Autobiografie eines Nürnberger Nachkriegskindes

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Autobiografie eines Nürnberger Nachkriegskindes

1  Autobiografie EINES NÜRNBERGER NACHKRIEGSKINDES

Autobiografie EINES NÜRNBERGER NACHKRIEGSKINDES

Wenn ich mein Langzeitgedächtnis bemühe, dann erinnere ich mich, dass ich schon als Kind und dann als Jugendlicher mit Schüchternheit und mit Hemmungen zu kämpfen hatte. Ohne Selbstbewusstsein, ohne Selbstvertrauen und ohne Selbstwertgefühl. Es entstanden Ängste, die ich lange Zeit nicht einordnen konnte. Um diese Ängste zu begegnen und überwinden zu können brauchte ich stets einen festen Willen und viel Mut zur Konfrontation. So gewann ich nach jeder erfolgreichen und bestandenen „Mutprobe“ vermehrt an Selbstvertrauen und an Selbstbewusstsein. Zu erkennen war immer, ob diese Ängste in bestimmten Situationen begründet oder unbegründet waren. Und wo das Risiko lag bei einer notwendigen Entscheidung.

Es sind Urängste die uns angeboren sind, die uns vor realen Gefahren warnen und schützen sollen. Es sind biologisch sinnvolle Reaktionen. Es gibt aber auch Ängste, die uns nur so im Kopf begleiten, viele unnötige und fiktive Ängste. Die Angst ist ein weiter Begriff und man kann sie sehr unterschiedlich definieren. Wie zum Beispiel Lampenfieber, Anspannung und Nervosität, Sprechangst und Prüfungsangst, die Angst sich zu blamieren. Mit zunehmender Routine legen sich zumeist diese Ängste, obwohl etwas „Lampenfieber“ für eine optimale Leistung auch von Nutzen sein kann. Bis heute in meinem jetzigen Alter wurde ich aber nie ganz frei von Zweifeln und von Hemmungen.

Vor allem beim Gebrauch von neuen Techniken und neuen Trends übe ich große Zurückhaltung. Ist in mir immer noch die Scheu etwas falsch zu machen.

Ich denke dann, bin ich nun zu altmodisch, zu konservativ? Kann man Altes und Bewährtes, die alten Gewohnheiten nicht so einfach aufgeben? Sind es Erinnerungen an die vermeintlich „Guten alten Zeiten“? Ich bin mir bis heute auch nicht sicher, welche Denk-und Handlungsweisen mein Leben vorrangig geprägt und bestimmt haben. War es Optimismus, oder mehr Pessimismus. War es ein naives Vertrauen oder ein gesundes Misstrauen? Von beidem etwas?

All diese Fragen und Erkenntnisse beschäftigen mich bis zum heutigen Tag. Erinnerungen werden immer wieder wach und ich denke, wie wäre mein Leben verlaufen wenn ich in bestimmten Situationen anders gehandelt hätte. Kann oder muss man sein Schicksal selbst bestimmen, selbst in die Hand nehmen? Oder ist unsere Zukunft vorgezeichnet, nicht veränderbar? Wohl eine Glaubensfrage. Ein altes Wienerlied, ein Loblied auf die Bescheidenheit, begann mit den treffenden Worten: „Wenn der Herrgott net will nutzt es gar nix“. Niemand kann das mit Bestimmtheit wissen, nicht mit Sicherheit beantworten, ob da etwas „Wahres“ daran ist.

Kann man schon im Babyalter und als Kleinkind von Krieg, Elend und Gewalt seelischen Schaden erleiden? In meinen frühen Kindheitserinnerungen sind noch heute die heulenden Sirenen geblieben, der fürchterliche Lärm von krachenden und explodierenden Bomben. Von Feuer und schreienden Menschen.

Ich sehe finstere Keller, zerbombte Häuser und qualmende Eisenbahnzüge. Ich sehe Ruinen und eine Stadt in Schutt und Asche.

Was prägte uns Nachkriegskinder dann in der weiteren Entwicklung, nach dem Ende einer schrecklichen Zeit? Das Elternhaus, die Erziehung, die Bildung, die Kirche, der christliche Glaube? Sind es die Gene die man geerbt hat, die alles steuern für das gesamte weitere Leben?

