Lost in transformations

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Lost in transformations

Ein phantastische Erzählung

von

Yupag Chinasky

Impressum

Yupag Chinasky

Lost in transformations

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

Copyright 2017 Yupag Chinasky

Inhaltsverzeichnis

Lost in transformations

Bondage art

Food art

Dancing art

Tattoo art

Funeral art

Epilog

Bondage art

Der Blick aus der Wohnung war phantastisch. Unter einem wolkenlosen, samtblauen Himmel funkelten unzählige Lichter soweit das Auge reichte. Die selten klare Sicht ließ die unfassbare Weite des Häusermeers nicht nur erahnen, sondern brachte auch alle Einzel­heiten plastisch zur Geltung: die zusammengedrängten Hochhäuser im Zentrum, die kleinen Wohnhäuser in den Vororten, die wenigen dunklen Flächen der um diese Zeit ausgestorbenen Parks, die zahllosen Autoscheinwerfer, die den Verlauf der breiten Straßen markierten, die Schneisen der Eisenbahnlinien mit den dahinschleichenden rötlichen Fensterbändern der Züge und sogar den entfernten Hafen mit angestrahlten Kränen, Containern, Brücken und Schiffen. Doch die Krönung des Ausblicks lag weit entfernt am südwestlichen Horizont, ein kleines, weißes Dreieck, das sich deutlich von der dunkleren Umgebung abhob. So zeigte sich von hier aus der mit Schnee bedeckte Kegel des heiligen Berges, der Sitz der Götter, der in den letzten Strahlen der Sonne, die über der Stadt bereits untergegangen war, aufleuchtete. Es war ein seltener Anblick, schon fast ein festliches Ereignis, das den Berg in erschaubare Nähe rückte, weil ihn für gewöhnlich Dunst und Wolken verbargen. Der helle, ebenmäßige Kegel in der Ferne fand sein Gegenstück ganz in der Nähe, innerhalb der Wohnung, direkt vor dem Fenster: eine hohe, bauchige Vase auf einem kleinen Podest aus Ebenholz. Das tiefschwarze Holz und die nachtdunklen, glitzernden Fenster bildeten den perfekten Kontrast zu dem kostbaren, elfenbeinfarbenen Weiß des feinen Porzellans, aus dem dieses Meisterstück geformt war. Ein Kunstwerk ohne zu­sätzliche Muster, die nur abgelenkt hätten, ohne weitere Verzierungen, die eine Steigerung der ästhetischen Wirkung nicht vermocht hätten, ein Objekt, dessen vollendete, harmonische Form dem Vorbild in der Ferne durchaus ebenbürtig war.

Der alte Mann, der auf seinem niedrigen Sofa saß, hatte weder für das Kunstwerk vor den Fenstern noch für den seltenen Ausblick in die Ferne ein Auge. Die Kunst, die ihn umgab, kannte er zu genüge und auch die Aussicht war ihm wohl vertraut. Er konnte beides jeden Tag, jeden Abend, zu jeder beliebigen Zeit genießen. Selbst die fabelhafte Klarheit und die grandiose Sicht waren für den Alten nichts wirklich Neues. An diesem Abend spielte sich das Aufregende vor den Fenstern ab, im Schein einiger weniger Punktstrahler. Doch bevor nun erzählt wird, worauf der Alte so gebannt starrte, was seine ganze Aufmerksamkeit fesselte, muss einiges zu diesem Juwel über den Wolken, zu diesem Traum in Himmelsnähe gesagt werden und natürlich auch zu dem Alten selbst, dem Besitzer und einzigen Bewohner. Der großzügige, kreisrunde Wohnraum in diesem Penthaus auf einem der höchsten Gebäude der riesigen Stadt, war sein Ort zum Leben und zum Schauen. Die Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten und sich fast nahtlos, nur durch schmale Streben getrennt, aneinander fügten, boten den einzigartigen Blick in alle vier Himmelsrichtungen., ein unbezahlbares Zimmer mit Aussicht. Der funktionale Rest der Wohnung, all das was für ein komfortables Leben notwendig ist, wie Küche, Bad, Fahrstuhl, war als kompakter Block in der Raummitte zusammengefasst. Dieser Block war zum einen das statische, tragende Element des Penthauses und zugleich dienten seine weißen Außenwände als Ausstellungsflächen für das private Museum des Besitzers. An ihnen hingen erlesene Bilder, die in Konkurrenz zu dem Ensemble aus Vase und Blick in die Ferne standen.

