Das gefährliche St. Pauli

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Das gefährliche St. Pauli
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Walter Brendel

Das gefährliche St. Pauli

Eine Berichtsdokumentation über Luden, Verbrechen und Paten auf St. Pauli

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Impressum

Einführung

Rosis Bar

Der erste Pate

Der schöne Klaus

Die Nutella-Bande

Chikago-Bande

Der Auftragskiller

Die „Hells Angels“ mischen in Hamburg mit

Die Welle der Gewalt

Fazit

Quellen

Einführung

In St. Pauli soll man in Freiheit leben, wenn man sich an die Regeln hält. Dort zieht es alle hin, die, welche Geld haben und aber auch die, die Geld machen wollen. Und die die Geld haben, werden von denen, die Geld machen wollen, betrogen, erpresst und gar getötet. Es ist schon eine eigene kriminelle Welt hier auf dem Kiez.

St. Pauli. Ein kleiner Stadtteil in der Hafenstadt Hamburg. Nicht erst bekannt, seit den Hans-Albers-Filmen. Ein weltbekanntes Dorf mit der Reeperbahn und der Großen Freiheit. Seit dem 18. Jahrhundert zieht es Matrosen aus alle Welt an. Das Geschäft mit Glücksspiel, Prostitution und frivoler Unterhaltung blüht. Das Hafenviertel ist ein eigenes Universum.

Hier wird mit Theatern, Shows und Kneipen das große Geld verdient. Und natürlich auch mit Bordellen, die sich bereits hier im 19. Jahrhundert in größer Zahl etabliert haben. Jeder, gier irgendwie reich zu werden.

An der Grenze zu Altona gelegen, siedelten sich auf St. Pauli Menschen und Gewerbe an, die eigentlich gesellschaftlich eher unerwünscht waren. Dies führte dazu, dass in den dreißiger Jahren die Amüsierbetriebe in Hafennähe geradezu aus dem Boden schossen. Auch das Rotlichtgewerbe war bald in unmittelbarer Nähe zum Hamburger Hafen zuhause. Der Grund: potenzielle zahlungskräftige Kundschaft war durch die internationalen Seeleute, die mit ihren Schiffen im Hamburger Hafen festmachten, garantiert.

In den fünfziger Jahren wurde St. Pauli durch die Filme von Hans Albers und Freddy Quinn auch in den Kinos zu einem Synonym für das leichte Leben und erlangte weltweite Berühmtheit. Ganz nach dem Motto „auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ wollte sich schon bald jeder Hamburg Besucher amüsieren, im legendären Café Keese das Tanzbein schwingen oder im Hippodrom eine Runde auf echten Pferden reiten.

In den sechziger Jahren begannen für die Beatles in den legendären Clubs der Reeperbahn die ersten Erfolge. Der „Star Club“, der „Kaiserkeller“, das „Top Ten" und das „Indra“ wurden unter anderem regelmäßig von den Pilzköpfen aus Liverpool bespielt und erzeugten Aufmerksamkeit. Das war der Startschuss für eine unvergleichliche musikalische Weltkarriere.

In den siebziger und achtziger Jahren begann zusehends der Untergang von St. Pauli. Rivalisierende Zuhälterbanden wie „Die GmbH“ oder „Die Nutella Bande“ trugen ihre Zwistigkeiten offen auf den Straßen von St. Pauli aus und lockten allerhand zwielichtige Gestalten an. Prostitution, Drogen, Waffenhandel, Hehlerei und Gewalt waren an der Tagesordnung. Der Ruf von St. Pauli kehrte sich bedauerlicherweise ins Negative. Das Hamburger Partyleben verlagerte sich nach Pöseldorf und Harvestehude.

Der traurige Höhepunkt waren die Morde im Hamburger Polizeipräsidium durch den Auftragskiller „Mucki“ Pinzner im Jahre 1986. Pinzner erschoss einen Staatsanwalt, seine Frau und später sich selbst.

Durch den mutigen Schritt der Stage Entertainment GmbH, die im ehemaligen Operettenhaus an der östlichen Spitze der Reeperbahn das Musical „Cats“ in Hamburg etablierte, begann für den Kiez in Hamburg der Weg zurück zu neuem Ruhm und Glanz.

