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Vampire, Wiedergänger und Untote

Auf der Spur der lebenden Toten


Wolfgang Schwerdt

Vampire, Wiedergänger und Untote

Auf der Spur der lebenden Toten


Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

978-3-940621-39-9 (Print) //

978-3-86408-047-0 (epub) //

978-3-86408-048-7 (pdf)

Lektorat: Dr. Christian Jerger

Grafisches Gesamtkonzept, Titelgestaltung, Satz und Layout:

Stefan Berndt – www.fototypo.de

© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin/2011

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Inhalt

Vorbemerkung: Die unheilige Gesellschaft

Die Entdeckung der Vampire

Das Wesen des Vampirglaubens

Archäologischer Aberglaube und die europäischen Vampirkollegen

Leben mit den Toten – Ahnen, Mumien, Schrumpfköpfe

Austausch zwischen den Welten: das Totenreich vor der Haustür

Heilige und unheilige Untote – der kleine Unterschied

Die schwarze Romantik und das lange 19. Jahrhundert

Die Untoten des 20. und 21. Jahrhunderts

Vampire, Wiedergänger und Untote – Schlussfolgerungen

Anhang

Vorbemerkung:
Die unheilige Gesellschaft

Graf Dracula, der von Bram Stoker geschaffene Romanvampir aus Transsilvanien, hat nicht nur die Vampirvorstellungen der folgenden Generationen bis heute geprägt. Stoker hat ebenfalls die jahrhundertealte Tradition des Volksglaubens von Untoten, Wiedergängern und eben Vampiren in seinem Roman sehr kreativ und phantasievoll verarbeitet. Tatsächlich hat das Phänomen des Vampirs und seiner untoten Kollegen schon vor Dracula nicht nur Stokers literarische Kollegen beschäftigt, sondern auch die abergläubische Gesellschaft des Mittelalters und der Neuzeit, die Kirche und die Wissenschaft.

Die Vorstellung vom Untoten, der seinem Grab entsteigt und die Lebenden heimsucht, speist sich aus ganz unterschiedlichen Quellen. Eine davon ist sicherlich das Phänomen der künstlichen oder natürlichen Erhaltung toter Körper, die die menschliche Kultur seit Jahrtausenden begleitet.

Ohne Vorstellungen über das Verhältnis zwischen der Welt der Toten und der Welt der Lebenden – in der Wissenschaft ein wenig unscharf als Jenseitsvorstellungen bezeichnet – ist die Figur eines Vampirs und anderer Untoter und Wiedergänger nicht denkbar. Solche Vorstellungen lassen sich archäologischkulturgeschichtlich bis in die Steinzeit zurückverfolgen und drücken sich in Begriffen wie »Ahnenkult«, »Schamanismus«, »Animismus« aus.

Seit Jahrtausenden sind die Menschen über Bestattungsriten, Tötungs- und Opferrituale bestrebt, das Problem der Einmischung der Verstorbenen in die diesseitigen Angelegenheiten in geordnete Bahnen zu lenken. Beispiele hierfür sind nicht nur die ägyptischen Mumien oder die recht häuslich anmutenden Hügelgrabbestattungen der Skythen oder Kelten, sondern auch die gründliche rituelle Hinrichtung des sogenannten Lindow-Mannes, eines mutmaßlichen keltischen Druiden, der 1984 in einem britischen Torfmoor gefunden wurde.

In vielen Kulturen waren die Toten Teil der Gemeinschaft der Lebenden, als Schädel oder Schädelmaske gar geschätzte, verehrte und körperlich anwesende Mitglieder der Gemeinschaft, mit denen man einen respektvollen Umgang pflegte.

»Andre Zeiten, andre Ahnen« möchte man in Anlehnung an die ebenfalls in diesem Verlag erschienene »Kleine Kulturgeschichte des Drachen« beinahe sagen, denn das Verhältnis zwischen den Lebenden und ihren Vorfahren erfuhr so manche gesellschaftlichkulturell bedingte Veränderung. Seit der Entwicklung hierarchisch organisierter Zivilisationen, spätestens aber seit der Verbreitung monotheistischer Religionen, geraten die ursprünglich so geschätzten Ahnen ins gesellschaftliche Abseits, werden zu Dämonen, zur Bedrohung, zu gefährlichen Untoten, bösartigen, Seuchen verbreitenden Wiedergängern und in Südosteuropa eben auch zu blutsaugenden Vampiren.

