Männerquote

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Nennt man das eine Kur?

Lothar Velmond war heilsfroh, dass er - noch dazu auf ärztliches Anraten und Teilkosten-Übernahme vom Staat - für ein paar Wochen alle Fälle hinter sich lassen konnte. Kollege Elsterhorst hatte zwar geschäumt vor Wut und Neid, dass er nun sang- und klanglos alles hingeworfen hatte, die„Elysium-Morde“, den Toten aus dem Schilf und nun auch noch den Hanselmann, aber nun war einfach mal Pause.

Allein schon daran, wie ihn das Autofahren anstrengte, spürte er, wie angegriffen seine Gesundheit war. Früher genoss er das, fast war es eine Zeit der Meditation, wenn er so durch die Landschaft dahin gondelte. Jetzt nahm er sich vor, alle hundert Kilometer eine Rast einzulegen. Garmisch lag hinter ihm. Ehrwald, Biberwier hatte er gerade passiert. Vor dem Fernpass noch einen Kaffee, einen Doppelten, wie man hier zu sagen beliebte. Und schon hatte ihn wieder der Dienst eingeholt: War hier in dieser Gegend nicht der ehemalige Kollege Paul Krüner verschwunden, entführt worden, lag er schon tot irgendwo in einer Felsspalte? Der Tote im Schilf, der die vierhunderttausend Euro im Schlauchboot über den Starnberger See gerudert hatte und dann erschlagen wurde? Und Krüner zur falschen Zeit am falschen Ort? Schnell schüttete Velmond seinen Doppelten in sich hinein, als müsse er fliehen - fliehen vor all diesen Fällen. Bestand sein ganzes Leben nicht nur aus Fällen? Aus Toten, Ermordeten? Was für ein Scheißleben hatte er sich da eingebrockt? Und jetzt - Urlaub? Kur? Gibt es überhaupt Urlaub im Kopf? Kann man abschalten? Und wenn wie? Die sollen ihm bloß nicht mit Yoga und Pilates kommen! Mentaltraining, ach du liebes Bisschen! Lieber wollte er seine Fälle in fruchtig-trockenem Terlaner ertränken!

Landeck! Landeck? Von hier hatte der Krüner eine Karte geschickt, wollte es zumindest. Sie lag im Dreck, an einer Tankstelle. Jemand hatte sie frankiert und in den Briefkasten geworfen. Solche lieben Leute gab es also hier! Aber der Verkehr war brutal! Brutal insbesondere für die Einwohner. Gefühlte zehntausend Autos pro Stunde, die sich durch die engen Gassen quälen! Wenigstens lenkte das von Krüner ab. Mein Gott, da geht einer in Pension, glaubt, sich endlich fallen lassen zu können, verliebt sich vielleicht in die lesbische Gisela, fährt an den See, will die Abenddämmerung genießen, kriegt eins auf die Rübe und jetzt? Ist man als Kriminaler auch nach seiner lang ersehnten Pensionierung nie außer Dienst? Stets gefährdet? Jetzt im Alter kämen ja auch die frei, die er in seinen besten Mannesjahren hinter Gitter gebracht hatte. Würden sie Rache üben? Ist Krüner einem solchen Rächer in die Hände gefallen?

Pause in Nauders, ja, so könnte Urlaub beginnen: draußen in der Sonne hocken, Cappuccino, nette Bedienung. Lauter Pärchen oder Jungeltern mit Kinderchen. Und er - allein! Keine Uta! Sollte er sich einen Kurschatten zulegen? Nur so? Würde sich denn irgendein resches Weibchen noch nach ihm umschauen? Gedanken kurz vor dem Reschenpass! Ist der Krüner auch hier entlang verschleppt worden? Liegt der unten im See? Neben dem immer noch aus dem grauen Wasser herausragenden Kirchturm des versunkenen Dorfes? Die Passhöhe - ein einziger Rummelplatz! Und so viele Radfahrer! Passstraßen raufradeln scheint ein Volkssport zu werden. Und dann wieder hinunter rasen! Virtuos zwischen den Autos hindurch, die sich hinter Wohnwagen und Autobussen stauen.

Die Parkplatzsuche irgendwo an einem ruhigen Plätzchen gestaltet sich schwierig. Velmond fühlt sich unendlich müde. Ist das die Urlaubskrise schon vor dem Urlaub? Er erspäht eine Burgruine und ein kleines Dorf. Ja, mal weg von der anstrengenden Straße. Ruhe suchen auf einer Bank unter einem schattenspendenden Baum. Irgendwie fühlt man sich plötzlich wie in einem großen Freilicht-Museum. Drüben das Rauschen der nie endenden Fahrzeugkolonnen, hier scheint das Leben still zu stehen. Wäre da nicht der überquellende Papierkorb mit Zivilisationsmüll, Bier- und Red-Bull-Dosen, Marsriegel-Hüllen und Landjäger-Verpackungen.

