Read the book: «Die Großmeister des Mordes: Alfred Bekker präsentiert 12 Strand Krimis», page 17

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»Ist Brian Grodin informiert?«, erkundigte ich mich.

Jonathan D. McKee nickte. »Ich habe ihn persönlich angerufen. Er befindet sich inzwischen in seinem Forschungszentrum und macht sich die größten Vorwürfe, weil er das Gas nicht besser weggesperrt hat. Er dachte, niemand außer ihm und seinen Mitarbeitern wüsste vom Ergebnis seiner erst kürzlich beendeten Arbeit.«

»Dann scheint irgendjemand – absichtlich oder unabsichtlich - geplaudert zu haben«, nahm Milo an.

»Sollte es tatsächlich so eine undichte Stelle geben, wäre es sehr wichtig, sie ehestens zu finden«, meinte Mr McKee.

»Und diese Person müsste uns dann verraten, wie Mr Smith wirklich heißt«, sagte Milo. »Was hat Brian Grodin eigentlich mit seinem Nervengas vor?«

»Ich nehme an, er wird es dem Verteidigungsministerium anbieten«, sagte ich.

»Und wenn dieses es nicht haben will?«

Ich hob stumm die Schultern.

Mr McKee sagte, dass die Army bereits ein erstes, einstweilen noch unverbindliches Interesse an dem Kampfstoff angemeldet habe. Er forderte uns auf, das Grodin dort hin zurückzubringen, wohin es gehörte. Damit man Mr Smith die zwanzig Millionen nicht zu geben brauchte.

Ich war auch nicht dafür, diesem skrupellosen Verbrecher so viel Geld in den gierigen Rachen zu schmeißen, aber würde es uns gelingen, dies zu verhindern?

*

Jack Corrington trommelte mit den Fäusten an Thandie Scotts Tür. Sie öffnete nach einer kleinen Ewigkeit – so kam es ihm vor - total verschlafen und mit zerzaustem Haar.

Er drängte sie zur Seite, trat ein und drückte die Tür hastig ins Schloss. Sie rieb sich die Augen, war barfuß und trug ein knielanges weißes Nachthemd, das mit rosa Schmetterlingen bedruckt war.

»Jack«, kam es müde über ihre Lippen. »Ist etwas passiert?« Sie wankte ein wenig.

»Zieh dich an!«, verlangte er gehetzt. »Pack ein paar Sachen ein! Wir müssen weg!«

»Weg?«, fragte sie. Sie war noch nicht richtig da. »Wohin denn?«

Er griff nach ihren Schultern, drehte sie um und schob sie auf die Schlafzimmertür zu. »Stell keine Fragen, Thandie! Tu, was ich sage! Mach schnell!«

Sie zog das Nachthemd aus. Er hatte im Moment keine Augen für ihren makellosen nackten Körper. In jeder anderen Nacht hätte er sie leidenschaftlich in die Arme genommen, lustvoll gestreichelt, gierig geküsst und … Doch nicht in dieser. Er musste untertauchen.

Aber nicht ohne Thandie Scott. Er wollte sie auf jeden Fall bei sich haben. Heute. Morgen. Immer. Er sah ihr beim Anziehen zu. Sie war ihm zu langsam, erledigte jeden Handgriff im Zeitlupentempo.

»Schneller!«, drängte er sie. »Das muss schneller gehen, Baby.«

Sie kam allmählich »zu sich«. »Würdest du mir bitte erklären …«

»Später.«

Thandie schüttelte störrisch den Kopf. »Ich will es jetzt wissen.«

»Eddie, Craig und Nic haben mich reingelegt«, knurrte Corrington wütend. »Und nun lege ich sie rein.«

»Wie haben sie dich reingelegt?«, wollte Thandie Scott wissen.

Er erzählte es ihr. Aber sie durfte nicht aufhören, sich weiter anzuziehen und zu packen. »Es hätte kein Blut fließen sollen«, sagte er grimmig. »Das hatte ich zur Bedingung gestellt. Doch sie hatten sich hinter meinem Rücken schon längst anders entschieden. Sie dachten, es mit einem Trottel zu tun zu haben, der zu allem Ja und Amen sagt, wenn es erst mal geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen ist. Wir stellen ihn einfach vor vollendete Tatsachen. Was kann er dann noch dagegen tun? Das haben sie wahrscheinlich gesagt. Aber sie haben sich geschnitten. Und zwar gewaltig. Denn nun gehen sie leer aus. Das wird Ihnen eine Lehre sein.« Er ballte die Hände zu Fäusten. »Jack Corrington betrügt man nicht ungestraft. Selbst dann nicht, wenn man Nic Orlando heißt.«

Thandie sah ihn ängstlich an. »Was hast du vor?« Sie war in großer Sorge.

