Read the book: «Veza Canetti zwischen Leben und Werk», page 7

Font:

B3. Übersetzerin

Die Autorin Veza Taubner alias Veza Magd notiert zu ihrer Berufstätigkeit in der Anthologie Dreissig neue Erzähler des neuen Deutschland knapp und kurz: „Übersetzungen“158.

Veza Taubner muss schon vor den 30er Jahren als Übersetzerin aus dem Englischen gearbeitet haben. Angelika Schedel159 gibt in ihrer Dissertation zu Veza Canetti an, sie habe Wolf Solent von John Cowper Powys übersetzt, und auch Elias Canetti erwähnt, seine Frau habe John Cowper Powys übersetzt. Als Übersetzer dieses Werkes im Zsolnay-Verlag gilt aber Richard Hoffmann.160 Der Jurist Dr. Richard Hoffmann hat 1919 an der Rechtswissenschaftlichen Abteilung der Universität Wien promoviert, danach arbeitete er im diplomatischen Dienst. Ab 1924 tritt er mit Übersetzungen für den Zsolnay-Verlag aus dem Englischen hervor. Er hat von 1924 bis 1940 mehr als 30 Werke übersetzt. Er gilt zudem als Übersetzer aus dem Russischen – Tolstoi, Dostojewski, Tschechow – wie auch aus dem Italienischen. Weiter war er daneben als Berater für den Zsolnay-Verlag tätig. Er erstellte Gutachten zu englischen Büchern auf ihre Eignung für eine allfällige Übersetzung hin.161 Das Übersetzungsbüro von Dr. Richard Hoffmann befand sich an der Wollzeile 9 in Wien I, sein Beruf wird in Adolph Lehmann’s allgemeinem Wohnungsanzeiger mit Schriftsteller162 angegeben. Dies wirft nun einen Blick auf eine in Betracht kommende Berufstätigkeit Veza Taubners in den 20er Jahren; mit hoher Wahrscheinlichkeit hat sie für Richard Hoffmann als Übersetzerin gearbeitet, vorstellbar ist, dass sie darüber hinaus Gutachten zur englischen Literatur verfasst hat – entsprechend dieser Tätigkeit im Exil für den Hutchinson Verlag (BaG 254). Zum Verhältnis zwischen dem Übersetzerbüro Dr. Richard Hoffmann und dem Zsolnay-Verlag ist im Konkreten leider nichts bekannt. Murray G. Hall schreibt dazu: „Das Geschäftsverhältnis zu den Übersetzern war sehr unterschiedlich: manche von ihnen hatten dem Verlage ein Werk bzw. einen Autor empfohlen und wurden daraufhin mit der Übertragung beauftragt, während andere wiederum im Einvernehmen mit dem Autor die Übersetzungen machten oder zumindest zeitweise in einem fixen Dienstverhältnis standen.“163 Auch ist nichts bekannt über eine direkte Zusammenarbeit von Veza Taubner/Canetti mit dem Zsolnay-Verlag, was die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg betrifft. Die Erstpublikation der Übersetzung von Graham Greenes Die Kraft und die Herrlichkeit durch Veza Magd erfolgte 1947 bei Heinemann & Zsolnay.164 Veza Canetti schreibt 1946 an Georges Canetti, dass sie die Übersetzung von The Power and the Glory bereits sieben Jahren zuvor erstellt habe, also 1939. Mindestens diese Übersetzung beweist eine Zusammenarbeit mit Zsolnay für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.165

Hilde Spiel macht in einem Interview von 1990 darauf aufmerksam, dass Veza Canettis Bücher im Zsolnay-Verlag erschienen seien.166 Da diese Aussage nicht verifiziert werden kann – kein Buch aus dem Zsolnay-Verlag trägt den Autorennamen Veza Taubner, Veza Canetti oder eines ihrer Pseudonyme –, muss angenommen werden, dass Hilde Spiel die Übersetzungen aus dem Englischen gemeint hat. Ob Veza Canetti neben Greens The Power and the Glory unter dem Pseudonym Veza Magd und Powys’ Wolf Solent unter dem Namen Dr. Richard Hoffmann noch für mehr Übersetzungen aus dem Englischen bei Zsolnay verantwortlich war, ist unklar, jedoch sehr gut möglich, gerade auch weil Dr. Richard Hoffmann für einige Übersetzungen in diesem Verlag zeichnete.

Veza Taubner muss nebstdem für den deutschen Malik-Verlag übersetzt haben, und hier zeigt sich ein ähnliches Muster wie bei Zsolnay. Veza Taubner übersetzt einen Text, publiziert wird dieser hingegen unter einem anderen Übersetzernamen, hier unter dem ihres zukünftigen Ehemannes Elias Canetti.

