Read only on LitRes

The book cannot be downloaded as a file, but can be read in our app or online on the website.

Read the book: «Antonia», page 20

Font:

»Ich beklage es gestehn müssen, werthgeschätzter Patron, aber meine Sendung ist mißlungen,« bemerkte Carrio, indem er mehrere Säcke mit Geld und Kisten mit. Juwelen unter seinem Mantel hervorzog und die selben vorsichtig auf den Tisch niedersetzte. Der Präfekt hat selbst der Durchsuchung der öffentlichen und Privatmagazine beigewohnt und ist zu der Ueberzeugung gelangt, daß in der Stadt keine Handvoll Getreide mehr existirt.Ich habe öffentlich, auf dem Marktplatze fünftausend Sesterzien für einen lebenden Hahn und eine Henne geboten, aber die Antwort erhalten, daß das Geschlecht längst ausgerottet sei und da für Geld keine Nahrung mehr erlangt werden könne, selbst für den ärmsten Bettler von Rom das Geld nichts Wünschenswerthes mehr an sich habe. Sogar von dem Heu, welches ich gestern kaufte, ist jetzt auch für die freigebigste Bezahlung nichts mehr zu erlangen. Diejenigen, welche noch einen geringen Vorrath an Lebensmitteln besitzen, bewahren und verbergen denselben mit der eifersüchtigsten Sorgfalt. Ich habe weiter nichts thun können, als mir für den Bedarf der wenigen noch im Hause gebliebenen Sklaven diesen kleinen Vorrath von Hundefellen zu verschaffen, welche vor einigen Tagen bei der öffentlichen Vertheilung auf dem St. Johannes Lateranplatze zurückbehalten worden waren.«

Und der Freigelassene zeigte bei diesen Worten mit einem Gemisch von Triumph und Ekel seinen Vorrath von schmutzigen Häuten.

»Was für Mundvorräthe befinden sich noch in unserm Besitz!« fragte Vetranio, nachdem er einen tiefen Zug von dem Falerner gethan hatte, indem er seinem Diener einen Wink gab, ihm seine kostbare Last aus den Augen zu schaffen.

»Ich habe, da ich nicht weiß, wie bald der Hunger die Sklaven zum ungehorsam bringen kann, an einem sichern Orte sieben Säcke Heu, drei Körbe mit eingesalzenen Pferdefleisch, eine Confirurenschachtel mit Hafer und eine zweite mit getrockneter Petersilie versteckt. Die seltenen indianischen Singvögel befinden sich noch unverletzt im Vogelhause und überdies haben wir noch einen großen Vorrath von Gewürzen und einige Flaschen von der Nachtilgallensauce.«

»Wie sieht es jetzt in der Stadt aus?« unterbrach ihn Vetranio ungeduldig.

»Rom ist düster wie ein unterirdisches Grabmal,« antwortete Carrio schaudernd. »Das Volk versammelt sich in stummen, hungrigen Gruppen an den Thüren feiner Häuser und den Ecken der Straßen. Die Schildwachen der Mauern schwanken auf ihren Posten. Weiber und Kinder schlafen erschöpft auf dem Steinpflaster der Kirchen, die Theater sind eben so leer von Zuschauern, wie von Schauspielern, die Bäder hallen vom Geschrei nach Nahrung und Flüchen auf die Gothen wieder; schon werden in den offenen unbewachten Läden Diebstähle begangen und die Barbaren bleiben unbeweglich in ihrem Lager, ohne daß sich ihnen die versprochenen Legionen von Ravenna nähern, und greifen uns weder in unserer Schwäche an, noch bereiten sie sich darauf vor, die Blockade aufzuheben. Unsere Lage wird immer gefahrvoller – ich habe große Hoffnung auf unsere Mundvorräthe, aber —«

