaft«, ätzte Burns. »Mit 'ner Wumme in der Hand. Ich lach mich gleich tot.«

Ich forderte ihn noch einmal mit Nachdruck auf, sich unbewaffnet zu zeigen. Es vertickten einige Minuten, in denen nichts passierte.

Was gab es groß zu überlegen? Schließlich erschien er. Wie gewünscht, mit erhobenen Händen. Ärgerlich. Gereizt. Verstimmt. Feindselig.

Und nicht mehr nackt. Er trug jetzt Jeans und ein weißes T-Shirt. Meine SIG und ich musterten ihn argwöhnisch. War er unbewaffnet?

Ich bat Milo, sich davon zu überzeugen. Mein Partner tat es mit flinken, kundigen Händen und ließ mich wissen, dass Burns sauber war.

Daraufhin steckte ich meine SIG Sauer weg, um für eine optische Entspannung der Situation zu sorgen. Burns erlaubte sich, die Hände runterzunehmen.

Ein – für ihn unerfreulicher - Verdacht schien sich ihm plötzlich aufzudrängen. Eine tiefe Falte bildete sich daraufhin zwischen seinen Augenbrauen.

»Ich kenne euch«, sagte er und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Ihr seid Trevellian und Tucker. Die bissigsten Hunde des FBI.«

Milo schüttelte mit vorwurfsvoller Miene den Kopf. »Na. Na. Na.«

Burns hob unschuldig die Schultern. »Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen. So nennt man euch. Ich kann nichts dafür.« Sein Blick wanderte zwischen uns hin und her. »Tut mir leid, dass ich auf euch geschossen habe«, bemühte er sich um einen versöhnlicheren Ton. »Aber wenn plötzlich zwei bewaffnete Typen mitten in meiner Wohnung stehen … Ihr habt mir einen Mordsschrecken eingejagt.«

»Wir wissen von Hank Hogan, dass Sie immer gleich mit der Kanone zur Hand sind«, sagte Milo.

»Wir leben in gefährlichen Zeiten«, rechtfertigte sich Burns.

»Tragen nicht Leute wie Sie maßgeblich dazu bei?«, fragte Milo.

»Was soll das heißen?«, fragte Burns vergrämt. »Ich werde mich doch wohl noch in meinen eigenen vier Wänden verteidigen dürfen.«

»Wir haben Sie nicht angegriffen«, sagte ich.

»Aber ich habe mich bedroht gefühlt.«

»Schlechtes Gewissen?«, fragte Milo.

»Wie?«

»Haben Sie ein schlechtes Gewissen?«, erkundigte sich mein Partner.

»Nein«, gab Burns zur Antwort. Mit ziemlich viel Groll im Blick. Bestimmt wünschte er uns zum Teufel. Oder zumindest ins Fegefeuer. »Warum sollte ich?« Er reckte sein Kinn herausfordernd vor. »Würden Sie mir jetzt endlich verraten, weshalb Sie hier sind?«

»Sie sind nicht gut auf Hank Hogan zu sprechen, stimmt's?«, sagte ich.

»Ich habe auch allen Grund dazu.« An Burns' Wangen bildeten sich rote Flecken. Ein Hauch von Hass legte sich über seine Züge. »Jedes Mal, wenn jemand eine Schussverletzung abkriegt, bin ich der Erste, dem er es in die Schuhe zu schieben versucht. Ich hatte seinetwegen schon verdammt viel Ärger.«

»So viel Ärger, dass Sie ihm endlich mal ordentlich eins auswischen möchten?«, fragte ich.

»Gebühren würde es ihm«, brummte Burns. »Er kann mich einfach nicht in Ruhe lassen.«

»Woran das wohl liegen mag«, sagte ich.

»Ich habe keinen blassen Schimmer«, behauptete Burns. »Offenbar kann Hogan mich nicht leiden.«

»Jemand hat seine Sekretärin entführt«, ließ ich die Katze aus dem Sack.

Ich beobachtete Burns dabei sehr genau und hoffte, dass er sich mit einem kurzen Blinzeln, mit einem tückischen Zucken der Lippen, mit irgendeiner unbedachten Geste verriet.

»Verdächtigt er etwa mich?«, fragte Burns zornig.

»Haben Sie's getan, Burns?«, fragte Milo ihn ganz direkt.

»Nein.«

»Wissen Sie, wo sich Belinda Fox zurzeit aufhält?«, hakte ich nach.

»Nein, das weiß ich nicht«, antwortete Jim Burns sehr laut. Fast so laut wie vorhin Deep Purple. »Ich bin kein gottverdammter Kidnapper.«

War seine Empörung berechtigt? Ich nannte die Tatzeit und wollte wissen, wo er da gewesen war.