Nun vergiss heißes Flehn, süßes Kosen ...“ - sein Handy meldet sich. Auch das noch. Er hatte vergessen, es abzuschalten. Ein äußerst erregter Elsterhorst ist dran:

Entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrem Paradies aufschrecke, aber das muss ich Ihnen schon noch brühwarm mitteilen: Der Hanselmann hat höchstwahrscheinlich diese attraktive Türkin ermordet. Die Zeit zwischen der Landung des Flugzeugs aus Dubai und dem Eintreffen in der Firma hat locker gereicht, erst nach Gern zu fahren, der Frau Dr. Yülmaz zur Wahl in den Vorstand mit einem Glas Prosecco zu gratulieren und dort E-605 hineinzumischen, was wir im Geräteschuppen bei den Hanselmanns sichergestellt haben. Das Zeug ist seit langem verboten. Frau Hanselmann glaubt, man habe es angeschafft, um die Fichtenlaus zu bekämpfen. Aber ihr Mann habe sich nie um den Garten gekümmert und mutmaßlich gar nicht gewusst, was im Schuppen so alles ist. Wird gegenwärtig geprüft. Einen sauberen Herrn Hanselmann haben Sie da an der Backe! Sich an so einer schönen Frau zu rächen. Pure Eifersucht! Nun kuren Sie mal schön, während wir hier rotieren! Aber einer muss es ja gut haben. Auf möglichst baldiges Wiedersehen, Herr Kollege!“

Ärgerlich, ärgerlich! In irgendeinem Magazin war er mal auf eine ganzseitige Reklameseite gestoßen: ein motziges Auto am Straßenrand, vor einer strahlenden schweizer Alpenkulisse, blauer Himmel, ein eleganter Herr, der sich lässig an seine Luxuskarosse lehnt und mit seinem Handy telefoniert, darunter die Botschaft „Das wunderbare Gefühl, überall erreichbar zu sein!“ Der Wahnsinn! Spontan hatte er damals beschlossen, nie ein Mobiltelefon haben zu wollen, und schon gar nicht von dieser Firma. Und jetzt hier, beim Blick auf die verschneite Ortler-Gruppe, war er erreichbar – noch dazu von Elsterhorst! Nein, Schluss damit! Ausschalten! Fliehen!

Im Hotel hatte er sein Kommen auf 17 Uhr angekündigt, Zeit genug, noch in Schluderns, das jetzt Sluderno heißt, einen Espresso zu trinken. Ob das nun gut für sein Herz wäre? Ach, bald müsse er sich dem Terror der Kurärzte fügen und sich unter der Knute unbarmherziger Schwestern gesundes Leben aufzwingen lassen. Ach ja - noch einen Espresso bitte!

Dann war es soweit. Er kam sich vor wie beim Einrücken in die Kaserne. Allerdings - dieses Kurhotel hatte einen gewissen alten Charme, und die Leute am Empfang waren richtig nett. Nur zum Empfang? Velmond traute dem Frieden nicht. Er solle sich erst einmal einrichten. Das Zimmer hatte gar nichts, was an ein Sanatorium erinnert. Es war gemütlich. Der Balkon ging zu irgendeinem Tal hinaus, war es das Passeier Tal oder glänzte da silbrig die Etsch? Ach ja, irgendwann hatte man doch gesungen „von der Etsch bis an die Memel“ irgendwas mit dem heiligen Vaterland. Velmond, denke doch mal positiv, sagte er zu sich selbst: Du hast es gut, supergut, supersupergut hier. Meran! Mit Beihilfe vom Staat, und nicht mehr von der Etsch bis an die Memel, sondern ganz Europa ohne Schlagbäume, keinen Krieg mehr, alles so friedlich, die Apfelplantagen, die Weinberge, das Rauschen der Bäche. Morgen früh erst Sprechstunde beim Kurarzt. Also heute noch frei! frei! frei! Ab in die Altstadt. Unter die Lauben. Er kannte sie von vielen kurzen Besuchen und Besichtigungen. Früher. Als er noch Tarifurlaub nahm. Im vergangenen Jahr, oder war es schon zwei Jahre her, ermittelte er in Kastlruth und Bozen: die tote Frau an der sogenannten Rosenbank! In den Dolomiten, am Schlern. Könnte man den von hier aus sehen? Scheußlich - schon wieder an einen Fall erinnert zu werden. Bald wäre die Landkarte nur noch eine Fällekarte! Damals von Bozen aus hatte die Zeit nicht gereicht, auch noch Meran eine Stippvisite abzustatten.