»Wirf Deine Hoffnungen dem Hofe von Ravenna und Dein Viehfutter dem heulenden Pöbel vor!« rief Vetranio mit plötzlicher Energie. »Es ist jetzt zu spät, um nachzugehen. Wenn uns nicht die paar nächsten Tage Hülfe bringen, so wird die Stadt ein menschliches Schlachthaus werden, und denkst Du, daß ich, der ich bereits bei dieser öffentlichen Aufhebung der geselligen Freuden meine Vergnügungen, meine Beschäftigungen und meine Gefährten verloren habe, ruhig auf dem langsamen, gemeinen Tod warten werde, der dann uns Alle bedrohen muß? Nein, es darf nicht gesagt werden, daß ich mit der Heerde verhungert sei, wie ein Sklave, den sein Herr verlassen hat! Wenn auch die Schüsseln meiner Festhalle jetzt leer sein müssen, so sollen doch meine Vasen und Weinbecher noch für meine Gciste funkeln. Im Keller befindet sich noch Wein und in der Vorrathskammer Gewürze und Wohlgerüche! Ich will meine Freunde zu einem letzten Gastmahle, einer Saturnalie in einer ausgehungerten Stadt, einem Banket des Todes einladen, welches durch die erheiternden Bemühungen Silens und seiner Faunen geliefert werden soll! Obgleich die Parzen mir das Schicksal eines Hundes gesponnen haben, so ist es doch die, Hand des Bacchus, welche den Faden durchschneiden soll!«

Seine Wangen waren erhitzt, seine Augen funkelten, die ganze wahnsinnige Energie seines Entschlusses wurde bei diesen Worten auf seinem Gesichte erkennbar, er war nicht mehr der leichte, liebenswürdige, glattzüngige Stutzer, sondern ein mürrischer, rücksichtsloser, verzweifelter Mensch, der sich um keine Pflicht und Beschäftigung mehr kümmerte, welche bisher auf die ruhige Oberfläche seines Patrizierlebens Einfluß geübt hatte. Camilla, welche bis jetzt ein trauriges Schweigen bewahrt, eilte mit entsetzen Blicken und strömenden Thränen auf ihn zu. Carrio starrte in verblüfftem Erstaunen auf das verstörte Gesicht seines Herrn, vergaß sein Bündel von Hundefellen und ließ dasselbe unbeachtet auf den Boden fallen. Es trat eine kurze Pause ein, welche plötzlich durch das ungemeldete Eintreten einer vierten blassen, zitternden, athemlosen Person unterbrochen wurde, die kein Anderer war als Vetranio’s früherer Besucher, der Präfekt Pompejanus.

»Ich heiße Dich zu meinem bevorstehenden Gastmahle überströmender Weinbecher und leerer Schüsseln willkommen!« rief Vetranio, indem er den funkelnden Falerner in sein leeres Glas schüttete. »das letzte Gastmahl, welches vor der Vernichtung der Stadt in Rom gegeben wird, soll das meine sein. Die Gothen und die Hungersnoth sollen an meinen letzten Augenblicken keinen Theil haben! – Die Freude soll bei meinem Tode den Vorsitz führen, wie sie es mein ganzes Leben lang gethan hat! Ich werde sterben, wie Sardanapal, von meinen Geliebten und Schätzen umgeben und der letzte meiner Gäste, welcher bei unserem Feste nüchtern bleibt, soll meinen Palast anzünden, wie der königliche Assyrier den seinen

»Wir leben in keiner Zeit zum Scherze!« rief der Präfekt, indem er sich mit verwirrten Blicken und farblosem Gesicht umsah. »Unser Elend beginnt erst jetzt! In der nächsten Straße liegt die Leiche eines Weibes und – eine entsetzliche Vorbedeutung! um ihren Hals haben sich Schlangen gewickelt! Wir haben keinen Begräbnißplatz, um sie und die Tausende zu beerdigen, welche gleich ihr sterben können, ehe uns Hülfe zu Theil wird! Die städtischen Grabmäler vor den Mauern befinden sich in den Händen der Gothen. Das Volk steht, von Entsetzen überwältigt, um die Leiche her, denn es hat jetzt eine furchtbare Wahrheit entdeckt, die wir ihm gern verborgen haben würden —«

Hier hielt der Präfekt inne, blickte seine Zuhörer schreckensvoll an und fügte mit leiser, bebender Stimme hinzu:

»Die Bürger liegen verhungert auf den Straßen von Rom!«

Kapitel II
Die Stadt und die Götter

Wir kehren wieder zu dem gothiscben Lager in der Vorstadt, östlich vom Pincischen Thore, und zu Hermanrich und den Kriegern unter seinem Befehl zurück, welche sich noch in jenem Theile des großen Kreises der Blockcade befinden.