Elias Canetti hat bekanntlich anfangs der 90er Jahre Helmut Göbels erzählt, dass Veza ihm bei den Sinclair-Übersetzungen geholfen habe, da sie ausgezeichnet Englisch gesprochen habe. „Besonders in der Übersetzung von ‚Alkohol‘ würden grosse Teile von ihr stammen.“167 Von Elias Canetti sind im Malik-Verlag drei Übersetzungen von Werken Upton Sinclairs bekannt, 1930 der Band Das Geld schreibt. Eine Studie über die amerikanische Literatur, dann im gleichen Jahr Leidweg der Liebe sowie 1932 Alkohol.168

Warum erst die Übersetzung von Graham Greenes Die Kraft und die Herrlichkeit unter dem Pseudonym von Veza Magd, das Veza Taubner sonst seit anfangs der 30er Jahre für literarische Erzeugnisse verwendet hatte, erscheinen durfte, lädt zu diversen Spekulationen ein. Ganz offensichtlich hat Veza Canetti hier nicht mehr im Unterakkord übersetzt, ihr Ghostwriting als Übersetzerin abgebrochen oder allenfalls, wie zu sehen sein wird, nur unterbrochen.

Diese Sachlage wirft natürlich wiederum einen Blick auf Veza Taubner als Autorin/Dichterin. Möglicherweise wäre auch hier ein ähnliches Muster zu beobachten, das heisst, ein Ghostwriting für andere Dichter, bevor sie mit dem Namen Veza Magd dann als Autorin selbst an die Öffentlichkeit getreten ist.

Welche Autoren kämen dafür in Frage? Wer ist ein Vielschreiber, wie Dr. Richard Hoffmann ein Vielübersetzer war? Veza Canetti selbst hat sich dazu in den bekannten Quellen nicht geäussert. Indirekt kann aber einiges an Ghostwriting (nicht nur bezüglich Korrespondenzen) für Elias Canetti oder Erich Fried, die 50er Jahre betreffend, nachgewiesen werden.

Wie sich Ghostwriting für einen Dichter lohnen kann oder eben nicht, beschreibt Veza Magd in der Erzählung Der Fund sehr ironisch gleich selbst, wenn sie über den Dichter Knut Tell berichtet: „Knut Tell hatte aus seinen langen Gedichten folgenden Ertrag: zehn Mark für ein Huldigungsgedicht, achtundsiebzig Liebesbriefe, vier Dutzend Lesezeichen, ein Kochbuch, das er bei einem Preisausschreiben gewann, und ein Exlibris, darstellend ein Zepter, einen Königsmantel und einen Totenkopf als Krone.“ (DF 11)

Hinter den Übersetzertätigkeiten von Veza Canetti wurden schon öfters eher private Gefälligkeiten statt einer konkreten Berufstätigkeit gesehen. Dies hat unter Umständen damit zu tun, dass Elias Canetti solche Tätigkeiten seiner Ehefrau gleichsam als Nebenthema in den Publizierten Lebenserinnerungen kurz streift, jedoch nicht in ihrer vollen Breite, ja Bedeutsamkeit ausführt. Er schreibt zum Beispiel in Die Fackel im Ohr, dass Veza Alfred Waldinger bei seinen Vertiefungen in die indische Philosophie geholfen habe, indem sie englische Quellentexte zum Thema übersetzt habe.169 Solches und Ähnliches wird dann als Interpretationsmodell von der literaturwissenschaftlichen Forschung übernommen und auf anderes angewendet. Zum Beispiel wenn geschrieben wird, Veza sei mit hoher Wahrscheinlichkeit nur aus privater Gefälligkeit für die Zeitschrift Ars Viva (Scherchens Zeitschrift) die Lyrik-Übersetzungen der chinesischen Dichterin Shü-Hsien in französischer Sprache durchgegangen.170

B4. Englischlehrerin

Nichts Offizielles ist bekannt über die Lehrtätigkeit Veza Taubners an einem Privatuntergymnasium in Wien. Nach einer biografischen Anmerkung in den Notizen über Leben und Werk der 30 neuen deutschen Erzähler muss sie allerdings das Unterrichten später wieder aufgegeben haben.171 Erstaunlich ist, dass Veza Taubner, als Veza Magd, in besagter biografischer Anmerkung angibt, dass das Privatuntergymnasium, an dem sie als Lehrerin tätig war, in nur vier Jahren heruntergewirtschaftet worden sei, ja dass sie das Herunterwirtschaften mit einem „wir“ einleitet und sich selbst damit eine Mitschuld gibt. Leider lässt sich nicht mehr feststellen, um welche Privatschule Wiens es sich gehandelt haben könnte. Warum Veza Magd ausgerechnet das Zuspätkommen zum Unterricht in diesem autobiografischen Text thematisiert, ist ebenfalls unklar. „Immer, wenn ich zu spät kam, zog der Direktor bedeutungsvoll die Uhr, sagte aber nichts.“172 Womöglich ist das nur metaphorisch zu verstehen, im Sinne der Aussage: Diese Form des Unterrichtens entspricht nicht mehr der gegenwärtigen Zeit.