Die große Wohnung bot dem Alten nicht nur alles, was er zum Leben brauchte, sie war zu seinem Lebensmittelpunkt geworden und er verließ sie fast nie. Hier traf er sich mit den wenigen, ihm noch verbliebenen Freunden. Hier empfing er die seltenen Besucher, die es schafften, an der strengen Rezeption, dem Wachdienst im Erdgeschoss, vorbei zu kommen. Regelmäßig kam nur eine alte Frau, eine Hausangestellte, die putzte, aufräumte, die Mahlzeiten zubereitete und sich um das kümmerte, was im Haushalt eines alten Junggesellen anfällt. Die notwendigen Besorgungen erledigte ein Servicedienst, für alle technischen Dinge und für die anfallenden Reparaturen war die Hausverwaltung zuständig. Wenn, selten genug, geschäftliche Angelegenheiten geregelt werden mussten, die der Alte nicht selbst per Telefon, Post oder zunehmend über das Internet erledigte, kam ein älterer Anwalt. Dieser war eigentlich der einzige Vertraute, der ihm verblieben war und mit dem er dann lange redete, in Erinnerungen schwelgte und seine jetzige Situation, je nach Stimmung, beklagte oder beschönigte. Doch die meiste Zeit war der Alte allein und gab sich seinen stillen Freuden hin: essen, trinken, schauen und der Pflege seiner großen Leidenschaft.

Er war nicht anspruchsvoll, was Essen und Trinken betraf. Meistens nahm er Vorlieb mit dem, was seine Haushälterin ihm zubereitete oder was er sich selbst zubereitete. Manchmal, wenn ihm danach war oder wenn ihn sein Freund, der Anwalt, besuchte, ließ er eine aufwändige Mahlzeit aus einem feinen Restaurant kommen. Er brauchte dies zur Abwechslung des Einerleis, um durch Essen auf andere Gedanken zu kommen oder schlichtweg, um seine Gier nach Fleisch in Gesellschaft zu befriedigen. Trotz seines fortgeschrittenen Alters, war diese Gier nach Fleisch jeglicher Art immer noch sehr groß. Wenn er das drängendste Verlangen mit tellergroßen Steaks oder einem üppigen Ragout aus Innereien befriedigt hatte und reichlichen Mengen an Sake geholfen hatten, die Massen zu bewältigen, orderte er bei einer spezialisierten Agentur den Nachtisch, junges Fleisch zum Anfassen, Anschmiegen, Aufwärmen und Eindringen, während sich sein Freund, diskret zurück zog. Der war überzeugt, dass er beide Arten von Fleisch bräuchte, die eine zum Aufbau und Erhalt seiner Kräfte, die andere, um die so gewonnenen Spannungen, besser geaght die noch verbliebenen Spannungen, wieder abzureagieren, denn Spannungen und Erregungen überkamen ihn, trotz seiner fortdauernden Begierde, immer seltener und die Suche nach einer erlösenden, finalen Befriedigungen war meistens vergeblich und so blieb ihm als Nachtisch meist nur Anfassen, Anschmiegen und Aufwärmen. Die ausufernden Mahlzeiten waren selten, aber der Blick aus seiner Traumwohnung war ständig vorhanden. Ob die seltene Klarheit oder der übliche Dunst, ob die Reflexionen der Sonnenstrahlen auf den unzähligen, spiegelnden Flächen der Megapolis oder die Beugung der nächtlichen Lichter in der Fülle der Regentropfen auf den Fensterscheiben, ob die prachtvollen Sonnenauf- und -untergänge oder das gleißende Licht der Mittagssonne, all das kannte er mittlerweile zu Genüge. Er genoss diese Aussicht zwar immer noch und er erfreute sich nach wie vor an den phantastischen Blicken, aber richtig erregen konnten sie ihn nicht, genauso wenig, wie ihn der exquisite Nachtisch noch erregen konnte.