Die Bewegungen des jungen Häuptlinge von einem Posten zum andern ließen in ihrer Verschiedenartigkeit und Schnelligkeit die Unruhe, welche seinen Geist bewegte, erkennen. Er blickte häufig, von den ihn umgebenden Kriegern nach dem abgelegenen Theile der Vorstadt und wendete von Zeit zu Zeit seine Blicke dem westlichen Horizonte zu, als ob er mit Aengstlichkeit das Nahen einer bestimmten Stunde der bevorstehenden Nacht erwarte. Endlich müde geworden, Beschäftigungen fortzusetzen, welche seine Ungeduld offenbar mehr reizten als beschäftigten, wendete er sich plötzlich von seinen Leuten ab, schritt auf die Stadt zu und ging langsam auf dem freien Raume zwischen der Vorstadt und den Mauern von Rom hin und her.

Von Zeit zu Zeit fuhr er fort, das ihn umgebende Schauspiel zu betrachten. Man kann sich kaum auf der Erde oder am Himmel etwas Traurigeres denken, als die Aussicht, welche ihm jetzt zu Theil wurde. Der trübe, sonnenlose Tag näherte sich seinem Ende und der Himmel versprach eine stürmische Nacht. Dichte, schwarze Schichten von formlosen Wolken hingen über dem ganzen Firmamente, mit Ausnahme des Westens, wo ein Streifen blassen, gelben Lichtes lag, der auf allen Seiten von den festen, unabgestuften, unregelmäßigen Rändern der düstern Dunstmassen rund umher eingeschlossen war.

In der ganzen Atmosphäre herrschte tiefe Stille, selbst der Wind säuselte nicht mehr in den Bäumen. Die Bewegung und Thätigkeit in der Existenz der Natur und dem Leben des Menschen schien völlig gefesselt, unterdrückt, erstickt zu sein. Die Luft war mit einer drückenden Hitze geschwängert und alle belebten und leblosen Dinge auf Erden fühlten die Last, welche die höheren Elemente auf sie warfen. Das Volk, welches nach Athem keuchend in der von Hungersnot gepeinigten Stadt lag, war diesem schwächenden Drucke eben so sehr unterworfen, wie die Grashalme, welche verschmachtend auf dem dürren Rasen vor den Mauern welkten.

Als die Stunden allmälig vergingen und die Nacht langsam heranschlich, überzog eine monotone Dunkelheit, die Hermanrich von der einsamen Stelle, an welcher er sich befand, sichtbaren Gegenstände einen nach dem andern. Bald verschwamm die Stadt zu einem ungeheuern, undurchdringlichen Schatten, während die Vorstädte und das niedere Land um sie her in der dichten Finsterniß verschwand, welche sich wahrnehmbar über der Erde sammelte; und jetzt war der einzige deutlich sichtbare Gegenstand die Gestalt einer müden Schildwache, welche auf der drohenden Zinne unmittelbar über der gespaltenen Mauer postirt war und auf ihre Waffe gestützt einen harten Abstich gegen den drinnen, einsamen Lichtstreifen bildete, welcher noch in der kalten Wolkenwüste des Westhimmels schimmerte.

Als die Nacht noch weiter vorrückte, verbleichte und verschwand aber auch dieser eine Lichtstreifen und mit ihm die Schildwache sammt der Mauer, auf welcher sie postirt war. Die Herrschaft der Finsterniß wurde jetzt allgemein. Dicht und schnell überzog sie die ganze Stadt mit erschreckender Plötzlichkeit, als habe das furchtbare Schicksal, welches sich jetzt in Rom erfüllte, die äußeren Eigenthümlichkeiten der Nacht zur Harmonie mit seiner eigenen Wehe verkündenden Natur gezwungen.

Als der junge Gothe noch auf seinem beobachten Posten verharrte, wurde das lange, leise, bebende Rollen fernen Donners großartig hörbar. Es schien aus fast unberechenbarer Ferne zu kommen; vom-seiner Wiege im eisigen Norden zu erklingen; an den einsamen Polen um seine mit Eis umgürteten Gemächer zu ziehen. Es machte die traurige, geheimnißvolle Stille der Atmosphäre eher noch tiefer, als daß es sie unterbrochen hätte. Auch die Blitze besaßen eine sommerliche Weichheit in ihrem geräuschlosen, häufigen Aufleuchten. Es war nicht das zackige Blitzen des Winters, sondern eine flackernde, warme Helle, die, in ihrer leichten, schnellen Wiederkehr fast bezaubernd und mit der Gluth des Himmels, nicht aber mit dem grellen Schein der Hölle gefärbt war.

Es herrschte weder Wind noch Regen und die Luft war so still, als schlafe sie in der Kindheit einer neuen Schöpfung über dem Chaos.