Ob der Arzt noch Restalkohol feststellen könnte? Der Wein war gut, die Abendleute nett. Er teilte die Passanten immer ein: Tagesleute, das waren die lauten Touristen, peinlicherweise meist Deutsche, obwohl schon wenige Italiener sie leicht in ihrer Lautstärke zu übertreffen vermochten. Die Tagesleute bewegten sich hektisch, hastig, Einkäufe in Plastiktüten schwenkend, ein Eis auf der Hand oder Coffee-to-go, natürlich auch Wasserflaschen, Fotoapparate und Smartphones. Als Tourist müsste man mindestens sechs Hände haben oder eine geduldige Frau mit Umhängetasche. Velmond fühlte sich über die Touristen erhaben; denn er gehörte ja zu den Abendleuten, die langsam und genussvoll die Ruhe nach dem Sturm genießen können. Abends an der Passer entlang schlendern, den ersten Blütenduft einatmen, die Pracht der gepflegten, hell leuchtenden Jugendstil-Paläste bewundernd.

Der Doktor stellte nichts Beunruhigendes fest: Erschöpfung, Verdacht auf Alters-Diabetes, müsse man prüfen, könnte die Folge einer einseitigen Ernährung sein (Kohlenhydrate? Zuviel Kuchen und Pizza? Nudeln?), Calcium-Mangel, viel Milch trinken (Brrr!), Wassergymnastik, Kneipp, Pilates (!!!) empfohlen, nicht verordnet (ha!). Schwimmen, jeden Tag zweimal eine halbe Stunde (langweilig). Viel Bewegung! Aber langsam anfangen, auf dem Tappeiner Weg. Nicht gleich zuviel! Sisi-Promenade.

Nochmal davon gekommen! dachte sich Velmond. Alles halb so schlimm. Er würde ja nun „bekocht“, also nicht mehr Junggesellenkost und Nahrungsaufnahme im Kantinentempo. Der Nachmittag war frei von Anwendungen, also wieder auf die Promenade. Und mal hineinschnuppern ins alte, ehrwürdige Kurhaus mit seiner heilsamen Stille. Hier wurde nur betont leise gesprochen, geflüstert, gewispert! Er erschrak, als ihm dieses Wort einfiel; denn Wispern, das war ja seine spezielle Methode, um einen Tatort zum Reden zu bringen, ihn wispern lassen. Nun befand er sich sozusagen im Tempel des Wisperns. Tafeln waren aufgestellt und verwiesen auf diverse Veranstaltungen, Vorträge mit äußerst gesunden Bio-Themen, über Positives Denken. Dazwischen eine, die sehr geheimnisvoll klang: „qFQ - Meet“. Im 1. Stock. qFQ und Meet ohne ing? Er gab sich gelangweilt, als er vor der großen offenen Tür entlang flanierte, ein bisschen neugierig hineinlugte. Da standen Flipcharts und Pinwände mit vielen bunten Kärtchen. Es war wohl gerade Kaffeepause oder man war zu spät zum Mittagessen gegangen. Allmählich trafen wieder einige Herren ein, aber nicht in feinem Tuch mit weißem Hemd und Krawatte, sondern im Freizeit-Look, Casual Wear nannte man das wohl. Es wurde lebhaft geschwätzt, ganz anders als unten im Foyer. Da, auf einmal steuerte ein älterer Herr auf ihn zu:

 

„Herr Dr. Marquardt, nicht wahr? Anzengruber, Sie erinnern sich, Baden-Badener-Gespräche! Ja, das ist aber nett, dass Sie es doch noch einrichten konnten an unserem Treffen teilzunehmen ... hatten Sie eine gute Anreise? Ach, Sie haben noch nicht viel verpasst. Heute morgen ging es ja nur um die Gesetzeslage, Frauenquote, wieviel Prozent bis wann, in welchen Führungsrängen ...“

Lothar Velmond zuckte zusammen. Sollte er den Irrtum aufklären? Ich bin nicht der, den Sie meinen? Oder das Spiel mitmachen? Frauenquote? FQ? Eine Manager-Konferenz über die Frauenquote? Blitzschnell entschloss er sich, das Spiel mitzumachen.