Erregung fand er auf einem anderen Gebiet. Sein wahres Vergnügen, seinen Kick, die Erfüllung in der leeren Zeit fand er ausgerechnet auf einem Gebiet, das ihn all die Jahre zuvor nicht interessiert hatte, weder in seiner Jugend noch in der Zeit, als er reichlich Geld scheffelte. Es war die Kunst, die unvermittelt in das Zentrum seines Interesses gerückt war, ja zum Mittelpunkt seines Lebens geworden war. Sie war es, die nach dem Ende seiner beruflichen Karriere, als er gezwungen war, sein Leben auf den wenigen Quadratmetern dieser Traumwohnung zu verbringen und sich auf sich selbst zu konzentrieren, seine Zeit in Anspruch nahm und sein Können neu herausforderte. Als intelligenter, zupackender Mensch, der in seinem Beruf ständig agieren und entscheiden musste, wäre er geistig verdorrt, verkümmert, ausgetrocknet, in Depressionen verfallen, wenn er sich nicht eine Ersatzbefriedigung verschafft hätte. Er entdeckte diese neue, faszinierende Welt der Kunst gewissermaßen aus reiner Langeweile, doch dann verfiel er ihr regelrecht. Am Anfang besorgte er sich Bücher, abonnierte Zeitschriften, las einschlägige Artikel, verfolgte Sendungen im Fernsehen, später durchforstete er vornehmlich das Internet und eignete sich so ein beachtliches Wissen an. Als er merkte, dass ihn diese Feld und die Beschäftigung interessierte, beschloss er das, was als Ablenkung und Hobby geplant war, zu seinem neuen Beruf zu machen, denn es blieb nicht aus, dass er auch hier die Fähigkeiten einsetzte, die er im Beruf erworben und perfektioniert hatte. Dieses neue Möglichkeit seine in langen Jahren erworbene Fähigkeiten wieder einzusetzen, war wohl auch der wahre Grund, warum er sich auf diesem neuen Gebiet so intensiv betätigte. Es war nicht nur die Kunst an sich, die ihn fesselte, nicht nur der ästhetische Genuss oder die Freude an einem perfekten Kunstwerk, sondern Kunst als Wirtschaftsfaktor, der Handel mit Kunst. Mit der Zeit gelang es ihm, in den Dschungel des Kunstmarkts einzudringen und der internationale Kunsthan­del wurde sein Spezialgebiet, weil ihn dessen kriminelle Aspekte in hohem Maße faszinierten. Das war kein Wunder, denn auf dem weiten Feld illegaler Machenschaften besaß er reichlich eigene Erfahrung. Und so war es auch nur folgerichtig, dass er das Feld der grauen Theorie bald verließ. Ausgestattet mit reichlich Kapital, um im oberen, lukrativsten Segment des Kunstmarkts einzusteigen, begann er zu kaufen, immer nur über das Internet, von Galerien, von den Künstlern oder telefonisch bei Auktionen. Er erwarb ausschließlich zeitgenössische Kunst, von der er annahm, dass sie sich auf dem Markt lukrativ weiter entwickeln würde. Er hatte für Zukunftsprognosen immer einen guten Riecher gehabt und für riskante Geschäfte immer ein gutes Händchen, Eigenschaften, die ihn schon in seinem angestammten Beruf ausgezeichnet hatten und ihn auch jetzt nicht verließen. Zu Beginn seiner Händlertätigkeit ließ er sich die erworbenen Gemälde, die Drucke oder die hochwertigen Fotografien in seine Wohnung kommen und hängte sie an die wenigen weißen Wände oder stellte die avantgardistische Skulpturen vor die raumhohen Fenster. Rasch merkte er, dass es gar nicht notwendig war, die Kunstobjekte materiell zu besitzen. Es war eher sogar eher lästig, die Transporte mit dem Risiko von Beschädigungen, die teuren Versicherungen, der Platzmangel in seiner Wohnung und die etwas ernüchternde Erfahrung, dass ihm vieles, ja fast alles, was er erwarb, gar nicht gefiel, dass er sich die teure Kunst gar nicht lange anschauen wollte, dass er immer froh war, wenn er das Zeug wieder los hatte, dass er es zu einem angemessenen, das heißt zu einem weit höheren Preis wieder verkaufte. Wie er das schaffte, war eines seiner Geheimnisse, das er vielleicht selbst gar nicht so recht kannte, aber Tatsache war, dass er fast immer, bei fast jeder Transaktion, einen guten Schnitt machte. Vielleicht war die Fähigkeit den richtigen Moment für den Verkauf abzuwarten eines dieser Geheimnisse. Um jedoch abzuwarten, brauchte man nicht die physische Präsenz der erworbenen Güter. Die Kaufurkunde, das Echtheitszertifikat, die Rechnung, eine gute Abbildung oder Reproduktion genügten vollauf. Sie genügten allemal um mit den Kunstwerken zu jonglieren, sie irgendwo, in anonymen Depots zwischenzulagern, anzudeuten, dass man etwas hatte, Köder auszulegen, zu pokern und sie zum geeigneten Zeitpunkt wieder an das Tageslicht zu holen und schließlich lukrativ zu verkaufen. Bei den Lagerungen, den verschwiegenen, sicheren Orten und den notwendigen Transporten half ihm auch wieder seine alte Firma, genauso wie beim Ausspähen potentieller Kunden, die danach lechzten illegale, schwarze Gelder in absolut legale zu verwandeln, die in reinstem, unschuldigsten Weiß strahlten. Für diese Hilfen musste er natürlich einen angemessenen Obulus entrichten, einen happigen Prozentsatz abführen, aber das war die Regel und mit Regeln kannte sich der alte Fuchs aus, wie kein Zweiter. Erstaunlich war, dass alles, was dieser Fuchs tat, von seiner Wohnung aus geschah. Er besuchte keine Auktionen, setzte seinen Fuß in kein Museum, hatte noch nie eine Galerie oder Ausstellung besucht oder gar einen Künstler in seinem Atelier. Das alles wäre ohnehin schwierig gewesen, da sein Arbeitsfeld der internationale Markt war und er weder reisen durfte noch wollte. Er hielt es aber auch nicht für nötig, die Kunstwerk, die er kaufen wollte, zuvor mit eigenen Augen zu sehen oder mit den Händen abzutasten. Er verließ sich auf die neu erworbene Erfahrung, auf das Glück, das ihm lange Jahre treu gewesen war und auf seine offensichtliche, natürliche Begabung, die man auch als Instinkt für alles Geschäftliche, vor allem für alles Illegale bezeichnen konnte. Er hatte Erfolg und verschaffte sich zugleich Befriedigung und als Beigabe verdiente er bald mehr, als nur ein ansehnliches Zubrot.