Die moderne literarische Übernahme der Untoten, die ihren Anfang in Kunstfiguren wie Carmilla, Dracula oder Nosferatu des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nahm und inzwischen ein ganzes Spektrum neuartiger Wiedergängertypen in Literatur und Film hervorgebracht hat, verliert zunehmend den Anschluss an die kulturgeschichtlichen Ursprünge. Nichtsdestoweniger ist die Entstehung der literarisch-filmischen Untotenkultur eng an die kulturellen und historischen Rahmenbedingungen ihrer jeweiligen Epoche gebunden. Dazu gehört neben den viktorianischen und aufklärerischen Strömungen oder der Orientbesessenheit des 19. Jahrhunderts das Streben nach Spiritualität und klarer Orientierung in unserer modernen Zeit des 20. und 21. Jahrhunderts.

Die Entdeckung der Vampire

1725 erreichte die Kommission für die »Neoacquistica« in Wien der Bericht über das Wüten eines Vampirs im serbischen Dorf Kisolova.1 Es hieß, in dem Dorf sei ein gewisser Peter Plogojoviz verstorben und bestattet worden. Innerhalb der folgenden acht Tage starben weitere neun Menschen nach 24-stündiger Krankheit. Auf dem Sterbebett berichteten sie, dass der verstorbene Plogojoviz im Schlaf zu ihnen gekommen sei, sich auf sie gelegt und sie gewürgt habe. Schließlich berichtete die Witwe des Verstorbenen, dass ihr toter Mann zu ihr gekommen sei und die Herausgabe seiner Schuhe verlangt habe. Angesichts des mörderischen Untoten hatte sie das Dorf verlassen und sich in einen anderen Ort begeben.

Die Bevölkerung alarmierte den Kameralprovisor, einen kaiserlichen Beamten im Gesundheitswesen des Distrikts von Gradiška, und forderte ihn auf, zusammen mit dem örtlichen Pfarrer der Exhumierung Plogojoviz ʼ beizuwohnen. Der Provisor sollte anhand eindeutiger körperlicher Merkmale des Verstorbenen bestätigen, dass Plogojoviz ein Vampir sei, und der sachgerechten Vernichtung des Untoten beiwohnen.

Wie es sich für einen habsburgischen Beamten gehörte, verwies der Provisor zunächst auf den Dienstweg. Demnach musste er den Vorfall seinen Vorgesetzten in Belgrad melden, um von dort den offiziellen Auftrag zur Untersuchung des Falles zu erhalten. Aber die Dorf bewohner hatten keine Zeit. Sie befürchteten, dass ohne sofortige Vernichtung des Vampirs das ganze Dorf zugrunde gehen würde, so wie es schon einmal unter türkischer Herrschaft geschehen war. Die Antwort an den habsburgischen Beamten war klar. Entweder er würde sofort herbeieilen und die ordnungsgemäße Vernichtung des Untoten legalisieren oder die Bevölkerung würde das Dorf verlassen. Der Provisor entschloss sich, dem Drängen der Dorfbewohner nachzugeben. Als er zusammen mit dem Pfarrer in Kisolova eintraf, hatten die Bewohner das Grab bereits geöffnet. Der Provisor berichtet:

»daß erstlich von solchem Cörper und dessen Grab nicht das mindeste sonst der Todten gemeinen Geruch verspüret; der Cörper, ausser der Nasen, welche etwas abgefallen, ganz frisch; Haar und Barth, ja auch die Nägel, wovon die alten hinweg gefallen, an ihm gewachsen; die alte Haut, welche etwas weißlicht war, hat sich hinweg geschelet, und eine neue frische darunter hervor gethan; das Gesicht, Hände und Füße, und der ganze Leib waren so beschaffen, dass sie in seinen Lebzeiten nicht hätten vollkommener seyn können; in seinem Munde habe nicht ohne Erstaunen einiges frisches Blut erblicket, welches der gemeinen Aussage nach, er von denen durch ihn umgebrachten gesogen hatte. In Summa, es waren alle indicia vorhanden, welche dergleichen Leute an sich haben sollten.« 2

