Romeo & Julia

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Auf der Suche nach einer Frau

Auf dem Weg zurück in die Stadt ist Romeo still.

Er muss die ganze Zeit an das Mädchen denken.

Das Mädchen oben im Baum.

Ein solch schönes Mädchen hat er noch nie gesehen.

Aber es war kein reiches Mädchen.

Das sah Romeo an den Kleidern.

Sie trug die Kleider eines Dienstmädchens.

„Romeo, bist du taub?“, fragt ihn Mercutio.

Er gibt seinem Freund einen Schubs.

„Ich rede die ganze Zeit mit dir, aber du sagst ja gar nichts.“

„Tut mir leid“, murmelt Romeo.

„Was hast du gesagt?“

„Ob du mit auf den Ball bei den Orsinis gehst“, antwortet Mercutio.

„Man sagt, Rosalinde kommt auch.“

Mercutio weiß, dass Romeo in Rosalinde verliebt ist.

„Oh“, meint Romeo. „Sie kommt auch? Schön.

Mein Vater will sicher, dass ich hingehe.

Er ist der Ansicht, ich müsse mir eine Frau suchen.

Ich habe ihm gesagt, dass mir Rosalinde gefällt.

Aber für Rosalinde bin ich Luft.

Jetzt muss ich eine andere finden.

Sonst sucht mein Vater eine Frau für mich.“

Mercutio nickt.

Es ist die normalste Sache der Welt:

Väter suchen eine Ehefrau für ihre Söhne.

Romeo stammt aus einer reichen Familie.

Seine Frau muss auch aus einer reichen Familie kommen.

Das Mädchen im Baum könnte er niemals heiraten.

Und das weiß Romeo.

Julia

Julia rennt durch den Wald.

Mit den langen Röcken ist das nicht einfach.

Ihr ist furchtbar heiß.

Aber sie muss rechtzeitig zu Hause sein.

Darum beeilt sie sich.

Wie hat sie nur so dumm sein können!

Sie wollte so gerne einmal allein weg.

Reiche Mädchen dürfen das nicht.

Es muss immer eine Anstandsdame dabei sein.

Also dachte Julia: Ich ziehe einfach die Kleider meiner Amme an.

Dann kann ich ohne Begleitung in den Wald.

Und ich nehme einen Korb mit.

Ich tue so, als würde ich Erdbeeren suchen.

Für ein Dienstmädchen ist das nichts Ungewöhnliches.

Im Wald fühlte sich Julia wohl.

Sie beobachtete viele schöne Vögel.

Im Fluss schwamm ein Otter.

Und war das ein Fuchs, der vor ihr weglief?

Ganz sicher war sie sich nicht.

Plötzlich sah sie Mercutio.

Er stieß mit seinem Fuß kleine Steine weg.

Julia kannte ihn.

Sie hatte Angst: Wenn er mich nun erkennt?

Rasch versteckte sie sich hinter einem Baum.

Sie hoffte, Mercutio würde einfach weitergehen.

Aber Mercutio gefiel es hier, genau wie ihr.

Er zog die Schuhe aus und steckte die Füße ins Wasser.

Julia musste heimlich lachen.

Das machten doch nur kleine Kinder!

Und dann passierte etwas.

Langsam näherte sich ihr ein Wildschwein.

Das Schwein bemerkte sie nicht. Zum Glück.

Aber es kam ihr ganz nahe.

Julia wusste, dass Wildschweine gefährlich sein können.

Doch weglaufen hatte keinen Sinn.

Das Wildschwein würde ihr sofort nachrennen.

Also war sie schnell auf den Baum geklettert.

Das verkleidete Fräulein

Vorsichtig schlüpft Julia durch das Gartentor.

Keiner darf sie sehen.

Weder der Gärtner noch die Stalljungen.

Julia hat Glück.

Es ist so heiß, dass sich niemand im Garten aufhält.

Nur der Priester sieht, wie Julia durch den Garten schleicht. Verkleidet als ihre Amme.

Er muss darüber lächeln.

Leise öffnet Julia die Haustür.

Es ist eine schwere Tür mit einem eisernen Ring.

Meistens quietscht sie, aber jetzt nicht.

Das kommt sicher von der Hitze.

Julia ist erleichtert.

Sie schleicht an der Küche vorbei.

Zwei Küchenmädchen helfen dem Koch.

Sie schauen nicht auf.

Rasch geht Julia den Gang entlang.

Die breite Treppe hinauf.

Dann verschwindet sie in ihrem Zimmer.

Niemand hat sie gesehen.

Im Zimmer wartet die Amme auf sie.

„Oh Fräulein, ich machte mir solche Sorgen“, ruft die Amme.

Julia nickt. „Ich auch.“

Sie erzählt der Amme von ihrem Abenteuer im Wald.

„Schnell, reiche mir meine Kleider“, sagt Julia.

„Und hilf mir beim Ankleiden.“

Die Amme hat Julias Kleider schon bereitgelegt.

Julia ist gerade fertig, als der Gong ertönt.

Es ist das Zeichen, dass sie zum Essen kommen soll.

Sie geht die Treppe hinunter in den Speisesaal.

Das Ballkleid

Am Tisch wird nicht gesprochen.

Der Einzige, der etwas sagen darf, ist Julias Vater.

„Bei den Orsinis gibt es einen Ball“, berichtet er seiner Frau.

„Julia hat eine Einladung bekommen.