Seine Lippen wurden schmal. »Ich werde das Geschäft allein durchziehen.«

»Ohne Nic?«

Corrington nickte. »Ohne Nic.«

Thandie sah ihn entsetzt an. »Du wagst es, Nic Orlando zu bestehlen?«

Er lachte blechern. »Wie kann ich Nic etwas wegnehmen, das er noch gar nicht hat?«

»Hast du das Gas bei dir?«, fragte Thandie gepresst. Ihr Blick huschte an ihm auf und ab.

Corrington schüttelte den Kopf. »Ich habe es versteckt«, gab er zur Antwort.

»Wo?«

»Da, wo es diese hinterhältigen Bastarde ganz bestimmt nicht finden.«

Thandie sah ihn unglücklich an. »Du solltest das nicht tun, Jack.« Sie sagte es mit weinerlicher Stimme.

Er zog sie zu sich und küsste sie flüchtig. »Mach dir keine Sorgen, Baby.«

»Wer sich mit Nic Orlando anlegt …«

»Wir werden sehr bald sehr reich sein, Süße«, fiel Corrington ihr ins Wort. Er wirkte zuversichtlich und siegesgewiss, versuchte sie mit seinem Optimismus anzustecken.

Doch ihre Kummerfalten blieben. »Nics Leute werden in dieser Stadt jeden Stein umdrehen. Du kannst dich nicht vor ihnen verstecken.«

»Ich kann«, widersprach er sehr entschieden. »Ich werde es dir beweisen. Bist du fertig?«

Sie hatte ein bisschen was in eine Reisetasche geworfen. Unkonzentriert, nervös, ängstlich. »Gib Nic das Gas, Jack«, sagte sie beschwörend. Sie strich sich eine Strähne ihres blonden Haares aus der Stirn.

Jack Corringtons Gesichtsausdruck wurde hart. »Es gehört ihm nicht.«

»Dir aber auch nicht«, sagte Thandie Scott. Und sie fuhr eindringlich fort: »Wenn du dich entschuldigst … Wenn du Nic das Gas überlässt … Wenn du ihn um Verzeihung bittest, wird er dich am Leben lassen.«

Corrington zog die Mundwinkel verächtlich nach unten. »Nic kann mich am Arsch lecken. Und alle, die sich in seinem stinkenden Dunstkreis aufhalten, ebenfalls.«

Kapitel 9

Als wir das private Forschungszentrum »Grodin Labs« erreichten, wurden die ermordeten Sicherheitsleute gerade in Leichensäcke gelegt und hinausgetragen. Captain Duane Martino, der Leiter der Mordkommission, empfing uns mit ernster Miene. »Hallo, Jesse. Hallo, Milo.«

Ich nickte. »Duane.«

»Hi, Duane, wie geht's?«, sagte mein Partner.

Wir kannten den mittelgroßen »Italiener« schon sehr lange. Er war ein schlauer Fuchs mit außergewöhnlichen Ideen und einer exzellenten Spürnase. Er fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das dichte schwarze Haar. Seine Männer versuchten um uns herum Spuren zu sichern.

»Wie es aussieht, wäre es nicht nötig gewesen, die Sicherheitsmänner zu erschießen«, sagte Duane Martino. »Die Täter kamen übers Dach, kletterten durch eine Lichtluke und holten sich das Gas. Sie hätten unbemerkt abhauen können. Warum sie die Securitys getötet haben, ist mir ein Rätsel.«

»Vielleicht wollten sie absolut sicher sein, dass die Wachmänner ihnen nicht doch in die Quere kommen«, nahm Milo an.

Ich sah den Captain an. »Hast du schon mit Brian Grodin gesprochen, Duane?«

»Ja. Ganz kurz.«

»Wo ist er?«, fragte ich.

»In seinem Büro«, antwortete Duane Martino. »Sergeant Howley ist bei ihm. Grodin ist am Boden zerstört.«

»Das ist zu verstehen«, sagte Milo.

»Wie hießen die Securitys?«, erkundigte ich mich.

»Hermes Baker und Ian Stiller«, gab der Captain zur Antwort. »Beide weiß. Beide fünfundvierzig. Beide verheiratet. Stiller hatte zwei Kinder. Einen Jungen und ein Mädchen. Dreizehn und zwölf Jahre alt. Bakers Frau ist sehr krank. Sie wird wahrscheinlich sterben.«

Mein Handy läutete. Ich meldete mich.