Für die Dorf bewohner war der Fall ohnehin klar und so spitzten sie eiligst einen Pfahl und durchstießen damit sachgerecht den Körper des Vampirs, genau durch das Herz. Die Folge war ein Spektakel, das der Provisor folgendermaßen beschreibt: »da denn bey solcher Durchstechung nicht nur allein häuffiges Blut, so ganz frisch, auch durch Ohren und Mund geflossen, sondern noch andere wilde Zeichen (penis erectio) fürgegangen.«3 Mit der ordnungsgemäßen Einäscherung des Leichnams war die Angelegenheit für die Dorf bevölkerung erledigt.

Für die Menschen der 1718 mit dem Frieden von Passarowitz an Österreich gefallenen osmanischen Gebiete war die Existenz von Vampiren seit Jahrhunderten fester Bestandteil des Volksglaubens. Für die habsburgischen Beamten waren die mysteriösen Todesfälle, von denen immer wieder aus den Dörfern der neu erworbenen Gebiete berichtet wurde, Anlass genauerer Untersuchungen.4 Bis 1732 blieben die Vampirberichte und amtlichen Untersuchungen weitestgehend behördeninterne Verwaltungsakte. Im Dezember 1731 jedoch wurde der Militärarzt Glaser mit einer Untersuchung im serbischen Dorf Medvegya beauftragt. 13 Bewohner waren hier nach Auffassung der Einheimischen von einem »Vampyr« ermordet worden. Nach Glasers Untersuchungsbericht wurde eine zweite Untersuchung angeordnet, die der Regimentsfeldscher Johann Flückinger durchführte. Sein Bericht endet mit den Worten:

»Nach geschehener Visitation seynd denen Vampyren die Köpf durch dasige Zigeuners herunter geschlagen und sambt denen Cörpern verbrent, die Aschen davon in den Fluß Morova geworfen, die verwesene Leiber aber widrumb in ihre vorgehende Gräber gelegt worden.« 5

Während die Angelegenheit bürokratisch gesehen im November 1732 erledigt war, hatte der südosteuropäische Untote bereits seit Anfang desselben Jahres die Aufmerksamkeit der mittel- und westeuropäischen Öffentlichkeit gewonnen. Glasers Vater, ein Wiener Arzt, schickte den Bericht seines Sohnes als Korrespondent an die erste medizinische Wochenschrift in Deutschland, das Nürnberger »Commercium litterarium ad rei medicae et scientiae naturalis incrementum institutum« (1731–1745).6 Und kaum hatte das Blatt die Geschichte publiziert, fand sie auch Eingang in andere Zeitungen und erreichte damit das Interesse der gebildeten Kreise Europas. Die Berichte über die serbischen Blutsauger verursachten einen Medienhype, in dessen Rahmen offensichtlich auch die Untoten des west- und mitteleuropäischen Aberglaubens ihre Aktivitäten verstärkten. Auch in wissenschaftlichen Traktaten wurden die Vampire in einem Atemzug mit Wiedergängern anderer Regionen, mit Dämonen und Geistern genannt. Nicht erst mit Dracula, der Kunstfigur Bram Stokers, waren die Konturen des speziellen südosteuropäischen Phänomens Vampir völlig unscharf geworden. Mit den langen Eckzähnen mischten sich Elemente des Werwolfes, mit der Blutsaugerei gar antike Dämonen in das publizistische »Erbgut« des Vampirs. Zedlers Universallexikon weiß 1745 beispielsweise zu berichten:

Originalseite aus dem 1733 erschienenen Traktat »Vernünftige und Christliche Gedancken Uber die Vampirs« von Johann Christoph Harenberg.