Sie soll hingehen.

Es wird Zeit, dass sie einen Mann findet.“

Julias Mutter nickt.

Ihr Mann gibt ihr ein Zeichen, dass sie sprechen darf.

„Ich werde morgen mit ihr zum Schneider gehen“, meint die Mutter.

„Julia braucht ein Ballkleid.“

„Ja, tue das“, brummt ihr Mann.

„Suche ein besonders schönes Kleid aus.

Für die schönste aller Töchter.

Sie verdient das schönste Kleid.“

Nach dem Essen wird ein Diener zum Schneider geschickt.

Er kommt mit Zeichnungen von verschiedenen Kleidern zurück.

Ein Kleid ist schöner als das andere.

Julia und ihre Mutter sind stundenlang beschäftigt.

Auf einer Zeichnung gefällt ihnen der Rock.

Auf einer anderen der Kragen.

Auf der dritten die Ärmel.

„Und morgen suchen wir einen Stoff aus“, beschließt Julias Mutter.

„Ich möchte gerne ein rotes Kleid“, meint Julia.

Doch die Mutter ist dagegen.

„Rot ist keine Farbe für ein junges Mädchen.

Weiß ist gut. Oder Hellblau.“

Julia verzieht das Gesicht.

„Das sind Farben für Kleinkinder.

Ich bin schon 16.“

Natürlich bekommt Julia kein rotes Kleid.

Julia muss tun, was ihre Mutter will.

Man näht für sie ein weißes Ballkleid.

Aber es ist wirklich wunderschön.

Julia träumt von Romeo

Julia kann nicht schlafen.

Im Zimmer ist es sehr warm.

Ihr gehen viele Gedanken durch den Kopf.

Der Ball und das Ballkleid.

Mercutio und das Wildschwein.

Dieser Junge, der unter dem Baum lag.

Und der sie so lange anschaute.

Wenn Julia an ihn denkt, schlägt ihr Herz schneller.

Er hatte nichts gesagt.

Und sie nicht verraten.

Darüber war sie froh gewesen.

Allerdings hatte er sie die ganze Zeit angestarrt.

Das war ziemlich frech. Keine guten Manieren.

Aber er hatte natürlich gedacht, sie sei ein Dienstmädchen.

So war sie schließlich gekleidet gewesen.

Komisch, dass Julia ihn nicht kennt.

Julia kennt die meisten reichen Jungen aus Verona.

Die Reichen der Stadt besuchen sich oft.

Es gibt nur eine Familie, die sie nicht gut kennt.

Das ist die Familie Montague.

Julias Familie hat Streit mit der Familie Montague.

Den Grund weiß keiner mehr.

Es ist schon so lange her.

Aber beendet wurde der Streit bis heute nicht.

Von den Montagues will niemand etwas mit den Capulets zu tun haben.

Und umgekehrt.

Auch die Dienerschaft nicht.

Wer ist der unbekannte Junge?

Julia schließt die Augen.

Dann sieht sie ihn wieder vor sich.

Das lachende Gesicht mit den schönen braunen Augen.

Denkt er vielleicht auch an mich, fragt sich Julia.

Romeo träumt von Julia

Was Julia nicht weiß: Romeo träumt auch von ihr.

Ein solch schönes Mädchen hat er noch nie gesehen.

Diese langen blonden Zöpfe.

Diese himmlisch blauen Augen.

Bei seinen Gängen durch die Stadt wird er ab jetzt gut aufpassen.

Sie wird sicher zum Einkaufen auf den Markt gehen.

Oder am Fluss Wäsche waschen.

Er möchte ihr noch einmal in die Augen schauen.

Und ihr womöglich etwas sagen.

Vielleicht: Komm heute Nacht um zwölf zur Brücke.

Das machen reiche Jungen gerne.

Sich heimlich mit Dienstmädchen treffen.

Die meisten Dienstmädchen kommen nicht.

Sie suchen sich lieber einen Stalljungen oder Bauernsohn.

Der ebenso arm ist wie sie.

Und den sie heiraten können.

Doch manchmal kommt ein Dienstmädchen.

 

Weil sie es spannend findet mit einem reichen Jungen.

Oder weil sie denkt, er gibt ihr vielleicht Geld.

Wenn das Mädchen tatsächlich zur Brücke kommt, fragt sich Romeo.

Was würde er dann machen?

Romeo ist noch nie mit einem Mädchen zusammen gewesen.

Manchmal redet er mit Mercutio darüber.

Doch Mercutio weiß auch nicht mehr als er.

Sie haben schon mal heimlich andere beim Küssen beobachtet:

Etwa einen Diener mit einer Dienerin.

Das war alles.

Erst vor der Hochzeit erfahren junge Männer etwas mehr. Viel sagt man ihnen jedoch nicht.

Ein Vater erklärt seinem Sohn, dass es Sex gibt.

Dabei redet er aber nicht von Menschen, sondern von Tieren.

Von Kühen, Schafen, Hunden.

„Sie tun alle das Gleiche“, sagt ein Vater dann.

„Schaue es dir an.

Alle Tiere können das, da kannst du es also auch.

Du wirst schon wissen, was du tun musst.“

Die Söhne folgen dem Rat der Väter.

Sie schauen, wie die Tiere es machen.

Doch davon werden sie nicht schlauer.

Und sonst gibt es niemanden, den sie um Rat fragen können.

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