Read only on LitRes

The book cannot be downloaded as a file, but can be read in our app or online on the website.

Read the book: «Der Mime», page 9

Font:

Siebentes Capitel

Die Sitzplätze des Pompeius-Theaters füllten sich mehr und mehr; schon drang jenes dumpfe Gemurmel der Erwartung, das eine volle Casse verspricht, vom Zuschauerraum herüber in die Zellen der Schauspieler und schon ordneten die kundigen Hände der Theaterarbeiter den Vorhang, der zum Niederfallen bereit hing, indeß die übrigen Gehülfen die Coulissen zurechtrückten und den Chor gruppirten, der bereits auf das Zeichen wartete, um, seine erhabenen Töne anstimmend, aus dem Hintergrunde hervor zu schreiten.

Paris wollte sich heute zum ersten Mal nicht als Tänzer, sondern in der mächtigen Rolle des Oedipus dem Publicum zeigen. Kein Wunder, daß heute Mittag die Sitzplätze des nicht sehr großen Pompeius-Theaters von neugierigen Köpfen wimmelten, daß es unter den Zuschauern fast wie bei einer Schlacht herging und daß die Theaterbeamten ihre Noth hatten, die Plätze anzugeben, die Marken abzunehmen, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten.

Was den Schauspieler selbst anbelangt, so befand er sich bereits seit einer Stunde in seiner rechts von der Bühne gelegenen Zelle, theilweise seinen Anzug in Bereitschaft setzend, theilweise in seiner Rolle blätternd. Seine Aufregung wuchs von Minute zu Minute, sollte doch diese Stunde darüber entscheiden, ob er sich endlich zu höheren Kunstleistungen emporschwingen durfte, oder ob er immer wieder dazu verdammt sein sollte, mit Gauklern und Possenreißern so ziemlich auf dieselbe Stufe gestellt zu werden. Die Wichtigkeit des Moments flößte dem armen Tänzer ein Fieber ein, das ihn das Unsinnigste begehen und sagen ließ, so daß der Theaterdiener, der ihm den Cothum anzuschnallen sich bemühte, alle Geduld verlor. Dem jungen Manne war diesmal gar nichts recht zu machen; bald saßen die Riemen zu fest, bald zu locker. Auch die Masken, die er vor einigen Tagen gelobt, wollten jetzt dem erregten Künstlergemüth gar nicht mehr gefallen, bald hatte er die griesgrämige Miene der Oedipusmaske zu tadeln, bald schien der Bart der Maske zu dunkel, bald zu hell, bald die Schallöffnung zu weit, bald zu eng. Auch das prächtige schleppende Gewand ward einer nörgelnden Kritik unterworfen, wie denn der Königsstab, über den er vorher zufrieden schien, heute viel zu lang befunden wurde.

Ein nicht mehr ganz junger Schauspieler Namens Mnester, der gerade in die Zelle trat, kramte in den Farbentöpfen und sagte dann mit ironischem Lächeln, indem er sich auf einen Stuhl warf, zu Paris: »Wenn du heute ausgezischt wirst, mein Lieber, glaube mir, dein Kostüm ist nicht daran schuld.« Paris, der wußte, daß Mnester sonsthin den Oedipus spielte und daß jetzt der Künstlerneid aus ihm sprach, biß, indem er sich den Königsmantel um die Schultern heften ließ, die Zähne aufeinander, um seinen aufsteigenden Grimm zu unterdrücken.

Allmählich traten noch mehrere Collegen zu Paris in die Zelle, darunter auch einige Colleginnen. Manche verhielten sich ruhig, andere neckten und witzelten über die Laune des Tänzers, einen Oedipus verkörpern zu wollen, allen war es anzusehen, daß sie mit höchster Neugier der Kunstleistung des Pantomimen entgegensahen.