»Beim Maulklempner.« Er sah mich triumphierend an. »Sie können es gerne nachprüfen. Ich war beim Zahnarzt. Dr. Andy Miller. 9082 Lexington Ave. Hab mir eine neue Plombe machen lassen. Wollen Sie sie sehen?« Obwohl ich nicht Ja sagte, riss er seinen Mund ganz weit auf und fuhr undeutlich fort: »Hier. Ganch hinnen. Linkch. Der Weichheitchchahn.«

Sein Mundgeruch machte mich high. Er schien, kurz bevor er anfing, Luftgitarre zu spielen, eine Pulle Rotwein geleert zu haben.

»Okay, Burns«, sagte ich und trat einen Sicherheitsschritt zurück. »Sie können zuklappen.«

»Bestellen Sie Ihrem bescheuerten Freund einen schönen Gruß von mir«, verlangte Burns giftig. »Sagen Sie ihm, ich wünsche ihm die Pest an den Hals.«

Kapitel 2

George Jones hatte in seinem Stammrestaurant, nahe der Wall Street, ausgezeichnet gespeist, und nun ließ er sich vom Kellner einen doppelten Kognak bringen. Er aß immer allein, um sich voll und ganz dem Genuss der Speisen hingeben zu können und sich mit niemandem in seichter Konversation verzetteln zu müssen oder gar gezwungen zu sein, tiefschürfende Probleme zu wälzen. Essen – das war für ihn nicht bloß eine lästige Sättigungsprozedur (wie für viele, die absolut unkultiviert auf die Schnelle irgendetwas in sich hineinschaufelten oder –stopften), sondern ein beinahe sakraler Akt, den er völlig ungestört und geistig abgehoben zelebrierte.

»War alles zu Ihrer Zufriedenheit, Mr Jones?«, erkundigte sich der Kellner, während er den Kognakschwenker vor den Gast hinstellte.

»Ja. Danke, Lester. Wie immer.«

Lester deutete ein kleines Lächeln an und zog sich zurück. Jones nahm den Schwenker in die Hand und ließ den Kognak im Glas kreisen.

Er wärmte ihn auf diese Weise mit der Hand an, damit er sein volles Aroma entfaltete. Aber es war ihm nicht gegönnt, ihn ungestört zu trinken.

Ein Mann stürmte mit grimmiger Miene durch das Lokal. Lester lief aufgeregt hinter ihm her. Doch ehe er ihn einholen konnte, setzte der Ungestüme sich an Jones' Tisch.

»Mr Jones«, stöhnte der Kellner. »Es tut mir furchtbar leid, aber …«

George Jones nickte und machte eine dämpfende Handbewegung. »Schon gut, Lester.«

Der Mann, der sich zu ihm gesetzt hatte, bleckte blitzweiße Zähne. »Hallo, George.«

Der Kellner zögerte einen Augenblick. Dann entfernte er sich mit gesenktem Kopf. Schuldbewusst, weil er sich von diesem ungehobelten Kerl einfach überrennen lassen hatte.

George Jones musterte sein Gegenüber kalt und abweisend. »Was willst du?«

»Mal wieder nobel gefuttert, George?«, erkundigte sich Ving Wipper. Das dunkle, dicht gewellte Haar stand wie Draht von seinem Kopf ab.

»Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, erwiderte George Jones bärbeißig.

»Oh, das geht mich sogar verdammt viel an. Du verfrisst hier immerhin mein Geld.«

»Fang nicht schon wieder damit an.« Jones war es leid, sich mit Wippers Problem auseinandersetzen zu müssen.

»Ich hab damit noch nicht aufgehört«, erklärte Ving Wipper. Er starrte Jones durchdringend an.

»Du wusstest, worauf du dich einlässt«, entgegnete George Jones. »Ich habe dich über die Risiken nicht im Unklaren gelassen.«

»Du hast mir eine Rendite von fast vierzig Prozent versprochen«, zischte Wipper.