»Vampyren, oder Blutsauger, diese haben mit den schmatzenden Todten […] grosse Verwandtschaft. […] In Polen weiß man auch von solchen Todten vieles zu erzählen, die in ihren Gräbern noch fressen, als Gespenster herum wandern, und die Leute in der Nachbarschaft umbringen sollen. […] In Schlesien, und zwar in einem Dorffe Hozeploz genannt, sollen die Menschen nach dem Todte sehr oft zu den ihrigen zurückkommen, mit ihnen essen und trincken, ja gar mit ihren hinterlassenen Weibern sich fleischlich vermischen. Wenn reisende Leute zu der Zeit, da sie aus den Gräbern herauskommen, durch das Dorf paßieren, lauffen sie ihnen nach, und hucken auf ihre Rücken.« 7

Meyers Konversationslexikon informiert den Leser Ende des 19. Jahrhunderts über die vermeintlich gesamteuropäische Vampirfamilie unter Bezugnahme auf das »Traktat von dem Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern« von 1734 folgendermaßen:

»Abarten des Vampirs sind: der Nachzehrer der Mark, der Blutsauger in Preußen und der Gierfraß in Pommern; die Wilis oder Willis, vor der Hochzeit gestorbene Bräute, die jungen Burschen erscheinen, sie zum endlosen Tanz verlocken, bis sie tot hinstürzen. Alle diese Sagen haben sich wohl aus den klassischen Gestalten der Lamien und Empusen (s. d.) entwickelt.« 8

Tatsächlich war das Interesse vor allem der Obrigkeit an naturwissenschaftlicher Aufklärung größer als die Erforschung der kulturgeschichtlichen Hintergründe des Volksglaubens. In die wissenschaftlichen, also in erster Linie medizinischen Forschungen zum Vampirphänomen fanden bis in die heutige Zeit nahezu ausschließlich die Fälle aus den Dörfern Kisolova und Medvegya Eingang. Kein Wunder, hier konnten sich die Forscher auf die gut dokumentierten umfassenden Untersuchungen stützen, zu denen sogar die Autopsien der Opfer gehörten. Ziel der Untersuchungen durch die Militärärzte war es, dem vampirischen Aberglauben in dieser Region durch wissenschaftliche Erklärungen des Phänomens die Grundlage zu entziehen. Der Grund für dieses nahezu missionarische Aufklärungsbedürfnis war vor allem politischer und wirtschaftlicher Natur.

Ähnlich wie in Kisolova hatten die Bewohner Medvegyas gedroht, aus dem Dorf abzuwandern, wenn man ihnen nicht erlaube, den für die unheimlichen Todesfälle verantwortlich gemachten Vampir nach altem Brauch zu vernichten. Mit der Abwanderung wäre jedoch die Ostgrenze zum Osmanischen Reich preisgegeben worden, denn Medvegya war ein Heiduckendorf, seine Bewohner besoldete Infanteristen mit ihren Familien, die hier zur Grenzsicherung angesiedelt waren.9 Die Tatsache, dass sich die Vampirmeldungen in der Folgezeit zu häufen begannen, dürfte auch auf ein Schreiben des Militärkommandanten von Belgrad im Jahr 1731 zurückzuführen sein. Dieses erweckte den Eindruck, dass eine Entschädigung für die Exekution von Vampiren geplant sei, in Zusammenhang mit dem Druckmittel Grenzsicherung eine echte Gelddruckmaschine.10 Als aber den Anträgen auf Entschädigung nicht stattgegeben wurde, verebbte diese Vampirepedemie, an der wohl auch die untersuchenden Militärärzte durch Manipulation ihrer Berichte beteiligt gewesen waren.