Die Institution Kirche und der Glaube an einem Gott, an einem Schöpfer von Himmel und Erde, sehe ich nun im Alter und nach meinen Lebenserfahrungen etwas anders als in meinen jüngeren Jahren. Egal welchem Glauben die Menschen auf dieser Erde folgten, welchem Gott, welchen Göttern und welchen Propheten sie geglaubt und angebetet haben. Immer wurden sie missbraucht. Missbraucht für Kreuzzüge und Glaubenskriege weltweit und zu allen Zeiten. Für den Machterhalt der Kirche und ihrem Reichtum.

So wie viele andere Menschen in der heutigen Zeit, habe auch ich der Institution Kirche den Rücken gekehrt und habe meinen eigenständigen Glauben gefunden. Denn ich habe Menschen kennen gelernt, die mit großer Scheinheiligkeit ihren christlichen Glauben missbraucht haben. Ihn nur als „ Mittel zum Zweck“ benutzt haben. Begangene Sünden wurden und werden einfach gebeichtet und anschließend wieder schnell vergeben. Welche Heuchelei! Ich habe Menschen kennen gelernt, die ständig gelogen und betrogen haben. Sonntags aber waren sie in der Kirche versammelt, haben sich regelmäßig mit aller Scheinheiligkeit die Predigt des Pfarrers angehört. Ließen sich segnen und sich von allen Sünden befreien. Man weiß ja nie so genau was man im Himmel zu erwarten hat, oder auch in der Hölle! Sicher ist sicher, ein paar Pluspunkte sammeln kann ja nicht schaden, wenn es eine „Abrechnung“ dort „Oben“ geben sollte. Mit aller Falschheit und Gier im Denken und Handeln folgte dann wieder eine neue sündige Woche. Im Mittelalter z.B. wurden auch von kirchlichen Stellen die Hexen und Hexer angeklagt, verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Orientkreuzzüge waren religiös motiviert, selbst Päpste riefen dazu auf, um die Vertreibung der Muslime aus dem „Heiligen Land Gottes“ zu erfüllen. Bei den vielen „Kreuzzügen“ und den Kriegseinsätzen, bis in die Gegenwart, wurde immer der Name Gottes benutzt, wurde immer missbraucht für einen „gerechten Krieg“ -und auch abgesegnet.

Ich glaube an eine gewaltige Schöpferkraft und an die Evolution. Es ist ein immerwährenden Kampf und ein Wettlauf aller Spezies und Lebewesen auf dieser Erde, um sich mit einer erfolgreichen Strategie die Fortpflanzung und das Überleben zu sichern. Die Evolution und die Natur hat eine Überlebensstrategie hervorgebracht, die uns wohl als grausam erscheint, doch aber einen tieferen Sinn ergibt. Das Fressen und gefressen werden ist eine Notwendigkeit zum Überleben als Ganzes.

Die Kleinen, die Kranken und die Schwächeren werden in einer Art Nahrungskette von den Größeren, den Gesunden und den Stärkeren „selektiert“. In der Regel aber nur um selbst zu überleben und nur in der Menge, damit die andere Art noch überleben kann. Viele Spezies haben dabei bemerkenswerte Strategien entwickelt, um den Fortbestand ihrer Art zu sichern. Wenn sie wissen, bzw. ihnen schon angeboren ist, dass es viele Verluste bei ihrer Fortpflanzung gibt, bzw. geben kann, planen sie das mit einer höheren Population bereits ein. Oder wenn sie wissen, dass der notwendige Futterbedarf für die Aufzucht ihrer Jungen nicht gesichert ist, schränken sie sich ein und bringen weniger „Nachwuchs“ auf die Welt. So gibt es viele bekannte Beispiele im Bemühen der Arterhaltung. Die Evolution, die ständige Veränderung unserer Erde wird es so lange geben, wie die Erde Bestand hat. Möglicher Weise einmal in weiter Zukunft auch wieder ohne die Spezies Mensch. Die Natur, Flora und Fauna braucht den Menschen nicht. Der Mensch braucht aber die Natur. Mit biblischen Sprüchen wie „Macht euch die Erde untertan“, wird göttliche Schöpfung missbraucht, mit menschlicher Gier die Grundlage für andere Geschöpfe zerstört. Es sind Glaubensfragen und Theorien, „Wer oder Was“ all dieses Leben auf unserer Erde erschaffen konnte. Nur wenige der verbliebenen Naturvölker besitzen heute noch ihren eigenen ursprünglichen Glauben, ihre eigenen Religionen im Zusammenleben und im Einklang mit der Natur.