Unter den Gegenständen, die auf Augenblicke den Augen Hermanrich’s durch die Blitze sichtbar wurden, ließ sich keiner leichter und deutlicher erkennen, als die breite, ununterbrochene Oberfläche der gespaltenen Mauer. Die großen lockern Steine, welche hier und da an ihrem Fuße verstreut waren und die überhangende Decke ihrer breiten Zinne erschienen deutlich, wenn auch nur vor übergehend, in den kurzen Augenblicken ihrer Erleuchtung. Die Blitze hatten eine Zeitlang um die Festungswerke und den sich unmittelbar jenseits derselben erstreckenden nackten Boden gespielt, als die platte Fläche, welche man so auf Augenblicke sah, plötzlich durch eine Flucht von Vögeln unterbrochen wurde, welche an einer der untern Abtheilungen der Mauer erschien und unruhig an einem Punkte vor derselben hin- und herflatterten.

Wie einen Augenblick nach dem undern die Blitze schimmerten, wurden auch die schwarzen Formen der Vögel dem geübten Auge des Gothen sichtbar, sie wirbelten wie Feuerfunken oder Schneeflocken verwirrt und anhaltend um die Stelle, von welcher sie offenbar durch eine unbekannte Unterbrechung verscheucht worden waren. Nach einiger Zeit verschwanden sie endlich ebenso plötzlich wie sie sich gezeigt hatten, mit schrillen Tönen der Furcht, die selbst über das anhaltende Rollen des Donners hervorklangen und unmittelbar darauf in einem dunkeln Zwischenraume erblickte Hermanrich an dem Theile der Mauer, wo die Vögel zuerst gestört worden waren, einen kleinen rothen Schimmer, gleich seinem in der Oberfläche des Gehäu’s angebrachten Feuerfunken. Dann verschwand auch dieser, eine längere Dunkelheit als gewöhnlich herrschte in der Atmosphäre und als der Gothe begierig durch die zunächst folgenden Blitze hinblickte, zeigten sie ihm momentan die undeutliche Gestalt eines Menschen, welcher aus den Steinen am Fuße der Mauer aufrecht dastand.

Hermanrich schrak erstaunt zusammen. Von Neuem hatte das Blitzen aufgehört. In der fruchtlosen Hoffnung, die ihn umgebende Dunkelheit zu durchdringen, strengte er seine Augen auf’s Aeußerste an, um mehr von jener Erscheinung zu erblicken. Die Dunkelheit schien endlos gu sein. Wieder leuchteten die Blitze glänzend auf, er schaute gierig nach der Mauer hin – die Gestalt befand sich immer noch daselbst.

Sein Herz pochte schnell, als er unentschlossen auf dem Punkte verharrte, welchen er eingenommen hatte, seit das erste Rollen des Donners sein Ohr traf. Waren das Licht und der Mensch – das eine nur auf einen Augenblick gesehen, der andere immer noch wahrnehmbar – bloße Gespenster seines irrenden Auges, welches durch die schnelle Wiederholung der atmosphärischen Phänomene geblendet worden war, oder erblickte er unbezweifelt eine menschliche Gestalt und hatte er wirklich ein Licht beobachtet?

In der belagerten Stadt brütete vielleicht eine seltsame Verrätherei, ein gefährliches Geheimniß, was zu beobachten und zu enthüllen seine Pflicht gebot. Er zog sein Schwert und schritt, auf die Gefahr hin, von der Schildwache auf der Mauer durch die Blitze wahrgenommen und durch die tausend Donner gehört zu werden, entschlossen bis an den Fuß der Festungswerke des feindlichen Rom’s vor.

Er hörte kleinen Laut, bemerkte kein Licht, gewahrte keine Gestalt, als er nach mehreren erfolglosen Versuchen die Stelle, wo sie lagen, zu erreichen, endlich an den losen Steinen stehen blieb, welche, wie er wußte, am Fuße der Mauer zusammengehäuft waren.

Im nächsten Augenblicke befand er sich so dicht an derselben, daß er mit der Schwertspitze über Theile ihrer rauhen Oberfläche hinziehen konnte. Er hatte kaum auf diese Art einen mehr als zehn Schritte breiten Raum untersucht, als seine Waffe auf eine scharfe, gezähnte Kante stieß und ihm augenblicklich ein plötzliches Vorgefühl verkündete, daß er die Stelle gefunden, wo er das momentane Licht erblickt, und auf demselben Steine stand, wo sich früher die Gestalt des Mannes befunden hatte.

