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Das Familiengeheimnis

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Der Priester richtete mich sanft wieder auf und bat mich, mit ihm in sein Haus zu gehen. Auf unserem Weg dorthin erwähnte ich Personen und Orte, von denen ich dachte, dass mein Onkel von ihnen gesprochen haben könnte, um meinen Begleiter davon zu überzeugen, dass ich wirklich die Person war, die ich vorgab zu sein. Als wir das kleine Wohnzimmer betraten hatten und uns dort hingesetzt hatten, waren wir bereits alte Freunde.

Ich hielt es für das beste, damit anzufangen, alles zu erzählen, was ich hier über Onkel George und über sein Verschwinden von Zuhause bereits berichtet habe. Mein Gastgeber hörte mit einem sehr traurigen Gesicht zu und sagte, als ich fertig war:

»Ich kann deine Bemühung verstehen, das zu erfahren, was ich dir nun erzählen darf, aber verzeih mir, wenn ich zuerst sage, dass es Umstände in der Geschichte deines Onkels gibt, die dir Schmerzen bereiten könnten, wenn du sie hörst–« er stockte plötzlich.

»Welche mir als ein Neffe Schmerz bereiten könnten?«

»Nein«, sagte der Priester und schaute von mir weg. »als ein Sohn.«

Ich drückte dankbar meine Gefühle für die Feinfühligkeit und Liebenswürdigkeit, die die Warnung meines Begleiters veranlasst hatten, aus, aber ich bat ihn gleichzeitig, mich nicht länger auf die Folter zu spannen und mir die ganze Wahrheit zu erzählen, egal wie schmerzlich sie für mich als Zuhörer sein könnte.

»Als du mir alles, was du über das, was du das Familiengeheimnis nennst, erzähltest«, sagte der Priester, »erwähntest du den seltsamen Umstand, dass der Tod deiner Schwester und das Verschwinden deines Onkels zur gleichen Zeit stattfanden. Ahntest du jemals, was es für eine Ursache war, die den Tod deiner Schwester verursacht hatte?«

»Ich weiß nur, was mein Vater mir erzählte und was all unsere Freunde glaubten – dass sie durch einen Tumor am Hals starb oder, wie manchmal behauptet wurde, von den Auswirkungen, die der Tumor am Hals auf ihre Verfassung hatte.«

»Sie starb während einer Operation zur Entfernung des Tumors«, sagte der Priester mit leiser Stimme, »und der Operateur war Ihr Onkel George.«

In diesen wenigen Worten brach die ganze Wahrheit über mich herein.

»Trösten Sie sich mit dem Gedanken, dass das lange Martyrium seines Lebens vorbei ist«, fuhr der Priester fort, »er ruht jetzt in Frieden. Er und sein kleiner Liebling haben Verständnis füreinander und sind jetzt glücklich. Dieser Gedanke hat ihn bis zuletzt auf seinem Totenbett aufrechterhalten. Er sprach von deiner Schwester immer als seinem »kleinen Liebling«. Er glaubte fest daran, dass sie auf der anderen Seite auf ihn warten würde, um ihm zu vergeben und ihn zu trösten – und wer würde behaupten, dass er in diesem Glauben getäuscht wurde?«

Nicht ich! Sicherlich niemand, der jemals geliebt und gelitten hat!

»Aus seiner tiefen selbstaufopfernden Liebe für das Kind holte er sich den verhängnisvollen Mut, um die Operation durchzuführen«, fuhr der Priester fort, »Dein Vater schreckte natürlich davor zurück, es zu versuchen. Seine medizinischen Kollegen, die er zu Rate zog, hatten, als sie hinzugezogen wurden, Bedenken, ob es korrekt sei, irgendwelche Maßnahmen für die Entfernung des Tumors zu ergreifen, so besonders wie der Tumor lag und positioniert war. Allein dein Onkel war anderer Meinung. Er war ein zu bescheidener Mensch, um es auszusprechen, doch deine Mutter fand es heraus. Die Verunstaltung ihres schönen Kindes entsetzte sie. Sie war verzweifelt genug, sich an den schwächsten Strohhalm zu klammern, den irgendjemand ihr reichen würde, um es zu heilen, und sie überredete deinen Onkel, seine Überzeugung durch Taten nachzuweisen. Ihr Entsetzen über die Missbildung des Kindes und ihre Verzweiflung über die Aussicht, dass diese fürs ganze Leben andauern würde, schien sie völlig blind gemacht zu haben bezüglich aller natürlichen Sinne ob der Gefahr der Operation. Es ist schwer, es zu dir, ihrem Sohn, zu sagen, aber es muss nichtsdestoweniger erzählt werden: eines Tages, als dein Vater ausgegangen war, unterrichtete sie fälschlicherweise deinen Onkel davon, dass sein Bruder der Durchführung der Operation zugestimmt hatte und dass er absichtlich aus dem Haus gegangen sei, da er nicht den Nerv hatte, zu bleiben und dieser beizuwohnen. Danach zögerte dein Onkel nicht länger. Er hatte keine Angst vor den Folgen, vorausgesetzt er konnte sich auf seinen eigenen Mut verlassen. Alles, was er fürchtete, war die Wirkung, die seine Liebe zu dem Kind in ihm hervorrief, als er ihr der fürchterlichen Tatsache gegenüberstand, dass er ihre Haut mit dem Messer berühren musste.« Ich versuchte mühsam, mich zu beherrschen, aber ich konnte einen Schauder bei diesen Worten nicht unterdrücken.