„Ach wissen Sie, Herr Dr. Anzengruber, am liebsten wäre mir, Sie würden kein großes Aufhebens von mir machen. Ich bin sozusagen inkognito hier. Ich habe ja auch in meinem Alter nicht mehr viel beizutragen. Frauenquote - da habe ich wohl nichts mehr mit am Hut. Ich setze mich ganz ruhig hinten hin.“

„Mehr oder minder sind wir hier alle inkognito. Niemand und schon gar nicht die Presse soll wissen, dass wir uns hier treffen, um Strategien auszudenken, wie wir diese Frauenquote aushebeln können. Wir tarnen uns absichtlich als Touristen. Einige unter falschem Namen. Keine Namensschilder. Keine Entourage. Keine Limousinen. Keine Krawatten. So wie Sie, Dr. Marquardt, mal wieder toprichtig, leger. Aber jetzt müssen wir rein!“

Im Saal scharten sich wohl an die dreißig als Touristen verkleidete Manager um drei Pinwände mit vielen, vielen bunten Kärtchen, rechteckig, kreisrund, wolkenförmig, manche mit vielen, manche mit sehr wenigen bunten Punkten beklebt.

Also, meine Herren, darf ich nochmal zusammenfassen, auch für die, die leider erst jetzt zu uns stoßen konnten“, begann ein ziemlich beleibter Mann in mittlerem Alter, eine Narbe an der rechten Wange, ehemaliger Corps-Student? „Mit der Nor-Effkuh hat alles angefangen, die niemand richtig hinterfragt hat, aber für uns viel Potenzial birgt. Ich darf daran erinnern: Die Norweger haben die Frauen elegant in die Aufsichtsräte geschoben. Die tagen ja nur ein paarmal im Jahr. Da können sie zwischendurch ihre Familienpflichten erfüllen und reden nicht in die operative Arbeit hinein. Interessanter Ansatz für uns: Je höher wir die Frauen nach oben schieben, desto weniger pfuschen sie uns unten rein. (Gelächter) Hinzu kam die von der US-Börse aufoktroyierte US-Effkuh. Nun sprang Brüssel an. Nor-Effkuh, sie erinnern sich, waren 30 Prozent, US waren 40, also forderte Brüssel ebenfalls die 40 Effkuh. So, als ob das nicht ohnehin schon weit übertrieben war, schwappte das über nach Berlin! Wir müssen ja immer die Musterschüler der ganzen Welt sein! Hier verbündete sich die Frau Dr. Sabine von der Lauer mit der Grinsefrau Roth, der Ministerin Schnarri und natürlich mit der Oberfeministin Weißer. Na klar - 50 Prozent müssten es sein! Nein, 50 Prozent nicht genug, es müssen 51 Prozent sein, aller Führungskräfte, nicht nur Vorstand, Majorisierung als Ziel! Endlich! Endlich Schwanz ab! Schließlich einigte man sich auf 50 komma fünf.“

Ansteigendes Gemurmel, einige Zwischenrufe und Fragen gipfelten in der Forderung, man solle endlich kleine Gruppen bilden, die erarbeiten sollen, mit welchen Strategien man einigermaßen erfolgversprechend gegensteuern könnte. Es erhob sich ein anderer, ziemlich schlanker Mann mit amerikanischem Akzent:

Nein, I think, sorry, ich meine, wir mussen nicht gegen steuern, but if you can’t beat them, join them. Sagen wir immer. Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbunde dich mit ihnen, um das von innen korrumpieren! Wir könnten zum Beispiel noch viel weitergehende Forderungen stellen!“

Richtig!“ sagte der erste Sprecher. „Jetzt kommt nämlich unser kleines q ins Spiel! Genau, wie es unser Mister Bronfield vorgeschlagen hat. Wir fordern die qualifizierte Frauenquote, nicht die einfache! und zwar ungefähr so: Von den Frauen müssen soundsoviele katholisch, evangelisch, jüdisch oder Muslima sein, dem DGB angehören, dem Arbeitgeberflügel. Qualifiziert heißt auch paritätisch. Natürlich müssen auch alle Parteien vertreten sein. Es gibt ein Punktesystem, und jetzt wird’s richtig kompliziert, weil es den Börsenwert steigert oder senkt, zu Steueraufschlägen oder Vergünstigungen führt. Für eine Frau mit Migrationshintergrund gibt es fünf Sonderpunkte, für eine Langzeitarbeitslose drei Sonderpunkte, für eine Vegetarierin oder Veganer-Biofrau zwei Punkte, die übrigen Qualifikationen je einen Punkt. 10 Punkte müssen zu soundsoviel steuerlicher Vergünstigung führen, fordern wir. Vorgeschrieben ist, wie Sie ja alle wissen, ab Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern eine Frauenquote-Beauftragte.“

Allgemeines Gelächter. Viel Zustimmung! „So hebeln wir das System aus! Macht es kompliziert, aber so, dass niemand widersprechen kann. Wer will denn was gegen eine Muslima im Vorstand oder Aufsichtsrat haben? Oder eine langzeitarbeitslose Akademikerin, die nach ihrem Doktor „summa cum laude“ bisher Taxi fahren musste?“

Nun bildeten sich Gruppen von Befürwortern und Gegnern dieses Vorschlags.