 

Doch nachdem er sich selbst bewiesen hatte, dass er als Kunsthändler diesen Erfolg hatte, verlor er an der banalen Beschäftigung des Kaufens und Verkaufens wieder das Interesse, finanziell war er auf das Zubrot ohnehin nicht angewiesen. Dafür tat sich ihm ein neues Feld auf. Der Umgang mit Kunstwerken, die andere geschaffen hatten, begann ihn bald zu langweilen. Es begann schon in der Zeit, als er sich die Werke noch kommen ließ. Er fand viele langweilig, uninteressant, protzig, nur geschaffen, um einem Massengeschmack zu genügen. Eines musste man ihm lassen, diesem alten Fuchs, Geschmack hatte er. Wenn er diese Werke tage- oder wochenlang in seinem privaten Museum zwischenlagerte und er sie täglich sah, kamen ihm oftmals bessere Ideen. Der Gedanke, selbst Kunst zu schaffen, eigene Werke herzustellen und zu verkaufen, machte sich immer mehr breit. Er kam zu dem Schluss, dass keine Kunst, keine Literatur, nichts in der Welt des Schönen und Erhabenen so gut ist, wie das, was man selbst schafft. Befriedigung erhält man nicht durch konsumieren und schon gar nicht durch handeln, sondern nur durch produzieren. Diese Gedanken hegte und pflegte er und nun stand er kurz davor, sie zum ersten Mal in die Tat umzusetzen. Natürlich war er handwerklich völlig unbegabt, hatte keinerlei Erfahrung im Herstellen eigener Kunstwerke. Er machte auch keine Anstalten, sich in Malerei, Photographie oder Kalligraphie, in das Herstellen von Tontöpfen oder das Färben von Stoffen zu versuchen. Aber er hatte außer seinem guten Geschmack auch viel Phantasie und er konnte Kunst von Kitsch unterscheiden. Er wusste, was die Leute mit Geld kaufen wollten, er wusste, was sich zum Waschen eignete und er wusste, dass er sich selbst irgendwie verwirklichen wollte, sich selbst in die Kunstszene einbringen wollte. Er hatte immer gemacht, was er wollte. Das war sein Wesenszug, das war der Grund seines Erfolgs, in der Firma, in seinem bisherigen Leben. Er war intelligent, bauernschlau, zäh, durchtrieben und absolut egoistisch. Ein Egomane und rücksichtsloser Verfechter seiner Ziele. Auch jetzt wusste er schon bald, wie er seine Vorstellungen umsetzen könnte. Ob er auch auf dem Kunstmarkt mit seinen eigenen Werken Erfolg haben würde, war ihm ziemlich egal, denn Geld hatte er reichlich, mehr als genug, mehr als ein alter, isolierter, in eine Traumwohnung verbannter Mann, je würde ausgeben können. Geld scheffeln war allenfalls ein Kriterium, ein wichtiges, wenn er darüber nachdachte, vielleicht sogar das einzige, um sich selbst und anderen zu beweisen, dass man gut und erfolgreich ist, als Künstler und als Kunstverkäufer und als Mann. Und erfolgreich wollte er sein, immer noch oder erst recht.

