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Armadale

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Drittes Kapitel

»Der Doctor wiederholte die Auskunft der Dienerin in einem Tone, aus dem unverkennbar heftiger Aerger sprach, daß er nicht weiter als bis zur Hausthür vorgelassen werden sollte.

»Ihre Herrin ist nicht wohl genug, um Besuch empfangen zu können? Geben Sie ihr diese Karte«, sprach er, »und sagen Sie ihr, das nächste Mal, wenn ich käme, erwartete ich, sie werde wohl genug sein, mich empfangen zu können.«

Hätte mir seine Stimme nicht deutlich verrathen, daß er sich gegen Mrs. Oldershaw nicht eben freundlich gesinnt fühlte, so hätte ich bestimmt unsere alte Bekanntfchaft nicht geltend gemacht. Allein wie die Dinge lagen, fühlte ich mich getrieben, mit ihm oder mit sonst Jedem zu sprechen, der mit Mutter Jebabel ein Hühnchen zu pflücken hatte. Das war wohl mehr als meine kleine Rancune gegen sie. Jedenfalls schlüpfte ich rasch die Treppe hinunter und hinter dem Doctor aus der Thür tretend holte ich ihn bald auf der Straße ein.

Wie ich seine Stimme erkannt hatte, so erkannte ich jetzt seinen Rücken, als ich ihm nachging. Als ich ihn indeß bei seinem Namen rief und er einigermaßen betroffen sich umdrehte und vor mir stand, war ich meinerseits betroffen. Das Gesicht des Doctors war vollkommen metamorphosirt! Sein kahler Kopf stak unter einer künstlich graumelirten Perücke. Er hatte sich den Backenbart wachsen lassen und ihn gefärbt, damit er zu seiner Haartour paßte. Eine häßliche Brille mit großen runden Gläsern thronte anstatt des zierlichen Augenglases, dessen er sich sonst zu bedienen pflegte, auf seiner Nase, und ein schwarzes Halstuch, welches ein ungeheuerer Hemdkragen überragte, erschien als der unwürdige Nachfolger der geistlich weißen Cravatte von ehedem. Nichts blieb an dem Manne, wie ich ihn einst kannte, als die behagliche Beleibtheit seiner Figur und die vertrauliche Verbindlichkeit und Sanftheit seiner Stimme und Manier.

»Freue mich, Sie wiederzusehen«, sagte er, sich etwas ängstlich umsehend und seine Visitenkartentasche äußerst hastig hervorziehend. »Aber, meine liebe Miß Gwilt, erlauben Sie mir, daß ich einen kleinen Irrthum Ihrerseits berichtige. Doctor Downward von Pimlieo ist todt und begraben und Sie werden mich außerordentlich verpflichten, wenn sie ihn unter keiner Bedingung je wieder erwähnen.«

Ich nahm die Karte, die er mir darbot, und entdeckte, daß ich jetzt mit »Doctor Le Doux vom Sanatorium Fairweather-Vale in Hampstead« zu sprechen hatte, wenn ich dem neuen Namen meines alten Bekannten gerecht werden wollte.

»Sie scheinen es für nöthig erachtet zu haben«, sagte ich, »sehr Vieles zu verändern, seit ich Sie zum letzten Male gesehen habe. Ihren Namen, Ihre Wohnung, Ihre persönliche Erscheinung —«

»Und die Specialität meiner Praxis«, fiel der Doctor ein. »Ich habe von dem ursprünglichen Besitzer, einem Mann von wenig Unterenehmungsgeist und ohne Hilfsquellen, einen Namen, ein Diplom und ein zur Aufnahme von Nervenkranken bestimmtes, nur erst theilweise vollendetes Sanatorium gekauft. Wir sind bereits so weit, einigen bevorzugten Freunden einen Blick in unser Etablissement gestatten zu können; kommen Sie und besuchen Sie uns. Gehen Sie meinen Weg? Bitte, nehmen Sie meinen Arm und sagen Sie mir, welchem glücklichen Zufall ich das Vergnügen verdanke, Sie wiederzusehen?«

Ich unterrichtete ihn von den Umständen, genau wie sie stattgehabt hatten, und setzte hinzu, um mich seiner Beziehungen zu seinen früheren Verbündeten in Pimlico zu vergewissern, daß ich höchlichst erstaunt gewesen sei, vor einem so alten Bekannten, wie er es sei, Mrs. Oldershaw’s Thür verschlossen zu sehen. Vorsichtig, wie er war, that mir doch die Art und Weise, wie er meine Bemerkung aufnahm, sofort dar, daß mein Verdacht in Betreff einer Entfremdung wohlbegründet war. Sein Lächeln verschwand und ärgerlich und aufgeregt setzte er seine häßliche Brille auf seinem Nasensattel fest.

