Protestantismus und Politik

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Protestantismus und Politik
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Wolfgang

Schäuble

Protestantismus

und Politik


Inhalt

Cover

Titel

Zitat

Einleitung

1. Um politisch erfolgreich zu sein, muss sich die Religion auf ihre eigene Grundlage besinnen

2. Reformationsgedenken muss zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme beitragen

3. Das Reformationsgedenken am Beginn des 21. Jahrhunderts muss die europäische Dimension der Reformation mit einbeziehen.

4. Das Reformationsgedenken hilft zum besseren Verständnis des Verhältnisses von Religion und Politik

Anmerkungen

Impressum

„Ein starker und

selbstbewusster

Protestantismus ist für die

deutsche Demokratie von

großer Bedeutung.“

Es ist eine reizvolle und gleichzeitig schwierige Aufgabe, als Politiker über das Reformationsjubiläum zu schreiben. Die Reformation hatte von Anfang an eine politische Dimension. Sie hat politische Entwicklungen in Deutschland und Europa jahrhundertelang und bis in die Gegenwart beeinflusst. Heute jedoch steht der deutsche Protestantismus vor großen Herausforderungen. Mit einer Erinnerung an frühere Großtaten ist es in dieser Situation nicht getan. Vielmehr muss das Reformationsjubiläum genutzt werden, um aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Ein starker und selbstbewusster Protestantismus ist für die deutsche Demokratie von großer Bedeutung. Der Politiker hat deshalb ein Interesse an der Zukunft des politischen Protestantismus, zumal dann, wenn er selbst evangelischer Christ ist.

Dass diese Zukunft momentan ungewiss ist, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen weisen innere Probleme der evangelischen Landeskirchen wie sinkende Mitgliederzahlen und eine zunehmende Überalterung auf ein Akzeptanzdefizit hin, das die traditionelle Verankerung der Kirchen in der Gesamtgesellschaft und damit ihr politisches Gewicht zunehmend in Frage stellt. Zum anderen führt die wachsende religiöse Pluralisierung der Gesellschaft dazu, dass die Rolle einzelner Religionsgemeinschaften im politischen Leben ganz neu bestimmt werden muss. Beides hängt miteinander zusammen, denn die Attraktivität der Kirchen wird sich letztlich nur stabilisieren, wenn die Menschen merken, dass die Kirchen in der Gegenwart angekommen sind und akzeptieren, dass sie nur als Teil einer pluralistischen Bürgergesellschaft politischen Einfluss nehmen können. In diesem Lern- und Anpassungsprozess stehen wir, soweit ich sehen kann, erst am Anfang. Letztlich muss der Weg von den Kirchen selbst gefunden und gegangen werden. Kein Politiker kann ihn vorschreiben, auch wenn er aus seiner Erfahrung bestimmte Hinweise geben kann.

Welche Hilfe kann in dieser Situation die Erinnerung an die Reformation leisten?

1. Um politisch erfolgreich zu sein, muss sich die Religion auf ihre eigene Grundlage besinnen

Es gibt eine enge Beziehung zwischen Religion und Politik und insbesondere zwischen dem reformatorischen Christentum und der Politik. Aber diese Beziehung kommt nur dann zu ihrem Recht, wenn beide Seiten sich in ihrer Unterschiedlichkeit und in ihrem Eigenrecht verstehen und akzeptieren. Anders gesagt: Religion ist politisch, aber sie ist nicht Politik. Politik wird von Menschen gemacht, die oft religiös sind, aber Politik ist deshalb keine Religion. Die beiden Regimente, um Luthers Sprache zu gebrauchen1, sind einander nicht fremd, aber sie sind zu unterscheiden.

Dass Religion politisch ist, kann niemand übersehen, der sich mit der Reformation beschäftigt. Luther selbst war bestens vertraut mit den Details der deutschen und europäischen Politik seiner Zeit, nicht zuletzt mit der Finanzpolitik. In seinen Schriften geht es nicht nur um die Rechtfertigung aus dem Glauben, sondern auch um gerechte und ungerechte Steuern und Abgaben, um Rechte und Pflichten der geistlichen und weltlichen Stände, um das Verhältnis der deutschen Fürsten zu Kaiser und Papst und so, wie wir heute sagen würden, um das Verhältnis von Religion und Politik.2

Die Verflechtungen der Sache der Reformation mit der großen Politik haben in den Jahren und Jahrzehnten von Luthers Wirken stetig zugenommen: Luther muss vor dem Reichstag in Worms erscheinen; er nimmt eine hochkontroverse Position im Bauernkrieg ein; militärische Koalitionen für und wider die Sache der Reformation werden geschlossen, und diese führen schließlich direkt zu den Religionskriegen, die bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts ganz Europa überziehen.

Die Politik war also nie abwesend in den Wirren des Reformationsjahrhunderts. Politiker haben für und gegen die Reformation Stellung bezogen, sich aus Gründen des persönlichen Glaubens auf die eine oder die andere Seite gestellt und sicherlich dabei auch das eigene politische Überleben und den eigenen politischen Vorteil im Auge behalten. Gleichwohl war die Reformation primär kein politisches, sondern ein religiöses Ereignis, auch wenn das Gegenteil manchmal behauptet worden ist. Als Politiker weiß man, wie schnell man betriebsblind werden kann und alle Dinge nur noch als Ausdruck von politischen Mechanismen und Machtkämpfen betrachtet. Manchen Historikern und Politikwissenschaftlern geht es wohl ähnlich. Bei allen politischen Fragen und Problemen, die für Luther selbst und in seinem Umfeld eine Rolle gespielt haben, besteht kein Zweifel daran, dass es in der Reformation zunächst einmal um Glaubensfragen ging, die dann allerdings erhebliche politische, wirtschaftliche und sonstige gesellschaftliche Auswirkungen hatten. Das ist von großer Bedeutung. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Reformation niemals hätte die Wirkung erzielen können, die sie erzielte, wäre sie nicht von einem inneren, geistlichen Kern ausgegangen.

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