»Warum kommt ihr eigentlich zu mir?« sagte endlich Paris, der nicht länger an sich zu halten vermochte, »ich kenne den Zweck eures Hierseins sehr wohl, ich sage euch aber, daß ich mich nicht entmuthigen lasse.«

»Lieber Freund,« begann Mnester ernster als vorher, »wir kommen nicht um dich zu entmuthigen, sondern um dich noch im letzten Augenblick von einem Vorhaben abzubringen, an dem deine Kraft nothwendig scheitern muß.«

»Scheitern?« frug Paris verächtlich, während ihm der Diener das Königsgewand in malerische Falten legte, »das wollen wir einstweilen abwarten. Rom mag entscheiden!«

Mnester ließ seinen Blick, dem er einen ehrlichen Ausdruck zu geben versuchte, prüfend über die Gestalt des Tänzers gleiten und sagte dann mitleidig lächelnd zu einigen Colleginnen: »Seht doch! ist dies die Gestalt eines Oedipus?«

Die Künstlerinnen lachten, indeß die Maske in der Hand des Tänzers zitterte, obgleich er auf den Scherz einzugehen und zu lächeln sich den Anschein gab.

»Du hast ja gar keine Stimme für den Oedipus,« fuhr Mnester unbarmherzig fort, »auch ist deine Deklamation unwahr, bald zu pathetisch, bald zu gewöhnlich.«

Paris erröthete, sagte aber, da ihm diese ohne Gehässigkeit vorgebrachte Kritik einige Wahrheit zu enthalten schien, nichts, worauf Mnester die Behauptung aufstellte, ein wahrer talentvoller Schauspieler bedürfe weder des Königsstabes noch des Cothurns, noch des Mantels, noch des in der Maske angebrachten Schallrohrs, um seine Zuschauer zu Thränen hinzureißen.

»Das ist nicht wahr!« entfuhr es den Lippen des beängstigten Paris.

»Nicht wahr?« entgegnete Mnester, »gut, du sollst es sehen.«

Und der hochgewachsene Mann stand auf, schloß die Augen, legte seine Züge in charakteristische Falten und sprach in gebückter Stellung tastend, einherwankend jene Verse des Oedipus, da er geblendet aus dem Palast herausgeführt wird. Seine Stimme bebte, als er begann:

 
»Weh! Weh mir! Wohin trägt der irrende Fuß
In die Weite der Welt mich hinaus in die Nacht?
Wo fliegt der Laut von der Lippe mir hin?«
 

Und als er dann an jene Stelle kam:

 
»Grausige Wolkennacht,
Welche mich schwarz umfängt,
Ewig durchbricht dich nie
Wieder ein Strahl des Lichts. —«
 

fielen die verzweiflungsvollen Töne mit so herzzerreißender Naturwahrheit von seinen Lippen, daß alle Anwesende, Paris nicht ausgenommen, von tragischen Schauern überrieselt, kaum die Thränen zurückzuhalten vermochten.

Paris seufzte tief auf, warf die Maske von sich und starrte die Lippen aufeinander gedrückt dumpf vor sich nieder. Aber er hatte nicht Zeit sich länger seinem Kleinmuth hinzugeben, der schallende Klang des Metallbeckens rief alle Mitglieder auf die Bühne. Paris fühlte, wie bei jenem Klang ein eisiger Schrecken seine Glieder lähmte, niemals werde er, das mußte er sich gestehen, den Oedipus spielen können wie jener Mnester ihn eben gespielt, wie klein kam er sich diesem Riesen gegenüber vor und jetzt, als er auf die Bühne hinaustreten wollte, war es ihm angstvoller zu Muthe, als dem Thierkampfspieler, der in der blutgedrängten Arena der Tatze des Löwen trotzen soll.

Als er an Mnester vorüberschritt, flüsterte er rasch entschlossen diesem inʼs Ohr: »Spiele du die Rolle an meiner Statt«. Mnester sah ihn verwundert an und zuckte die Achseln.

»Das römische Volk erwartet dich,« sagte er, »es würde dich verlangen und mich von der Bühne jagen, wollte ich es zu täuschen versuchen.«

Dagegen ließ sich nichts einwenden, es war zu spät, er mußte ausführen, was er mit so viel Mühe schon seit Monaten vorbereitet. Welche Anstrengung hatte es ihn gekostet, die Erlaubniß zur Durchführung jener Rolle zu erhalten, – es bedurfte sogar des Kaisers Machtspruch, um es ihm zu ermöglichen, im Pompeius-Theater als Oedipus auftreten zu können,  – — und jetzt – wenn er fiel, war sein Fall nicht doppelt belachenswerth? War nicht sein Glück für immer dahin und konnte er sich nach solch schmachvollem Schiffbruch selbst noch als Tänzer dem Publicum zeigen, einem Publicum, das sich so gerne auf Kosten seiner Mitbürger amüsirte?