Das Schmidt Theater und Schmidts Tivoli wurden eröffnet. Das St. Pauli Theater und das Panoptikum - Wachsfigurenkabinett präsentierten sich neu und rund um die Reeperbahn eröffneten angesagte Clubs und Diskotheken.

Die speckigen Buden auf dem Spielbudenplatz wurden abgerissen. Die freie Fläche wird seitdem für Veranstaltungen wie das Reeperbahnfestival, die Food Trucks, den St. Pauli Nachtmarkt, den Schlagermove oder den Weihnachtsmarkt „Santa Pauli“ genutzt.

Rund um den Hans-Albers-Platz zogen Kneipen wie das Albers Eck, die Rutsche, das Mary Lou’s und der Silbersack ein, die am Wochenende tausende von Feierwütigen anlockten. All diese legendären Bars und Kneipen sind bis heute gut besucht und bei jüngeren sowie älteren Partygängern gleichermaßen angesagt.

Hier kann man sich unbeschwert in das Hamburger Nachtleben stürzen und wissen, welche Clubs und Theater man besuchen können und welche lieber gemieden werden sollten.

Über Generationen hinweg hat sich die „Meile“ den Ruf als lustvolles Amüsierviertel erarbeitet. Es gibt alles für jeden Geschmack und meistens findet man auch noch ein bisschen mehr.

Der Name stammt von den Reepschlägern, den Taumachern, die für die großen Schiffe die langen Haltetaue flochten und dafür lange gerade Straßen benötigten.

Die Reeperbahn ist übrigens die zweitbekannteste Straße der Welt – nach der Wall Street. Sie ist das Zuhause der Nachtschwärmer, Kneipengänger, Theater- und Musical-Besucher und einer ganzen Meute von Partypeople, die losziehen, um ihr Vergnügen zu finden. Dass sich diese unterschiedlichen Besucher mischen und gemeinsam oder wieder getrennt weiterziehen, liegt in der Natur der Sache und macht diesen wahnsinnigen Reiz aus.

Doch das heimliche Herzstück des Kiez ist sein Erotik-Angebot. Sex-Shops, Table-Dance Bars und Film-Entertainment bestimmen das Bild. Dazu gruppieren sich die berühmte Davidstraße und die Herbertstraße mit ihren hübschen Prostituierten, zu der Frauen keinen Einlass haben. Doch längst hat sich der Kiez emanzipiert, auch Frauenentertainment hat regen Zulauf.

Aber was den Kiez wirklich auszeichnet, ist die vorhandene Toleranz gegenüber Nationen, Glaubensrichtungen, Outfits und Weltanschauungen. Hier kann jeder sein, was und wie er will. Natürlich gibt’s auch mal Streit, das ist bei der täglichen Masse an Besuchern in ihren jeweiligen Zuständen nicht zu verhindern. Dennoch ist der Kiez ein sicheres Pflaster, denn die grünen Jungs (mittlerweile schwarz gewandet) sind meist in der Nähe oder es wird auf klassische Weise geschlichtet. Denn wer Ärger macht, bekommt auch welchen.

Für einen erfolgreichen Abend benötigt man eine Menge Geld. Von den Reeperbahnfilialen der Haspa werden durchschnittlich 120 Euro pro Person abgebucht. Freitags von 0 bis 24 Uhr verbuchen die Automaten 70.000-90.000 Euro. Da hilft es schon vorher zu sparen und sich eventuell Freikarten für Diskos im Internet zu erwerben. Wer beim Männerabend sein Glück im Casino oder am Spielautomaten herausfordern möchte, schont seinen Geldbeutel, indem er vorab online Strategien testet – ein Bonuscode hält die Einsätze in den virtuellen Spielewelten gering.

Wertsachen sollte man lieber nicht mitnehmen, da an einem normalen Wochenende auf der Davidwache 120-200 Strafanzeigen eingehen. Pro Woche kommen im Schnitt 80-120 Meldungen wegen Diebstahl zusammen.

Prostitution in Hamburg gehört seit Jahrhunderten zum gesellschaftlichen Leben der Hafenstadt. Die Hurentour präsentiert nun einen interessanten neuen Blick auf das Rotlichtviertel St. Pauli, bei dem dieser wichtige Aspekt der Hansestadt anschaulich näher gebracht wird.