Vielen hat man einen fremden Glauben aufgezwungen, hat sie „reformiert“. Dabei ihre Kultur zerstört, beraubt, ausgebeutet und vertrieben. Für das neue „Artensterben“ und für den jetzigen Klimawandel ist sicher zum Teil der Mensch verantwortlich. Obwohl heutige Forschungsergebnisse belegen, dass unsere Erde immer schon von Klimakatastrophen und von gravierenden Klimaveränderungen, von wechselnden langen Eiszeiten und Warmzeiten getroffen wurde. Die umstrittene und entscheidende Frage bleibt eigentlich nur, wieviel und in welchem Umfang trägt der Mensch zu der jetzigen Klimaerwärmung bei.

Meiner Meinung und Überzeugung nach sind auch biblische Überlieferungen und die von Menschen erschaffenen Religionen, mit den heutigen Erkenntnissen der Forschung und der Wissenschaft nicht mehr vereinbar.

Auch hier gibt es also mehrere und verschiedene „Wahrheiten“. Eine Wahrheit der „Gläubigen“? Und eine Wahrheit der „Ungläubigen“?

Schon Alexander von Humboldt und Charles Darwin haben dies in mühevollen Forschungsarbeiten nachgewiesen. Aus Theorien wurden nachweisbare Fakten geschaffen. Mit ziemlicher Genauigkeit kann man heute die Altersbestimmungen von Gesteinsschichten vornehmen und ihrer Ursprünglichkeit zuordnen. Wann wurden also Himmel und Erde erschaffen, Wasser, Pflanzen, Tiere und der Mensch?

Eine „Gängige Theorie“, bzw. der „Heutige Stand der Wissenschaft“ geht davon aus, dass es etwa seit 4 Milliarden Jahren Leben auf der Erde gibt. Aus dem sogenannten „Ur-Ozean“ entwickelten sich die frühesten Lebensformen. Dann die „Einzeller“ und später die mehrzelligen Organismen. Erst vor etwa 570 Millionen Jahren entwickelten sich unterschiedliche Lebensformen.

Vor etwa 420 Millionen Jahren die ersten Pflanzen und die ersten Landbewohner. Die Saurier betraten vor etwa 220 Millionen Jahren auf unserer Erde die Bühne des Lebens. Nach dem Verschwinden der Dinosaurier entfalteten sich die Säugetiere. Vor etwa 65 Millionen Jahren gewannen die „Säuger“ die Vorherrschaft auf dem Land. Erst ganz zuletzt entwickelte sich der Homo sapiens, der Mensch. Neuere Funde sind angeblich bis zu 300 000 Jahre alt. Wann und in welchem Zeitraum dies geschah, lässt sich wohl nur durch wiederholte Knochenfunde belegen. Vielleicht gab es den „Urmenschen“ ja bereits vor Millionen Jahren?

 

Es ist also auch eine Glaubensfrage geworden. Jedem steht frei, das zu glauben, woran er glauben möchte. Man weiß wie sich in sehr langen Zeiträumen Kontinente und Meere unaufhörlich auf unserem „Globus“ verschieben. Wie sich die verschiedenen Kontinentalplatten auf unserer „Erdkruste“ verhalten, wie und wo sie kollidieren und aneinander „reiben“. Man weiß wo sich die gefährlichsten Erdbebengebiete und die sehr aktiven Vulkane auf unserer Erde befinden. Wo Menschen trotz unmittelbarer Gefahren siedeln, ja ganze Städte darauf bauen.

Man weiß, dass ein großer Meteorit alles Leben auf unserer Erde ganz schnell wieder auslöschen könnte. All das kann der Mensch nur wenig beeinflussen. Auch nach dem heutigen Stand der Astronomie sind uns wohl einige der Naturgesetze erklärbarer geworden, schlüssig sind sie noch lange nicht.

Viele Erkenntnisse sind oft nur Momentaufnahmen, sind immer nur die „Neuesten Erkenntnisse der Forschung und der Wissenschaft“. Erst so langsam können wir mit unseren immer besser werdenden technischen Möglichkeiten verstehen, wie unendlich und wie komplex die Zusammenhänge sind.

Vorerst kann man nur erahnen und spekulieren wie die Gesetze des Universums wirklich funktionieren könnten. Neue Erkenntnisse von „schwarzen Löchern“, die alles verschlingen, sogar das Licht, bergen wohl auch keine großen Geheimnisse mehr. Aber es sind nur Momentaufnahmen und Annahmen in der Wissenschaft. Es sind Theorien der „heutigen Zeit“. Ein absolutes Wissen gibt es nicht, es ist immer nur zeitgemäß und relativ. So wie man heute weiß, bzw. zu wissen glaubt, dass sich das Weltall immer weiter und schneller ausdehnt. „Morgen“ schon können wir wieder andere Erkenntnisse gewonnen haben.