Ein anderer, außerordentlich gepflegt aussehender Mann in sichtbar teurem, noch nie vorher getragenen Touristen-Outfit meinte:

Wenn schon Frauen im Vorstand und wo auch immer, wie sollten sie sein, damit wir auch unsere Freude daran haben? Irgendwie, Schiller oder Mörike oder so einer von diesen sogenannten Romantikern hat doch gesagt ‚Ehret die Frauen, sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben!’ Das muss doch unsere Maxime sein; denn wir können gegen die Frauenquote eigentlich gar nichts mehr machen. Also ich bilde jetzt eine Gruppe, wir gehen hinten in die linke Ecke am Fenster, und dann schreiben wir mal wieder Kärtchen, welche Eigenschaften denn eine Frau haben sollte, die wir gern im Vorstand oder anderen Gremien gern neben uns sitzen haben würden. Daran können Sie sich dann bei Ihren Entscheidungen orientieren. Wollen sie so eine strubbelige, kurzhaarige mit Schlagring-ähnlicher Armbanduhr und Schaftstiefeln bis zum Arsch? Wollen Sie so eine mit ?ner evangelischen Glaubenszwiebel? Oder was junges, lernbegieriges, mit ?nem hübschen Busen?

So geschah es. Lothar Velmond, alias Dr. Marquardt, wurde es zunehmend unbehaglich. Wo war er hier hinein geraten? In diesem Tempel des Wisperns! In eine Macho-Management-Konferenz! Eine Muslima im Vorstand war vorgeschlagen worden, ja, da kam ihm doch gleich die Yasemin Yülmaz ins Gedächtnis, noch dazu Akademikerin! Ach, nicht schon wieder an einen Mordfall erinnert werden. Klammheimlich stahl er sich davon. Ohnehin war es Zeit für einen Kaffee an der Promenade, wo er die Leute an sich vorbeiziehen lassen könnte, die jungen Frauen mit den übermütigen Kindern, die alten Damen, die sämtliches Gold umgehängt hatten, das sie sich im Laufe des Ehelebens haben schenken lassen - oft als Kompensation für erlittenes Liebesleid. Reparationen für erwiesene Untreue. Er beneidete die Eisesser, die schleckend und leckend ihre Spitzhörnchen oder Pappdöschen vor sich her trugen. Das durfte er früher nie! Das ziemte sich nicht! Und noch heute traute er sich nicht, sich an dieser umlagerten Gelateria anzustellen, um sich drei Kugeln von Wasauchimmer aufschichten zu lassen.

Während er da so hockte, erkannte er immer mehr von den Macho-Managern, die in kleinen Trupps lebhaft diskutierend daher kamen. Er verbarg sein Gesicht hinter einer zerlesenen BILD, die auf dem Nachbarstuhl lag. War die Konferenz zuende? Velmond zahlte. Dann schlich er sich nochmal ins Kurhaus, hinauf die die erste Etage, bemüht, niemandem zu begegnen. Ja, offenbar hatten die Quotengeschädigten den Saal verlassen. Eine Bedienstete war dabei, die bunten Kärtchen einzusammeln. Da erbot er sich, ihr dabei zu helfen, und übernahm die linke Ecke, wo die Qualitäten der Quotenfrauen ersonnen wurden. Alle Kärtchen stopfte er schnell in eine Tasche seines Blousons. Er würde sie später durchsehen. Drei zusammengerollte Flipchart-Bögen ließ er auch gleich noch mitgehen.

Mein Gott, sagte er sich beim Hinausgehen auf die sonnige Passeier-Promenade, Lothar, du sollst doch hier eine Kur machen und nicht schon wieder Indizien sammeln. Du kannst es einfach nicht lassen.

Mörderin oder Kurschatten?