Falls die Erzählung Der Dichter autobiografische Züge Veza Canettis trägt, würde an dieser Schnittstelle zwischen Unterrichten und anderen neuen Tätigkeiten wie zum Beispiel das Schreiben oder das Dichten der von aussen an den Lehrer herangetragene Wunsch stehen, dessen Erfahrungen im Klassenraum in Erzählungen zu giessen – da der Zeit entsprechend mit einem höheren gesellschaftlichen Wirkungsgrad zu rechnen wäre, gerade was das Gerechtigkeit-Üben betrifft. „Er brachte es in sehr jungen Jahren zu einer Stelle an einer öffentlichen Schule und gewann die Knaben durch den fanatischen Eifer, mit dem er Gerechtigkeit übte.“ (DF 21)

Interessanterweise hat auch eine weitere Erzählung Veza Canettis, die im Lehrermilieu spielt, nämlich Die Grosse, zum Zentrum das Gerechtigkeit-Üben. Hier geht es wie in der Erzählung Der Dichter um die schichtspezifische Herkunft der Lehrerinnen und die sich daraus ergebende unterschiedliche Haltung zu den Schülern. Die Grosse Bürger – der Spitzname für die Lehrerin hatte sich für die Schüler daraus ergeben, dass zwei Lehrerinnen der gleichen Schule Bürger hiessen – behandelt das Mädchen einer Bedienerin so, dass es gleich lernt, sich zu bescheiden und nicht die gleiche Behandlung zu erwarten, wie für die Kinder der Mittel- oder Oberschicht vorgesehen. Entsprechend belehrt die eine Lehrerin, eben die Grosse Bürger, die Schülerin Käthi folgendermassen: „Du hast es am wenigsten notwendig, dich aufzutun, wart nur, bis du in den Dienst gehen musst wie deine Mutter, dann wirst du schon Demut erlernen!“ (DF 10) Die auf Gleichberechtigung unter Schülern achtende Lehrerin mit dem Namen Kleine Bürger hingegen weiss um die Ungerechtigkeit einer abwertenden Spezialbehandlung für Arbeiterkinder. Die Erzählung Die Grosse führt die Mechanismen einer Gesellschaft vor, in der schon in der Volksschule Kinder aus der Unterschicht auf ihre spätere inferiore gesellschaftliche Stellung vorbereitet werden. Am Kulminationspunkt dieses Einübens stehen die Lehrerinnen und Lehrer dieser Schulen. Die Grosse Bürger fügt sich dem gesellschaftlichen Diktat, sie entstammt, wie ihr Name suggeriert, aus dem Grossbürgertum. Die Lehrerin, die sich dem nicht fügt, ist die Kleine Bürger, ihr ist eine Gesellschaft, in der mindestens in der Schule alle gleich behandelt werden, wichtig. Dieser Lehrerinnenfigur entspricht in Der Dichter der Lehrer Gustl, der, statt ein theoretisches Werk über seine pädagogisch-methodischen Erfolge als Lehrer zu verfassen, beginnt, kleine Erzählungen zur gleichen Thematik zu schreiben, und so zum Dichter wird. Dass Veza Canetti eigene Erfahrungen aus der Lehrerinnentätigkeit in den Erzählungen Die Grosse oder Der Dichter verarbeitet hat, ist im Kontext zu den Aussagen in der biografischen Notiz in Dreissig neue Erzähler des neuen Deutschland sehr gut möglich. Denkbar ist auch, dass Veza Canetti an einer jüdischen Mädchenschule unterrichtet hat. Davon soll es neben der Schwarzwald-Schule vier weitere gegeben haben, wie die Biografin von Helene Weigel (Ehefrau von Bertolt Brecht und Absolventin der Schwarzwaldschule) zu berichten weiss.173 Sie schreibt dementsprechend hinsichtlich der Spuren der Begründerinnen dieser jüdischen Mädchenschulen in der Biografie Helene Weigel. Abstieg in den Ruhm: „Von ihren Instituten sind noch nicht einmal mehr Dokumente erhalten geblieben. Die einzigen Spuren ihrer Begründerinnen sind Abmeldungsscheine nach dem Konzentrationslager Theresienstadt.“174

