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Ein Salomonisches Urtheil

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Aber ich konnte es nicht, schob Mrs. Drabble in Parenthese ein. O mein Kopf, mein Kopf!

Sie versuchten es, Ihre Gedanken zu sammeln, und konnten es nicht, fuhr der Doctor unbeirrt fort. Die Folge davon war, daß ich, als ich aus der Smallchild'schen Cabine kam, um nach Ihnen zu sehen, Sie vor der Waschkorb-Wiege fand, die Sie auf den Tisch gesetzt hatten. Mit offenem Munde und mit beiden Händen in den Haaren starrten Sie auf die darin liegenden Kinder. Als ich fragte: Es ist doch keinem der beiden Burschen etwas geschehen, Mrs. Drabble? packten Sie mich beim Kragen und flüsterten mir ins rechte Ohr die Worte: Gott steh' uns bei, Mr. Jolly, ich kann die beiden Kinder nicht mehr unterscheiden und, weiß nicht, welches das Eine und welches das Andere ist.

Und ich weiß es noch nicht! rief Mrs. Drabble, in krampfhaftes Schluchzen ausbrechend. O mein Kopf, mein Kopf! Ich weiß es noch nicht!

Capitän Gillop und Gentlemen, sagte Mr. Jolly, indem er sich rundum drehte und die Zuhörerschaft mit dem Ausdrucke rathloser Verzweiflung ansah, das ist die Klemme, in der wir uns befinden, und wenn Sie je von einer schlimmeren gehört haben, so bitte ich Sie, dieses unglückliche Weib zu beruhigen, indem Sie es sagen.

Capitän Gillop sah Mr. Purling und Mr. Sims an. Mr. Purling und Mr. Sims sahen Capitän Gillop an. Alle Drei waren wie vom Donner gerührt – und das war kein Wunder.

Können Sie denn kein Licht in die Sache bringen, Jolly? fragte der Capitän, der sich zuerst wiederfand.

Wenn Sie wüßten, was ich da unten zu leisten hatte, würden Sie keine solche Frage an mich richten, Sir, entgegnete der Doctor. Bedenken Sie, daß ich für das Leben zweier Frauen und zweier Kinder einzustehen hatte, – bedenken Sie, daß ich dabei in zwei enge Schlafcabinen eingezwängt war, die kaum Raum genug zum Umdrehen boten, und die von zwei elenden kleinen Lampen gerade genug erleuchtet wurden, daß ich die Hand vor Augen sehen konnte. Bedenken Sie bei Alledem die Schwierigkeiten, denen ich als Arzt gegenüberstand, unter meinen Füßen das rollende Schiff und obendrein Mrs. Drabble, die ich zu beruhigen hatte. Bitte, erwägen Sie alles das, und sagen Sie mir dann, wie viel überflüssige Zeit ich finden konnte, um die beiden Knaben, Zoll für Zoll, zu vergleichen. – Zwei Knaben, die beide Nachts, eine halbe Stunde nach einander, auf der See, am Bord eines Schiffes, geboren sind. Ha, ha! Ich wundere mich über nichts, als daß alle fünf, die Mütter, die Kinder und der Doctor noch am Leben sind, um die Geschichte zu erzählen!

Keine Zeichen an dem Einen oder dem Andern, das Ihnen zufällig in die Augen gefallen wäre? fragte Mr. Sims.

Das müßten schon starke Zeichen gewesen sein, die mir bei der Beleuchtung und unter den obwaltenden Umständen hätten in die Augen fallen sollen, entgegnete der Doctor. Ich sah, daß beide starke, wohlgebildete Kinder waren, – das war Alles, was ich bemerken konnte.

Sind die Gesichter der Kinder entwickelt genug, um vielleicht eine Familienähnlichkeit anzudeuten? fragte Mr. Purling. Sehen Sie ihren Vätern oder ihren Müttern ähnlich?

Beide haben helle Augen und helles Haar, entgegnete Mr. Jolly mürrisch. Ueberzeugen Sie sich selbst.