Lothar Velmond konnte es kaum erwarten, seine Beute im Hotelzimmer ausbreiten zu können, um Näheres über das Geheimtreffen der Manager herauszufinden. Die Meran-Kur hatte offenbar noch nicht so angeschlagen, dass er seine angeborene Neugier, wenigstens irgendetwas zu ermitteln, zu unterdrücken vermochte. Natürlich war das hier kein Fall, nichts Beunruhigendes. Aber allein der prickelnde Reiz, sich unerlaubt irgendwelches Material zu beschaffen, hatte ihn dazu beflügelt. Noch vor dem Abendessen legte er die bunten Kärtchen vor dem Sofa aus und erkannte schnell, wie die Männer in der Gruppe „links hinten, am Fenster“ so tickten:

Auf vielen Kärtchen stand „hübsch“, „attraktiv“, „jung“, „lange Haare“. Manche wurden anzüglicher: „hübscher Busen“ oder nur „Titten“, „rassig“. Weitere gewünschte Eigenschaften von Frauen, die man wohl oder übel in hohe Führungspositionen einsickern lassen müsse: „harmlos“, „warmherzig“, „teamfähig“, „keine Haare auf den Zähnen“, „keine Feministin“. Einer wollte keinen „Schaftstiefeltyp“, wieder ein anderer „eine angenehme Stimme, nicht so schrill!“. Dann gab es offenbar einen Außenseiter, erkennbar an sorgfältiger Schrift mit grünem Filzstift. Der wünschte sich „Sachverstand“, „kommunikationsfähig“, „zielorientiert“, „nicht anbiedernd“. Nachträglich bedauerte Velmond, dass er nicht dabei geblieben war, um etwas von dem sicher entbrannten Disput mitzubekommen. „Trau keiner Frau!“ hatte einer rot unterstrichen auf ein gelbes Kärtchen gekrakelt. Mit derselben Schrift „Frauen sind Hexen!“ Der hatte wohl Zeit seines Lebens schlechte Erfahrungen gesammelt.

Na ja, allzu ergiebig war dieser Beutezug nicht ausgefallen. Auf den Flipchart-Bogen gab es nur Hinweise auf die „Kühe“; denn er hatte ja zunächst immer „Noreffkuh“ verstanden. Hier waren alle „Kühe“ aufgelistet:

„Nor-FQ: Norwegische Frauenquote 30% Aufsichtsräte und Vorstände

„US-FQ: US-Börsen-Diktat 40% Boardroom

„Eu-FQ: 40% Frauenquote der EU, Aufsichtsräte, Vorstände, Geschäftsführer. Daneben hatte jemand gekritzelt: „Lauter Lady Ashtons!“

„Berlin-FQ: 50,5% Frauenquote, wie sie in Berlin favorisiert wurde. Alle Führungsgremien in Unternehmen ab 100 Beschäftigten.“ Die Zahl 100 war mehrfach mit Fragezeichen versehen.

Auf einem Flipchart-Blatt stand nur in Riesenlettern „Herzlich willkommen im Meraner Kreis!“

Auf ein drittes Blatt hatte offenbar der Amerikaner seinen Leitsatz geschrieben: „If you can’t beat them, join them!“ Ein anderer hatte drunter geschrieben, kaum lesbar mit Kugelschreiber: „Sucht nur, die Leute zu verwirren ... !“

„…sie zu befriedigen ist schwer!“ ergänzte Velmond in Erinnerung an das „Vorspiel auf dem Theater“ zum Faust. Er raffte seine ganzen bunten Fundstücke wieder zusammen und stopfte sie in den Papierkorb, in der Hoffnung, dass nicht irgendein neugieriges Zimmermädchen sie wieder rauszupfen würde.

Bei den Mahlzeiten saß er immer noch allein; am „Katzentisch“ sagte man wohl dazu. Ein solcher Katzentisch steht natürlich nicht am Fenster. Er schaute umher, wen er sich denn - wenn überhaupt - als Tischgenossen oder -genossin wünschen könnte. Noch immer fiel sein Urteil höchst negativ aus. Ach, er kannte sich, sein ewiges Dilemma, das sein ganzes Leben begleitet hatte: War er allein, suchte er Gesellschaft. War er in Gesellschaft, fiel ihm die bald auf die Nerven. Gottlob hatte das mit dem Rauchen aufgehört. Er hatte früh das Rauchen aufgegeben, hatte es mit teuren Luxusmarken probiert, mit Orientverschnitt, mit Virginia. Ja, er hatte sich sogar mal eine Pfeife gekauft und teuren Tabak, weil er die Männer beneidete, die andächtig ihr Pfeifchen schmokten, während sie scharf nachzudenken schienen - diese lässige und doch imponierende Pose. Aber ihm ging die Pfeife immer aus, und er wurde mit Mitleid überschüttet, dass er nur eine einzige Pfeife habe. Man müsse mindestens sieben haben, für jeden Tag der Woche eine oder noch mehr, morgens eine und eine Abendpfeife. Pfeifenrauchen war offenbar ein Kult, und sobald etwas Kult wurde, wandte er sich ab. Nur nicht sowas!