Im Gegensatz zur Tätigkeit als Lehrerin an einem Privatuntergymnasium ist aus verschiedenen Quellen bekannt, dass Veza Canetti Privatunterricht in Englisch erteilt hat, das „Stundengeben“175, wie sie es in den Notizen über Leben und Werk der 30 neuen deutschen Erzähler in den Dreissig neuen Erzähler des neuen Deutschland nennt. Ernst Fischer schreibt in seinen Lebenserinnerungen Erinnerungen und Reflexionen, sie habe ihn in „englischer Konversation“176 unterrichtet.

B5. Fremdsprachenkorrespondentin

Wie bereits kurz erwähnt, sucht Veza Canetti in London 1940 eine Stelle als Fremdsprachenkorrespondentin, sie schreibt an Franz Baermann Steiner hierzu: „Ich kann commercial correspondance in 3 Sprachen, wenn Sie von etwas erfahren, schreiben Sies mir.“177 Dass Veza Canetti damit tatsächlich an eine entsprechende Tätigkeit in Wien anknüpfen möchte, ist gut vorstellbar. Veza Canetti könnte allenfalls für Dr. Richard Hoffmann nicht nur als Übersetzerin, sondern auch als Fremdsprachenkorrespondentin tätig gewesen sein. Unter Umständen schon in der Zeit, als der Jurist Dr. Richard Hoffmann noch in diplomatischen Diensten stand. Dass dies keine abwegige Spekulation sein muss, zeigt ein Vergleich mit dem ehemaligen Universitätsprofessor Leon Kellner, der nach dem Ersten Weltkrieg in der Präsidialkanzlei als Fremdsprachenkorrespondent178 gearbeitet hat.

Ähnliches ist von Ernst Polak (1886–1947) – dem Literaten ohne Werk – zu berichten, der ursprünglich bei der Österreichischen Landesbank als Fremdsprachenkorrespondent tätig war. Ernst Polak gilt als Freund und Berater der Literaten nicht nur in Prag, sondern später auch in Wien. „Es ist seine Rolle als Freund, Berater und literarischer Agent österreichischer Schriftsteller und belletristischer Verlage, seine Bedeutung als Integrationsfigur der wichtigsten Kaffeehauszirkel in Prag und Wien. – Karl Kraus und Heimito von Doderer porträtieren ihn in ihrem literarischen Werk.“179

Elias Canetti hingegen bezeichnet ihn als Kröte,180 über die er in den Lebenserinnerungen III nichts als die Wahrheit erzählen wolle. „Ernst Polak: die Wahrheit über ihn, die volle Wahrheit. (aber knapp, er ist nicht nur abscheulich, er ist unwichtig)“181 Leider erfährt man über diese Polemik hinaus nichts Konkretes darüber, weshalb Ernst Polak eine Kröte sein soll und was dann die volle Wahrheit dazu sei.

Ernst Polak ist ein guter Freund von Hermann Broch, ihnen ist gemeinsam, dass sie in hohem Alter die gesicherte Berufstätigkeit mit einem unsicheren Studium getauscht haben. Im Gegensatz zu Polak kann Broch aber seine Ideen dichterisch umsetzen. Hermann Broch schreibt seinem Freund Ernst Polak diesbezüglich am 19. Dezember 1943: „Dass Du Dein reiches Material nicht zur richtigen Verwendung hast bringen können war ja stets ein Teil Deiner Neurose.“182

Und der Polak-Biograf Hartmut Binder bringt es folgendermassen auf den Punkt:

„In diesen psychischen Rahmen passt auch eine in ihrer Schärfe freilich von Polaks späterem Scheitern seiner Beziehung zu Milena (der späteren Freundin Kafkas, Anm. va) beeinflusste Bemerkung von Johannes Urzidil, der ihn zu den unproduktiven Literaten rechnet, die aber ‚vermöge ihres Herumwanderns oder Herumsitzens im Gelände des Schrifttums, durch ihr Sprechen oder vernehmbares Denken, durch überraschende Bemerkungen, Handlungen oder Verhaltensweisen eine gewisse Wirkung üben, die mitunter von Person zu Person stärker sein kann als die geschriebener oder gedruckter Aussagen … Der überbelesene Ernst Polak war … ein ganz und gar unschöpferischer, aber höchlichst angestaunter Zyniker, ein Viel- und Besserwisser von stupender Behendigkeit, ein in allen Sätteln gerechter intellektueller Bankbeamter, scharfgesichtig, kleingestaltig, aber einen lebenskünstlerischen Rastignac erfolgreich mimend‘.“183