»Wo sind Sie, Trevellian?«, fragte John Smith. Natürlich wieder mit verstellter Stimme.

Ich sagte es ihm. Warum hätte ich daraus ein Geheimnis machen sollen? Vielleicht wusste er sogar über jeden meiner Schritte Bescheid, ließ mich beobachten oder beobachtete mich selbst.

»Meine Jungs haben ganze Arbeit geleistet, nicht wahr?«, sagte er stolz.

»Warum haben sie die Wachmänner getötet?«, fragte ich frostig.

»Aus Sicherheitsgründen«, erklärte John Smith. Er ging nicht näher darauf ein. »Ich gehe davon aus, dass Sie bereits mit Ihrem Chef gesprochen haben«, sagte er statt dessen.

»Das habe ich.«

»Und? Was sagt er? Hat er eine Idee, wie er mein Geld auftreiben kann?«

»Zwanzig Millionen sind …«

»Sie müssen das so sehen«, fiel Smith mir mit erhobener Stimme ins Wort. »Wie Sie wissen, hat New York mehr als acht Millionen Einwohner. Man braucht kein Rechengenie zu sein, um festzustellen, dass auf jeden Kopf also nicht einmal ganze drei Dollar kommen. So viel muss einem das Leben unschuldiger Menschen doch wert sein. Oder sehen Sie das anders?« Er ließ mir keine Zeit, zu antworten, sondern fuhr gleich fort: »Man muss die geforderten zwanzig Millionen als Verhandlungsbasis ansehen, Agent Trevellian.«

»Heißt das, Sie wären unter Umständen bereit, Ihre Forderung herunterzuschrauben?«

»Nein, das heißt es nicht«, antwortete John Smith. »Aber wenn ich den Eindruck gewinne, dass man mich hinzuhalten versucht – damit man hinter den Kulissen Zeit hat, mir das Grodin wieder wegzunehmen -, könnte ich mir vorstellen, dass ich meine Forderung alle zwölf oder vierundzwanzig Stunden um eine Million hinaufsetze.«

*

Sie quartierten sich unter falschem Namen in ein unscheinbares Motel am Stadtrand ein. Jack Corrington schaltete den Fernsehapparat ein und platzte in einen Bericht über den Einbruch in die »Grodin Labs«. Die attraktive Reporterin – man hätte sie jederzeit als Playmate des Monats ablichten können - sagte: »Noch wissen wir wegen der von der Polizei verhängten Informationssperre nicht, was gestohlen wurde. Vielleicht erfahren wir in einer halben Stunde auf der Pressekonferenz mehr. Fakt ist, dass zwei Sicherheitsleute ihr Leben lassen mussten, und dass in diesem privaten Forschungszentrum mit hochgiftigen Substanzen gearbeitet wird.«

Thandie Scott setzte sich aufs Bett. »Jack. Jack.« Sie schüttelte ernst und besorgt den Kopf.

Er zog den Reißverschluss seiner Jacke auf. »Mach dir keine Sorgen.«

»Das tu ich aber.«

»Es wird alles gut gehen«, beruhigte er sie.

»Die Schuhe, die du dir anziehen willst, sind viel zu groß für dich.«

Er schüttelte überzeugt den Kopf. »Jeder Schuh, der Nic Orlando passt, passt auch mir.«

»Glaubst du das im Ernst?«

»Nic ist nicht so gut, wie alle meinen«, behauptete Corrington. »Er kocht auch nur mit Wasser.«

Thandie sah ihn an, als fürchtete sie um sein Leben. »Ich sage dir, du überschätzt dich. Du verfügst nicht über Nics Verbindungen. Wie willst du das Grodin zu Geld machen? Hast du dir das schon mal überlegt?«

»Denkst du, ich kenne niemand?«, erwiderte er und lächelte wissend. »Hältst du deshalb so wenig von mir, weil ich dreieinhalb Jahre im Knast verbringen musste? Ich hatte einmal Pech. Mein Gott. Davor war ich jahrelang höchst erfolgreich. Wo immer ich arbeitete, tappten die Bullen im Dunkeln. Ich bin in meiner Branche der Beste. Nic hätte nicht auf mich gewartet, wenn es nicht so wäre. Ich kann das Gas loswerden, wann immer ich möchte. Es gibt Leute, die mir das Zeug jederzeit aus den Händen reißen würden.«

»Sie werden die Finger davon lassen, wenn sie erfahren, dass es sich um Nic Orlandos Gas handelt«, sagte Thandie. »Niemand ist so verrückt, Nic in die Quere zu kommen und ihn sich zum Feind zu machen. Nur du.«

»Thandie.« Er seufzte. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass das Grodin mir gehört und nicht Nic Orlando?«

Ihre Augen weiteten sich plötzlich. Sie starrte ihn entgeistert an. »Was ist das?«

Er blickte an sich hinunter und sah, was sie meinte. In seinem Gürtel steckte der Revolver, den Huff McGlone ihm gegeben hatte.