Ich stelle heute mit meinem bescheidenen Wissen fest, dass sich in den Epochen der Menschheit immer dann neue Erkenntnisse durchgesetzt hatten, wenn sie vom „Heutigen Stand der Wissenschaft“ bzw. von „ Den Gelehrten“ akzeptiert und anerkannt wurden. Diese neuesten Erkenntnisse hatten dann immer nur so lange ihre Gültigkeit, bis sie wieder eindeutig widerlegt wurden. Die Zeit einer „Gängigen und anerkannten Meinung“ ist also immer begrenzt. Was einmal „die Wahrheit“ war ist dann überholt im Wissen und dann auch nicht mehr zeitgemäß. Es gab und gibt also immer wieder neue Wahrheiten. Intelligenz, Wissensdrang und Forschergeist der Menschen werden niemals ruhen und immer wieder zu neuesten Erkenntnissen und zu neuen Erfindungen führen. Künstliche und selbstlernende Intelligenz sind einige der nächsten Ziele. Ebenso die Raumfahrt und der Aufbruch in die „ Weiten des Weltalls“. Und so erinnere ich mich noch sehr deutlich daran, welche Naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in meiner Jugendzeit das „Nonplusultra“ war und vergleiche es mit dem heutigen Stand. Und ich erinnere mich, als damals in meiner Jugendzeit mein Großvater einmal ganz überzeugt zu mir sagte: „Bub glaub mir, auf den Mond wird nie ein Mensch hinauf kommen“.

Sag niemals nie, an dem Spruch ist also etwas dran.

Die Erinnerungen an meine Kindheit in den Nachkriegsjahren sind in der Folge nicht chronologisch geordnet. Vielen Kindern in den zerbombten Städten werden ähnliche Erinnerungen geblieben sein. Erinnerungen die ihr weiteres Leben prägten. Natürlich sind auch mir zum Glück nicht alle diese schrecklichen Kriegs-und Nachkriegsgeschehnisse in Erinnerung geblieben. Vielmehr haben sie wohl im Unterbewusstsein und im Verborgenen meine geistige und meine körperliche Entwicklung damit negativ beeinflusst. Haben meine Kindheit und meine Jugendzeit, ja mein gesamtes weitere Leben geprägt. Anders die nachfolgende Generation, die in einem wiedervereinten Europa, in einem langen und dauerhaften Friedensprozess aufwachsen konnte.

Als die ersten Bomben unsere schöne Stadt Nürnberg, unsere Straßen und unsere Häuser trafen, flüchtete meine Mutter mit mir und mit meinen beiden Schwestern zu Verwandten in ein Dorf Namens Ludwigschorgast nach Oberfranken. Mein Vater musste in den Krieg ziehen. In Erinnerung blieben mir die vielen Fliegeralarme, die heulenden Sirenen und der berstende Lärm der explodierenden Bomben. Mit Schauder oft auch mit Tränen werden bei den heutigen Probealarmen diese Erinnerungen immer wieder wach. Ähnlich ergeht es mir beim Glockengeläute der Kirchen.

Als dann die ersten Amerikaner als Kriegsgewinner, als Befreier und als Retter mit ihren Panzern in unser Dorf einfuhren, wurden sie als Freunde empfangen. Es gab keinen Widerstand im Ort. Der Krieg war beendet. Es gab Verpflegung und wir Kinder bekamen Schokolade von den „Amis“ geschenkt. An die Rückkehr in unsere Heimatstadt Nürnberg kann ich mich nicht mehr so genau erinnern. Gravierend blieben aber die Bilder unzähliger Ruinen in meinem Gedächtnis haften, mit all dem Schutt und der Asche. Auch in unserer Straße und bei unserem Haus, das glücklicherweise noch stehen geblieben war.