»Es ist nutzlos, dich zu erschüttern, indem ich auf Einzelheiten eingehe«, sagte der Priester rücksichtsvoll, »es sollte ausreichen, wenn ich sage, dass die Kraft deines Onkels ihn verließ, als er sie am meisten brauchte. Seine Liebe zu dem Kind ließ die sichere Hand, die niemals zuvor gezittert hatte, erbeben. Kurz, die Operation misslang. Dein Vater kehrte zurück und fand sein Kind vor, wie es im Sterben lag. Der Rausch der Verzweiflung trieb ihn, als ihm die Wahrheit erzählt wurde, zu Ausschreitungen, deren Erwähnung mich erschüttert – Ausschreitungen, die damit begannen, seinen Bruder mit einem Schlag niederzustrecken und die damit endeten, sich zu schwören, dass er diesen Bruder von einem Gericht verurteilen und bestrafen lassen werde für seine tödliche Voreiligkeit. Dein Onkel war zu sehr damit beschäftigt, todunglücklich über das, was geschehen war, zu sein, um diese Gewalttätigkeiten zu spüren, wie sie andere Männer gespürt haben könnten. Er schaute für einen Augenblick zu seiner Schwägerin (ich möchte nicht sagen deine Mutter, bedenkend, was ich dir jetzt sagen werde), um zu sehen, ob sie zugeben würde, dass sie ihn ermutigt hatte, die Operation durchzuführen, und dass sie ihn getäuscht hatte, als sie sagte, er hätte die Erlaubnis seines Bruders, zu operieren. Sie war still, und wenn sie sprach, dann nur, um sich ihrem Ehemann anzuschließen und ihn als den Mörder ihres Kindes zu brandmarken. Ob nun die Angst vor dem Zorn deines Vaters oder die rachsüchtige Empörung gegen deinen Onkel sie am meisten dazu getrieben hat, kann ich mir in deiner Gegenwart nicht anmaßen zu fragen. Ich kann nur die Tatsachen darlegen.«

Der Priester machte eine Pause und schaute mich besorgt an. Ich konnte in diesem Moment nicht zu ihm sprechen – ich konnte ihn nur dazu ermutigen, fortzufahren, indem ich seine Hand drückte.

Er fuhr in folgenden Worten fort:

»Indessen wandte sich dein Onkel zu deinem Vater und sprach die letzten Worte, die er jemals an seinen ältesten Bruder auf dieser Welt richtete. Er sagte 'Ich habe das schlimmste verdient, was dein Zorn mir antun kann, aber ich werde dir die Schande ersparen, mich vor ein öffentliches Gericht zu bringen. Das Gesetz könnte, wenn es mich für schuldig befindet, mich im schlimmsten Fall aus meinem Heimatland und von meinen Freunden verbannen. Ich werde aus eigenem Antrieb gehen. Gott ist mein Zeuge, dass ich aufrichtig glaubte, ich könnte das Kind vor Missbildung und Leiden bewahren. Ich habe alles riskiert und alles verloren. Mein Herz und meine Seele sind gebrochen. Ich bin zu nichts mehr nütze ausser zu gehen und mich, meine Schande und mein Elend vor allen Augen, die jemals auf mich blickten, zu verbergen. Ich werde nie zurückkehren, niemals Mitleid oder Vergebung von dir erwarten. Wenn du von mir weniger unfreundlich denkst, wenn ich fort bin, dann halte geheim, was passiert ist und lass keine anderen Lippen über mich sagen, was die deinen und die deiner Frau über mich sagten. Ich werde diese Nachsicht als ausreichende Sühne betrachten – eine größere Sühne, als ich sie verdient habe. Vergesst mich in dieser Welt. Mögen wir uns wieder in einer anderen treffen, in der die Geheimnisse aller Herzen offenbart werden und in der das Kind, das vor uns von uns gegangen ist, Frieden zwischen uns stiften möge!' Er sagte diese Worte und ging hinaus. Dein Vater sah oder hörte von ihm nie wieder etwas.«

Ich kannte jetzt den Grund, warum mein Vater die Wahrheit nie jemandem anvertraut hatte, seine eigene Familie mit eingeschlossen. Meine Mutter hatte offensichtlich alles ihrer Schwester unter dem Siegel der Verschwiegenheit gestanden, und diese hatte die schreckliche Enthüllung für sich behalten.

»Dein Onkel erzählte mir«, fuhr der Priester fort, »dass er, bevor er England verließ, sich von dir heimlich verabschiedete an einem Ort, wo du an der Küste wohntest. Er brachte es nicht übers Herz, sein Vaterland und seine Freunde für immer zu verlassen, ohne dich das letzte Mal geküsst zu haben. Er folgte dir im Dunkeln, nahm dich in seine Arme und ließ dich wieder los, bevor du eine Chance hattest, ihn zu entdecken. Am nächsten Tag verließ er England.«