»Verzeihen Sie gefälligst, wenn ich die Beantwortung dieser Frage ganz Ihrem eigenen Scharfsinne überlasse«, sagte er. »Leider ist mir unter den obwaltenden Umständen eine Unterhaltung über Mrs. Oldershaw nichts weniger als angenehm. Eine geschäftliche Verlegenheit, die mit unserer früheren Verbindung in Pimlico im Zusammenhange sieht, ohne alles Interesse für eine elegante und geistreiche junge Dame wie Sie. Was haben Sie mir Neues zu erzählen? Haben Sie Ihre Stellung in Thorpe-Ambrose aufgegeben? Wohnen Sie jetzt in London? Kann ich in irgend einer Weise, in meinem Beruf oder sonst wie Ihnen dienen?«

Diese letzte Frage war von größerer Bedeutung für mich, als er ahnte. Bevor ich antwortete, fühlte ich die Notwendigkeit, mich von seiner Gesellschaft los zu machen und eine kleine Frist zur Ueberlegung zu gewinnen.

»Sie haben mich gütig um meinen Besuch gebeten, Doctor«, sagte ich. »Sehr wahrscheinlich, daß ich in Ihrem stillen Hause in Hampstead Ihnen etwas zu sagen habe, was ich Ihnen in der lärmenden Straße hier nicht sagen kann. Wann treffe ich Sie in Ihrem Sanatorium? Vielleicht zu einer späteren Stunde noch heute?«

Der Doctor versicherte mir, er sei eben auf dem Nachhausewege begriffen, und bat mich, selbst die Stunde meines Besuchs zu bestimmen. »Nachmittags«, sagte ich, und eine anderweitige Verabredung vorschützend, rief ich den ersten der vorüberfahrenden Omnibusse an. »Vergessen Sie die Adresse nicht«, sprach der Doctor, während er mir in den Wagen half. »Ich habe ja Ihre Karte«, antwortete ich, und so schieden wir.

Ich begab mich nach dem Hotel zurück und in mein Zimmer, wo ich mich sehr ernstem Nachdenken überließ.

So unverrückt wie zuvor stand mir das ernste Hinderniß der Unterschrift im Trauungsregister noch immer im Wege. Alle Hoffnung, bei Mrs. Oldershaw Hilfe zu finden, war dahin. Fortan konnte ich sie nur als eine im Verborgenen lauernde Feindin betrachten, die Feindin, die, wie ich jetzt nicht mehr zweifeln konnte, mich verfolgt und belauert hatte, als ich das letzte Mal in London war. Wohin konnte ich mich sonst um den Rath wenden, den mich meine unselige Geschichts- und Gesetzunkenntniß bei Erfahreneren, als ich es bin, zu suchen zwingt? Konnte ich zu dem Sachwalter gehen, den ich consultirte, als ich Mitwinter gern unter meinem Mädchennamen heirathen wollte? unmöglich! Ganz abgesehen von der kalten Aufnahme, die er mir bei meinem letzten Besuche zu Theil werden ließ, bezog sich der Rath, den ich diesmal brauchte – bemäntle ich die Thatsachen noch so sehr – auf die Vollführung eines Betrugs, eines Betrugs, wie ihn kein respectabler Rechtsanwalt fördern helfen würde, der noch Namen und Charakter zu verlieren hat. Gab es sonst eine andere competente Persönlichkeit, an die ich denken konnte? Es gab eine und nur diese eine – den Doctor, welcher in Pimlico gestorben und in Hampstead wieder ausgelebt war.

Ich wußte, daß er keine Scrupel kannte, daß er die Geschäftserfahrung besaß, die mir abging, und so gescheidt, verschlagen und weitsichtig war wie nur irgend ein Mann in London. Ueberdies hatte ich heute Morgen zwei wichtige Entdeckungen gemacht, die ihn berührten. Erstens stand er auf keinem guten Fuße mit Mrs. Oldershaw, was alle Gefahr ausschloß, daß wenn ich ihm traute, sich die Beiden wider mich verbinden möchten. Zweitens nöthigten ihn die Verhältnisse noch immer, sich unter falscher Hülle sorgfältig zu verstecken, woraus mir eine Gewalt über ihn erwuchs, wie er sie in keiner Beziehung je größer über mich gewinnen konnte. Unter solchen Umständen war es sonach für meine Zwecke der rechte, der einzige Mann, und dennoch trug ich Bedenken, zu ihm zu gehen, zauderte eine volle Stunde und länger, ohne zu wissen warum.