Dieser Mensch, dieser Autodidakt, dieser Amateur, Liebhaber im wahrsten Sinn des Wortes, nahm sich also vor, maßgeschneiderte Kunst anfertigen zu lassen und sie unter seinem Namen zu verhökern. Er hatte genügend Ideen, daran hatte es ihm nie gemangelt. Er hatte lange überlegt, auf welchem Gebiet er in die neue Ära einsteigen sollte. Er entschied sich für die Nachbearbeitung, die künstlerische Gestaltung von Photographien und deren perfekte, hochwertige Ausdrucke. Diese Art von Kunst sagte ihm am meisten zu und er war überzeugt, damit irgend wann auch finanziellen Erfolg zu haben, immer noch die Messlatte seines Tuns. Er war überzeugt, dass sich der Erfolg einstellen musste, weil seine Ideen gut waren, weil er spannende Sujets auswählen würde, ungewöhnliche Techniken einsetzen würde und alles höchst penibel, höchst professionell umsetzen würde. Wegen seiner zahlreichen Kontakte in der Kunstszene war es ihm nicht schwer gefallen, Künstler zu finden, die für ihn arbeiten würden. Er würde sie gut bezahlen. Geld ist das beste, oft auch das einzige Mittel, um seine Ziele zu erreichen. Alle waren bereit, mit ihm und für ihn zu arbeiten, obwohl er sich ausbedungen hatte, die Werke nur unter seinem Künstlernamen, einem Pseudonym, in den Handel zu bringen. Er selbst, der alte Mann, wollte anonym bleiben. Nur wenige sollten wissen, wer er wirklich war und kaum jemand würde die Ehre haben, einen Schritt in seine Traumwohnung zu setzen, dem Ort, an dem die Kunst entstehen würde, dem Ort für außergewöhnliche Ereignisse und auch dem Ort, an dem sie für einige Zeit verbleiben würde.

Nach all den langwierigen Vorbereitungen, dem Knüpfen von Kontakten, der Auswahl der Künstler und der Überzeugungsarbeit, die er dabei leisten musste, nach allen konzeptuellen Vorbereitung war es nun soweit, die ersten ungewöhnlichen Werke sollten entstehen. Und nun kann die Geschichte fortgesetzt werden, wo sie unterbrochen worden war. Das, was sich an diesem schönen, klaren Abend vor den hohen Fenstern und dem glitzernden Hintergrund der Megacity abspielte und die Aufmerksamkeit des Alten völlig gefangen nahm, war das erste von vier Ereignissen, der erste Schritt zu einem umfangreichen Quadryptichon. Es war auch für ihn, der so manches erlebt und angezettelt hatte, etwas Neues, etwas Ungewöhnliches, eine Herausforderungen. Zum Auftakt hatte er sich die Kunst des Fesselns, die bondage art, vorgenommen. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit galt in diesen Momenten einem bondage artist, einem berühmten Meister, der sein Handwerk verstand und für seine ungewöhnliche Kunst viel Geld verlangte und auch erhielt. Der kleine, glatzköpfige, fette Mann in einem dezenten, braunen Yukata, einer Art Morgenrock, war dabei, eine junge Frau kunstvoll zu verschnüren. Sie lag vor ihm auf einer Tatamimatte und er umwickelte ihren nackten Leib sorgsam mit Seilen aus Reisstroh, die er ineinander verschlang und miteinander verknotete. Er knüpfte und drapierte die dunklen Seile so gekonnt, dass sie ein kunstvolles Muster auf der rosa Haut des Mädchens bildeten, dunkle Linien und regelmäßige, helle Flächen. Diese Flächen wölbten sich, weil die Seile tief in das weiche Fleisch einschnitten. Die üppigen Brüste quetschten sich durch die Knoten. Der Bauch wurde vertikal durch ein dünnes Seil zwischen den Beinen, einem Stringtanga gleich, in zwei Hälften geteilt, die in ihrer Symmetrie den Pobacken entsprachen. Die Arme und Beine des Mädchens waren grotesk nach hinten verrenkt, der Kopf weit in den Nacken gebeugt, das lange, blonde Haar zu einem Zopf geflochten, der wie ein Tau mit den Hand- und Fußfesseln verbunden war. Die Frau sah aus wie eine Puppe, der man gewaltsam die Glieder aus den Scharnieren gerissen und verdreht hatte. In ihrem Mund steckte zudem ein roter Slip und erlaubte ihr, neben mühsamem Atmen, nur noch leises Stöhnen und Keuchen. Sie litt ganz offensichtlich an den Einschnürungen, den Verrenkungen, an der unnatürlichen Lage ihrer Gliedmaßen, dem gefesselten Zopf und dem Knebel in ihrem Rachen. Das Leid und den Schmerz konnte man in ihren Augen erkennen, aber alles was geschah, geschah im gegenseitigen Einverständnis. Das Mädchen ließ die Tortur mit sich geschehen und unterdrückte seine Pein, so gut es ging, denn das Honorar für die Qual war hoch, sehr hoch und sie hatte genau gewusst, auf was sie sich einließ. Bei der Agentur, die den Auftritt vermittelte, hatte man ihr alles genau und in allen Einzelheiten erklärt. Man hatte sich sogar besondere Mühe gegeben, damit sie, die Ausländerin, auch ja alles verstand und sie musste dies extra mit einer weiteren Unterschrift in dem Vertrag bestätigen. Sie war ausgewählt worden, weil sie alle Anforderungen erfüllte. Sie war hübsch, groß, schlank, mit ausgeprägten Kurven, einer rosigen Haut, einem angenehmen, wenn auch etwas langweiligem Gesicht, das aber, weil sie hier Exotin war, kein Problem darstellte. Sie besaß sehr lange blonde Haare und diese waren ihr wichtigstes Kapital, mit diesem Pfund verstand sie zu wuchern, Sie war ein Typ von Frau, den es in diesem Land nicht gab und die schon deswegen Aufmerksamkeit erregte und Begehrlichkeit entfachte.