Als er auf der Bühne im Thor des Königspalastes stand, die Bittflehenden vor sich knieen sah, mußte er sich auf seinen Königsstab stützen, um seine ruhige Haltung zu bewahren, und als der Vorhang sank und in weiten Bogen lauschende Köpfe bis an den Himmel vor ihm emporragten, gelang es ihm kaum, die Worte, vor deren Schall er sich fürchtete, aus dem Munde zu bringen. Es war ihm, als spräche ein Anderer, als rückten ihm seine Mitspieler in nebelhafte Ferne, die Köpfe vor ihm zerflossen, drehten sich im Kreise, schnitten Grimassen und suchten ihn aus der Fassung zu bringen. Immer seltsamer kamen ihm seine Worte vor, er spürte einen dämonischen Trieb in sich, die Worte absichtlich zu verdrehen. Und als nun das Volk zu murmeln begann, gab er sogleich sein Spiel verloren. Mit ganzer Gewalt gegen eine ohnmachtartige Schwäche ankämpfend, schleppte er seine Deklamation noch bis an jene Stelle, wo der Chor zu beginnen hat und eilte dann dem ausbrechenden Sturm zu entgehen, von der Bühne. Sein Entschluß war gefaßt. Er wollte, als er die lächelnden Mienen seiner Collegen sah, keine Niederlage mittelst eines berechneten Theatereffekts in einen rauschenden Triumph verwandeln. »Ich will euch zeigen, wem das Volk am liebsten Beifall klatscht,« rief er Mnester in athemloser Aufregung zu. Und als eben der Chor geendet, lockerte er rasch Maske und Königsmantel, stürmte, den Cothurn von sich schlendernd, mitten auf die Bühne, warf die Maske mit komischer Geberde in die Luft, riß sich wie in trunkenem Uebermuth den Mantel von den Gliedern und tanzte so einen seiner berückendsten Tänze mit hinreißender fieberhafter Lebhaftigkeit. Anfangs war das Publicum, als es den ehrwürdigen Oedipus sich in dieser Art geberden und umwandeln sah, starr vor Erstaunen. Dann hielt es das Ganze für einen beabsichtigten heiteren Scherz und brach in stürmischen Beifall aus, indeß Mnester mit seinen Collegen unmuthig dieser Entwürdigung der Kunst zusahen.

Paris erfand, während er tanzte, um Mnester zu ärgern, eine Parodie auf den Oedipus, die mittelst Arm- und Beinverrenkungen dargestellt, das Volk unwiderstehlich zum Lachen reizte. Obgleich nun Paris, während er diese Parodie darstellte, sich selbst ebenso sehr wie das Volk verachtete, tanzte er das Stück doch zu Ende und ahmte schließlich den blinden einhertaumelnden König mit so drastischer Komik nach, daß das Publicum nicht aufhörte, seinem Liebling zuzujauchzen. – Nach Beendigung der Vorstellung entzog sich Paris dadurch den übertriebenen Huldigungen seiner Verehrer, daß er einen Mantel umwerfend, rasch nach Hause eilte, was ihm, da es schon zu dämmern begann, unbemerkt gelang.