Es war zwei Uhr, als ich mich endlich entschloß, dem Doctor einen Besuch zu machen. Nachdem ich hierauf fast noch eine ganze Stunde mit der Ueberlegung verbracht hatte, wie weit ich ihn ins Vertrauen ziehen sollte, sandte ich schließlich nach einem Cab und machte mich nach drei Uhr auf den Weg nach Hampstead.

Ich hatte einige Schwierigkeit, das Sanatorium zu finden.

Fairweather-Vale stellte sich als eine ganz neue Gegend dar, südlich unter dem Plateau von Hampstead gelegen. Der Tag war trübe und der Ort sah sehr trist aus. Den Zugang zu demselben bildete eine alte Allee, die vordem die Parkavenue eines Landsitzes gewesen sein mochte. An ihrem Ende gelangten wir zu einer Wildniß von freiem Lande, aus dem hier und da halbfertige Villen aufragten und wo ein häßliches Ensemble von Bretern, Schubkarren und Baumaterialien aller Art nach rechts und links den Weg versperrte. In einem Winkel dieser Scene der Verwüstung stand ein trübseliges, hochaufgeschossenes, großes Haus mit schwarzbraunem Stuck überkleidet und von einem kahlen, unfertigen Garten umgeben, ohne Busch oder Blume darin – ein schauerlicher Anblick. An der offenstehenden eisernen Thür, die in die Umzäunung führte, befand sich eine neue Messingplatte, auf welcher in großen schwarzen Buchstaben Sanatorium zu lesen war. Der Droschkenkutscher zog die Glocke, ihr Schall hallte durch das öde Haus wie eine Todtenglocke, und der bleiche, verwitterte, alte, schwarzgekleidete Diener, der auf das Geläute erschien, sah aus, als wäre er eben dem Grabe entstiegen, um seine Pförtnerpflicht zu erfüllen. Der Geruch von nassem Pflaster und neuem Firniß strömte mir aus dem Hause zu, während von mir der kältende Hauch der feuchten Novemberluft in dieses eindrang. Im Augenblicke selbst achtete ich nicht darauf, wie ich indeß jetzt schreibe, entsinne Ich mich, daß mich schauderte, als ich die Schwelle überschritt.

Ich gab dem Diener als meinen Namen Mrs. Armadale an und wurde in den Wartesaal geführt. Die Feuchtigkeit ließ selbst das Feuer auf dem Kaminroste nicht aufkommen. Die einzigen Bücher, welche auf dem Tische lagen, waren des Doctors eigene Schriften, in nüchternen schwarzbraunen Einbänden, und der einzige Gegenstand, der die Wände schmückte, war das fremde Diplom unter Glas und Rahmen, welches der Doctor zugleich mit dem fremden Namen käuflich an sich gebracht hatte.

 

Nach ein paar Minuten trat der Eigenthümer des Sanatoriums ein und hielt in freudigem Erstaunen, als er mich erblickte, die Hände in die Höhe.

»Ich hatte keine Idee, wer Mrs. Armadale wäre«, sagte er« »Meine liebe Dame, haben Sie auch Ihren Namen gewechselt? Wie hinterlistig von Ihnen, mir bei unserm Zusammentreffen diesen Morgen nichts davon zu sagen! Kommen Sie in mein Privatzimmer, es kann mir nicht einfallen, eine alte und theure Freundin wie Sie in dem allgemeinen Patientenwartezimmer zu empfangen.«

Das Privatzimmer des Doctors lag nach hinten heraus und sah auf Felder und Bäume, die wohl dem Untergang geweiht, aber vom Baumeister noch nicht zerstört waren. Schreckliche Gegenstände in Glas, Messing und Leder, verschlungen und gewunden, als wären sie fühlende Wesen, die sich vor Schmerz und Todesangst krümmten, nahmen das eine Ende des Zimmers ein. Ein großer Bücherschrank mit Glasthüren erstreckte sich über die ganze gegenüberliegende Wand und zeigte auf seinen Regalen lange Reihen von Glasgefäßen, worin in einer gelben Flüssigkeit formlose todte Geschöpfe von einem monotonen Weiß schwammen. Ueber dem Kamin hing eine Sammlung photographischer Portraits von Männern und Frauen in zwei großen Rahmen, die in kleinem Zwischenraume neben einander angebracht waren. Der Rahmen zur Linken stellte in Bildern en face die verschiedenen Wirkungen von Nervenleiden vor, der zur Rechten die Verheerungen, welche der Wahnsinn im Gesichte der Menschen hervorbringt; den Zwischenraum zwischen beiden zierte ein elegant illuminiertes Blatt mit dem altehrwürdigen Motiv: »Besser vorgebeugt als curirt.«