Nach kurzem Zaudern wollte er eben auf den losen Steinen höher steigen und die so eben in der Mauer entdeckte Unregelmäßigkeit näher untersuchen, als ein ungewöhnlich lange anhaltender, heller Blitz ihn kaum einen Schritt vor sich die bereits von der Ebene aus erblickte Gestalt zeigte.

Es lag etwas unaussprechlich Furchtbares in der unsichtbaren Nähe, in welcher er sich die nächsten dunkeln Augenblicke hindurch bei dieser schweigenden, räthselhaften Gestalt befand, die so unwillkommen durch den Blitz erleuchtet worden war.

Jeder Puls in dem Körper des Gothen schien zu stocken, als er mit bereit gehaltener Waffe dastand, in die undurchdringliche Dunkelheit hinaussah und auf den folgenden Blitz wartete. Er kam und zeigte, ihm die Augen des Mannes, welche fest auf sein Gesicht herabstierten – ein zweites Leuchten und er sah, wie Jener einen dürren Finger zum Zeichen des Schweigens an die Lippen legte – ein dritter und er gewahrte den Arm der Gestalt, der nach der Ebene hinter ihm deutete und dann, in der jetzt erfolgenden Finsternis, schlug ein heißer Athem an sein Ohr und eine Stimme flüsterte ihm nährend einer Pause im Rollen des Donners zu:

»Folge mir!«

Im nächsten Augenblicke fühlte Hermanrich eine momentane Berührung von dem Körper des Mannes als dieser mit geräuschlosen Schritte über die Steine hinweg an ihm vorbeikam. Es war keine Zeit zur Ueberlegung oder zu Zweifeln vorhanden. Er folgte dem Fremden dicht auf dem Fuße und bemerkte seine dunkle Gestalt vor sich, wenn das Blitzen auf einen Augenblick Licht in die Scene brachte, bis sie an eine Baumgruppe gelangten, die nicht weit von der durch die Gothen unter seinem Befehle besetzt gehaltenen Häusern der Vorstadt war.

Hier blieb der Fremde vor dem Stamme eines Baumes stehen, welcher sich zwischen der Stadtmauer und ihm befand und zog unter seinem zerlumpten Mantel eine sorgfältig mit einem Tuche bedeckte Laterne hervor, welche er jetzt enthüllte und das Licht hoch über seinem Kopfe haltend, den Gothen mit ängstlichem Forschen betrachtete.

Hermanrich wollte ihn zuerst anrenden, aber das Aeußere des Mannes war, obgleich man es im schwachen Lichte seiner Laterne nur undeutlich erblickte, doch so zurückstoßend und abschreckend daß die halbgebildeten Worte aus seinen Lippen erstarben. Das Gesicht des Fremden war von gespenstischer Blässe, seine hohlen Wangen waren von tiefen Runzeln durchfurcht und seine Augen glommen mit einem Ausdrucke von wildem Argwohn. Einer von seinen Armen war mit alten von geronnenem Blute steifen Bandagen bedeckt und hing gelähmt an seiner Seite herab. Die das Licht haltende Hand zitterte so, daß die Laterne, in welcher sich dasselbe befand, beständig hin und her schwankte. Seine Glieder waren mager und fast bis zur Verkrüppelung verschrumpft und man sah, daß es ihm Mühe machte, aufrecht zu stehen. Jedes Glied seines Körpers schien von einem allmäligen Tode verzehrt zu werden, während seinem glühenden, gebieterischen Auge alle Energie des Mannesalters und alle Kühnheit der Jugend ausgeprägt zu sein schien.

Es war Ulpius! Die Mauer war durchbrochen! – der Durchgang erzwungen.

Nach anhaltender Betrachtung des Gesichts und der Kleidung Hermanrich’s redete ihn der Mann mit gebieterischem Ausdruck, der im seltsamen Kontraste gegen seine hohle, schwankende Stimme stand, an.

»Du bist ein Gothe?«

»Ja,« entgegnete der junge Häuptling »Und Du?«

»Ein Freund der Gothen!« lautete die schnelle Antwort.

Es erfolgte eine momentane Pause, nach welcher der Fremde das Gespräch wieder begann.

»Was hat Dich allein an den Fuß der Mauer geführt?« fragte er, indem ein Ausdruck unwillkürlicher Besorgniß aus seinen Augen schoß.