Fast funkelnagelneu. Vernickelt. Blitzblank. Die Waffe, mit der nur einmal geschossen worden war. Von Morton Granger, dem professionellen Kaltmacher, der damit Barry Zane umgelegt hatte und inzwischen selbst nicht mehr lebte.

»Wieso bist du bewaffnet?«, fragte Thandie mit bebender Stimme.

»Wieso wundert dich das so?«, gab er zurück. »Ich war doch auch früher bewaffnet.«

Ihr Blick flackerte. »Was befürchtest du, Jack? Bitte sag mir die Wahrheit?«

Corrington zuckte mit den Achseln. »Nichts. Ich befürchte gar nichts. Ich fühle mich einfach sicherer, wenn ich bewaffnet bin.« Er lachte. »Jesus, sieh mich nicht so an, als hätte ich die Absicht, rauszugehen und jeden umzulegen, der mir begegnet.«

Thandie legte die Hände in ihren Schoß und sagte traurig: »Du willst es nicht wahrhaben, Jack, aber es war ein Fehler, Nic Orlando zu bestehlen. Ein ganz großer Fehler. Das wird sich rächen. Du wirst schon sehen.«

*

Nic Orlandos Männer suchten Jack Corrington. Eddie Gallo schloss sich ihnen an. Sie tauchten überall da auf, wo sie annahmen, hier könnte Corrington sein.

Auch bei Thandie Scott schauten sie rein, und es war für Craig Travis sehr schnell klar, dass Thandie die Wohnung in großer Eile verlassen hatte.

»Er war hier«, knurrte er grimmig. »Er hat sie überredet, mit ihm zu gehen. Vielleicht hat er sie auch gezwungen. Für mich steht jedenfalls fest, dass sie bei ihm ist. Entweder freiwillig oder unfreiwillig.«

»Wohin könnte er sie gebracht haben?«, fragte Eddie Gallo.

»Keine Ahnung«, antwortete Travis. »Wahrscheinlich in eine billige Absteige. Was Besseres kann er sich ja nicht leisten. Aber irgendwann muss er aus der Versenkung wieder hochkommen. Er braucht Geld und möchte das Grodin bestimmt so schnell wie möglich loswerden. Also werden wir mit allen reden, die ihn kennen und bei denen er sich eventuell melden könnte, und wir werden sie so sehr unter Druck setzen, dass sie nicht den Mut haben, mit ihm ins Geschäft zu kommen. Wir müssen dafür sorgen, dass er auf dem Scheiß-Gas sitzen bleibt. Vielleicht kriecht er dann bei Nic zu Kreuze.«

Craig Travis ergriff mit beiden Händen einen Stuhl und zertrümmerte damit eine gläserne Vitrine. Es ärgerte ihn, dass Thandie jetzt bei seinem Rivalen war. Er musste sich Luft machen. Zum Beispiel mit seinem Springmesser, mit dem er in die Polstermöbel stach und sie aufschlitzte, als wären sie Thandie Scott und Jack Corrington.

Nachdem er genug Schaden angerichtet und sich ausreichend ausgetobt hatte (er zerstörte die Stereoanlage, das Fernsehgerät, den DVD-Player und warf in der Küche den Kühlschrank um), verließen sie die Wohnung. Im Moment war er entschlossen, Jack Corrington zu töten, sobald sie das Grodin hatten. Und vielleicht auch Thandie Scott – wenn sie nicht sehr überzeugend um ihr bisschen Leben bettelte.

*

Brian Grodin hockte mit hängenden Schultern auf der Kante seines großen Schreibtischs. Sergeant Ted Howley war bei ihm. Es herrschte Weltuntergangsstimmung. Der begabte Forscher war zutiefst erschüttert.

Er wusste – ganz klar -, was man mit seinem gefährlichen Nervengas anstellen konnte und befürchtete allem Anschein nach das Schlimmste für die Stadt.