»Da bin ich mit meinem galvanischen Apparat und meinen präparierten anatomischen Raritäten und was sonst noch dazu gehört«, begann der Doctor, während er mich in einen Stuhl neben dem Kamin drückte. »Und gerade über Ihnen bittet mein »System« stumm um Ihr Interesse, in einer Gestalt, die ich ihnen jetzt ganz offen und rückhaltslos darlegen will. Das Haus hier ist kein Irrenhaus, meine liebe Freundin. Mögen Andere den Wahnsinn behandeln, wie sie Wollens ich komme ihm zuvor. Bis jetzt sind noch keine Kranken im Hause, allein wir leben in einer Zeit, wo Nervenzerrüttung – eine Schwester des Wahnsinns – in steter Zunahme begriffen ist, und bald genug werden sich Leidende einstellen. Ich kann warten, wie Harvey und wie Jenner gewartet hat. Jetzt aber stemmen Sie Ihre Füße hier auf das Kamingitter und erzählen Sie mir von Ihnen selbst. Natürlich sind Sie verheirathet? Und was für ein hübscher Name! Empfangen Sie meine besten und herzlichsten Glückwünsche Sie besitzen die beiden größten Segnungen, welche das Geschick dem Weibe spenden kann: einen Gatten und ein Daheim!«

Bei der ersten passenden Gelegenheit unterbrach ich den genialen Fluß von des Doctors Beredtsamkeit.

»Ich bin verheirathet; die Verhältnisse sind jedoch keineswegs gewöhnlicher Art«, sagte ich ernst. »Meine derzeitige Lage weiß nichts von den Segnungen, wie sie in der Regel und der Annahme nach dem Weibe zu Theil werden. Bereits bin ich in einer Situation, die ihre sehr ernsten Verlegenheiten hat, und binnen kurzem dürfte ich mich sogar in einer Lage befinden, wo mir sehr ernste Gefahren drohen.«

Der Doctor schob seinen Stuhl etwas näher zu mir heran und fiel sofort in seine alte ärztliche Manier und seinen alten confidentiellen Ton.

»Wenn Sie mich consultiren wollen«, sagte er sanft, »so wissen Sie ja, daß ich in letzter Zeit sehr gefährliche Geheimnisse zu bewahren verstanden habe, und auch das ist Ihnen bekannt, daß ich zwei an einem Rathgeber sehr werthvolle Eigenschaften besitze. Ich erschrecke nicht so leicht und es kann mir unbedingt vertraut werden.«

Selbst jetzt, in der elften Stunde, wo ich mit ihm allein in seinem Privatzimmer saß, zögerte ich noch. Es war mir so neu und ungewohnt, Jemand anders als mir selbst zu trauen! Und doch, wie konnte ich es umgehen, in einer Verlegenheit, wo es sich um eine Frage von Recht und Gesetz handelte, Jemand anders zu Rathe zu ziehen?

«Ganz wie Sie wollen, das wissen Sie«, setzte der Doctor hinzu. »Ich fordere vertrauliche Mittheilungen nie heraus, ich pflege sie nur zu empfangen.«

Da gab’s nun keinen Ausweg mehr; ich war nicht gekommen, zu zögern, sondern zu sprechen. Ich riskierte es und sprach:

»Die Angelegenheit, in der ich Sie gern consultiren möchte, liegt nicht, wie Sie zu denken scheinen, innerhalb des Vereichs Ihrer ärztlichen Praxis. Ich glaube indeß, Sie werden mir Beistand gewähren können, wenn ich Ihrer größeren Praxis als Mann von Welt vertraue. Zuvor aber mache ich Sie darauf aufmerksam, daß ich Sie bestimmt überrasche und möglicherweise erschrecke, ehe ich mit meiner Geschichte zu Ende bin.«

Nach dieser Einleitung begann ich meine Rede und sagte ihm, was ich beschlossen hatte, ihm zu sagen, nicht mehr.