Nach Kriegsende, als mein Vater aus amerikanischer Gefangenschaft zurück nach Nürnberg kam, hatten wir die Möglichkeit einen Kleingarten auf Pacht anzulegen. Dort wo heute das West-Bad in Sankt Johannis, in Nürnberg ist, nahe der Pegnitz am Lederersteg, wurde eine Gartenkolonie gegründet. Ich erinnere mich noch genau, mit welcher Begeisterung wir damals als kleine Kinder dabei waren und mithalfen aus Schuttberge eine schöne Gartenparzelle zu gestalten. Mein Vater fand in dieser Zeit im Städtischen Gaswerk in der Kokerei einen neuen Arbeitsplatz. Von dort bekam er einige Siebe mit verschiedenen „Lochgrößen“. Durch diese Siebe wurde der Schutt geworfen und ein Teil davon für die Gartenerde wiederverwendet. Zur Verbesserung der Pflanzerde haben wir dann mit Eimern den Schafsmist auf den Wiesen entlang der Pegnitz gesammelt. Damals weideten dort noch die Schafsherden im Pegnitzgrund, und aus der nahen Kläranlage holten wir mit dem „Leiterwagen“ Klärschlamm zur weiteren Verbesserung der Gartenerde.

Über die enthaltenen Schadstoffe in diesem Abfallprodukt hat zu dieser Zeit bei uns noch niemand nachgedacht.

Auch beim Aufbau eines Gartenhauses, einer Laube, habe ich mitgeholfen. Ebenso beim Bau eines Hühnerstalls und einem zugehörigen „Auslauf“ für die Hühner. Für uns Stadtkindern war das schon spannend, wie die kleinen Küken zu Hühnern wurden. Als die ersten Eier gelegt wurden und wie ein Hahn mit seinem stolzen Krähen seinen kleinen Harem „beglückte“.

Wenn ein Huhn „ausgedient“ hatte, alt war und keine Eier mehr legte, dann musste es geschlachtet werden. Jeder tierliebende Mensch und besonders jedes tierliebende Kind weiß, wie schwer es ist sich von einem Tier zu trennen, das man über viele Jahre von ganz klein auf gekannt hatte, gefüttert und umsorgt hatte.

Wenn es soweit war und unser Vater dann sagte, morgen kommt der Kopf runter von der „alten Henne“, dann verspürten wir großes Mitleid mit dem Tier. Selbst unser Vater brachte es nicht fertig, konnte es nicht selbst erledigen, der Henne den Kopf abzuschlagen. Ich habe zugesehen wie lange unser Gartennachbar dazu brauchte die Henne zu fangen, sie auf einen Hackstock zu legen und zu köpfen. Und ich erinnere mich noch heute daran, wie die Henne danach ohne Kopf eine kurze Zeitlang durch den Garten lief.

Es war eine schöne Zeit, schon als Kind zu sehen, wie alles wuchs, blühte und gedeihen konnte. Dabei erinnere ich mich auch an warme Sommerabende, in denen wir für unsere Hühner „Lebendfutter“ fingen. Im Juni und Juli gingen wir Kinder auf „Käferjagt“. Über die Pegnitzwiesen flogen in der Abenddämmerung Unmengen von Junikäfern. Die konnten wir ganz leicht mit der Hand fangen und in kurzer Zeit hatten wir in großen Taschentüchern einen ganzen „Haufen“ davon gesammelt.

Die Käfer wurden von unseren Hühnern mit Appetit und großer Gier gefressen. Ich glaube deshalb schmeckten uns auch die Eier unserer Hennen besonders gut. Im Nürnberger Dialekt wurden diese Käfer von uns aber nicht Junikäfer genannt. Ich fand keine Übersetzung dafür, nicht für die Schreibweise. Mundart gesprochen waren es für uns die „Seierkäfer“. Die Marienkäfer waren bei uns Kindern die Junikäfer. Und die Junikäfer wurden verwechselt mit den Maikäfern.

Es kam aber bald die Zeit, als den Gartenbesitzern für den Bau des West-Bades die Pacht gekündigt wurde. Eine schöne Zeit, verbunden mit der Natur, ging vorüber. Sehr ärgerlich damals war, dass erst nach vielen Jahren der Bau des Frei Bades begann und wir viel zu früh den Garten aufgeben mussten.

Es war auch deshalb so traurig, weil wir kein besonders schönes Zuhause hatten im Umkreis der vielen Ruinen in unserer Straße.

So wie uns erging es vielen in dieser Nachkriegszeit. Von einem Wohnkomfort der heutigen Zeit konnten wir damals nur träumen, bzw. er war uns nicht bekannt. In unserer kleinen Mietwohnung schliefen ich und meine beiden Schwestern gemeinsam in einem kleinen Zimmer. Es gab kein Bad, kein warmes Wasser, keine Heizung, keine Waschmaschine, keinen Kühlschrank, kein Abort in der Wohnung, kein Telefon und natürlich auch noch keinen Fernseher. Das Radio, ein sogenannter „Volksempfänger“, war die einzige Verbindung zur Außenwelt.