Es gab nicht viele Fotos von ihm. Die Öffentlichkeit kannte ihn kaum. Er war extrem medienscheu, lebte sehr zurückgezogen und ging voll und ganz in seiner Arbeit auf. Wenn man ihn beschreiben wollte, musste man erst mal zweimal hinsehen, denn er war in allen Belangen unscheinbar. Das Besondere an ihm war lediglich sein genialer Geist und sein enormes Fachwissen, das man an keiner noch so elitären Schule vermittelt bekam. Er hatte es sich selbst erarbeitet.

»Mr Grodin«, sprach ich ihn an.

Er hob den Kopf und sah mich durch einen Schleier aus Ratlosigkeit, Verständnislosigkeit und Verzweiflung an.

»Ich bin Special Agent Jesse Trevellian vom FBI.« Ich wies mich aus und deutete mit dem Kopf auf meinen Partner. »Das ist mein Kollege Milo Tucker.«

Sergeant Howley ließ uns mit dem Wissenschaftler allein.

»Es ist das erste Mal, dass hier jemand einbricht«, sagte Grodin leise. »Bisher haben sich noch nie irgendwelche kriminelle Elemente für meine Arbeit interessiert. Deshalb dachte ich auch nicht, dieses Gebäude in einen Hochsicherheitstrakt verwandeln zu müssen.«

»Können Sie sich auf Ihre Mitarbeiter verlassen?«, fragte Milo. »Können Sie ihnen vertrauen?«

»Ich denke schon, dass ich das kann«, antwortete Grodin. »Man kann natürlich in niemanden hineinsehen, aber … Wir sind hier so etwas wie eine große Familie. Wir arbeiten nicht nur zusammen. Wir haben auch privat Kontakt.«

»Wer könnte - absichtlich oder unabsichtlich - jemandem erzählt haben, woran Sie arbeiten?«, erkundigte sich Milo.

Grodin hob überfragt die Schultern. »Da kann ich Ihnen beim besten Willen keinen einzigen Namen nennen, Agent Tucker.«

»Gehörten auch die Sicherheitsmänner zur Familie?«, fragte Milo.

Grodin nickte. »Selbstverständlich.«

»Warum haben Sie die Wirkung des Sarin vertausendfacht, Mr Grodin?«, erkundigte sich Milo.

»Ich wollte wissen, ob das möglich ist«, gab der Forscher ehrlich Auskunft.

»Es gab keine Notwendigkeit dafür?«, fragte Milo.

Grodin schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Es geschah aus reiner Neugier?«, fragte mein Partner.

»Ja«, antwortete der Wissenschaftler. »Manchmal ist es ein Segen, dass Menschen wie ich so neugierig sind. Manchmal ein Fluch.«

»Der Mann, der Sie bestohlen hat, nennt sich John Smith«, sagte ich. »Er will zwanzig Millionen für Ihr Gas. Wenn er das Geld nicht bekommt, setzt er das Grodin frei.«

»O mein Gott«, stieß Brian Grodin entsetzt hervor. Er rollte bekümmert die Augen. »Hätte ich doch bloß mehr Geld in das Alarmsystem investiert.«

»Wir benötigen eine Personalliste«, sagte ich.

Brian Grodin nickte. »Können Sie haben.«

»Von der Putzfrau bis zum Chef«, sagte Milo.

»Sie bekommen sie in Kürze«, versprach Grodin. Er verschränkte die Finger und drückte die Handflächen so weit durch, bis die Finger knackten.

»Hat einer Ihrer Mitarbeiter Spielschulden?«, erkundigte sich mein Partner.

»Nein«, antwortete Grodin, ohne nachzudenken. Er schien das ganz genau zu wissen.

»Lebt jemand deutlich über seine Verhältnisse?«, forschte Milo weiter.

Grodin schüttelte den Kopf. »Auch nicht«, sagte er felsenfest überzeugt.

»Wen von Ihren Leuten könnte man erpressen?«, fragte Milo. Er schob die Hände in die Hosentaschen.

Der Wissenschaftler sah ihn und mich leidend an. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen, Gentlemen. Meine Kollegen sind meine Freunde. Wir sind alle zusammen ein bestens funktionierendes Team, reden außerhalb der ›Grodin Labs‹ mit Fremden nicht über unsere Arbeit … Das – das ist ein ungeschriebenes Gesetz, an das sich alle halten.«

»Wenn man jemandem sehr viel Geld anbieten würde«, sagte Milo, »wem würden Sie dann am ehesten zutrauen, dass er umfällt, dass er der Versuchung erliegt?«

Brian Grodin dachte sehr lange nach. Er machte es sich nicht leicht, wollte uns helfen, wollte aber auch keinen Angestellten mit einer unüberlegten Aussage in Schwierigkeiten bringen. Wir hatten dafür Verständnis. Irgendwann sprach er dann von Hermes Baker, einem der beiden getöteten Sicherheitsmänner, dessen sterbenskranke Frau nur mit einer sehr teuren Operation gerettet werden könne (wofür es allerdings keine hundertprozentige Garantie gab).