»Ich sah die Gestalt eines Mannes im Leuchten der Blitze,« antwortete Hermanrich; »ich näherte mich ihr, um mich zu überzeugen, daß meine Augen mich nicht betrogen, um zu entdecken —«

»Es gibt in Deinem Volke nur einen Einzigen, der entdecken soll, woher ich gekommen bin und was ich wünsche!« unterbrach ihn der Fremde hastig; »und der Mann ist Alarich, Dein König.«

Ueberraschung, Entrüstung und Verachtung zeigten sich in den Zügen des Gothen, als er diese Erklärung von dem hülflosen Auswürflinge vor sich vernahm. Der Mann bemerkte es, winkte ihm zu schweigen und sprach weiter.

»Höre«– rief er, »ich habe dem Anführer Eurer Streitkräfte eine Entdeckung zu machen, die einem Jeden in Euerm Lager das Herz pochen lassen wird, wenn Ihr das Geheimniß erfahrt, nachdem es Euer König von meinen Lippen gehört hat! Weigerst Du Dich noch immer, mich nach seinem Zelte zu führen?«

Hermanrich lachte verächtlich.

»Sieh mich an,« fuhr der Mann fort, indem er sich vorwärts beugte und seine Augen mit wilder Eindringlichkeit auf das Gesicht seines Zuhörers heftete; »ich bin allein, alt, verwundet, schwach – Deinem Volke ein Fremder, ein halb verhungerter, hülfsloser Mann! Glaubst Du, daß ich mich ohne Grund in Euer Lager wagen – mich der Gefahr aussetzen würde, von Deinen Kameraden als Römer umgebracht zu werden, dem Grimme Deines stolzen Herrschers Trotz bieten würde?«

Er hielt inne und fuhr dann mit immer noch auf den Gothen gehefteten Augen mit leiseren und bewegteren Tönen fort:

»Wenn Du mir Deine Hülfe verweigerst, so werde ich das Lager durchwandern bis ich Deinen König finde. Kerkerst Du mich auch ein, so wird Deine Gewaltthätigkeit meine Lippen doch nicht öffnen. Erschlägst Du mich, so wirst Du nichts durch meinen Tod gewinnen. Stehst Du mir aber bei, so wirst Du bis zum letzten Augenblicke Deines Lebens über die That triumphiren! Ich habe Worte von furchtbarer Wichtigkeit für Alarich’s Ohr – ein Geheimniß für dessen Erlangung ich diesen Preis gezahlt habe.«

Er deutete auf seinen verwundeten Arm. Die Feierlichkeit seiner Stimme, die rauhe Energie seiner Worte, die finstere Entschlossenheit seines Gesichts, die sie umgebende Dunkelheit der Nacht, der rollende Donner, welcher sich ihrem Gespräche anzuschließen schien, die Räthselhaftigkeit ihrer Begegnung unter den Stadtmauer – alle diese Dinge begannen ihre mächtigen, verschiedenartigen Einflüsse aus den Geist des Gothen zu üben und veränderten allmälig die Gefühle, welche ihm anfangs die Mittheilungen des Mannes eingeflößt hatten.

Er war unschlüssig und blickte zweifelhaft nach den Linien des Lagers.

Es entstand eine lange Stille, welche wieder von dem Fremden unterbrochen wurde.

»Bewache mich, kette mich an, verspotte mich, wenn Du willst!« rief er mit erhobener Stimme und blitzenden Augen, »aber führe mich zu Alarich’s Zelt! Ich schwöre Dir bei dem über unsern Häuptern rollenden Donner, daß die Worte, welche ich mit ihm sprechen will, in seinen Augen kostbarer sein werden, als das herrlichste Juwel, welches er aus den Schatzkammern von Rom rauben könnte.«

Wiewohl der Mann einen unverkennbaren Eindruck auf ihn gemacht hatte, zauderte Hermanrich doch immer noch.

»Zögerst Du noch?« rief der Mann mit verächtlicher Ungeduld. »Laß mich vorüber, ich will allein in das Herz Eures Lagers dringen! Ich habe meinen Plan allein begonnen, ich werde seine Erfüllung ohne Hülfe bewerkstelligen. Laß mich durch!«

Und er schritt an Hermanrich in der Richtung nach der Vorstadt vorüber, während auf seinen verwelkten Zügen derselbe Ausdruck stolzer Energie lag, welche sie im Beginne seines ungewöhnlichen Gesprächs mit dem jungen Häuptling so auffallend markirt hatte!