Der Abort war auf halbem Stockwerk, oft nur im Finstern zu erreichen. Es war ein „Gestank“ und die Mücken flogen uns um den „Hintern“ bei diesem „Geschäft“. Besonders „duftete“ es, wenn der „Aborträumer“ in gewissen Abständen die „Grube“ leeren musste.

Das waren die Fahrzeuge und die Mitarbeiter der Stadt Nürnberg, die mit dicken Schläuchen durch den Hausflur eine Verbindung in den Hinterhof legten. Von dort wo die Grube lag, wurde die braune „Brühe“ dann abgesaugt.

In der Küche wurde mit einem alten Herd gekocht, im Wohnzimmer sorgte ein Kachelofen für Wärme. Geheizt wurde mit Koks, den unser Vater verbilligt im Gaswerk bekam. Täglich am Morgen wurde die alte Asche ausgeräumt und wieder neues Feuer gemacht. Zusätzlich mussten öfters neue Schamottesteine in den Öfen eingemauert werden, denn der glühende Koks zerstörte sie bald wieder. Das war der Standard in unserer damaligen Wohnung.

Ich kann nicht sagen, dass unser Elternhaus sehr religiös geprägt war. Mein Vater katholisch, meine Mutter evangelisch in ihrem Glauben. Wir Kinder wurden aber alle von der Taufe bis zur Konfirmation der evangelisch-lutherischen Kirche „übergeben und anvertraut“. Und an den meisten Sonntagen mussten wir zum Gottesdienst in die Kirche gehen.

Auch das tägliche Nachtgebet war selbstverständlich und wurde uns anerzogen. Allabendlicher Gebets-Standard war: „Lieber Gott mach mich fromm, damit ich zu dir in den Himmel komm“.

Kleine Kinder haben keine Wahl an was sie einmal glauben möchten. Sie können sich noch nicht dagegen wehren. Können nicht für sich selbst entscheiden. Im Laufe seines weiteren Lebens muss daher jeder, ja kann und darf jeder selbst entscheiden, wie und an was er glauben möchte. Zu unserem Glück leben wir heute in Deutschland in einer gefestigten Demokratie, in der die Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert und gewährleistet ist.

Das einzig Positive in einem persönlich stark gefestigten Glauben und in einer gelebten Religionsgemeinschaft sehe ich darin, dass Trauer, Kummer und Leid wohl leichter durch Trost zu ertragen sind.

Ja ich und meine beiden Schwestern sind Kriegs-bzw. Nachkriegskinder. Ich wurde im Dezember 1940 geboren, meine beiden Schwestern 1936 bzw. 1942. Aufgewachsen sind wir in Nürnberg-Sankt Johannis.

So jedes zweite Haus in der Straße war zerbombt, war eine Ruine in der nur ein paar Mauern übrig geblieben waren. Diese Ruinen waren aber unsere Lieblingsspielplätze in dieser Zeit. Und unsere Eltern machten sich immer große Sorgen, dass uns dabei etwas passieren könnte. Zudem spielten wir in den Sommerferien die meiste Zeit auf den Pegnitzwiesen am Lederersteg Fußball. Und in der Pegnitz lernten wir das Schwimmen.

Unter uns Kindern hatte ich zu der damaligen Zeit noch keine Hemmungen und keine Ängste. Ganz im Gegenteil, ich war oft der „Mutigste“, aber immer auch körperlich der „Kleinste“ des entsprechenden Jahrgangs.

Ich kletterte die höchsten Mauern hinauf, um die kostbaren Gusseisenrohre abzuschlagen, die wir beim Alteisenhändler für ein paar Mark und Pfennige verkauften. Und wenn wir ein paar Kupfer-und Messingteile fanden, dann war das wie ein großer kostbarer Schatz für uns.

In dieser Nachkriegszeit waren wir, war unsere Familie relativ arm. Wir waren eine Arbeiterfamilie und für unsere Schulbildung kam deshalb nur die Volksschule in Betracht. Kaum jemand von uns Kindern ging damals gerne in die Schule.

Es war ein Zwang, dem wir aber gehorchen mussten. Diese „Volksschule“ war im „Schnieglinger“ Schulhaus untergebracht, die ich dann 8 lange Jahre nur sehr ungern besuchte. Eine Hauptschule war zu dieser Zeit bei uns noch kein Begriff.