»Wenn man ihm sehr viel Geld in Aussicht gestellt hätte …« Grodin brach ab.

Er schien sich zu schämen, dass er jemandes Namen genannt hatte, und er presste seine Lippen fest zusammen, als wollte er verhindern, dass ihm noch etwas entschlüpfte.

»Hätte er zugegriffen, um die Chance wahrzunehmen, seine Frau zu retten?«, fragte ich.

Grodin sah mich nicht an. Er nickte mit gesenktem Kopf. »Ja. Ich glaube, das hätte er getan.«

*

Sobald Orlandos Männer die ersten Leute besucht hatten, mit denen Jack Corrington eventuell ins Geschäft hätte kommen können, begann es in New Yorks Unterwelt mächtig zu rumoren, und es verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Finger weg von Jack Corrington. Der Mann ist so heiß wie flüssiger Stahl. Zusätzlich setzte Nic Orlando einen Preis auf Jack Corringtons Kopf aus. Er erklärte sich bereit, demjenigen fünfzigtausend Dollar zu bezahlen, der ihm verriet, wo Corrington zurzeit steckte. Er konnte damit rechnen, dass sich so gut wie jeder so viel Geld verdienen wollte. Damit schienen Jack Corringtons Tage, die er noch zu leben hatte, gezählt zu sein.

Das merkte Corrington schon nach den ersten Anrufen. Percy Hammer, sein absoluter Favorit, ließ ihn ebenso abblitzen wie Frank Lyton, die Nummer zwei auf seiner Liste.

Ephrem Corner riet ihm, aus der Stadt zu verschwinden, solange er dies noch könne. Und erst Angus Foggarty erklärte sich bereit, ihn zu treffen.

Doch als Corrington den vereinbarten Treffpunkt erreichte, fiel ihm auf – es war reiner Zufall -, dass nicht nur Foggarty auf ihn wartete, sondern auch das gefährliche Orlando-Kleeblatt Travis, Gallo, Keeslar und Fahey. Es war eine Falle, in die er beinahe getappt wäre. Foggarty hatte mit falschen Karten gespielt. Corrington konnte gerade noch verschwinden, ehe die Situation für ihn brenzlig wurde.

Wutschnaubend kehrte er ins Motel zurück. Er hatte sich die Sache sehr viel leichter vorgestellt. Thandie Scott bearbeitete ihn sogleich von neuem.

»Ich flehe dich an, gib auf, Jack«, redete sie ihm ins Gewissen. »Nimm Vernunft an. Riskiere nicht länger Kopf und Kragen. Sag Nic, er kann das Gas haben.«

Aber das wollte er nicht. Das Grodin war ein Vermögen wert, und er wollte viel Geld haben. Er brauchte viel Geld. Für einen Neustart mit Thandie. Irgendwo. In Ruhe und Frieden. Und ohne finanzielle Sorgen.

»Du hast keinen einzigen Freund mehr da draußen, Jack«, sagte Thandie mit größter Eindringlichkeit. »Begreif das doch endlich. Wenn du nicht einlenkst und klein beigibst, bist du in Kürze tot.«

Einen Freund habe ich noch, dachte Corrington störrisch. Einen einzigen. Eric, meinen Bruder. Mit seiner Hilfe werde ich aus dieser gottverdammten Sache zum Schluss doch noch Kapital schlagen.

Corrington wollte nicht das Handtuch werfen, sah noch keinen Grund dafür. Als er ging, wollte Thandie wissen, wohin.

»Zu meinem Bruder«, antwortete er.

Sie sah ihn zornig an. »Was soll das, Jack?«

»Was meinst du?«

»Du hast keinen Bruder«, sagte Thandie.

»Doch«, widersprach er.

»Hör mal, ich weiß ganz genau …«

Er ließ sie nicht ausreden, küsste sie auf den Mund und sagte: »Ich bin bald zurück.« Dann war er weg.

Es stimmte, was Thandie gesagt hatte. Sie hatte Recht. Er hatte keinen Bruder. Jedenfalls keinen leiblichen. Eric Levant war sein Blutsbruder.