Der bondage artist hatte seine Arbeit fast beendet, nun brauchte er die Hilfe der vierten Person, des Fotografen. Dieser, ein faltenreicher, älterer Mann in tadellosem, dunklem Anzug mit Krawatte und Seidenhemd, hatte jede Phase der Fesselung penibel festgehalten: aus der Ferne, aus der Nähe, doch immer distanziert und zurückhaltend, selbst wenn er nahe an das Objekt heranrückte. Der Mann fotografierte so, wie er es gelernt hatte, so wie man in der dicht besiedelten Enge dieses Landes leben und arbeiten musste, distanziert und zurückhaltend. Er unterbrach seine Arbeit und half dem Fesselungskünstler das Mädchenpaket aufzuhängen, den Bauch und das Gesicht nach unten, den Rücken mit den verrenkten Gliedmaße nach oben. Es war kein Seil, kein Strick aus Reisstroh, an dem sie hing, sondern ein Gummiband, das aus mehreren dicken Strängen geflochtenen an einem starken Haken in der Decke befestigt war. Die Arbeit des bondage artist war vorerst beendet und der Fotograf setzte seine Arbeit an dem lebenden, hängenden Kunstwerk fort. Weitere Bilder entstanden, aus jeder denkbaren Perspektive, aus jeder Richtung, en gros und en detail: den verschnürten Leib, die feuchten, verkrampften Hände, die verrenkten Füße, die straff gezerrten Haare, die direkt mit den Füssen verbunden waren, den roten Textilballen in dem grell rot geschminkten Mund, die weit aufgerissenen, angstvollen Augen, die grotesk zugespitzten Brüste mit den steil aufgerichteten Warzen zwischen den Seilen und Knoten, den blonden Flaum um die tief eingekerbte Scham, die Symmetrie von künstlich geteiltem Bauch und natürlich geteiltem Hinterteil. Nachdem er dieses Paket des Schmerzes und der Lust zu genüge in unzähligen bits und bytes festgehalten hatte, nahm der Fotograf die Speicherkarte aus der Kamera, ging zu einem Laptop, der auf einem kleinen Tischchen etwas abseits stand und übertrug die Daten. Es dauerte, bis der eine Speicher geleert und der andere gefüllt war und es dauerte noch länger, bis die Dateien im Internet nach einer Reise um die halbe Welt bei dem Empfänger ankamen, der sie schon erwartete.

 

Der digital artist, der vor seinem Computer saß und wartete, sah auf die Uhr. Es würde bald hell werden. An sich war es Zeit, schlafen zu gehen, es war aber auch die Zeit, zu der die ersten Daten aus dem fernen Osten eintreffen würden. Er war sehr neugierig und wollte die ersten Bilder noch unbedingt sichten, bevor er an diesem langen Arbeitstag Schluss machte. Er streckte die Arme seitlich aus, verschränkte sie dann hinter dem Kopf und dreht den Oberkörper hin und her. Anschließend waren ein paar Übungen zur Dehnung und Lockerung der verkrampften Finger an der Reihe. Der Computer surrte leise, eine Melodie erklang, die Dropbox wurde geöffnet, doch noch war nichts eingetroffen. Der digital aritst stand auf und griff nach der Flasche, die in Reichweite auf einem Bord über dem Computer deponiert war. Ein tiefer Schluck war die beste Medizin gegen die aufkommende Müdigkeit, eine sichere Droge, um die schwindende Konzentration wieder herzustellen, ein probates Mittel, um die Arbeit mit neuem Elan fortzusetzen. Whisky war besser als Kaffee. Er trank immer Whisky, immer direkt aus der Flasche, immer billiges Gesöff aus dem Supermarkt. Noch ein Schluck, dann schloss er die brennenden Augen, die lange auf den Monitor gestarrt hatten. Hinter ihm lag harte Arbeit, aber harte Arbeit war er gewohnt. Er war gefragt und hatte Erfolg, weil er gut war, ein Meister der Bildbearbeitung, einer, der aus dem Rohmaterial digitaler Aufnahmen, anspruchsvolle Bilder machte, einer, der mit Hilfe des Computers und der besten Software, die es gab, die finalen Kunstwerke schuf. Diese Werke waren etwas Besonderes, Synthesen aus einzelnen Fotografien, Zusammenfassungen von zeitlichen Abläufen, komplexe Kompositionen. Er stellte regelmäßig Beispiele seiner Arbeit in das Internet, auf seine Homepage, in spezielle Kunstforen. Dadurch wurde er bekannt, dadurch bekam er neue Kunden und so erhielt er auch diesen seltsamen Auftrag. Den Auftraggeber kannte er nicht, nur das Pseudonym, das in den e-mails verwendet wurde, mit denen er sich gemeldet hatte. Die Recherchen des digital artists führten ins Leere. Er sollte Bilder für ein Projekt „bondage art“ schaffen, die vergängliche Kunst der Fesselung mit ihrer eigenartigen Ästhetik in einen fassbaren Zustand, in beständige Bilder überführen. Der Auftraggeber, dessen Mails immer sehr kurz und in schlechtem Englisch abgefasst waren, erwartete Drucke von höchster Qualität und Güte und dafür war er war bereit sehr gut zu bezahlen. Um seine Seriosität zu unterstreichen, hatte er, nachdem sie sich geeinigt hatten, ihm bereits einen ansehnlichen Vorschuss überwiesen und er hatte Folgeaufträge angekündigt, wenn er mit den Arbeiten zufriedn wäre. Den digital artist erwartete gutes Geld für harte Arbeit, doch jetzt wartete er immer noch auf die ersten Bilder, die endlich eintrafen.