Mr. Smallchild hat helle Augen und helles Haar, bemerkte Mr. Sims.

Und Mr. Heavysides hat helle Augen und helles Haar, fügte Mr. Purling hinzu.

Ich würde rathen, Mr. Smallchild zu wecken, Mr. Heavysides herbeizuholen und sie um die Kinder Kopf oder Schrift werfen zu lassen, entgegnete Mr. Sims.

Man soll keinen herzlosen Spott mit einem so heiligen Gefühl wie die Elternliebe treiben, erwiderte Mr. Purling. Ich würde rathen, die Stimme der Natur sprechen zu lassen.

Was meinen Sie damit, Sir? fragte Capitän Gillop neugierig.

Den mütterlichen Instinct, entgegnete Mr. Purling. Das mütterliche Gefühl, welches das eigne Kind durch Intuition erkennt.

Wirklich ein glücklicher Gedanke! rief der Capitän. Was sagen Sie zu der Stimme der Natur, Mr. Jolly?

Der Doctor hob ungeduldig die Hand empor. Er war noch immer bemüht, Mrs. Drabble's Gedächtniß durch eine Art von Kreuzverhör nach seiner Art aufzurütteln, was freilich nur die Folge hatte, sie noch hoffnungsloser zu verwirren.

Konnte sie sich die Korb-Wiege in ihrer ursprünglichen Stellung ins Gedächtniß rufen? – Nein. – Konnte sie sich erinnern, ob sie das Steuerbord-Kind, mit ändern Worten, das der Heavysides, an die Seite der Wiege gelegt hatte, welche nach dem Stern des Schiffes hin stand, oder an die nach dem Bug hin? – Nein. – Oder vermochte sie sich dieses Umstandes besser in Bezug auf das Backbord-Kind, das heißt auf das der Smallchilds, zu erinnern? – Nein. – Warum setzte sie die Wiege auf den Cajütentisch und verwirrte sich dadurch, nachdem sie schon verwirrt war, immer mehr? – Weil ihr plötzlich zum Bewußtsein kam, daß sie in der Confusion des Augenblickes vergessen hatte, welches das eine und welches das andere war, und weil sie die Kinder näher in Augenschein nehmen wollte. Aber sie konnte nichts sehen – und sie würde sich das bis an ihr Lebensende nicht verzeihen – und man sollte sie nur über Bord werfen, wenn man wollte, denn sie wäre eine elende Sünderin – und so ging es fort, bis selbst die Ausdauer des Doctors völlig erschöpft war und er Mrs. Drabble und damit die ganze Sache aufgab.

Ich sehe, es bleibt uns nichts übrig, als die Stimme der Natur, sagte der Capitän, sich an Mr. Purling's Idee anklammernd. Versuchen Sie es, Jolly, – Sie können nichts thun, als es versuchen.

Irgend etwas muß freilich geschehen, sagte der Doctor. Ich kann die Frauen nicht länger allein lassen, und sobald ich hinunter komme, werden auch beide nach ihren Kindern fragen. Bleiben Sie hier, Mrs. Drabble, bis Sie im Stande sind, sich sehen zu lassen, dann folgen Sie mir. Stimme der Natur! murmelte er verächtlich, als er die Cajütentreppe hinabstieg. Ich kann es ja versuchen, und man wird sich überzeugen, was auf diese Stimme der Natur zu geben ist!

Durch die Nacht begünstigt, und unter dem Vorwande, das Licht könne den Augen der Wöchnerinnen schaden, drehte Mr. Jolly die beiden düstern Lampen der Schlafcabinen bis auf einen Schimmer ein, nahm dann das erste der beiden unglücklichen Kinder, welches ihm unter die Hände kam, bezeichnete die Windel, in die es eingewickelt war, mit einem Tintenfleck und trug es in Mrs. Smallchild's Cabine, die er nur deßhalb wählte, weil sie die nähere war. Das zweite Kind, das durch keinen Tintenfleck gezeichnet war, wurde durch Mrs. Drabble zu Mrs. Heavysides getragen. Man ließ die beiden Kinder nun eine Weile bei den beiden Müttern – dann wurden Mütter und Kinder auf ärztliche Verordnung getrennt und abermals vereinigt, nur mit dem Unterschiede, daß das gezeichnete Kind diesmal zu Mrs. Heavysides und das ungezeichnete zu Mrs. Smallchild gebracht wurde.