Sie hatten einander in ganz jungen Jahren – hoch und heilig - geschworen, immer füreinander da zu sein. Sollte der eine in Not geraten, würde ihm der andere unverzüglich, bedingungslos und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln helfen. Egal, wohin der Wind sie treiben würde.

Das galt noch immer. Sie sahen einander zwar nicht mehr so häufig wie früher, aber sie fühlten sich nach wie vor an ihr ehrenhaftes Versprechen gebunden.

Daran hatte sich nichts geändert. Blutsbrüder – für alle Zeiten. Mochten andere dies auch belächeln – Jack und Eric nahmen es ernst.

Eric Levant war Anwalt. Keine besondere Größe. Keiner von denen, über die Leute wie John Grisham dicke Bücher schreiben, sondern eher ein so genannter Winkeladvokat.

Ein bisschen versoffen. Ein bisschen schmierig. Unterbeschäftigt, obwohl sich seine Honorarnoten nahezu jeder leisten konnte.

Er hätte Jack Corrington vor dreieinhalb Jahren selbstverständlich unentgeltlich verteidigt, war zu der Zeit aber außer Landes gewesen.

Räuberische Beduinen hatten ihn in Marokko während einer Jeep-Safari verschleppt und erst freigelassen, als sich herausgestellt hatte, dass niemand bereit gewesen wäre, auch nur einen müden Dollar für seine Freilassung zu bezahlen.

Ihn suchte Corrington auf. Er fand ihn inmitten einer tristen Flaschenlandschaft schlafend auf dem Sofa seines unaufgeräumten Büro-Apartments.

Es war nicht ganz einfach, ihn zu wecken. Jack Corrington schaffte es erst mit einem Krug kalten Wassers. Prustend und schreiend schreckte der Anwalt hoch.

Schwer verkatert glotzte er Corrington an.

Der rümpfte die Nase und stöhnte: »Mann, du stinkst wie ein kaputtes Whiskyfass.«

»Entschuldige«, ächzte Eric Levant. »Ich hatte gestern Gäste. Wir hatten etwas zu feiern. Einen Sieg über die Justiz.« Er verzog das unrasierte Gesicht und kratzte sich am Hintern. »Wann kommt das schon mal vor?«

Corrington schickte ihn ins Bad und kochte teerschwarzen Kaffee. Nachdem Levant ihn – frisch rasiert, gekämmt und umgezogen - getrunken hatte, nahm er Corrington zum ersten Mal bewusst wahr.

»Jack …«

Corrington nickte. »Ja, Bruder. Ich bin es wirklich.«

»Seit wann bist du wieder im Umlauf?«

Corrington nannte den Tag seiner Entlassung.

»Was hast du angestellt?«, wollte Levant wissen.

»Was meinst du?«, fragte Corrington zurück.

»Nic Orlando hat fünfzig Riesen auf deinen Kopf ausgesetzt«, sagte Levant.

»Woher weißt du das?«, fragte Corrington.

»Hab ich vergessen.« Bei diesem ausgewachsenen Kater war das nicht verwunderlich. Der Anwalt holte ein Stofftaschentuch heraus und trompetete hinein.

Corrington verriet ihm nicht, was er getan hatte. Er sagte statt dessen: »Hör zu, Eric, ich brauche deine Hilfe.«

Levant nickte sofort. »Jederzeit.«

Corrington holte ein zugeklebtes cremefarbenes Kuvert aus seinem Jackett.

»Was ist das?«, fragte Levant.

»Mein Testament.«

»Du hast wegen Nic Orlando dein Testament gemacht?«, fragte der Anwalt überrascht.

»Ich muss mich absichern«, sagte Corrington. »Sollte mir etwas zustoßen, öffnest du diesen Umschlag und tust, was ich aufgeschrieben habe. Kann ich mich darauf verlassen?«

»Na hör mal.« Levant wackelte mit dem Kopf. »Was soll die Frage? Sind wir Blutsbrüder oder nicht?«

»Danke, Eric.« Corrington umarmte ihn. »Du bist der einzige Mensch auf dieser gottverdammten Welt, auf den ich jetzt noch zählen kann.« Er ließ ihn los. »Tust du mir einen Gefallen?«

»Welchen?«

»Hör auf zu saufen«, sagte Jack Corrington ernst, obwohl er wusste, dass er Unmögliches verlangte.

Eric Levant lächelte matt. »Ich arbeite daran.«

»Gut«, sagte Jack Corrington, ohne merkbare Erleichterung. »Ich möchte dich nämlich noch nicht verlieren.«

Levant legte ihm die Hand auf den Arm. »Keine Sorge. Ich bleibe dir schon noch eine Weile erhalten.« Er griff in die Brusttasche seines Jacketts und gab Corrington eine Visitenkarte. »Ich habe eine neue Telefonnummer.«

»Danke.« Corrington steckte die Karte in seine Geldbörse – zu einigen anderen.