 

Wir lernten Rechnen und Raumlehre statt Mathematik, auch Fremdsprachen wie Englisch war noch kein Schulfach bei uns. Im „Lehrplan Schrift“ in den 50er Jahren stand zum Beispiel folgendes: Im 1. und 2. Schülerjahrgang muss das Erlernen und Beherrschen der Schrift und der arabischen Ziffern angestrebt werden.

Die Schrift muss klar, federgerecht, formschön und geläufig sein und bedarf in allen Jahrgängen einer ständigen und sorgfältigen Pflege. Ein planvoller Schreibkurs zu Beginn eines Schuljahres kann sich empfehlen. Sich entwickelnde Eigenarten der Handschrift sind zu dulden, soweit dadurch Lesbarkeit Geläufigkeit und Schönheit des Schriftbildes nicht beeinträchtigt werden.

Die Körperhaltung der Schüler beim Schreiben wie auch beim Lesen ist dauernd zu überwachen. Die Schüler sind vom 4. Schuljahr an auch mit den Formen der deutschen Schrift vertraut zu machen, die bei gegebenen Gelegenheiten verwendet wird.

Unser Vater musste als Alleinverdiener mit nur wenig Lohn die ganze Familie ernähren. Fleisch gab es deshalb nur am Sonntag und das größte Stück bekam immer unser Vater zum Mittagsessen.

Auch bei uns im Stadtteil Sankt Johannis gab es damals an fast jeder Straßenecke noch ein Wirtshaus. Dort mussten wir Kinder unserem Vater zum Sonntagessen immer „sein Bier“ holen. In einem Maßkrug passt bekanntlich ein Liter hinein. Unser Vater sagte immer zu uns, „verlangt beim Wirt drei Schoppen und er soll gut einschenken“. Das Bierholen nutzten wir natürlich aus und nahmen uns immer einen „Schluck“ unterwegs. Danach rührten wir den Schaum wieder hoch, in der Hoffnung, dass er nichts davon bemerkte. Zu Hause beim Essen prüfte dann unser Vater immer erst die Menge im Maßkrug und sagte, „heute hat der Wirt aber wieder schlecht eingeschenkt“!

Zu der damaligen Zeit fand das „Nürnberger Volksfest“ in der Fürther Straße am ehemaligen Quelle Standort statt. Als ich einmal mit meiner kleineren Schwester das Volksfest besuchte, bekamen wir von zu Hause gerade mal 50 Pfennige mit.

Da das wenige Geld schnell aufgebraucht war, liefen wir dann stundenlang den Kopf zu Boden gerichtet und hofften noch etwas Geld zu finden. Selbst wenn wir nur ein paar Pfennige fanden, war das ein großer Erfolg für uns. Ja wir waren arm, aber eigentlich doch recht glücklich und zufrieden in dieser Zeit mit unseren Eltern und unseren Großeltern. Der gemeinsame christliche Glaube hatte uns das so gelehrt und uns so geprägt. Zu Armut und zu Verzicht. Zu Demut, Gnade und Barmherzigkeit.

Unsere Großeltern mütterlicherseits lebten in Nürnberg im Stadtteil „Schweinau“ zu dieser Zeit, wobei unser Opa ein großer „Bastelkünstler“ war.

Er konnte malen und die schönsten Sachen für uns Kinder basteln. Vom Kasperltheater, Puppenstuben, Riesenrad, Ketten-Karussell und vieles mehr, konnten wir uns aber nur zu Weihnachten erfreuen. Da hatte es das Christkind immer gebracht und hat es danach, nach Weihnachten immer wieder „mitgenommen“. Erst im nächsten Jahr, zum nächsten Weihnachtsfest hatte es das Christkind dann wieder erneut gebracht. Die Neugierde war dann immer riesig groß vor der Bescherung am Heiligen Abend. Unsere Mutter warnte uns dann, „schaut ja nicht durchs Schlüsselloch, sonst bläst euch das Christkind die Augen aus“!

Auch zu Ostern, wenn der Osterhase das Nest mit den Süßigkeiten und den Eiern versteckt hatte und wenn der Pelzmärtel kam mit ein paar Geschenken, war große Spannung, Erwartung und Freude angesagt. Es gab immer etwas Schönes, denn wir waren ja „brav“ gewesen. Ich erinnere mich auch noch wie meine beiden Schwestern sich bei unseren süßen Geschenken immer nicht beherrschen konnten und alles gleich vernascht hatten. Ich konnte widerstehen und hob meine Süßigkeiten lange Zeit auf. Es machte mir dann große Freude, wenn sie dann neidisch auf meinen noch vorhandenen Bestand schauten. Abgegeben habe ich ihnen nichts davon.