Zu Hause angekommen, eilte er in das Halbdunkel einer wildverwachsenen künstlichen Grotte seines Gartens, um sich hier in dieser Einsamkeit dem Anblick der Mutter zu entziehen und überließ sich ganz dem bitteren Gefühl der Demüthigung, das sich wie ein Wurm um sein Herz wand, als wolle es auch den letzten Rest von Selbstachtung aus dem Gequälten herauspressen. Welche elende jämmerliche Empfindung! Besser todt, als auf diese Art leben! Und doch fand der verweichlichte, entnervte Tänzer nicht den Muth, diesem Leben voll Enttäuschungen, Berauschungen und Nichtigkeiten ein Ende zu machen. Das Dasein hatte zwar keinen Reiz mehr für ihn, aber der Tod barg alle Schauer der Ungewißheit in seinem nie enthüllten Dunkel, und so irrte er, wie auf einer Brücke, von einem Ufer zum andern, nicht wissend, wo er rasten sollte. Dabei wußte er in seiner Verzweiflung, daß dieselbe doch nur einer vorübergehenden Stimmung ihr Entstehen verdankte, und diese Gewißheit unterstützte seine schmächliche Feigheit und hielt ihn davon ab, den Tod zu suchen. Hätte das beifallklatschende Rom hier seinen bewunderten Liebling auf der Steinbank im Dämmerlicht der Grotte liegen sehen, es hätte vielleicht zu ahnen begonnen, wie sehr es sich selbst durch diesen Tänzer erniedrigte, aber Niemand als der lauschende Marmorfaun, der vor dem Eingang Wache hielt, sah ihn den Kopf in die Hände pressen. Niemand als der Nachtwind, der das Silber des Teiches erfrösteln ließ, Niemand hörte sein Schluchzen, als der Mond, der jetzt durch das Geranke in die Grotte hineinschielte und seine fahlen Goldblicke über die ferne Villa und die Pinienwipfel des Gartens gleiten ließ. Diese schwermüthige Stille nach dem rauschenden Beifall, diese erhabene Einfachheit der Natur im Gegensatz zu dem gekünstelten Leben, dem falschen Glanz auf der Bühne – er fühlte sich dieser träumerischen Ruhe gegenüber beschämt, und die ganze Unwahrheit seiner Existenz peinigte jetzt sein Inneres, als habe er sich an den ewigen Ideen und Bestrebungen der Menschheit versündigt. Nie quälte ihn die Reue grimmiger als in diesem Augenblick, ja er weinte wie ein Kind. Dieser Beifall schnitt ihm wie der Hohn aller Edeln durchʼs Innere, diese Verunglimpfung des Sophokles, die er sich erlaubt, brannte ihm wie ein Verbrechen auf dem Gewissen, er kam sich so unsagbar elend vor, sein Leben erschien ihm so zwecklos, das Gefühl, daß er allen Edeln, die den Geschmack des Volks zu läutern suchten, ein abscheuwürdiger Verführer war, vernichtete ihn fast. Trug er doch zur Verderbniß aller Sitten auf die raffinirteste, verächtlichste Weise bei, und doch konnte er sich dieser schmählichen Aufgabe, trotz der besten Vorsätze, nicht einmal entziehen. War er doch gezwungen, von der Gnade der schändlichen Vergnügungssucht des Volkes sein Dasein zu fristen.

Noch in solche Selbstanklage vertieft, sah er am Eingange der Grotte, zwischen dem Geranke, eine weiße Gestalt erschimmern, die, wie es schien, schon einige Zeit dort gestanden, regungslos wie eine Marmorgöttin. Als er den Kopf hob, bewegte sich diese, vom Mond mit blauen Lichtern überflimmerte Erscheinung.

Paris erhob sich, die Gestalt huschte in das Innere der Grotte, und Paris fühlte sich von zwei Armen halb umschlungen, halb in ängstlicher Entfernung gehalten.

»O Du! – Du weinst?« flüsterte es bebend an seiner Brust. »Warum weinst du denn? – Aber stille! Er ist in der Nähe – er könnte lauschen —.«

Dann lachte sie leise vor sich hin, wie in unschuldiger Freude über ihre Kühnheit, ihn umschlungen zu halten.

Es war Lydia, die an seiner Brust lag, und die nun mehrmals in traurigem Tone frug, warum sie ihn denn schluchzen gehört. Doch überwand die Freude, hier in seiner Nähe zu sein, jedesmal wieder die Bestürzung, ihn unglücklich zu wissen, und so unterbrach sie ihre betrübten Fragen immer wieder mit zärtlichem, vogelähnlichem Gezwitscher und Geflüster. Paris redete lange kein Wort, sondern sog, trunken in seligem Weltvergessen, den berauschenden Duft dieses eigenthümlich scheu -zutraulichen Benehmens ein. Draußen blaute die duftende Mondnacht über den Wipfeln der Lorbeerbäume und Pinien, das Plätschern des Springquells störte kaum die zauberhafte Stille. Alle Sinne waren ihm wie gelöst, wie von warmen Wellen eingewiegt, und er fühlte sich, wie von einem innern Druck, von all seinen lastenden Gedanken befreit, als er sie so zuthunlich arglos in seinen Armen halten konnte.