Dieser Auftraggeber und Mäzen hatte die Zeit der Fesselung des Mädchens fast unbeweglich auf seinem niedrigen Sofa verbracht. Nun stand er auf und ging langsam zu dem lebenden, hängenden Packwerk, umrundete es mehrmals, betrachtete es aus verschiedenen Positionen, prüfte hier einen Knoten, strich dort über ein Stück der heraus gepressten Haut, fuhr die ganze Länge der blonden Haare ab, prüfte die Festigkeit einer der aufgerichteten Brustwarzen und roch sogar an einigen delikaten Stellen. Dann strich er sich über das Kinn und nickte. Das Werk schien zu seiner Zufriedenheit geraten zu sein, er hatte nichts auszusetzen, nichts zu bemängeln und gab dem Paket zum Schluss einen sanften Stoß, so dass es leicht hin und her schwankte. Mit kurzen, knarrenden Worten bedeutete er dem Fotografen, auch diese Bewegungen festzuhalten, was dieser umgehend tat.

Aber ganz zufrieden war der Alte doch nicht. Er ging nicht zu seinem Sofa zurück, sondern verharrte und starrte auf die verschnürte Frau, die gleichmäßig, gemächlich hin und her schwang, wie der Pendel einer altertümlichen Standuhr. Kaum kam das Pendel fast zur Ruhe, gab er ihm einen neuen Stoß und verursachte neue Ausschläge, immer ein wenig heftigere als zuvor. Wenn das Mädchen dicht bei dem Alten vorbei schwebte, schaute sie ihn jedes Mal hilfesuchend an. Ganz offensichtlich hatte sie genug von diesem Spiel und wünschte sich, dass ihre Auftritt nun beendet werden sollte. Es war doch nun alles getan. Der bondage artist hatte sie nach allen Regeln der Kunst verpackt. Der Alte hatte ihren nackten, verschnürten Körper zu Genüge betrachtet und hatte sich an ihrer unkomfortablen Situation ausreichend ergötzt und sie sogar mit seinen geilen, knotigen Händen befummelt, überall, wo er wollte und der greise Fotograf hatte sie in allen möglichen und unmöglichen Stellungen abfotografiert und auch das Gefummel aufgenommen und die geilen Blicke des Alten. Das war ja alles in Ordnung, das war ja alles im Preis inbegriffen, aber jetzt hatte doch nichts mehr zu bieten, jetzt war ihr Teil doch erledigt. Doch der Alte schien dieser Meinung nicht zu sein. Sein Interesse an ihr, dem lebenden, pendelnden Paket, hatte immer noch nicht nachgelassen.