Irgendwann während meiner Schulzeit wurde ich bei einer Gesundheitsuntersuchung als zu untergewichtig und unterernährt befunden. Zu klein und zu schwach für mein Alter. Ich wurde für mehrere Wochen in das Kindererholungsheim Schloss Freienfels in die Fränkische Schweiz „verschickt“. Einer Vor-und Nachkriegseinrichtung der Stadt Nürnberg.

Es blieb mir deshalb so lange in Erinnerung weil ich mich dort unter Zwang einer Ernährungs-und Erziehungsmethode fügen musste, die heute nicht hinnehmbar wäre. Dem täglichen Essen mit verschiedenen Breiarten wurden Lebertran Kapseln beigefügt.

Wenn sich der Lebertran im Brei aufgelöst hatte, war das für mich ein fürchterlicher und widerlicher Geschmack. Ich schaffte es kaum auch nur einen Löffel davon zu essen. Es war mir „speiübel“, musste mich übergeben und trotzdem weiteressen. Da ich das kaum konnte, musste ich den ganzen Nachmittag vor dem Teller sitzen bleiben. Durfte erst dann wieder Aufstehen bis ich alles aufgegessen hatte. Trotz dieser „Qualen“ hatte ich dann doch letztendlich ein paar Kilo zugenommen. In meinem ganzen Leben habe ich aber keinen Lebertran mehr gegessen!

Eigentlich waren wir in unserem Elternhaus immer glücklich und zufrieden. Das lag eben daran, dass wir mit großer Bescheidenheit, mit Furcht und mit Ehrfurcht erzogen wurden. Alle Märchen die uns vorgelesen wurden, nahmen wir sehr ernst. Pelzmärtel, Nikolaus, Weihnachtsmann, Christkind, Osterhase, war ein fester Bestandteil in unserem Glauben und in unserer Erziehung. Und wir glaubten auch lange daran. Das war aber nur die eine Seite, von der unsere Eltern einen Nutzen hatten. Sobald wir Kinder unter uns auf der Straße waren, „entlud“ sich unsere andere Seite. In guter Erinnerung habe ich noch heute die vielen Spielmöglichkeiten in unserer Straße und an den Häusern. Unvorstellbar und unvergleichbar bei den jetzigen aktuellen Verkehrsverhältnissen und den bestehenden Gesetzen.

Nur selten verirrte sich da mal ein Auto. Ja wir spielten auf der Straße Fußball, ließen dort unsere Drachen steigen und im Winter fuhren wir dort mit uralten Schlittschuhen, wenn es eisig war. Es waren die sogenannten „Absatzreißer“ die an den Stiefeln montiert wurden. Beeindruckend war für mich vor allem das Märchen Frau Holle!

Es prägte meine Freude an Schnee mein ganzes Leben lang und ich bewundere noch heute jede einzelne Schneeflocke die vom Himmel fällt. Schon als kleine Kinder hörten wir im Winter dann ganz gespannt den Wetterbericht im Radio.

Wenn Schnee angesagt war, saßen wir am Fenster und erwarteten die ersten Flocken. Schlittenfahren, einen Schneemann bauen und eine Schneeballschlacht war vielleicht bald möglich. Die Freude war ungeheuer groß, wenn wir am Morgen aus dem Fenster schauten und es hatte geschneit! Kam dann Tauwetter, dann war das für uns eine kleine Katastrophe. Ich denke, damals zu unserer Kinderzeit gab’s schon noch mehr Schnee, auch bei uns im Flachland und in der Stadt.

Faszinierend und zugleich ehrfürchtig beobachteten wir das Aufkommen von Gewittern an heißen Sommertagen, das erste Wetterleuchten in der Nacht und das ferne Donnergrollen. Angst hatten wir keine wenn es blitzte und krachte. Es war oft ein gewaltiges, ein spannendes Naturschauspiel und wir wussten von den Gefahren, hatten großen Respekt davor. Vor allem auch vor Sturm und Hagel. Das ist bis heute bei mir so geblieben.

Im Herbst war „Drachenzeit“. Bei jedem „guten Wind“ mussten unsere selbst gebastelten Drachen ausprobiert werden, ob sie denn auch flugfähig waren. Auf der Straße verfing sich aber dabei oft unser „Fluggerät“ in den Ruinen und in den hohen Mauern. Wie erwähnt, ich war ohne überheblich zu sein zumeist der Mutigste von all meinen Freunden.