Von vornherein machte ich kein Geheimniß daraus, daß ich willens sei, Armadales Wittwe vorzustellen, und nannte ohne Rückhalt – ich wußte ja, daß der Doctor auf das Bureau gehen und selbst das Testament einsehen konnte – das hübsche Einkommen, das mir im Falle meines Erfolgs ausgesetzt werden würde. Einige Umstände, die in nächster Linie bedacht sein wollten, hielt ich für nothwendig zu verändern oder zu verheimlichen. Ich zeigte ihm das Zeitungsblatt, das den Untergang der Yacht berichtete, von den Begebnissen in Neapel aber sagte ich ihm nichts; setzte ihn von der Gleichheit der beiden Namen in Kenntniß, ihn in dem Wahne lassend, sie sei eine zufällige; erzählte ihm, als wichtiges Moment in der Sache, daß mein Mann außer mir vor Jedem seinen wahren Namen verheimlicht habe; um aber jedweden Verkehr zwischen ihnen zu verhindern, verbarg ich ihm sorgfältig, unter was für einem angenommenen Namen Midwinter die ganze Zeit seines Lebens existirt hatte. Ich bekannte, daß ich meinen Gatten auf dem Festlande zurückgelassen; als indes; der Doctor danach fragte, ließ ich ihn schließen – mit aller meiner Entschlossenheit konnte ich es ihm nicht positiv sagen – daß Mitwinter um den beabsichtigten Betrug wisse und daß er sich geflissentlich fern halte, um mich durch seine Gegenwart nicht zu compromittiren. Nachdem diese Schwierigkeit geebnet oder, wie ich’s jetzt fühle, diese Niederträchtigkeit begangen war, kehrte ich zur Wahrheit zurück. Einen nach dem andern erwähnte ich alle die Umstände, von denen meine geheime Heirath begleitet war und die Armadales und Midwinter’s Thun und Treiben betrafen, um darzulegen, daß jede Entdeckung der falschen Rolle, welche ich zu spielen gedachte, durch die Evidenz Anderer eine pure Unmöglichkeit sei. »So viel«, sagte ich, »über mein Vorhaben. Jetzt muß ich Ihnen ohne Umschweif von einem sehr ernstlichen Hinderniß erzählen, das mir im Wege steht.«

Der Doctor, welcher mir bis hierher ohne Unterbrechung seinerseits zugehört hatte, bat mich nun, ihm ein paar Worte zu gestatten, ehe ich fortführe.

Die paar Worte waren sämtlich Fragen, gescheidte, forschende, argwöhnische Fragen, die ich jedoch fast; ohne jeglichen Rückhalt beantworten konnte, denn sie bezogen sich beinahe alle auf die Verhältnisse, unter welchen meine Verheirathung stattgefunden, und auf die Chancen pro oder contra, die mein rechtmäßiger Gatte hätte, wenn es ihm später einfallen sollte, seine Ansprüche an mich geltend zu machen.

Zuerst erwiderte ich dem Doctor, daß ich in Thorpe-Ambrose Alles so einzurichten gewußt habe, um allgemein das Gerücht zu verbreiten, als hätte ich Armadale heirathen wollen; sodann, daß das frühere Leben meines Mannes nicht der Art gewesen sei, ihn in den Augen der Welt vortheilhaft zu präsentieren, und drittens, daß wir ohne anwesende Zeugen, die uns kannten, in einer großen Pfarrkirche an dem nämlichen Morgen getraut worden seien, an welchem zwei andere Paare verbunden worden wären, von den Dutzenden und aber Dutzenden von Paaren gar nicht zu reden, die seitdem in der selben Kirche copulirt worden, sodaß sich die Erinnerung an uns bei den officiell betheiligten Personen längst verwischt haben müsse. Als ich dem Doctor diese Facta mitgetheilt und er sich ferner vergewissert hatte, daß Midwinter und ich unmittelbar nach der kirchlichen Ceremonie ins Ausland und unter Fremde gereist waren, und daß die Mannschaft der Yacht, auf der Armadale – vor meiner Verheirathung – von Sommersetshire abgefahren, jetzt auf Schiffen diente, welche die Reise um die Welt machten, da zeigte sich sein Vertrauen auf meine Aussichten deutlich auf seinem Gesichte. »Soweit ich es beurtheilen kann«, sagte er, »würde Ihr Mann, wenn Sie einmal die Stelle von Mr. Armadale’s Wittwe eingenommen haben, seine Ansprüche auf Sie auf nichts Anderes als auf seine eigene nackte Behauptung gründen können. Und dem, denke ich, werden Sie ruhig Trotz zu bieten vermögen. Entschuldigen Sie, wenn ich anscheinend einem Gentleman mißtraue. Es könnten indeß zwischen Ihnen und ihm später einmal Mißverständnisse eintreten, und darum ist es höchst wünschenswerth vorher genau zu wissen, was er unter solchen Umständen vermöchte oder nicht vermöchte. Jetzt aber, wo wir mit dem Haupthinderniß fertig sind, das ich auf Ihrem Wege zum Erfolge erblicke, lassen Sie uns auf das Hinderniß kommen, das Sie ferner vor Augen haben.«