»Jetzt sage mir endlich, warum du weinst?« bat sie, »Schnell! Fabius wird uns gleich überraschen, er schickte mich einstweilen voraus, um – warum redest du nicht?«

»Lassen wir das,« wollte er ausweichen.

»Ich will es wissen, warum du geweint!« frug sie von Neuem, fast mit Heftigkeit, während sie ihm mit einer Nadel, die sie aus einem Täschchen gezogen, einen Riß zusteckte, den sie in seiner Toga entdeckt. Sie war ganz anders wie sonst, das Gefühl der Sicherheit, der Befreiung aus dem Sklavenjoch schien ihr alle Frische ihres Charakters, allen Lebensmuth zurückgegeben zu haben, selbst ein wenig Trotz wurde bemerkbar. Auch hatte sie offenbar die echt weibliche Eigenheit, sich launenhaft ganz der augenblicklichen Stimmung gemäß zu verwandeln. Zwar sprach sie noch ebenso liebenswürdig durch das Näschen, aber ihre Stimme klang heiterer, sicherer, und als Paris sie an sich drückend immer noch mit der Antwort zögerte, schien sie ungeduldig zu werden, ja, es zitterte eine süße Hartnäckigkeit in ihrer Stimme.

Nun begann sie, einen Augenblick in ihr träumerisches Wesen zurückfallend, zu erzählen, daß sie im Theater gewesen, daß sie ihn bewundert und ihm Beifall geklatscht. Daß er aber das erste Stück unterbrochen, sei gar nicht schön gewesen, sie hätte es so gerne gesehen. Ach! diese prächtigen Gewänder und dann sein herrlicher Tanz, sie sei noch ganz hingerissen, aber sie begreife gar nicht warum er, da man ihn doch so sehr bewundert, betrübt hier einsam sitze. Neben ihr hätte ein Wursthändler sich die Hände wund geklatscht und eine alte Frau habe aus dem Theater gehen müssen, weil sie, wie sie sagte, befürchte vor Lachen zu ersticken.

Paris, als er dies hörte, wandte sich verstimmt ab.

Lydia wandte ihm mit dem Zeigefinger leise den Kopf wieder um, frug ihn zärtlich was ihm fehle und setzte, als sie Thränen in seinen Augen bemerkte, ablenkend hinzu, ob er sie denn auch wirklich – kaufen werde. Diesmal verschluckte sie das garstige Wort, sie wußte selbst nicht warum, auf einmal erschien ihr, da sie so allein mit ihm in der blauen Dämmerung der Grotte weilte, das Abhängigkeitsgefühl beunruhigend. Einen Augenblick hindurch versank sie sogar wieder in Schwermuth, sah traurig hinaus in die schwüle Mondnacht und harrte auf Parisʼ Antwort. Dann wandte sie sich hastig um.

»Ach, du!« stieß sie leise hervor, ohne zu wissen, was sie sagte, und bat dann auf innige Weise um Aufschluß, warum er heute so still und in sich gekehrt sei.

»Ich will gern mit dir weinen,« sagte sie, »sage mir nur, warum. O! ich kann dich trösten, glaube mir, ich kann es, glaubst du es nicht?«

Paris schüttelte den Kopf.

»Wenn du wüßtest, wie du mir weh thust,« lispelte sie, an seinem Gewand zupfend, dasselbe glättend, und es wieder in Unordnung bringend, bis ihr Paris, indem er sagte: »Du verständest meine Antwort nicht« – plötzlich einen Kuß auf die halbgeöffneten Lippen drückte.