»Ich habe dir aber auch gesagt, das die Sache schief gehen kann.« Jones breitete die Arme aus. »Wer viel riskiert, kann viel gewinnen, aber auch viel verlieren. So ist das nun mal im Immobiliengeschäft. Mal gewinnt man. Mal verliert man.«

Wipper sah George Jones an, als wollte er ihm an die Kehle gehen. »Du hast mein ganzes Geld verspekuliert.«

»Mit deinem Einverständnis.«

»Moment.« Wipper schüttelte den Kopf. »Moment, Kumpel. Du hast dreihunderttausend Dollar in den Sand gesetzt. Damit war ich nicht einverstanden.«

»Ich hatte auf das, was da schiefgelaufen ist, keinen Einfluss«, verteidigte sich Jones. »Das war höhere Gewalt.«

»Ich will mein Geld wiederhaben, George.«

»Es ist weg. Begreif das doch endlich. Es ist nicht mehr da. Ich kann es dir nicht zurückgeben.«

»Das interessiert mich einen Scheißdreck, Mann. Du schuldest mir dreihunderttausend Bucks. Mir ist es völlig egal, wie du die Kohle auftreibst. Überfall eine Bank. Geh auf den Strich. Schick deine Alte anschaffen. Du wirst mir mein Geld zurückgeben. Bis auf den letzten Cent. Sonst …«

»Sonst was?«

Wipper kniff die Augen zusammen. »Ich weiß, dass du was mit deiner schnuckeligen Sekretärin hast.«

Jones lächelte schief. »Willst du's meiner Frau erzählen? Möchtest du mich damit erpressen?«

Das würde nicht funktionieren. Weil Sadie, Jones' alkoholkranke Frau, das schon längst wusste. Und weil sie absolut nichts gegen dieses Verhältnis hatte – solange sie von ihrem Mann in Ruhe gelassen und mit erstklassigem Stoff versorgt wurde. Man hatte sich – wie in vielen anderen Ehen auch - arrangiert.

»Du bumst Jodie Simon nicht bloß. Du liebst sie auch. Und jetzt pass mal ganz genau auf, Arschloch.« Wipper holte sein Handy heraus und fingerte kurz daran herum. Dann schob er es George Jones zu.

»Wen soll ich anrufen?«, fragte der Immobilien-Spekulant. Er war beruflich nicht so glücklos, wie es im Moment den Anschein hatte.

Die meisten Geschäfte, die er tätigte, warfen satte Gewinne ab. Ab und zu ging natürlich auch mal was daneben. Das war ganz klar. Aber übers Jahr gesehen war Jones in der Immo-Branche recht erfolgreich unterwegs.

»Du sollst niemand anrufen, sondern dir die Fotos ansehen, die ich gemacht habe.«

Jones tat es – und wurde blass. Die Aufnahmen waren nicht besonders scharf. Dennoch war zu erkennen, dass im Kofferraum eines Wagens eine junge blonde Frau lag. An Armen und Beinen gefesselt. Mit einem Plastikstreifen auf dem Mund.

Jones sah sein Gegenüber entgeistert an. »O mein Gott.« Schweißperlen glänzten mit einem Mal auf seiner Stirn.

Wipper lachte böse. »Ja, da staunst du, was? Ich hab mir dein geiles Flittchen gekrallt.«

»Wo ist sie?«, fragte Jones mit belegter Stimme. Er wischte sich fortwährend seine feuchten Handflächen an den Oberschenkeln trocken. »Wo hast du gottverfluchter Hurensohn Jodie hingebracht?« Er konnte sich nur sehr schwer zurückhalten, stand kurz davor, zu explodieren.

»Sie befindet sich an einem sicheren Ort, und es geht ihr relativ gut«, antwortete Wipper gelassen. »Vorläufig jedenfalls. Natürlich hat sie Angst. Weil sie nicht weiß, wie ihre Zukunft aussieht. Das ist zu verstehen. Und sie hat wahrscheinlich auch Hunger und Durst. Ich könnte ihr was zu essen geben. Und was zu trinken. Ob ich es tun werde, hängt von dir ab. Du kennst mich. Du weißt, dass es mir mit solchen Dingen sehr ernst ist. Und du kannst dich darauf verlassen, dass ich die kleine Schlampe skrupellos massakrieren werde, wenn du dich weiterhin weigerst, mir meine dreihunderttausend Bucks zurückzugeben. Haben wir uns verstanden?« Er nahm sein Handy wieder an sich. »Ich denke, das haben wir.« Er stand auf. »Du hast drei Tage. Wenn ich bis dahin mein Geld nicht habe, mache ich dein Püppchen kalt. In drei Tagen erlischt dein süßer Augenstern für immer.«

Jones blickte zu ihm hoch. »Du bist irre, Ving. Total irre, weißt du das?«

Wipper zeigte auf ihn. »Drei Tage. Oder Jodie Simon ist tot.«

*

Gleich nachdem Wipper gegangen war, trank Jones hastig seinen Kognak, und Lester musste ihm einen zweiten bringen.