Die Häufungen der Todesfälle an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten lassen sich durchaus durch Seuchen erklären. Die sogenannte Vampirseuche, so ergeben auch moderne Analysen der alten Obduktionsberichte, ist Ergebnis der klimatischen und der Lebensbedingungen in jener Zeit. Das sumpfige Weideland in der Morava-Region, der schlechte Ernährungszustand der Bevölkerung und der extrem trockene Sommer im Jahr 1731 förderten die Ausbreitung des auf den Menschen übertragbaren Milzbrands bei den Schafen. Sowohl die Schilderungen der Krankheitssymptome als auch die bei den Obduktionen ermittelten Befunde liefern ein eindeutiges Bild. So sind gerade die blutigen Flüssigkeitsaustritte in das Gewebe typisch für die verschiedenen Formen des inneren Milzbrands. Unter anderem bei der in Medvegya zuerst verstorbenen alten Milica hatte Flückinger eine entsprechende blutige Flüssigkeitsansammlung in der Brusthöhle festgestellt – für die Dorf bewohner die Bestätigung ihres Verdachtes, dass die Alte ihre zwölf dörflichen Mitbewohner als Vampir auf dem Gewissen hatte. Und auch wissenschaftlich betrachtet sieht es so aus, als sei die Epidemie von der Milica ausgegangen.11

Schon im 18. Jahrhundert waren sich die Mediziner darüber im Klaren, dass die vermeintlichen Vampirmerkmale exhumierter Verstorbener Phänomene natürlicher Verwesungsprozesse sind. Auch der Milzbrand und andere Krankheiten waren der Wissenschaft nicht mehr fremd. Der Bevölkerung übrigens auch nicht: Milzbrandepidemien beispielsweise waren Teil des bäuerlichen Lebens der südosteuropäischen »Vampirregion«. Wie die zeitgenössischen Berichte zeigen, waren die Menschen durchaus in der Lage, den Zusammenhang der Todesfälle mit dem Verzehr von »vampyrisiertem« Schafsfleisch in Verbindung zu bringen. So manche der recht merkwürdig anmutenden Maßnahmen gegen Vampire könnte sich bei genauerer Betrachtung sogar als sinnvolle Seuchenprävention entpuppen. Die Vernichtung, vor allem die Verbrennung der »vampyrisierten« Toten als Träger der gefährlichen Milzbrandsporen, macht Sinn, wenn man weiß, dass sich diese Sporen dauerhaft im Boden erhalten können. Manche Wissenschaftler erkennen im Essen der Erde aus einem »Vampirgrab« oder dem Einschmieren mit Blut als Abwehrritual sogar eine Art Impfung.12

Der Vollständigkeit halber seien hier noch die wesentlichen anderen Krankheiten aufgelistet, mit denen das Phänomen Vampir medizinisch-wissenschaftlich erklärt werden soll:13 Tollwut, Schwindsucht, Krebs, Syphilis, Skrofulose (eine Tuberkuloseart), Rachitis oder Porphyrie, eine genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung, die unter anderem eine schmerzhafte Lichtempfindlichkeit zur Folge hat. Gerade die Porphyrie, die die Lichtempfindlichkeit und die vermeintlich charakteristische äußere Erscheinung der Vampire wissenschaftlich erklären soll, zeigt beispielhaft, wie wenig die Medizin allein geeignet ist, das Wesen des Vampirs zu erfassen. Im Volksglauben ist nämlich von schmerzhafter Lichtempfindlichkeit nichts zu finden. Zudem ist die Porphyrie als Gendefekt beziehungsweise Erbkrankheit nicht einmal geeignet, die Vampirisierung der Opfer zu erklären. Porphyrie ist naturgemäß nicht ansteckend, zur Auslösung einer Epidemie also völlig ungeeignet. Und so wird die moderne wissenschaftliche Vampirforschung am Ende oft zu einer Plausibilitätsprüfung einzelner Eigenschaften meist moderner literarischer Vampirerfindungen.