Ich kam sehr gern darauf. Der Ton, in dem er von Midwinter sprach, berührte mich außerordentlich unangenehm, obschon ich selbst daran schuld war, und weckte in mir für den Augenblick etwas von dem alten thörichten Gefühl, das ich längst auf immer zur Ruhe gebettet wähnte. Begierig ergriff ich die Gelegenheit, das Gesprächsthema zu wechseln, und erwähnte die Verschiedenheit der Handschrift, in der Midwinter den Namen Allan Armadale ins Kirchenbuch eingetragen hatte, von der Handschrift, in der Armadale von Thorpe-Ambrose seinen Namen zu unterzeichnen pflegte, mit einem Eifer, welchen der Doctor mit Ergötzen zu bemerken schien.

»Ist das Alles?« fragte er zu meiner unendlichen Ueberraschung und Erleichterung als ich geendet hatte. »Meine theure Dame, bitte, beruhigen Sie sich! Wenn die Sachwalter des seligen Mr. Armadale eine Urkunde Ihrer Verheirathung begehren, so werden sie sich nicht an das Kirchenbuch wenden, das kann ich Ihnen Versprechen?

»Was!« rief ich erstaunt aus. »Meinen Sie, daß der Eintrag in das Kirchenbuch kein Beweis meiner Verheirathung sei?«

»Es ist ein Beweis«, antwortete der Doctor, »daß Sie mit Jemand getraut worden sind, allein kein Beweis, daß Sie Mr. Armadale von Thorpe-Ambrose geheirathet haben. Jack Rokes oder Tom Styles – entschuldigen Sie diesen trivialen Vergleich – hätten sich den Erlaubnißschein verschaffen und zur Kirche begeben können, um sich mit Ihnen unter Mr. Armadale’s Namen trauen zu lassen, und das Kirchenbuch – wie könnte es anders! – hätte in solchem Falle unschuldig an dem Betrug Theil nehmen müssen. Ich sehe, das befremdet Sie, aber, meine Verehrteste, als Sie mit mir in diese interessante Verhandlung traten, da hat es mich befremdet, wie ich jetzt nur gestehen will, daß Sie so viel Aufhebens über die seltsame Gleichheit der beiden Namen machten. Sie hätten das sehr kühne und romantische unternehmen, mit welchem Sie gegenwärtig beschäftigt sind, ganz ebenso gut beginnen können, wenn sie auch Ihren jetzigen Gatten gar nicht geheirathet hätten. Jeder andere beliebige Mann hätte die Stelle vertreten, vorausgesetzt, daß er bereitwillig gewesen wäre, zu dem Zwecke Mr. Armadale’s Namen anzunehmen.«

Ich wurde ärgerlich über diese Worte des Doctors. »Nicht jeder beliebige Manns versetzte ich heftig, »würde mir zu meinem Vorhaben gedient haben; ohne die Gleichheit der beiden Namen wäre ich nun und nimmermehr auf die Idee gekommen!«

Der Doctor gab zu, daß er zu weit gegangen sei. »Ich gestehe«, sagte er, »daß ich an diese persönliche Ansicht von der Sache nicht gedacht habe. Indeß lassen Sie uns aus unser eigentliches Thema zurückkommen. Im Laufe meines, wie ich es wohl nennen kann, abenteuerlichen ärztlichen Lebens bin ich mehr als einmal mit den Herren vom Jus zusammengekommen und habe mannichfache Gelegenheit gehabt, ihr Verhalten in der, wenn ich mich so ausdrücken soll, häuslichen Jurisprudenz zu beobachten. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich Ihnen sage, daß der Beweis, welchen Mr. Armadales Vertreter verlangen werden, der Ausspruch eines Zeugen des Acts sein wird, welcher die Identität von Braut und Bräutigam aus seiner eigenen persönlichen Bekanntschaft bestätigen kann?