Aufklärung über Prostitution funktioniert hier mal anders: nicht staubig und trocken, sondern lebendig und mit vielen Hintergründen, dabei sachlich-seriös und genau dort, wo die Prostitution allgegenwärtig ist: rund um die Reeperbahn des Hamburger Vergnügungs- und Rotlichtviertels St. Pauli. Die auffällige rot-gelbe Flügelmütze war einst Pflicht für die damaligen Huren.

Die Reeperbahn ist die zentrale Straße im Vergnügungs- und Rotlichtviertel des Hamburger Stadtteils St. Pauli. Sie ist etwa 930 Meter lang und verläuft vom Millerntor in Richtung Westen bis hin zum Nobistor (Hamburg-Altona), wo sie in die Königstraße übergeht. Die große Anzahl an Bars, Nachtclubs und Diskotheken, vor allem aber das auf und um die Reeperbahn konzentrierte Rotlichtmilieu, hat ihr den Spitznamen „die sündigste Meile der Welt“ eingebracht.

Parallel zur Reeperbahn verläuft etwas versteckt im Süden die bekannte Herbertstraße, eine Bordellstraße, die nur zu Fuß und durch zwei Sichtblenden hindurch betreten werden kann.

Die Reeperbahn erhielt ihren Namen von Taumachern und Seilern, den sogenannten Reepschlägern, die für die Herstellung von Schiffstauen eine lange, gerade Bahn benötigen. Dementsprechend gibt es auch in anderen Städten Straßen dieses oder ähnlichen Namens, beispielsweise in Kiel, Elmshorn, Schleswig, Stade, Buxtehude, Bremen (Reepschlägerbahn) oder im dänischen Aalborg. Auf einer Hamburg-Karte von 1791 ist dies nördlich des „Hamburger Bergs“ mit dem Namen „Reepschläger Bahn“ nebst den „Reepschläge-Hütten“ eingetragen.

 

Der Begriff Reiferbahn ist Hochdeutsch für Reeperbahn, bedeutet also dasselbe, während auf einer Seilerbahn geringwertigere Seile produziert wurden. Daher ist eine Seilerbahn auch nicht länger als etwa 50 m, während eine Reeperbahn mindestens über 300 m Länge verfügt. Die letzte echte auf Hamburger Gebiet verbliebene Reeperbahn ist heute in Hamburg-Hausbruch auf der südlichen Elbseite zu finden. Reifer und Reeper sind vermutlich auf protogermanisch *raipaz zurückzuführen, was auch denselben Vorläufer für englisch rope und niederländisch reep darstellt.

Die Reeperbahn lag bis zur Aufhebung der Hamburger Torsperre 1860/1861 und der sukzessiven Ausdehnung Hamburgs in der Vorstadt Hamburger Berg (alte Bezeichnung St. Paulis) genau zwischen den beiden Städten Hamburg mit der Stadtgrenze Millerntor und Altona mit der Stadtgrenze Nobistor auf Höhe der Einmündung der Großen Freiheit. Menschen und Gewerbe, die in beiden Städten unerwünscht waren, konnten sich so in unmittelbarer Nähe ansiedeln und waren dennoch in das Stadtleben eingebunden. Eine erste Wohnbebauung wurde 1826–1827 nach Entwürfen von Wimmel als kleinteilige Wohnhäuser im Stil einer Hausreihe auf der Nordseite der Reeperbahn zwischen Millerntor und dem Hamburger Berg vorgenommen. Für die in den 1880er Jahren angelegten Querstraßen (Hein Hoyer-Straße, Bremer Straße) wurden später einzelne Häuser abgerissen.

Ein kleiner historischer Fehler ist der, dass die Hamburger Reeperbahn angeblich nicht die eigentliche Bahn der Reeper war, sondern die im Vergleich zur Reeperbahn schnurgerade verlaufende parallele Simon-von-Utrecht-Straße. Zwischen diesen beiden liegt noch heute die Seilerstraße; deren Name ist Programm. Der Begriff „Reeperbahn“ steht also – neben Produktionsstätte für Tauwerk und Straße in Hamburg – heute als Synonym für: „Die sündige Meile“ bzw. ihr näheres Umfeld, meist aber einfach nur liebevoll „der Kiez“ genannt. Beim „Bummel über die Reeperbahn“ beschränkt man sich üblicherweise nicht auf die Straße Reeperbahn allein.