Die Vorstellung vom Vampir als Schreckgespenst abergläubischer und rückständiger Völkerschaften im hintersten Winkel des Habsburgerreiches und das geradezu zwanghafte naturwissenschaftliche Erklärungsbedürfnis hatten auch einen politisch-propagandistischen Hintergrund. Während sich in den österreichischen Publikumszeitungen keine Nachrichten über die Vampirvorkommnisse der rumänisch-serbischen Grenzgebiete fanden, wurden sie von den preußischen Medien begierig aufgenommen und verbreitet. Zeitungen waren in jener Zeit ein ausgesprochen populäres Massenmedium, das sowohl die gebildete Oberschicht als auch die Unterschicht erreichte. Mitte des 18. Jahrhunderts waren Zeitschriften und Zeitungen in Salons und Kaffeehäusern, an den Höfen und in den Bürgerstuben verfügbar. Über die Auslage in den Wirtshäusern, über Lesekreise und Gemeinschaftsabonnements gelangten sie auch zu den niederen Ständen.14 Diese Reichweite machte das Medium zu einem interessanten Propagandainstrument.

Der Vampirfall von Hermersdorf dokumentiert, wie der südosteuropäische Volksglaube zum Spielball machtpolitischer Interessen wurde. Im Februar 1755 entsandte die Habsburgerin Maria Theresia die Ärzte Johannes Gasser und Christian Wabst zur Untersuchung eines Vorfalls in das schlesische Hermersdorf. Zahlreiche Leichen waren dort – so der Bericht der Ärzte – auf dem örtlichen Friedhof ausgegraben worden, weil sich die Bewohner von Toten »beängstigt und beunruhigt« fühlten. 19 der Toten wurden als vampirisiert erkannt und verbrannt. Und selbstverständlich wurde von der Dorf bevölkerung auch die bereits zuvor verdächtigte Person als Verantwortliche für die Todesserie ausfindig gemacht, die 18 Monate zuvor verstorbene Marianna »Saligerin«, eine Hexe.15

Man könnte diesen Fall zu den Akten legen, gäbe es da nicht einige Aspekte, die ihn von den oben beschriebenen unterscheiden. Abgesehen von den üblichen medizinischen Erkenntnissen scheint der Bericht der beiden Ärzte vor allem ein Pamphlet gegen den ländlichen Aberglauben zu sein. Im Gegensatz zur gelehrten Debatte des Jahres 1732 versuchten sie ein Programm gegen den Aberglauben zu formulieren und vor allem »verurteilten die Ärzte in ihrem Bericht die für die Exhumierungen verantwortliche Allianz aus kirchlichen und weltlichen Behörden«.16 Maria Theresias Hofarzt, Gerard van Swieten, nutzte den Fall für seine Pläne zur Reformation des Gesundheitswesens und der Ärzteausbildung. Ganz im Sinne der Aufklärung hatte er sich den Kampf gegen Aberglauben und Unwissenheit, für Bildung und Wissenschaft auf die Fahnen geschrieben. Als Instrument zur Einführung der »neuen Moral« hatte der Wiener Hofarzt bereits 1751 eine Reform der Zensur durchgesetzt, damit »der Pöbel vor einer Überlastung durch neues und ungewohntes Wissen geschützt und zunächst in der Verwendung des eigenen Verstandes geschult«17 werden könne. Ganz offensichtlich gehörte der Bericht über den Fall Hermersdorf zum schädlichen Wissen, das konsequenterweise keinen Eingang in die populären Medien des Habsburgerreiches fand. Für den Preußenkönig Friedrich II. war der Fall Hermersdorf dagegen ein gefundenes Fressen. Ganz offensichtlich hatte der kräftig an seinem Image des aufgeklärten Herrschers und dem Großmachtanspruch Preußens arbeitende Konkurrent Maria Theresias entsprechende Berichte in die Berliner Zeitungen lanciert. Dass das aufgrund der Kritik am Aberglauben und an der Inkompetenz der lokalen österreichischen Institutionen und Ärzte ohnehin schon tendenziöse Traktat des habsburgischen Hofarztes in den preußischen Zeitungen journalistisch noch ein wenig aufgearbeitet wurde, versteht sich von selbst. Letztendlich war der schon längst nicht mehr dem Original des Volksglaubens entsprechende Vampir zur »politischen Figur« geworden. Der Vampir verkörperte nicht nur abergläubische Rückständigkeit, sondern symbolisiert als blutsaugendes Monstrum bis heute auch den gierigen Kapitalisten oder den tyrannischen Herrscher.

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