Das Resultat war, daß das eine Kind in der Dunkelheit der Cabine genau dieselbe Wirkung hervorbrachte, wie das andere, und daß die Stimme der Natur, wie Mr. Jolly vorausgesagt, total unfähig befunden wurde, den schwierigen Fall, vor dem man stand, zu entscheiden.

Während der Nacht geht das Alles recht gut, sagte der Doctor, nachdem er die Erfolglosigkeit des von Mr. Purling vorgeschlagenen Experimentes pflichtschuldigst rapportirt hatte. Aber wenn der Morgen kommt und das Tageslicht, so daß man die Verschiedenheit der beiden Kinder sehen kann, dann müssen wir uns zu irgend etwas entschließen. Schöpften die beiden Mütter nur den leisesten Verdacht vom Stande der Sache, so könnte die dadurch hervorgebrachte nervöse Erschütterung die schlimmsten Folgen haben. Die Frauen müssen im Interesse ihrer Gesundheit getäuscht werden, bis sie wieder wohl sind. Wir müssen bis morgen für Jede ein Kind gewählt haben und dann an der Wahl festhalten, bis sie die Wahrheit hören dürfen. Die Frage ist nur, wer die Verantwortung tragen soll. Ich meinestheils mache mir sonst aus Kleinigkeiten nichts, aber ich gestehe aufrichtig, daß ich hier meine Bedenken habe.

Und ich als völlig Fremder, möchte mich ebenfalls nicht gern einmischen, sagte Mr. Sims.

Aus ganz gleichem Grunde würde auch ich mich der Sache fern zu halten wünschen, fügte Mr. Purling hinzu, zum ersten Male während der ganzen Reise einer Meinung seines natürlichen Feindes beipflichtend.

Warten Sie eine Minute, meine Herren, sagte Capitän Gillop. Ich glaube, ich habe das Mittel gefunden, die schwierige Angelegenheit ins rechte Geleis zu bringen. Wir müßten die ganze Sache den betreffenden Ehemännern erzählen und ihnen die Verantwortlichkeit zuschieben.

Ich glaube, sie werden dieselbe nicht übernehmen, bemerkte Mr. Sims.

Und ich glaube, Sie werden sie übernehmen, entgegnete Purling in seine alte Gewohnheit des Widerspruchs zurückfallend.

Thun sie es nicht, so bin ich Herr am Bord des Schiffes und werde, so wahr ich Thomas Gillop heiße, die Verantwortung tragen, sagte der Capitän fest.

Diese muthige Erklärung beseitigte für den Augenblick alle Bedenken, und man berathschlagte nun, was zunächst zu thun sei. Endlich beschloß man, geleitet von der letzten schwachen Hoffnung: daß einige Stunden ruhigen Schlafes das aus Rand und Band gegangene Gedächtniß von Mrs. Drabble wieder herstellen könne, bis zum nächsten Morgen gar nichts vorzunehmen. In der Morgendämmerung, oder mit andern Worten, ehe Mrs. Heavysides und Mrs. Smallchild die Kinder, welche sie in der Nacht bei sich gehabt, genau zu erkennen vermöchten, sollten die Säuglinge in die Hauptcajüte zurückgebracht werden. Mr. Purling, Mr. Sims und der erste Steuermann sollten, zum Beistand des Doctors und des Capitäns, als Zeugen gegenwärtig sein, und der so constituirte Gerichtshof sollte, in Anbetracht der Dringlichkeit des Falles, Punkt 6 Uhr Morgens zusammentreten.