Er blieb noch etwa zwanzig Minuten in Levants unaufgeräumtem Büro-Apartment. Dann ging er und rief von einer öffentlichen Telefonzelle aus Nic Orlando an.

»Jack«, sagte der Gangsterboss so, als wäre er überhaupt nicht überrascht, von ihm zu hören. Als hätte er mit diesem Anruf fest gerechnet. »Junge, du machst uns allen sehr viel Kummer.« Es klang zwar vorwurfsvoll, aber nicht verärgert oder gar wütend. Vorläufig.

»Du weißt, warum, Nic«, gab Jack Corrington mit belegter Stimme zurück. Er kratzte sich nervös am Kinn.

»Inzwischen scheinst du geschnallt zu haben, dass es nicht so einfach ist, das Grodin loszuwerden.«

Corrington sagte: »Du hast fünfzig Riesen auf meinen Kopf ausgesetzt.«

Orlando lachte böse. »Du bist mir sehr viel wert, wie du siehst«, bemerkte er. »Jeder wird sich das Geld verdienen wollen. Ich möchte jetzt nicht in deiner Haut stecken, Kumpel. Das kann ich dir sagen.« Seine Stimme wurde plötzlich hart. »Wo ist das Gas, Jack?«

»Da, wo du nicht rankommst.«

»Verdammte Scheiße, was willst du denn damit?«, ärgerte sich Nic Orlando. »Es ist für dich wertlos. Geht das nicht in deinen blöden Schädel rein? Niemand außer mir kann das Grodin zu Geld machen. Oder weißt du jemanden, der dir dafür zwanzig Millionen zahlt?«

»Du kannst das Gas haben, Nic.«

Kurze Pause.

Jetzt bist du platt, was?, dachte Corrington.

Orlando räusperte sich, und dann sagte er: »Endlich kommt ein vernünftiges Wort aus deinem Mund. Bring es her. Du weißt, wo ich wohne.«

»Was kriege ich dafür?«, wollte Corrington wissen. Da war auf einmal ein schmerzhaftes Ziehen in seiner Brust, und er nahm sich vor, gleich nach dem Telefonat eine Tablette zu nehmen. »Mach mal ein verlockendes Angebot«, verlangte er. »Eines, das ich nicht ablehnen kann.«

»Lass den Quatsch«, erwiderte Orlando verdrossen. »Jetzt ist keine Zeit für kindische Spielchen. Sag mir, was du willst, und ich sage dir, ob ich damit einverstanden bin.«

Jack Corrington holte tief Luft und erklärte: »Ich will die Hälfte.«

»Die Hälfte von was?«

»Die Hälfte von den zwanzig Millionen.«

»Bist du …« Corringtons Unverschämtheit verschlug Orlando den Atem. »Verdammt, hat man dir ins Hirn geschissen und vergessen umzurühren?«, schrie er. »Der Coup war meine Idee.«

»Ich habe ihn ausgeführt.«

»Nicht allein«, entgegnete Nic Orlando wütend. »Du glaubst doch nicht im Ernst, ich gebe dir zehn Millionen Dollar und teile mir mit Craig, Eddie und den andern die zweite Hälfte. Du undankbarer Hurensohn. Wenn ich dich zu fassen kriege, geht es dir so dreckig, wie du es dir nicht einmal in deinen schlimmsten Träumen vorstellen kannst. Du kannst schon mal dein Testament machen, Jack Corrington.«

»Das ist bereits geschehen«, erwiderte Corrington nüchtern. »Sollte mir etwas zustoßen, kommt ein Stein ins Rollen, den niemand aufhalten kann. Dann seid ihr alle dran. Du, deine Gorillas, Craig, Eddie, die ganze Stadt, jede verdammte Filzlaus. Ich muss mich stündlich melden. Tue ich es einmal nicht … Du kannst dir – bei deiner außergewöhnlich hohen Intelligenz - sicher in den schrecklichsten Farben ausmalen, was dann passiert. Also pfeif deine scharfen Hunde zurück und mach die Sache mit dem Kopfgeld rückgängig. Sonst kann ich für nichts garantieren.«

Age restriction:
0+
Release date on Litres:
22 December 2023
Volume:
1312 p. 4 illustrations
ISBN:
9783956179587
Publisher:
Copyright holder:
Автор
Download format:
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