Nachdem die Anzahl der Gewaltdelikte auf St. Pauli kontinuierlich angestiegen war, wurde 2007 ein Waffenverbot für die Reeperbahn und die Seitenstraßen erlassen, Waffen, Messer und andere gefährliche Gegenstände mitzuführen. Die ansässigen Geschäfte wurden aufgefordert, keine Glasflaschen mehr zu verkaufen. Durch das Glasflaschenverbotsgesetz wurde 2009 auch das Mitführen von Glasflaschen und Gläsern in den Wochenendnächten und vor Feiertagen vollständig verboten und kann mit bis zu 5000 € Geldbuße bestraft werden. Gelbe Hinweisschilder grenzen das Gebiet ein. Ein Rückgang der Gewalt ist durch diese Maßnahme allerdings nicht festgestellt worden.

Dass dies die Straße der tollsten Gegensätze ist, dass hier das bürgerliche Restaurant neben der Kaschemme, das elegante Nachtlokal neben dem vulgären Hippodrom steht – das ist nichts Neues und doch immer wieder erregend im Wechsel der Atmosphäre, an dem Ausgleich aller sozialen Gegensätze. Der vollgefressene Gent erregt zwischen Chinesen, Dirnen und Arbeitern nicht ein Blinzeln – im Hippodrom bei dreißig Pfennig der Ritt, ‚Galopp eine Mark‘, fallen alle gleichmäßig vom Gaul, nicht nur die dazu eigens angestellten Mädchen mit endlosen Seidenbeinen; das Primat der Brieftasche ist aufgehoben.

Das soll erst mal als Einleitung genügen. Ich denke, dass die Leser nun wissen, in welcher Umgebung unser Buch nun handelt und was in St. Pauli beheimatet ist.

Kommen wir zu Kehrseite des Vergnügens und beschäftigen uns mit Aufstieg und Handeln der Kiezgrößen.

Rosis Bar

Was man so mitbekommt, in den Kneipen und auf den Straßen zeigt das echte Gauner Milieu und sogar das Verbrechertum in St. Pauli an. Banden, nach Vorbild der italienischen Mafia organisiert, und die dazugehörigen „Paten“ verkörpern die Kehrseite des Kiezes.

St. Pauli entwickelt sich besonders in den Nachkriegsjahren zu einem Sammelbecken für Ausgestoßene, Gestrandete und Glücksritter. Das Rotlicht lockt viele an, die ihrem Schicksal als Hafenarbeiter oder Handlanger entkommen wollen. Einigen gelingt das auch und sie sind bis heute als Milieu-Größen bekannt.

Eine der Größen ist Rosi. Seit 60 Jahren auf dem Kiez. Ihre Kneipe „Rosis Bar“ betreibt sie seit 1970. Rosis Vater sagte: „Bring mir keinen Kellner oder Türsteher mit nach Hause!“. Das tat Rosi auch nicht. Sie brachte stattdessen einen englischen Musiker mit nach Hause. Tony Sheridan McGinnity, ihren zukünftigen Mann, einen Singer-Songwriter und Gitarristen, der in Hamburg unter anderem mit seiner Band „The Jets“ und als Solo-Sänger spielte oder der von einer Band, bestehend aus ein paar jungen Musikern aus Liverpool, begleitet wurde – den Beatles.

Gegründet von ihrem Vater betrieb Rosi seit 1969 die Kneipe „Zu den drei Hufeisen“. Das konnten sich ihre englischen Musikerfreunde jedoch nie merken. Stattdessen liefen sie immer über den Kiez und fragten „Where can we find Rosi?“. So stand schnell der neue Name fest und das neue Wohnzimmer für zahlreiche Musiker und spontane Sessions war gefunden.

Noch heute betreibt Rosi die Bar. Man sieht es ihr mit ihrem frischen Anstrich kaum an, aber Rosi’s Bar ist eine der ältesten Bars auf dem Hamburger Berg – mit einer ganz besonderen Besitzerin.