»Ist Ihnen nicht gut, Sir?«, erkundigte sich der Kellner fürsorglich. »Fühlen Sie sich nicht wohl? Kann ich irgend etwas für Sie tun?«

Jones winkte mit einer vagen Handbewegung ab. Er verlangte die Rechnung, bezahlte mit Kreditkarte und schleppte sich wie ein alter Mann aus dem Lokal.

Draußen klingelte sein Mobiltelefon. »Ja?«, meldete er sich krächzend.

»Das ist eine Angelegenheit zwischen uns beiden«, sagte Ving Wipper am andern Ende. »Komm also nicht auf die blöde Idee, die Polizei einzuschalten, okay? Keine Bullen. Keine Bullen. Sonst ist deine heiße Biene auf der Stelle tot.«

Jones wollte etwas erwidern, doch ehe er ein Wort herausbringen konnte, hatte Wipper die Verbindung bereits unterbrochen. Jones kickte wütend eine leere Bierdose in den Rinnstein.

Als er seinen Wagen erreichte, klingelte sein Handy erneut. War das noch einmal Ving Wipper? Jones holte tief Luft und wollte einen zornigen Wortschwall loswerden, doch am andern Ende war nicht Wipper, sondern Sadie, seine Frau.

Und sie war mal wieder betrunken. Wie fast immer. Irgendwann wird sie sich selbst erledigen, dachte Jones emotionslos. Er liebte Sadie nicht. Er hatte sie noch nie geliebt. Jedenfalls nicht so wie Jodie Simon. Und er hätte Sadie nie geheiratet, wenn sie nicht ein bisschen Bares mit in die Ehe mitgebracht hätte. Ihr Geld war sein Startkapital gewesen. Damit hatte er seine Firma gegründet.

»Was gibt's, Sadie?«, erkundigte er sich.

»Du musst für Nachschub sorgen, Süßer«, sagte sie mit schwerer Zunge. »Ich sitze auf dem Trockenen, und das ist nicht gut für mich.«

»Was brauchst du?«, fragte er ernst. Sie tat ihm leid. Trank sie seinetwegen so viel? Weil er ihre Liebe nie richtig erwidert hatte?

War er schuld an ihrer Alkoholkrankheit? Er wusste eigentlich nicht, wann sie begonnen hatte. Sie hatte sich schleichend entwickelt. In aller Heimlichkeit.

Irgendwann hatte er gemerkt, dass Sadie ein Alkoholproblem hatte. Aber da war sie davon schon nicht mehr losgekommen. Er hatte sie in einem Sanatorium unterbringen wollen, in dem man sie so sanft wie möglich entwöhnt hätte, doch sie hatte sich geweigert, da hinzugehen.

»Wir haben keinen Champagner mehr«, sagte Sadie.

»Okay, Schatz. Ich besorge welchen.«

»Dom Perignon. Etwas anderes trinke ich nicht.«

»Das weiß ich, Schatz.« Damit beendete er das Gespräch. Er stieg in seinen Wagen und fuhr los. Auf dem Weg zum Büro hielt er kurz an, kaufte zwei Kartons Dom Perignon und setzte die Fahrt fort.

Seine Gedanken kreisten um Ving Wipper. Und natürlich um Jodie Simon. Er hätte nicht gedacht, dass er sich jemals so sehr verlieben könnte.

Aber es war passiert, und er war zum ersten Mal in seinem Leben richtig glücklich. Jodie wäre die einzige Person gewesen, die er zum Essen mitgenommen hätte. Doch sie kasteite sich fortwährend mit irgendwelchen Diäten – gesunden und ungesunden –, um nur ja nicht Gefahr zu laufen, dick zu werden. Obwohl sie das überhaupt nicht nötig gehabt hätte. Sie war herrlich schlank und sexy.

Da er Ving Wipper kannte, wusste er, dass er sich um Jodie ernsthaft Sorgen machen musste. Der Kerl war ein durchgeknallter Psychopath. Wipper war zu allem fähig. Auch zu einem grausamen Mord.

Ich werde die dreihunderttausend Dollar wohl oder übel locker machen müssen, sagte sich Jones. Der Bastard lässt mir keine andere Wahl. Wenn ich nicht zahle, tötet er Jodie. Ganz bestimmt. Verdammt, ich muss sie so schnell wie möglich freikaufen, muss sie aus ihrer misslichen Lage befreien.

Age restriction:
0+
Release date on Litres:
22 December 2023
Volume:
1312 p. 4 illustrations
ISBN:
9783956179587
Publisher:
Copyright holder:
Автор
Download format:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

People read this with this book