 

Während er auf die Vorspeise wartete (Diät, Verdacht auf Diabetes), beäugte er die anderen Gäste mit seinem Kriminalblick: Ehepaare, bieder und mäßig wohlhabend, ältere Damen, die offenbar gemeinsam angereist waren, geschwätzig, wandernde Kleiderständer, täglich neu bestückt. Ein anderer alleinstehender Mann, der schon an einen gemischten Tisch übergewechselt war. Sehr gut; denn irgendwas störte ihn an diesem steifen Typ. Nein, wenn schon jemand an seinem abseitigen Tisch Platz nehmen sollte, dann nur die Uta. Die Uta, das war seine Frau fürs Leben, ohne seine Frau zu sein, auf liebevoller Distanz, ein bisschen lesbisch, mit ihrer Melanie, aber kaum spürbar. Sie waren sich nur ein einziges Mal sehr nahe gekommen, ein einziges Mal, damals in Piran, da hatte es sie überwältigt, und am nächsten Tag war schon alles verflogen, kein Thema, nichts zum Zerreden, zum Problematisieren, ein Vorgesetzter mit seiner Assistentin. Schweigen und bewahren, tief im Herzen, wie man so sagt.

Morgens brachte er die Anwendungen wohl oder übel hinter sich, insbesondere die Wassergymnastik um 7 Uhr!!! Scheußlich diese gemeinsamen Übungen mit all den anderen im selben Pool, mit den Schaumstoff-Würsten und Plastikdingern. Strecken, strampeln, Knie anziehen, Kreiseln. In der Badehose kam er sich absolut peinlich vor, mit seinem bürogebleichten Body, verarmten Muskeln. Sein einziger Trost: Auch hier war bis auf den steifen Typ kein Adonis oder eine Venus dabei, höchstens Venusse von Wilmendorf mit überbordenden, angsterregenden Busen. Krampfader-Geschwader hatte man früher gespöttelt, jetzt gehörte er dazu.

Vom Mittagessen meldete er sich ab. Er wollte auf den Tappeiner Weg, so lange das sonnige Wetter noch anhielt. Für den Nachmittag waren Gewitter angesagt. Der Tappeiner Weg verdient es wirklich, als einer der schönsten und mühelosesten Wanderwege bezeichnet zu werden. Dort konnte man promenieren und sich ganz seinen Gedanken hingeben, bis ...

... ja bis man urplötzlich, wie elektrisiert, einer schlanken, faszinierenden Asiatin begegnet! ‚Liang Sook’ durchraste es sein Gehirn! Liang Sook, die Koreanerin, die mit in dem Boot am Starnberger See gesessen hatte, in dem Boot mit den 400.000 Euro, in dem Boot, in dem der Student Hellrich ermordet wurde und das irgendwie mit dem rätselhaften Verschwinden des pensionierten Kollegen Paul Krüner zu tun hatte? Könnte er sich irren? Er kannte sie ja nur von einigen Fotos. Und hier - eine Begegnung von Bruchteilen von Sekunden, wie man jemandem so begegnet, und nichts zu suchen, war mein Sinn á la Goethe. Eine Begegnung der dritten Art? Unmöglich noch mal zurück zu laufen. Sowas tut man nicht. Umkehren? Schnellen Schrittes? Ruhig, ruhig - mahnte sein anderes Ich. Du bist hier zur Kur! Wo sollte denn die Liang Sook her kommen? War sie entkommen? Hatte sie sich mit den Vierhunderttausend aus dem Staub oder Schilf gemacht und genoss jetzt hier ein mondänes Leben? Wandert man dann auf dem Tappeiner Weg? Velmonds andächtiges, erholsames Promenieren war durch reichliche Adrenalinschübe ins Stolpern gekommen. Wie könnte er es arrangieren, der schönen Asiatin noch einmal zu begegnen? Es gab eine steile Treppe hinunter in die Stadt, ein bisschen schief und krumm. Die nahm er, für sein Alter riskant schnell. Denn er müsste von der Spitalkirche, wo diese Treppe endet, schnell hinunter zur Passer, dann wieder ganz nach hinten rennen in die Schlucht, wo die meisten zum Tappeiner Weg auf- und wieder absteigen. Da müsste er der Frau begegnen!