Als auf St. Pauli zu Beginn der 60er Jahre die neue Musikkultur und der jugendliche Aufbruch gefeiert wurden und die „Beatlemania“ tobte, war Kiez-Kultwirtin Rosi Sheridan McGinnity mittendrin – und erlebte die Anfänge der später weltberühmten Band hautnah mit. Die Ex-Frau von Beatles-Entdecker Tony Sheridan feierte heute 50-jähriges Jubiläum ihrer „Rosis Bar“ auf dem Hamburger Berg und sagt trotz Cornern und Billig-Alkohol: „Ich bin um mein St.Pauli überhaupt nicht besorgt.“

Ab 1960 spielten die Beatles insgesamt 58 Nächte im Keller-Club in der Großen Freiheit 36. „Rosi, das ist die neue englische Band, bedien‘ die mal“, erinnert sich Rosi an die Worte ihres ehemaligen Chefs, als Tony Sheridan mit seinen Schützlingen Paul McCartney & Co. reinkam. „Die ganzen Engländer, die nach Hamburg kamen, waren alles ganz andere Typen, als das, was wir sonst kannten, alle gertenschlank und gut angezogen“, sagt Rosi, die damals schon nächtelang Rock’n’Roll tanzte.

Tony Sheridan, der den Beatles in Hamburg ihr Handwerk beibrachte, verliebte sich sofort in Rosi, oder auch in „The girl with the flying feet“, wie sie von den Engländern genannt wurde. „Ich hatte ganz dunkle Haare und einen schönen runden Po, das kam gut an. Und dann hab ich eben gleich den ersten englischen Musiker, der da rein kam, geheiratet“, erzählt sie, lacht dabei und zieht genüsslich an ihrer Zigarette, die in einer Zigarettenspitze steckt.

Die Verbindung zwischen den Barfrauen und den jungen Musikern beschreibt sie damals als „sehr besonders“. 1961 kam Sohn Rick zur Welt. Uneheliche Kinder sind damals noch ein Skandal. Rosi zog mit dem Lütten ins sogenannte Hurenhaus an der Großen Freiheit, lebte dort mit Kiez-Gangstern wie „Ochsen-Harry“ auf einem Flur.

„Die hätten mir niemals ein Haar gekrümmt, ich war halt die Rosi und die Frau vom Sheridan“, sagt sie. Ihr Mann, der oft zu Besuch kam und sich im Schrank verstecken musste, sobald sich die Vermieterin näherte, hatte immer den „Rückhalt der ganzen Banditen“, wie Rosi sagt. „In der Zeit haben Paul McCartney und Tony auch .Tell Me IIf You Can‘ geschrieben und all die anderen Lieder. Er hatte immer unseren kleinen Ricki auf dem Schoß, Paul war ein Sonnenschein, hat immer auf mich aufgepasst“, erinnert sie sich.


Rosi Sheridan McGinnity

Nachdem Tony und die Beatles im Laufe der 60er Jahre getrennte Wege gingen, machte Tony als Solo-Künstler weiter, Rosi arbeitete nun hinterm Tresen im „Star Club“. Die junge Liebe der beiden endete, als Tony 1967 aus Geldmangel für drei Jahre nach Vietnam zog. Auch Rosi ging ihre eigenen Wege und übernahm 1969 von ihrem Vater die Kneipe „Drei Hufeisen“ auf dem Hamburger Berg, aus der später „Rosis Bar“ wurde.

Es ist vor allem der Einfluss des Vaters, der aus der jungen Kellnerin später eine taffe Wirtin macht, denn: Er selbst war Kellner im früheren „Café Keese“ – tagsüber arbeitete er als Schweißer auf einer Werft, um Rosi und ihre zwei Schwestern über die Runden zu kriegen. Die Mutter war früh gestorben. „Ich habe schon mit 13 Jahren die Kellnerhemden von meinem Papi gebügelt. Wenn du vom Vater erzogen wurdest, bist du keine Püppi und keine Prinzessin“, erinnert sich Rosi.

