Erlebnisse eines Verdammten

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Erlebnisse eines Verdammten
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Winfried Rochner

Erlebnisse eines Verdammten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der Politnicker.

Gelegentliche Ein - und Ausblicke deutscher Parlamente.

Studentische Befindlichkeiten

Wende-Fragment.

Theater

Wir ziehen um

Pisa (Studie).

Finanzergüsse

Erlebnisse eines Verdammten

Impressum neobooks

Der Politnicker.

Klein Thomas, ein munteres Kerlchen, wird von Mama gut gefüttert und im Winter warm angezogen. Mama hält Papa den Rücken frei, denn er hat keine Zeit, mit klein Thomas zu spielen. Er sorgt für Nahrung und Luxus der Dreiergruppe. Thomas seine lallend hervorgebrachte Wünsche werden prompt erfüllt.

Mit drei Jahren ist er sauber und was Papa sagt, das gilt. Zur Volksgewöhnung kommt Thomas nachmittags in den Kindergarten, lernt die ersten Schritte seiner späteren Politkarriere – andere Kinder mit Dreck bewerfen, die Milch ausschütten und dabei harmlos tun. Was die Kindergärtnerin sagt, wird ignoriert. Zu Hause aber den braven Unschuldsengel spielen und auf Papa hören. Im Kindergarten ist er bald bei den Kindern und dem Personal gefürchtet, Mama und Papa verwahren sich gegen alle Klagen des Personals, denn ihr Liebling ist daheim ein blendender Lügner (was sie nicht wissen) und Schauspieler.

Thomas entwächst den Windeln – und Strumpfhöschen und kommt zur Schule. Hier setzt sich das beliebte Kindergartenspiel auf etwas höherem Niveau fort. Er zieht kurze Hosen und lange Strümpfe an, verprügelt gelegentlich seinen Banknachbarn, hört sich manchmal die Vorträge seiner Lehrer an, die ihn aber wenig interessieren. Der Karola, einer Mitschülerin, die schlauer als er ist, wird in der Pause immer mal ein Bein gestellt, die sich dann heulend und mit blutverschmierten Knien beim Lehrer beschwert. Mit anderen „Strebern“ veranstaltet er Ähnliches, denn er weiß, Beschwerden der Lehrer bei Mama und Papa werden auf altbewährte Art, getreu seines häuslich-frommen Gesichts, in der Schule abgeschmettert.

Inzwischen trägt Thomas lange Hosen, und es ist für Papa Ehrensache, dass sein Sohn das Abitur macht. Dessen Intelligenz ist zwar mäßig und er hat auch keine Lust, aber er weiß sich durchzumogeln. Sein Rollenspiel bringt ihn an die autoritäre Spitze der Klasse. Er probiert mit dem Klassenvolk mal einen Joint, geht zum Fitnesstraining, hat aus anderen parallelen Schulklassen Rasseweiber und wird zum Klassensprecher gewählt. Besonders buntfarbige Schlüpfer liebt er und bringt es in kurzer Zeit auf eine ansehnliche Sammlung, wobei ihm die Gefühle der Trägerinnen wurscht sind – nur die Machart fasziniert ihn. Er schafft, wenn auch mühevoll, das Abitur – Mama und Papa sind hocherfreut.Thomas tritt in die an der Macht befindliche Partei ein und strampelt sich nach bewährtem Muster nach oben. Nach unten treten, nach oben buckeln, bis zu den Knöcheln im Leimtopf stehen und Plakate kleben. Er studiert Pädagogik, denn Lehrer konnte er sowieso nicht ausstehen, wobei er, gerissen wie er war, mitbekam, dass im Bundestag der Lehreranteil besonders hoch war und er sich ein stilles Plätzchen dort ausrechnete. Die Quälerei mit den Gören anderer Leute, dazu hatte er keinen Bock. Thomas studierte das Volk, hofierte seine Partei und beendete nach einigen vergeblichen Prüfungsanläufen acht Jahre später sein Studium (Papa hatte ja genug Geld.). Danach ... oh, welche Freude, seine Partei wählte ihn, Jung, dynamisch, ohne eigene Ideen, mit arrogantem Selbstbewusstsein, gepflegtem Äußeren und mit im Kampf gegen die Unbilden des Alltags gestählten Parteisoldaten, auf einen sicheren Listenplatz für die nächste Bundestagswahl. Er wurde auch prompt gewählt, das heißt nicht er, sondern sein Listenplatz.

Thomas bekam ein eigenes Büro, Mitarbeiter, Vergünstigungen und ein eigenes Gehalt. Papa nahm ihn noch in den Vorstand seines Konzerns, versorgte ihn mit dem Vorsitz einer großen Bank und anderen kleiner gutdotierten Pöstchen. Seine Fraktion schickte ihn in die Kultur- und Bildungsausschüsse, von denen er überhaupt nichts verstand, und zur Auslastung in den Wirtschaftsausschuss, wovon er noch weniger verstand. Alle zwei bis drei Monate musste er noch in seinen Wahlbezirk, um das Volk, das ihn immer weniger interessierte, bei der Wahlstange zu halten. Getreu dem kapitalistischen Grundsatz:

Wer einmal die ständige Wahlmassagezeit verpasst, der hat ein Volk gehabt. Seine Interessenlage gegenüber dem Weibervolk und damit seine Sammelleidenschaft war weiterhin auf hohem Niveau. Die Praktiken der Spielchen hatte er im Laufe der Zeit perfektioniert, was wiederum die Damen erfreute. Inzwischen trug er nur noch Designerkleidung, und da ihm das Kantinenessen im Bundestag nicht mehr anstand, unternahm er ausgedehnte Ausflüge in die umliegende Nobelgastronomie, denn er war über seinen Tagesablauf niemanden, nur seinem Gewissen, verpflichtet. Dieses Gewissen wurde im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer ruhiger. Ja, es erwachte nur bei dem Gedanken, ob die Damen sein Luxusappartement wohl immer zufrieden verließen.

Politisch war es wichtig, eine wirtschaftliche Lobby zu vertreten, und da er Vorstand und Mitglied verschiedener Aufsichtsräte war, fiel die Wahl der Entscheidungen leicht. Bei Abstimmungsfragen im Bundestag galt der Fraktionszwang, und da sein Gewissen praktisch nicht mehr existierte, genügte ein der Fraktion angepasstes Kopfnicken oder Händchen heben. Gefragt waren allerdings Aktivitäten vor einem Wahlkampf. Wer die anderen Parteien ordentlich in den Dreck zog, am besten lügen konnte und heuchlerische Versprechen machte, der war sicher, wieder seine alten Privilegien zu erhalten, der wurde vom gewählten Parteivolk in den vorbereiteten Listensessel gehoben.

Thomas wurde oft in verschiedene Ausschüsse geschoben und entwickelte im Laufe der Jahrzehnte eine gewisse Fachkompetenz und Dickfelligkeit, die ihn sogar das Wahlvolk vergessen ließ. Wehte der Wind mal von einer anderen Seite, weil das Wahlvolk es einfach satt hatte, seine Steuergelder immer den gleichen Vögeln vorzuwerfen, dann wurde einfach die Partei gewechselt. Das war aber in den seltensten Fällen nötig, denn auch unter Mithilfe von Thomas waren entsprechende Versorgungsgesetze bis zum Lebensende für die Politnicker gesichert. Ätsch – du blöder Steuerzahler.

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