Lothar Velmond bewunderte stets seine Fernseh-Kollegen vom Sonntags-„Tatort“ und in Freitags- und Montagskrimis, fast in allen Krimis, wie sie beherzt hinter den Ganoven hinterher rennen, über Zäune, Mauern, Tore klettern, begnadete Langstreckenläufer, obschon sie längst wissen, dass alles umsonst ist. Die Verbrecher sind stets schneller, gewitzter, schnappen sich ein Fahrrad oder okkupieren sogar Autos und sind auf Nimmerwiedersehen davon. Na ja, kurz vor Filmende, also gegen 21.45 h sind sie ja wieder da und zur Strecke gebracht. Dann gehen Kommissare mit ihren Kolleginnen schön essen oder auf ein Bier und eine Currywurst, was sie anschreiben lassen, weil keiner ein Geld dabei hat. In Köln macht das nichts; denn die ganze Currywurstbude mit Domblick wird nach den Aufnahmen bis zum nächsten Dreh per Tieflader wieder abgeholt.

Hier aber, Steiltreppe runter, zwischen Tagmenschen hindurch, unziemlicher Schnellschritt, Anrempeln von eisschleckenden Touris, total unmeranisch, hektisch und atemlos - bloß wegen eines teuflisch hübschen Weibchens? Käme sie für eine Frauenquote in Frage bei den Managern von gestern? Liang Sook als Vorstandsmitglied einer Reifenfirma oder von BMW? Oder besser doch Unterwäsche, Underwear, Dessous, von diesen Nichts mit dunkelroter Spitze gesäumt? Velmond erreicht die Schlucht, schwer atmend steigt er durch den kleinen botanischen Garten nach oben, noch eine Kehre, noch eine Kehre. Soll er noch die Straße überqueren? Er gibt auf und sucht eine schattige Bank. Sein Herz rast. Schweißtropfen rinnen herab, sein Hemd klebt an ihm fest. Leute, die er überholt hatte, sehen ihn jetzt wie ein armes Würstchen dort hocken. Eine Promenade in Meran ist eben keine Joggingstrecke. Mit sich allmählich normalisierendem Puls schlendert er frustriert zurück. So ein Quatsch, schimpft er sich selbst, für die Fata Morgana einer gertenschlanken Koreanerin aus einem Mordfall sich ein Herzkaschperl zu holen, der ihn ja gar nichts mehr anging. Nach ihr müsste ja die Soko „Westufer vorwärts“ suchen. Er war für „Ostufer rückwärts“ zuständig. Da konnte ja nichts mehr anbrennen.

Jetzt einen Cappuccino! Relaxen an der Promenade! Aber das sollte wohl nicht sein; denn unweit der Gelateria saß an einem kleinen Tischchen ganz entspannt vor einem weißen Notebook ... Liang Sook; wenn sie es denn war. Exakt daneben wurde gerade ein Tischchen frei. Nichts wie hin! Jedermann, auch einer, der kein Kommissar war, also auch jeder Mann, der auf kleine Brüste, zierliche Hände und schmale Füße stand, lange schwarzglänzende Haare, dazu braune Mandelaugen, hätte was um diesen Platz gegeben. Ach Lothar!

Nun kam es nur noch darauf an, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen und nach Möglichkeit auch irgendeinen Gegenstand mit DNA-Spuren zu erbeuten, um sicher zu gehen, ob er hier der echten Liang Sook, einer Doppelgängerin oder einem Phantom nachspürte.

Jetzt bekam sie ihren Eiskaffee serviert. Er wollte auch bestellen, aber die Kellnerin war schon wieder enteilt. Das war ihr nicht entgangen.

„An einem solchen Tag hat die natürlich alle Hände voll zu tun!“ Ein Satz in fast perfektem Hochdeutsch ohne spürbaren Akzent. Aber er gab Velmond eine winzige Chance, und die nutzte er:

„Sie haben ja auch mächtig viel zu tun, dass Sie an diesem wunderschönen Tag so fleißig arbeiten! Da muss man ja mächtig eifersüchtig sein auf ein solches Notebook!“

„Wieso eifersüchtig?“

„Na ja, früher konnte unsereiner versuchen, über die Einladung zu einem Tässchen Kaffee mit einer so interessanten Frau ins Gespräch zu kommen. Heute haben die jungen Damen entweder den Knopf im Ohr zu ihrem MP3-Player oder sie haben ihr Handy am Ohr oder sie spielen - wie in Ihrem Fall - mit einem weißen Notebook.“

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