Wie sie mit den harten Jungs umzugehen hat, wusste die rüstige 79-Jährige immer, doch gegen das Schicksal war auch Rosi machtlos: Sohn Rick starb im vergangenen Jahr mit 58 Jahren an Krebs – genau wie sein Vater Tony Sheridan 2013. „Da hatten wir Angst, dass der Laden dicht gemacht wird“, sagt Türsteher Leon, der der Chefin seit neun Jahren zur Seite steht. Doch da schüttelt sie vehement den Kopf – sie verlängerte den Mietvertrag erst kürzlich um weitere fünf Jahre. „Das ist doch meine Familie hier“, sagt Rosi, die mittlerweile nicht mehr direkt über der Bar, sondern in einer kleinen Wohnung in Bahrenfeld wohnt.

Dass noch lange nicht Schluss ist, bewies die Kiez-Wirtin gerade an Heiligabend: „Da hab’ ich drei Flaschen Champagner gekippt und war seit 20 Jahren wieder mal so richtig betrunken“, erzählt sie. Macht nichts, einer der Türsteher wird die Chefin schon nach Hause gefahren haben, so wie sie es auch an jedem Wochenende tun.

Der erste Pate

In den 1960iger Jahren etabliert sich das Rotlicht-Milieu auf St. Pauli. Das Geschäft mit der Lust trifft den Nerv der Wirtschaftswundergeneration. Und mit der Prostitution lässt sich Geld verdienen. Sogar Ehemänner schicken ihre Frauen auf dem Strich.

Viele Ehefrauen arbeiteten als gewerbliche Huren, während die Ehemänner sich die Zeit mit Glücksspielen verdienten und den später den Liebeslohn von ihren Angetrauten zu kassieren. Schon den 50iger Jahren galt die Meile als schmutzigste der Welt und Touristen aus Skandinavien waren oftmals leichte Beute, die man berauben konnte. Auch von den Prostituierten wurden sie über den Tisch gezogen und bezahlten oft das Doppelte an Liebeslohn.

Und wo dann so etwas passiert, zieht es auch oft Leute an, die ihre Geschäfte machen wollten.

Ein der Ersten der Geschäftemacher auf St. Pauli war Wilfried Schulz (1929-1992). Er arbeitet sich im Rotlichtviertel hoch und wird als erster Pate St. Pauli prägen. Er dirigierte fast alles, was, wenn man vom Miller-Tor kommt, rechts der Reeperbahn lag.

Er ist in einer Kneipe von St. Pauli aufgewachsen, die im Krieg zerbombt wurde. Nun stand er mit Nichts da. Während Hamburg noch in Trümmern liegt, arbeitet Schulz zunächst als Kistenschlepper und Bananenpacker im Hamburger Hafen. Später verdiente er sein Geld als Kellner und Türsteher auf St. Pauli, um dann Nachtclubs und Bordelle zu betreiben, indem man Frauen anschaffen lässt.

Das war die Aufstiegsphase von Schulz, der anfangs nur in Sachen Prostitution unterwegs war. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre vertrieb er mit Gewalt österreichische Zuhälter, die sich in der Hansestadt breitmachen wollten und wurde dadurch „die unangefochtene Nummer eins im Hamburger Rotlichtmilieu“.1970 zog er sich weitgehend aus den Geschäften im Stadtteil St. Pauli zurück und betrieb am Steindamm in Hamburg-St. Georg das Tanzlokal „Café Cherie“. Er bewohnte eine Villa im Stadtteil Blankenese.

Schulz veranstaltete ab 1972 Profiboxabende, teils mit Europameisterschaftskämpfen sowie Kämpfen um deutsche Meistertitel, unter anderem in Hamburg in der Ernst-Merck-Halle, der Sporthalle Hamburg, dem CCH sowie in der Ostseehalle Kiel. Er arbeitete unter anderem mit Boxpromoter Willy Zeller zusammen. Zu den namhaften Boxern, die auf Schulz’ Veranstaltungen zum Einsatz kamen, gehörten Lothar Abend, Karl-Heinz Klein, Frank Wissenbach, Frank Reiche und Louis Pergaud. Einige der Boxer betreute Schulz auch selbst als Manager. Im Mai 1974 wurde er vom Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) mit der goldenen Verdienstnadel ausgezeichnet.

