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Ein Salomonisches Urtheil

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Ehe Capitän Gillop im Stande war, einen neuen Plan zur Ermunterung seines schlafsüchtigen Passagiers zu machen, näherte sich Simon Heavysides dem Quarterdeck.

Ich habe vorhin ein bischen scharf mit Ihnen gesprochen, Mann, sagte der Capitän. Ich war ärgerlich über das, was am Bord des Schiffes vorgeht. Aber ich werde es wieder gut machen, haben Sie keine Sorge. Ihre Frau befindet sich hier unten in einem Zustande, den man einen – interessanten nennt, und es ist in der Ordnung, daß Sie sich in der Nähe aufhalten. Ich betrachte Sie daher als Zwischendeck-Passagier in schwieriger Lage und gebe Ihnen die Erlaubniß, hier bei uns zu bleiben, bis Alles vorüber ist.

Sie sind sehr gütig, Sir, entgegnete Simon, und ich bin Ihnen und diesen Herrn auch sehr dankbar. Aber ich bitte Sie, zu bedenken, daß ich noch sieben Kinder im Zwischendeck habe, und daß Niemand da ist, der sich um sie kümmert, als ich. Meine Frau ist schon früher sieben Mal ungewöhnlich gut durchgekommen und ich zweifele nicht, daß auch das achte Mal Alles gut geht. Dabei wird es ihr aber eine Beruhigung sein, Herr Capitän, wenn sie weiß, daß ich aus dem Wege bin und mich um die Kinder kümmere – und deßhalb möchte ich mich Ihnen gehorsamst empfehlen, meine Herren! Mit diesen Worten machte Simon seine Verbeugung und kehrte zu seiner Familie zurück.

Nun, die beiden Ehemänner nehmen die Sache jedenfalls kaltblütig genug! sagte der Capitän. Der eine ist allerdings daran gewöhnt und der andere —

Hier wurde der Sprecher durch das Zuschlagen der Cajütenthür unten und darauf folgende eilige Fußtritte unterbrochen. Alle horchten in Stille und Aufmerksamkeit.

Lassen Sie das Schiff möglichst ruhig gehen, Williams! sagte Capitän Gillop zu dem Manne am Steuerrad. Meiner Ansicht nach ist es bei der Wendung, welche die Sache jetzt nimmt, am besten, wenn das Schiff so wenig stampft, als möglich.

So wurde der Nachmittag zum Abend, der Abend zur Nacht. Mr. Smallchild erfüllte den täglichen Kreislauf seiner Existenz auf dem Wasser so pünktlich wie gewöhnlich. Er kam zum momentanen Bewußtsein der Lage, in welcher Mrs. Smallchild sich befand, während er seinen Zwieback und kalten Speck aß, verlor dies Bewußtsein wieder, als der Moment nahte, um seine Rechnung mit der See abzuschließen, fand es abermals in der Zwischenzeit, ehe er einschlief, verlor es selbstverständlich, sobald seine Augen sich geschlossen hatten, und sofort durch den Abend und den ersten Theil der Nacht.

Simon Heavysides erhielt auf Veranstaltung des Capitäns von Zeit zu Zeit Nachricht und die Aufforderung: unbesorgt zu sein. Er dagegen ließ sagen: er sei unbesorgt und die Kinder verhielten sich ruhig, aber er näherte sich dem Quarterdeck nie in eigener Person. Mr. Jolly zeigte sich dann und wann einen Augenblick, sagte: Alles in Ordnung – nichts Neues! nahm eine kleine Erfrischung und verschwand darauf heiter und freundlich wie immer.

Der günstige Wind hielt an. Des Capitäns Laune blieb vortrefflich, der Mann am Steuer hielt das Schiff voll zarter Rücksicht so viel als möglich in ruhigem Gange. Es wurde zehn Uhr, der Mond ging auf und schien mit köstlicher Klarheit: der Abend-Grog wurde auf das Quarterdeck gebracht; der Capitän M. M. schenkte den Passagieren das Vergnügen seiner Gesellschaft, und noch immer passirte nichts. Noch zwanzig Minuten der Erwartung vergingen langsam, eine nach der andern – endlich wurde Mr. Jolly auf der Cajütentreppe sichtbar.