Anfangs erbleichte sie, sah ganz verwundert zu Paris auf, trat dann, sich von ihm losmachend, zurück, und sagte, indem sie mit einem Ernst, der sehr drollig anmuthete, den Finger in die Höhe hob, »das nicht!«

»Wie? Warum nicht?« frug Paris lächelnd.

»Ich weiß nicht,« sagte sie, den Kopf heftig schüttelnd.

»Wie?« frug Paris nähertretend, »ich denke du liebst mich.«

Sie nickte träumerisch vor sich hin, senkte den Kopf und brach, sich, an die Wand der Grotte gedrückt, ein wenig in die Kniee niederlassend, eine im Geranke hängende Blume.

»Nun?« frug Paris, ihr vom Mondlicht überrieseltes Haupt betrachtend. Es dauerte eine Weile, bis sie hörte; endlich sah sie empor, erhob sich und schmiegte sich an die Brust des jungen Mannes, indem sie, ohne eine tiefere Gemüthsbewegung zu verrathen, leise flüsterte: »Du – ja!«

»Was meinst du damit?« frug Paris, von der ruhigen Kraft, mit der sie diese Worte betonte, bezaubert.

»Dir,« flüsterte sie, »dir ist es erlaubt.«

»Was ist mir erlaubt?« gab er mit zerfließender Stimme zurück.

Sie drückte ihr Haupt an seine Brust und flüsterte, kaum hörbar lachend: »Was du eben thatest.«

Er wollte sie hierauf, von Mitleid und Zärtlichkeit hingerissen, wiederum küssen, doch umklammerte sie ihn so fest, und drückte ihre Wange kichernd so stürmisch an seine Brust, daß es ihm nicht gelang, sein Vorhaben auszuführen, obgleich er sich bemühte, ihr Haupt von seiner Brust loszulösen. Dies Liebesspiel dauerte so lange, bis Fabius sich der Grotte näherte, worauf Paris, da er Lydia hier zu bleiben bat, noch lange mit dem Händler auf und nieder schritt.

Auf den warmen Rausch der eben durchlebten Liebesscene wirkte freilich die nüchterne Prosa des Menschenwaarenhändlers wie ein kaltes Sturzbad auf das gliederzerschmelzende Dampfbad, und der noch Liebestrunkene fand lange Zeit kein Wort auf die rücksichtslosen Auseinandersetzungen des Kaufmanns.

»Wenn ich das Geld morgen um diese Stunde nicht in Händen habe,« erklärte endlich der Händler barsch, »siehst du das Mädchen in den Armen des Crassus. Ich kann nicht länger warten. Was glaubst du wohl! Ißt sie nicht? Trinkt sie nicht? Mit jedem Tag wird sie theurer, ich sollte sie bereits um sechsundachtzigtausend losschlagen.«

Paris suchte ihn zu beruhigen, obwohl er sich selbst innerlich beunruhigte.

»Du wirst mehr erhalten, als du verlangst,« sagte er.

»Woher willst du das Geld erhalten?« frug der Händler mißtrauisch.

»Das ist meine Sache!«

»Erlaube, auch die meine.«

»Genug!« sagte der Tänzer, »ich darf dir die Person, von der ich das Geld erhalte, nicht nennen  – — es sind gefährliche Dinge, die ich da berühre, – das muß Geheimniß bleiben, – aber morgen erhältst du die Summe!«

»Ah,« machte der Händler, »Geheimniß? – hm! – Kann sein, kann sein! Herr! Deine Liebschaften mögen dir manche Börse öffnen, was?«

Paris gab ihm hierauf keine Antwort, der Abschiedsblick Lydiaʼs fesselte ihm die Zunge, denn in jenem durchgeistigten Blick loderte das hohe, von Schamhaftigkeit gezügelte, aber dennoch an Wahnsinn grenzende Aufgehen einer Seele in der geliebten Seele. Dieser stumme Blick verkündete ihm, daß dies Mädchen nicht mehr in sich, sondern in ihm lebte, daß er ihr Besitz war, an den sie sich klammerte, und dies Bewußtsein erfüllte ihn seltsamer Weise nicht mit Freude, eher mit einer niederdrückenden Schwermuth, die eine gewisse Hinneigung zur Reue hatte.