Während der Alte das Schaukeln verfolgte, wurde ihm immer klarer, dass Verpacken allein nicht ausreichte, um etwas Besonderes in die Welt zu setzen. Er hatte die bondage art als Einstieg für seine Projekte gewählt, weil die Kunst der Verpackung von Frauen in diesem Land durchaus nichts Ungewöhnliches ist. Es gibt unzählige Bilder und ein Künstler wie Araki ist mit solchen Bildern bekannt geworden. Eine gefesselte Frau, auch wenn sie hübsch und die Fesselung perfekt ist, stellt nichts Ungewöhnliches dar, diese Kunst ist längst nicht mehr aufregend. Und so langsam ergriff ein Gedanke von ihm Besitz, eine Vorstellung nistete sich in seinem Gehirn ein. Hin und her, ein Stoß, stärker hin, ein stärkerer Ausschlag her, ein weitere Stoß, ein noch stärker Rückstoß. Ja, das war es. Er würde das Kunstwerk erweitern, zu dem statischen ein dynamisches Element hinzufügen, das verschnürte Paket zu etwas Ungewöhnlichem transformieren und aus dem Üblichen etwas Unübliches machen, ja etwas geradezu Unglaubliches. Er scheuchte den Fotografen, der ihm im Weg stand, zur Seite, fasste die Frau an einem Arm und stemmte sich mit aller Kraft in die Schwingrichtung. Erst langsam und gleichmäßig, dann immer schneller und wilder versetzte er das Paket in Bewegung. Das Gummiband dehnte sich und zog sich zusammen, immer neue Stöße, immer neue Impulse, immer stärkere Ausschläge. Voller Gier und Eifer starrte der Alte auf die heftig pendelnde Frau, die inzwischen jegliches Vergnügen an dem Spiel verloren hatte und nun den Alten, ihren Peiniger, ängstlich und verzweifelt anstarrte, unfähig diesen verdammten Schwingungen Einhalt zu gebieten, unfähig um Hilfe zu schreien, unfähig sich zu wehren. Nur mit ihren Augen, ihrem immer verzweifelter werdenden Blick konnte sie um Erlösung bitten und betteln. Nach einiger Zeit ließen sich die Impulse kaum noch steigern und der Alte schien ein Einsehen zu haben. Er ließ das Pendel ausschwingen, doch das Spiel brach er immer noch nicht ab und erlöste die hängende Frau immer noch nicht aus ihrer misslichen Lage. Im Gegenteil, eine weitere, noch perfidere Idee war ihm gekommen. Er packte die Frau an beiden Oberarmen und drehte sie um die Gummiachse. Er verquirlte das Gummiband bis zum Anschlag, zerrte und wuchtete, bis es nicht weiter ging, bis die Spannung zu groß war, um ein weiteres Aufdrillen zu ermöglichen. Dann ließ er los und das Band entspannte sich. Es drehte sich in Gegenrichtung, erst langsam, dann nahm es Fahrt auf, drehte sich immer schneller und versetzte die Frau in eine heftige Rotation. Sie drehte sich immer schneller und pendelte, wegen der Unwucht, zudem hin und her und auch das immer heftiger. Drehen, pendeln, schwingen. Das Band entspannte sich und wickelte sich wieder ein Stück in Gegenrichtung auf, wechselte die Drehrichtung und so ging es ein paar Mal hin und her. Der Alte lachte hysterisch, schlug sich auf die Schenkel, tanzte auf der Stelle, gab neue Impulse und wollte sich kaum noch beruhigen. Er wies den Fotografen mehrfach herrisch an, ja alles aufzunehmen, alle Einzelheiten des menschlichen Pendels auf die Speicherkarte zu bannen. Dann wartete er, doch kaum hörten die Drehungen auf, kaum ließ das Pendeln nach, fing er erneut an, das Band aufzuwickeln und die Spannung zu erhöhen, den Gummi zu straffen, bis er die gebannte Energie nicht mehr zurück halten konnte. Dann ließ er das Bündel los und versetzte ihm zusätzlich einen heftigen Stoß, fügte der Dreh- und Schwingbewegung die torkelnde Komponente hinzu und das schreckliche Spiel begann von vorne. Die arme Frau ächzte und stöhnte, ihr Atem ging stoßweise, ihre Augen traten voller Angst aus den Höhlen, Speichel troff aus dem geknebelten Mund, Urin lief ihre Schenkel hinab. Der Alte weidete sich an den kuriosen Bewegungen des menschlichen Pendels und an der Pein der gedemütigten Kreatur und dachte nicht daran, dem grausamen Spiel ein Ende zu machen. Immer kindischer juchzte er auf, immer fanatischer drehte und drückte er, immer geiler wurde sein Blick, immer fahriger seine Hände. Wer weiß, wann er genug gehabt hätte, wann er endlich ein Einsehen oder gar Mitleid bekommen hätte oder wann ihn vielleicht die Langeweile veranlasst hätte aufzuhören, es war jedenfalls der Fotograf, der das unwürdige Geschehen beendete. Er konnte nicht weiter mitansehen, wie die junge Frau litt, hielt, als es gefahrlos möglich war, das Pendel an und stellte sich vor den Alten, um ein erneutes Antreiben zu verhindern. Gerade noch rechtzeitig konnte er den Knebel aus dem Mund der jungen Frau ziehen, bevor sie sich heftig erbrach und ihre Kotze auf die Strohmatten verteilte. Sie würgte, ächzte, röchelte, schnaufte, schrie, aber befreien konnte sie sich nicht, denn nach wie vor hing sie von der Decke, nach wie vor war sie gefesselte und nach wie vor pendelte sie weiter, wenn auch nur noch ganz sanft.