Für Aufsehen sorgte im Mai 1977 die in Hamburg veranstaltete „Box-Gala ’77“, bei der er Profisport als gesellschaftliches Ereignis in Szene setzte und dazu Prominente wie Horst Frank, Katja Ebstein, Martin Jente und Roberto Blanco als Gäste präsentierte. Die Veranstaltung wurde vom Fernsehsender N3 sowie teils auch von der ARD übertragen. Diese Box-Gala, die Schulz 1977 im Congress Centrum Hamburg ausrichtete, um sein Renommee zu heben, war ein Flop. Die hanseatische Gesellschaft mied die Veranstaltung.

 

Dafür feierten die Spitzen des deutschen Rotlichtmilieus im selben Jahr mit "Frieda" eine rauschende Nacht. Die Veranstaltung ging bei der Polizei als der wohl größte "Ganovenball" Deutschlands in die Geschichte ein. Schulz zog sich Anfang der 80er Jahre vom Kiez zurück, als dort Drogengeschäfte überhand nahmen. Stattdessen führte er das "Café Cherie" am Steindamm, ein Edelbordell.

Der Hamburger Justiz zufolge versuchte Schulz mit der Box-Gala, höhere Gesellschaftskreise anzusprechen und sich vom Rotlichtmilieu zu entfernen. Nach Einschätzung der Ermittler misslang dies, die Veranstaltung wurde von Ermittlern „als Treffen der Halbwelt“ und als einer „der größten Ganovenbälle, der wohl jemals in Deutschland stattgefunden hat“, eingestuft. Im Januar 1979 hob er aufgrund des Streits der beiden konkurrierenden deutschen Profiboxverbände BDB und VdF sämtliche Arbeitsverhältnisse mit Boxern, die bei ihm unter Vertrag standen, auf.

Schulz trug wegen seines als eitel beschriebenen Auftretens den Spitznamen „Frida“, der ihm in Anspielung auf eine Blumenfrau gegeben worden war. Er verabscheute den Namen jedoch und reagierte gewalttätig, wenn er mit „Frida“ angesprochen wurde. Zu Schulz’ Markenzeichen gehörte sein gepflegtes Erscheinungsbild samt Anzug mit breiten Streifen, Schuhen aus Krokodilleder und Zigarre. Schulz sei der Mann gewesen, der „auf St. Pauli das Sagen hatte“, schätzte Rüdiger Bagger (Staatsanwalt in Hamburg zwischen 1978 und 2008) die Stellung des Unternehmers im Rotlichtmilieu der Hansestadt ein.

Laut Hamburger Abendblatt ging Schulz „als einer der wichtigsten Drahtzieher im Geschäft um Sex und Glücksspiel“ in die Hamburger Kriminalgeschichte ein. Er wurde als „Pate von St. Pauli“ und „eine der farbigsten Figuren in der Hamburger Vergnügungs-Szene“ beschrieben. Schulz zeichnete sich laut Hamburger Morgenpost durch einen kühlen Verstand und ein betont höfliches Auftreten aus. Einem Bericht von Spiegel TV zufolge soll Schulz kriminelle Strukturen aufgebaut haben, die bis in die Vereinigten Staaten reichten.

Das Hamburger Abendblatt berichtete im Juni 2007 im Artikel „Als die Mafia nach Hamburg kam“ über Indizien, dass Schulz über Kontakte zur US-Mafia verfügte, er seine Aufenthalte in den Vereinigten Staaten aber als Geschäftsreisen für seine Tätigkeit als Boxmanager getarnt habe. Der US-Bundespolizei FBI zufolge bestand des Weiteren telefonischer Kontakt zwischen Schulz und Mafiamitgliedern in den Vereinigten Staaten. Der Vorwurf, Schulz habe unter anderem hochrangige Polizisten mit Sexvideos erpresst, konnte ihm trotz mehrerer Hinweise nie nachgewiesen werden.

Nach Einschätzung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel habe die Hamburger Justiz Schulz „oftmals vergebens als Unterwelt-Boß zu überführen versucht“. Laut Schätzung der Zeitung Die Zeit wurde Schulz bis 1984 rund 50 Mal von der Polizei festgenommen. Nach Ermittlungen der Hamburger Polizei bestand in der Rotlichtszene ein „Gericht“, um interne Streitigkeiten zu klären, Schulz habe dabei als Vorsitzender gewirkt. Gemäß Informationen der Hamburger Justiz wurde Schulz mehrfach durch Gewaltandrohungen auffällig.