Die kühne Hingebung an, seinen Zweck, das rücksichtslose Streben nach einem gefahrvollen, ungewissen Erfolge, welches sich in den Worten und Handlungen eines so schwachen, hülflosen Mannes, wie der Fremde war, kundgab, erweckte in dem Gothen das Gefühl unwiderstehlicher Bewunderung, welches die Verbindung von moralischem mit physischem Muth unfehlbar erzeugt. Außer dem hierin liegendem Reize, dem Manne beizustehen, erfüllte sich Hermanrich’s Geist mit einer brennenden Neugier, sein Geheimniß zu entdecken, und machte ihn weiter geneigt, seinen entschlossenen Gefährten vor Alarich zu führen, da er nur durch dieses Verfahren nach der festen Erklärung des Mannes, daß er sich Keinem als dem Könige mittheilen würde, endlich den Gegenstand seines räthselhaften Vorsatzes zu erforschen hoffte. Von diesen Motiven beseelt, rief er also dem Fremden zu, daß er anhalten möge und theilte ihm in kurzen Worten seine Bereitwilligkeit mit, ihn sofort vor den gothischen König zu führen.

Der Mann gab ihm durch ein Zeichen zu erkennen, daß er sein Anerbieten annehme. Offenbar waren seine physischen. Kräfte nahe daran, ihn zu verlassen, dessen ungeachtet schwankte er mühsam mit ihm dem Hauptquartiere des Lagers zu, wobei er fast unablässig vor sich hin murmelte und gestikulirte. Unterwegs redete er seinen Führer nur ein einziges Mal an, indem er den jungen Gothen mit dem heftigsten Argwohn und Verdacht fragte, ob er vor dieser Nacht schon die Stadtmauer untersucht habe.

Hermanrich antwortete verneinend und von da an schritten sie im tiefsten Schweigen weiter.

Ihr Weg führte durch die westliche Lagerlinie und wurde nur unvollkommen hier und dadurch die Flamme einer Fackel oder die Gluth eines fernen Wachtfeuers erleuchtet. Das, Donnern war weniger häufig, dabei aber stärker geworden. Von Westen erhoben sich einige schwache Windstöße und schon fielen einzelne Regentropfen auf die durstige Erde nieder. Die nicht geradezu an den verschiedenen Beobachtungsposten zur Wache aufgestellten Krieger hatten sich in den Schutz ihrer Zelte zurückgezogen, von den tausend Müssiggängern und Troßknechten der großen Armee« war keiner an seinem gewohnten Orte zu sehen, selbst die wenigen Stimmen, welche man vernahm, erklangen leise und wie aus der Ferne.

Das nächtliche Sehauspiel hier in den Reihen der Eroberer von Italien war eben so düster und wenig anziehend wie das auf der einsamen Ebene vor den Mauern von Rom.

Der Fremde bemerkte bald, daß sie einen Theil des Lagers erreicht hatten, welcher dichter bevölkert sorgfältiger erleuchtet, stärker befestigt war, wie die bereits passirten, und das Rauschen des Tiber drang jetzt in sein argwöhnische, aufmerksames Ohr. Sie gingen noch einige Schritte weit vorwärts und blieben dann plötzlich vor einem Zelte stehen, welches von vielen andern dicht umgeben und an allen seinen zugangen von Gruppen reich bewaffneter Krieger besetzt war. Hier blieb Hermanrich stehen, um mit einer Schildwache zu sprechen, die nach kurzem Verzug die äußere Decke des Zelteinganges aufhob und einen Augenblick darauf stand der römische Abenteurer neben seinem Führer vor dem gothischen Könige.

Das Innere von Alarich’s Zelt war mit Häuten ausgeschlagen und von einer kleinen an die das Dach desselben stützende Mittelstange befestigten Lampe erleuchtet. Der einzige Hausrath bestand aus einigen nachlässig auf den Boden geworfenen Holzbündeln und einem großen roh geschnitzten hölzernen Kasten, auf welchem ein zu einer Art von ungeschicktem Weinbecher ausgehöhlter polirter Menschenschädel stand. Das geräumige Zelt besaß ein wahrhaft gothisches graues Ansehen, eine majestätische nordische Einfachheit, die sich nicht nur in seinem dichten Schatten, seinen ruhigen Lichtern und seiner Freiheit von Prunk und Schimmer sondern selbst in dem Aeußern und der Beschäftigung seines auffallenden Bewohners zeigten.