Zum großen Erstaunen der Passagiere auf dem Quarterdeck hielt der Doctor Mrs. Drabble, die Aufwärterin, fest am Arme und setzte sie ohne von dem Capitän und den übrigen Herren die geringste Notiz zu nehmen, auf den nächsten Sitz, der ihm zur Hand war. Dabei zeigte sein vom Monde beleuchtetes Gesicht den erstaunten Zuschauern den Ausdruck der äußersten Bestürzung.

Fassen Sie sich, Mrs. Drabble, sagte der Doctor im Tone unverkennbarer Unruhe. Bleiben Sie still, und lassen Sie die Luft über sich hinwehen. Kommen Sie zu sich – ums Himmels willen, beste Frau, kommen Sie zu sich!

Mrs. Drabble gab keine Antwort. Sie schlug ihre flachen Hände auf die Knie und starrte wie unter dem Eindrucke eines panischen Schreckens vor sich hin.

Was ist denn los? fragte der Capitän, sein Glas Grog erschreckt bei Seite setzend. Ist einer der beiden unglücklichen Frauen etwas geschehen?

Nicht das Geringste, entgegnete der Doktor. Beide befinden sich ausgezeichnet.

So ist mit den Kindern etwas passirt? fuhr der Capitän fort. Sind es etwa mehr, als Sie gedacht haben, Jolly? Zwillinge vielleicht?.

Nein, nein! erwiederte Mr. Jolly ungeduldig. Jede Partei ein Kind, beides Knaben, beide wohlgebildet und gesund. Urtheilen Sie selber, fügte er hinzu, als in diesem Moment die beiden neuen Cajütenpassagiere zum ersten Male anfingen, ihre Lungen zu probieren, und sie ihrer Bestimmung und Aufgabe in der befriedigendsten Weise entsprechend fanden.

Nun was zum Teufel ist dann mit Ihnen und Mrs. Drabble? rief der Capitän, welcher bereits wieder anfing ärgerlich zu werden.

Mrs. Drabble und ich, wir sind zwei unschuldige Menschen, die sich in der schauderhaftesten Klemme befinden! lautete Mr. Jolly's seltsame Antwort.

Der Capitän sowie Purling und Sims näherten sich dem Doctor mit entsetzten Blicken. Selbst der Mann am Steuer beugte sich, soweit er konnte, nach vorn, um zu hören, was da kommen sollte. Der einzige Mensch, welcher kein Interesse verrieth, war Mr. Smallchild, denn für ihn war wieder einmal die Zeit des Schlafens gekommen, und er schnarchte friedlich, während Zwieback und Speck in erreichbarer Nähe lagen.

Erzählen Sie uns das Schlimmste ohne Umschweife, Jolly, sagte der Capitän ungeduldig.

Der Doctor beeilte sich nicht, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Seine ganze Aufmerksamkeit war vielmehr durch Mrs. Drabble in Anspruch genommen. Befinden Sie sich jetzt besser, gute Frau? fragte er besorgt.

In meinen Kopfe nicht! entgegnete Mrs. Drabble, indem sie abermals die Hände auf die Kniee fallen ließ. Eher schlimmer, als besser!

Hören Sie mich an, sagte Mr. Jolly in beschwichtigendem Tone. Ich werde Ihnen die ganze Sache nochmal in einigen einfachen Fragen vorlegen. Wenn Sie mich aufmerksam anhören, so werden Sie sich dabei Alles wieder ins Gedächtniß rufen, und dann nehmen Sie sich nur Zeit nachzudenken und sammeln Sie sich, ehe Sie antworten.

Mrs. Drabble beugte ihr Haupt in stiller Unterwerfung und lauschte. Jedermann auf Deck, mit Ausnahme Mr. Smallchild's, lauschte.

Nun also, beste Frau, Sie erinnern sich, daß die Verwirrung ihren Anfang in Mrs. Heavysides' Cabine nahm, welche auf der Steuerbordseite des Schiffes liegt?

So ist es, Sir, entgegnete Mrs. Drabble.