1980 wurden im Rahmen einer Sonderkommission Korruptionsermittlungen über mögliche Verbindungen zwischen Schulz und einem Kriminaldirektor der Hamburger Polizei durchgeführt. Über diesen Beamten soll Schulz Einfluss auf die Hamburger Polizei genommen haben. Beweise für gemeinsame Machenschaften des Unternehmers und des hochrangigen Polizisten gab es letztlich aber nicht. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschrieb Schulz als einen Mann, dem „vieles zuzutrauen, doch wenig nachzuweisen“ gewesen sei.

Doch was als großer Schlag gegen den St. Pauli-Paten geplant war, geriet zur Farce. Der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung war nicht zu halten. Am Ende wurde Schulz nur wegen Steuerhinterziehung, Anstiftung zur Falschaussage und Förderung der Prostitution verurteilt. Sein "Vergehen": Er hatte den Prostituierten im "Cherie" vorgeschrieben, dass sie nicht schlampig zur Arbeit kommen sollten. Auch die Fälschung eines Motorbootsführerscheins wurde ihm zur Last gelegt. Er wurde 1983 zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.

Anfang Februar 1981 wurde Schulz vom Hamburger Landgericht wegen „fortgesetzter Steuerhinterziehung“ zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr sowie einer Strafzahlung in Höhe von 36.000 DM verurteilt. Er hatte gestanden, 600.000 DM an Steuern nicht angegeben zu haben. 1977 war Schulz im Rahmen der Ermittlungen in Untersuchungshaft gekommen, hatte das Gefängnis im Dezember desselben Jahres aber gegen eine Kaution von 1,3 Millionen DM verlassen dürfen.

1981 hörte die Polizei Schulz unrechtmäßig mit Wanzen ab, was in der Hamburger Politik zum sogenannten Polizei-Skandal führte, auch da ein Staatsrat das Vorgehen gebilligt hatte. Ab Herbst 1981 wurden die Fernsprecher Schulz’ und seines Mitarbeiters Uwe Carstens (Milieuname: „Dakota-Uwe“) mit richterlicher Genehmigung von der Polizei überwacht. Anfang November 1982 wurde Schulz im Rahmen eines Großeinsatzes der Polizei festgenommen, ihm wurden die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Förderung der Prostitution, Rauschgiftvergehen sowie Steuerbetrug vorgeworfen. Er saß anschließend 14 Monate lang in Isolierhaft und musste sich ab Dezember 1983 schließlich wegen der Vorwürfe der Steuerhinterziehung, der Förderung der Prostitution, der Beihilfe zur Urkundenfälschung sowie einer falschen eidesstattlichen Versicherung vor Gericht verantworten.

Mitte April 1984 wurde Schulz vom Hamburger Landgericht wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen, Förderung der Prostitution, Anstiftung zur Falschaussage sowie Begünstigung und Beihilfe zur Urkundenfälschung zu dreieinhalb Jahre Gefängnis verurteilt. Sein Lokal „Café Chérie“ wurde geschlossen. Nach Ansicht der Richter förderte und regelte Schulz das Treiben der Huren im „Café Chérie“. Zudem habe ein enger Kontakt zwischen dem Lokal und einem Stundenhotel bestanden, an dem Schulz nach Überzeugung des Gerichts beteiligt war.

Mit dem sich schon in den 70er Jahren abzeichnenden Machtverlust kam eine neue Generation der Ludenkartelle an die Macht. Prägend war die so genannte GMBH, eine Gruppierung benannt nach den Vornamen der Beteiligten Gerd, Mischa, Beatle und Harry. Sie entsprachen dem typischen Bild eines Zuhälters. Große Autos, teure Uhren und ein gepflegtes Äußeres. Die vier “Manager” der GMBH strichen pro Monat bis zu 200.000 Mark ein. Zu den von ihnen dominierten Läden gehörten das Eros-Center und das Palais d’Amour. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, kam es zu unliebsamer Konkurrenz. Die Bubis rund um die Nutella Bande steckten auf dem Kiez ihren Claim ab. Ebenso eine Gruppe um den Zuhälter Ringo, die sich am Hans-Albers Platz im Chikago traf. Der Ort, wo sich alle einfanden, war die Discothek “Top Ten” und außer ein paar Prügeleien blieb es ruhig.

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