»Ich habe Ihnen schon mitgetheilt«, nahm ich das Wort, »daß keine solche Person zugegen gewesen ist.«

»Ganz recht«, versetzte der Doctor »In dem Falle thut Ihnen, ehe Sie mit Sicherheit einen weiteren Schritt in der Sache wagen können, vor allem ein rasch fabricirter Zeuge von seltenen moralischen und persönlichen Eigenschaften noth, dem man zutrauen kann, daß er sich den erforderlichen Charakter zu verleihen weiß und vor einer Behörde die nothwendige Erklärung abgibt. Kennen Sie etwa eine solche Person?« fragte der Doctor, indem er sich in seinen Stuhl zurückwarf und mich in höchster Unschuld ansah.

 

»Ich kenne nur Sie«, sagte ich.

Der Doctor lächelte. »Ganz wie ein Frauenzimmer! bemerkte er mit empörendem Humor. »Im Augenblicke, wo es sein Ziel erblickt, stürzt es sich kopfüber auf den nächsten Weg, der dahin führt. O, das weibliche Geschlecht, das Geschlecht!«

»Denken Sie nicht an das Geschlecht«, sprudelte ich ungeduldig heraus. «Ich verlange eine ernste Antwort – ja oder nein?«

Der Doctor stand auf und zeigte in höchster Gravität und Würde mit der Hand im Zimmer umher. »Sie sehen dies große Etablissement«, begann er; »vielleicht können Sie einigermaßen schätzen, wie viel für mich auf dem Spiele steht, daß es gedeiht und prosperiert. Ihr vortrefflicher natürlicher Verstand wird Ihnen sagen, daß der Chef dieses Sanatoriums ein Mann von unbeflecktem Charakter sein muß —«

»Warum so viele Worte verschwenden«, fiel ich ein, »wo ein einziges genügt. Sie meinen nein!«

Der Chef des Sanatoriums fiel sofort in den Charakter meines vertrauten Freundes zurück.

»Meine liebe Madame«, sagte er, »augenblicklich heißt es nicht ja und heißt es nicht nein. Lassen Sie mir Zeit bis Morgen Nachmittag. Bis dahin verpflichte ich mich, zu einem von Beidem bereit zu sein, entweder mich sofort aus diesem Handel herauszuziehen oder mit Herz und Seele mich daran zu betheiligen. Sind Sie damit einverstanden? Gut, so können wir also bis morgen das Thema fallen lassen. Wo darf ich Ihnen aufwarten, wenn ich meinen Entschluß gefaßt habe?«

Ich hatte kein Bedenken, ihm meine Adresse zu geben. Im Hotel hatte ich mich vorsorglich als Mrs. Armadale eingeschrieben und Midwinter das nächste Postamt genannt, wohin er die Antworten auf meine Briefe richten solle. Wir stellten die Stunde fest, wo der Doctor bei mir vorsprechen sollte, und als dies abgethan, erhob ich mich, zu gehen, alle Anerbietungen von Erfrischungen und ebenso alle Anträge, mich im Etablissement umherführen zu wollen, ausschlagend. Daß er, nachdem wir uns doch gegenseitig vollkommen verstanden hatten, noch immer den Schein bewahren wollte, ärgerte mich. Sobald ich konnte, eilte ich hinweg und zu meinem Tagebuche und meinem Gasthofzimmer heim.

Morgen werden wir sehen, wie die Sache abläuft. Ich glaube, mein Vertrauter Freund wird ja sagen.

Ich habe recht vermuthet, der Doctor hat ja gesagt, allein unter Bedingungen, die ich nicht geahnt habe. Die Bedingung, unter der mir seine Dienste zu Gebote stehen, besteht in nichts Geringerem, als daß ich ihm, sobald ich die Stelle von Armadale’s Wittwe wirklich einnehme, die Hälfte meiner ersten Jahresrente, mit andern Worten sechshundert Pfund bezahlen muß!

Auf alle nur erdenkliche Weise protestierte ich gegen eine so übertriebene Forderung. Alles umsonst. Der Doctor entgegnete mir mit der verbindlichsten Offenheit. Nichts, sagte er, als die Verlegenheit, in der er sich zufällig befinde, würde ihn überhaupt vermocht haben können, sich mit der Sache zu befassen. Er müsse offen bekennen, daß er durch den Ankauf und die Einrichtung des Sanatoriums nicht blos seine eigenen, sondern auch die Mittel Anderer erschöpft habe, welche er als Förderer seines Unternehmens bezeichnete. Unter solchen Umständen wären sechshundert Pfund für ihn ein Kapital. Für diese Summe wolle er das Risico laufen, mir zu rathen und zu helfen; kein Heller weniger könnte ihn reizen. Und damit gab er die Angelegenheit mit seinen besten und freundschaftlichsten Wünschen ganz in meine Hände.