Gut. Wir gingen unzählige Male zwischen Mrs. Heavysides, d. h. der Steuerbord-Cabine, und Mrs. Smallchild, d. h. der Backbord-Cabine, hin und her und fanden endlich, daß Mrs. Heavysides, die einen Vorsprung gewonnen hatte, denselben auch behauptete. Als ich Ihnen zurief: Mrs. Drabble, hier ist ein derber Junge, kommen Sie und nehmen Sie ihn in Empfang! befand ich mich in der Steuerbord-Cabine, nicht wahr?

Steuerbord-Cabine, Sir, das kann ich beschwören, sagte Mrs. Drabble.

Gut, fahren wir fort. Hier ist ein derber Junge, sagte ich also, nehmen Sie ihn und legen Sie ihn in die Wiege. Und Sie nahmen ihn und legten ihn in die Wiege. Nun weiter: wo stand die Wiege?

In der Hauptcajüte, Sir, erwiderte Mrs. Drabble.

Richtig! Sie stand in der Hauptcajüte, weil wir in keiner der Schlafcabinen Raum dafür hatten. Sie legten das Steuerbord-Kind, mit andern Worten: das Kind der Heavysides, in die Wäschkorb-Wiege in der Hauptcajüte. Gut! weiter: wie stand die Wiege?

Quer durch das Schiff, Sir, sagte Mrs. Drabble.

Quer durch das Schiff; das heißt mit einer Langseite nach dem Stern und mit der andern Langseite nach dem Bug des Schiffes. Halten Sie das vorläufig fest – und nun folgen Sie mir ein wenig weiter. Nein, nein, sagen Sie nicht, daß Sie das nicht können und daß Ihnen der Kopf wirbelt. Meine nächste Frage wird Sie vollständig klar machen. Gehen wir also im Geiste um eine halbe Stunde weiter, Mrs. Drabble. Nach Ablauf einer halben Stunde hörten Sie meine Stimme wieder – ich rief: Mrs. Drabble, hier ist ein zweiter derber Junge, kommen Sie und nehmen Sie ihn in Empfang. Und Sie kamen nach der Backbord-Cabine und nahmen ihn in Empfang, nicht wahr?

Backbord-Cabine, Sir, ich bestreite es nicht, entgegnete Mrs. Drabble.

Immer besser! Ich sagte also: hier ist ein zweiter derber Junge, nehmen Sie ihn und legen Sie ihn in die Wiege neben Nummer Eins. Und Sie nahmen das Backbord-Kind, das heißt das der Smallchild's, und legten es zu dem Steuerbord-Kinde, das heißt zu dem der Heavysides' in die Wiege. – Und was geschah nun, nachdem Sie das gethan hatten?

Fragen Sie mich nicht, Sir! rief Mrs. Drabble, ihre ganze Selbstbeherrschung verlierens und verzweifelnd die Hände ringend.

Ruhig, gute Frau; ich werde Ihnen Alles so klar und deutlich darlegen, als ob Sie es gedruckt vor sich sähen. Bleiben Sie nur sitzen und hören Sie mich an. Gerade als Sie das Kind aus der Backbord -Cabine in die Wiege gelegt hatten, schickte ich Sie nach der Steuerbordseite, das heißt in Mrs. Heavysides' Cabine, um etwas zu holen, was ich in der Backbord-, das heißt in Mrs. Smallchild's Cabine brauchte. Ich behielt Sie dort eine kleine Weile bei mir, ließ Sie dann allein, ging in Mrs. Heavysides' Cabine und rief Sie dann, um mir etwas, was ich brauchte, aus der Smallchild'schen Cabine zu bringen. Aber ehe Sie noch den halben Weg durch die Hauptcajüte zurückgelegt hatten, rief ich Ihnen zu: Nein, bleiben Sie, wo Sie sind, Mrs. Drabble, ich komme zu Ihnen hinüber. Unmittelbar nachher wurden Sie durch Mrs. Smallchild alarmirt und kamen auf Ihren eigenen Antrieb zu mir herüber. Ich aber hielt Sie in der Mitte der Hauptcajüte auf und sagte: Mrs. Drabble, Sie verlieren den Kopf, setzen Sie sich nieder und sammeln Sie Ihre confusen Gedanken. Und Sie setzten sich nieder und versuchten es, sie zu sammeln —