Alarich saß allein auf dem schon beschriebenen hölzernen Kasten und betrachtete mit gerunzelter Stirn und zerstreutem Blicke einige altrunische Zeichen die auf der verzierten Oberfläche eines volle fünf Fuß hohen aus Erz und Silber bestehenden Schildes, der an der Seite des Zeltes lehnte, eingegraben waren. Das auf die polirte Oberfläche der Schutzwaffe, welche durch die dunkeln Häute hinter derselben doppelt glänzend wurde, fallende Lampenlicht wurde auf die Gestalt des Hänptlings zurückgeworfen. Es schimmerte auf seinem breiten Harnisch, es enthüllte seine festen durch einen Ausdruck verächtlichen Triumphs leicht gekräuselten Lippen, es zeigte die großartige Muskelbildung seines Armes, welcher in eng anschließendes Leder gekleidet auf seinem Knie ruhte, es erleuchtete theilweise sein kurzes, helles Haar, und blitzte stetig in seinen auf den einen Punkt gehefteten, gedankenvollen, männlichen Augen, die unter dem theilweisen Schatten seiner gerunzelten Brauen nur eben sichtbar waren, während es den untern Theil seines Körpers und seine rechte Hand, die auf dem Kopfe eines zu seinen Füßen liegenden großen zottigen Hundes ruhte, fast völlig von den dicken Fellen beschatten ließ, die verwirrt an den Seiten des hölzernen Kastens aufgehäuft waren. Er war so vollkommen in die Betrachtung der Runenzeichen auf seinem ungeheuern Schilde versunken, daß er das Eintreten Hermanrich’s und des Fremden nicht eher bemerkte, als bis ihn das Knurren des wachsamen Hundes plötzlich in seiner Beschäftigung störte. Er blickte rasch auf, sein scharfes, durchdringendes Auge ruhte momentan auf dem jungen Häuptling und verweilte dann fest und forschend auf der schwachen verkrüppelten Gestalt seines Gefährten.

An die militärische Kürze und Schnelligkeit gewöhnt, welche sein Befehlshaber bei allen von seinen Untergebenen an ihn gerichteten Mittheilungen forderte, erzählte Hermanrich kurz, ohne auf eine Frage zu warten oder eine Vorrede oder Entschuldigung seiner Darstellung zu versuchen, das Gespräch, welches zwischen dem Fremden und ihm auf der Ebene bei dem Pincischen Thore stattgefunden hatte und schwieg dann ehrerbietig, um das Lob oder den Tadel des Königs entgegenzunehmen, wie es eben der Zufall des Augenblickes entscheiden mochte.

Nachdem Alarich seine Augen wieder streng und forschend auf die Gestalt des Römers geheftet hatte, redete er den jungen Krieger in gothischer Sprache an:

»Laß den Mann bei mir – kehre auf Deinen Posten zurück und erwarte dort die Befehle, die ich Dir heute Nacht zu senden für nothwendig erachten werde.«

Hermanrich entfernte sich augenblicklich, worauf der gothische Anführer, zum ersten Male zu dem Fremden gewendet, in lateinischer Sprache diesem kurz und bedeutsam mittheilte, daß sie jetzt allein seien.

Die vertrockneten Lippen des Mannes bewegten sich, öffneten sich, bebten, seine wilden, hohlen Augen funkelten, er schien jedoch unfähig zu sein, ein Wort zu sprechen, seine Züge verzogen sich in furchtbaren Krämpfen, um seine Lippen sammelte sich Schaum, er schwankte vorwärts und würde zu Boden gefallen sein, wenn ihn nicht der König augenblicklich mit starkem Arme erfaßt und auf den hölzernen Kasten gesetzt hätte, welchen, er bis jetzt selbst eingenommen hatte.

»Kann ein verhungernder Römer aus der belagerten Stadt entronnen sein?« murmelte Alarich, indem er den Schädelbecher nahm und einen Theil des darin enthaltenen Weines in den Mund des Fremden schüttete.

Die Flüssigkeit hatte augenblicklich die Wirkung, den Zügen des Mannes wieder Fassung und seinem Geiste Bewußtsein zu verleihen; er erhob sich von dem Sitze, wischte den kalten Schweiß, welcher seine Stirn überzog, ab und stand aufrecht vor dem Könige da, der einsame, machtlose Greis vor, dem thatkräftigen Herrn von Tausenden in der Mitte, seiner Krieger, ohne daß sein festes Auge gebebt, oder über seine stolze Lippe eine Bitte um Schutz gekommen wäre.

Genres and tags

Age restriction:
0+
Release date on Litres:
04 December 2019
Volume:
680 p. 1 illustration
Copyright holder:
Public Domain

People read this with this book