Der Ausgang war, wie er eben nicht anders sein konnte. Mir blieb keine Wahl, ich mußte seine Bedingung annehmen und mit ihm auf der Stelle die Sache in Richtigkeit bringen. Sowie wir einmal im Reinen waren, ließ er das Gras nicht unter seinen Füßen wachsen, diese Gerechtigkeit muß ich ihm wiederfahren lassen. Rasch rief er nach Tinte, Feder und Papier, um noch mit der Nachtpost den Feldzug auf Thorpe-Ambrose zu eröffnen.

Wir vereinigten uns über die Form des Briefs, welchen ich schrieb und den er ungesäumt copirte. Von vornherein ging ich auf keine Details ein; ich behauptete einfach, daß ich die Wittwe des verstorbenen Armadale, daß ich insgeheim mit ihm verheirathet gewesen, daß ich, nachdem er Neapel und seine Yacht verlassen habe, nach England heimgekehrt sei und mir erlaube, eine Copie meines Trauscheins beizulegen, als eine Sache der Form, wie sie wohl gewöhnlich erfüllt werde. Der Brief war an die »Vertreter des seligen Allan Armadale, Esq., von Thorpe-Ambrose in Norfolk« adressiert und der Doctor selbst nahm ihn mit und trug ihn auf die Post.

Jetzt, wo der erste Schritt gethan ist, sehe ich nicht mehr so ungeduldig und aufgeregt dem Erfolge entgegen, wie ich erst gedacht hatte. Midwinter’s Bild verfolgt mich wie ein Gespenst; um den Schein zu bewahren, habe ich ihm, wie früher schon, wieder geschrieben. Es wird mein letzter Brief sein, glaube ich. Mein Muth ist erschüttert, meine Seele beklommen, wenn ich an Turin zurückdenke. Der Tag der Abrechnung mit ihm, einst fern und zweifelhaft, wer weiß, wie bald er mir nun kommen mag. Und da vertraue ich noch immer auf den Zufall!

Den 25. November. Heute um zwei Uhr kam der Doctor wie verabredet. Er ist bei seinen Advocaten gewesen, natürlich ohne sie ins Vertrauen zu ziehen, einfach, um ihnen den Beweis meiner Verheirathung vorzulegen. Dass Resultat ist so ausgefallen, wie er es mir vorausgesagt hat. Der Punkt, um welchen sich die ganze Geschichte drehen wird, wenn man meinen Anspruch bestreitet, wird die Frage der Identität sein, und es dürfte nothwendig werden für den Zeugen, daß er noch vor Ablauf der Woche seine Erklärung vor der Behörde abgibt.

Bei so bewandten Umständen erachtet es der Doctor für unerläßlich, daß wir uns einander leicht erreichen können, und schlägt mir vor, in seiner Nachbarschaft mir eine ruhige Wohnung zu verschaffen. Ich bin völlig bereit, überall hinzugehen, denn wie ich so viele Einbildungen habe, so bilde ich mir auch ein, daß ich für Midwinter vollständiger verloren sein werde, wenn ich mich aus der Gegend weg begebe, wohin er seine Briefe an mich adressiert. Die letzte Nacht, die ich nicht schlafen konnte, dachte ich an ihn. Heute Morgen habe ich endgültig beschlossen, nicht mehr an ihn zu schreiben.

Nach einer halben Stunde verließ ich den Doctor. Zuvor fragte er mich noch, ob ich ihn nicht nach Hampstead begleiten wolle, um mich gleich nach einer Wohnung umzuthun. Ich theilte ihm mit, daß mich noch Geschäfte in London zurückhielten »Morgen oder übermorgen werden Sie erfahren, was für Geschäfte dies sind«, antwortete ich ihm, als er sich danach erkundigte.

Wieder allein, ward ich von einem nervösen Zittern befallen. Mein Geschäft, das beiläufig für eine Frau ein sehr wichtiges war, ermahnte mich unwillkürlich an Midwinter. Die Idee einer neuen Wohnung hatte mich an die Nothwendigkeit erinnert, mich meinem neuen Charakter gemäß zu kleiden, die Zeit war gekommen, wo ich mir meine Wittwentrauer besorgen mußte.

Zuerst hatte ich mich mit Geld zu versehen. Nur durch den Verkauf des Rubinringes, den mir Armadale zum Hochzeitsgeschenk gemacht hatte, erhielt ich, was ich brauchte. Es stellte sich heraus, daß es ein werthvollerer Juwel war, als ich geglaubt hatte, so daß ich wahrscheinlich auf einige Zeit aller finanziellen Verlegenheit überhoben bin.