In der Erzählung Drei Viertel hat Veza Canetti beschrieben, wie der Morgen einer Kanzleiangestellten aussehen könnte. „Eine Kanzlei war ihr Ziel, sie lag in einem Wohnhaus. Der Raum war wie ein Hofzimmer. Aber sie verlor hier ihre Zaghaftigkeit, es schien, als wäre diese Düsterheit ihre Luft. Sie ging auf die Schreibmaschine zu, in Hut und Mantel, und betastete sie, wie ein Galeerensklave nach dem Ruder greift. Mit einem Lappen wischte sie über die Maschine. Dann begann sie den verstaubten Schreibtisch zu ordnen. Sie ahnte selbst, dass sie die Papiere eher in Unordnung brachte.“ (DF 48) Ihr Ziel dieses Morgens ist nicht die Arbeit, sondern sie möchte den Kunstmaler Bent kennenlernen, dabei entpuppt sich das, was sie als Nachteil empfunden hatte, ein Leben buchstäblich „ohne Gesicht“, als Vorteil für den Maler. (DF 59) Nachdem eine Begegnung mit Bent eingefädelt ist: „Dann wandte sie sich der Maschine (Schreibmaschine, Anm. va) zu. Die Maschine lief nach einem alten System. Aber die Sprünge und Widerstände der alten Maschine waren ihr recht.“ (DF 53)

Ernst Polak ist derjenige Autor, der Ivan Cankars Erzählung Knecht Jernej mit einer Rezension in der Literarischen Welt184 im Jahr 1929 dem deutschsprachigen Publikum bekannt gemacht hat. Die Übersetzung dieses Werkes ins Deutsche war zuvor im Niethammer-Verlag Wien185 erschienen. Der Knecht Jernej lässt sein Lebenswerk, einen gutgehenden, ertragsreichen Bauernhof, in Flammen aufgehen, nachdem ihm durch alle Instanzen hindurch bestätigt worden ist, dass er absolut keine Rechte am Hof hat, da der Besitzer ein anderer ist und seine Aufbauarbeit nur der Familie seines Herrn gedient hat.186

Die Fremdsprachenkorrespondentin Anna in der Erzählung Drei Viertel, die sich einerseits als Galeerensklavin sieht, die ihr Ruder, eben die Schreibmaschine, ergreift, scheint hingegen noch weit mehr Freude an ihrem Beruf gehabt zu haben. Genau dieses Bild evoziert auch Georges Canetti, wenn er Vezas Rolle im Leben seines Bruders mit verbannt auf diese Galeere, die ihr nicht gehöre, vergleicht. (BaG 185)

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Veza Canetti mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in Wien als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet hat. Wenn sie schreibt, dass sie „commercial correspondance in 3 Sprachen“187 kann, meint sie bestimmt Englisch, Französisch und Deutsch. Falls sie aber Fremdsprachen gemeint hat, wäre zu klären, was die dritte Sprache gewesen sein könnte. Das Ladino der spaniolischen Juden war wohl nicht gemeint, vielleicht jedoch Spanisch oder noch wahrscheinlicher Ungarisch, die Muttersprache ihres Vaters und eines Teils der Verwandtschaft Calderon.

B6. Lektorin

Veza Canetti hat für den Malik-Verlag nicht nur Übersetzungen gemacht, wie das mehr oder weniger intensive Ghostwriting für die Übersetzungen der drei Bücher von Upton Sinclair durch Elias Canetti in diesem Verlag beweist, sondern sie hat, wie sie selber 1947 in einem Brief an Wieland Herzfelde schreibt, in diesem Verlag ausserdem lektoriert: „So bin ich geblieben, was ich bei Ihnen zuletzt war, Lektorin bei einem englischen Verlag.“188 Da Veza Canetti im Malik-Verlag als Schriftstellerin nicht nur vor, sondern auch noch nach dessen 1933 erfolgtem Gang ins Exil nach Prag publiziert hat, ist zu vermuten, dass sie auch für den Exil-Malik-Verlag weiter lektoriert hat.

Veza Canetti betont im zuvor erwähnten Brief an Wieland Herzfelde weiter, dass es viel zu erzählen gebe189 und dass sie lieber warte, bis dies mündlich möglich sei, „(…) denn wir werden uns doch alle einmal wieder zusammen finden.“190 Dies wirft natürlich die Frage auf nach dem genauen Umfang der Zusammenarbeit mit dem Malik-Verlag. Hat Veza schon Mitte 20er Jahre, von 1924 bis 1926,191 als der Verlag kurze Zeit eine Zweigstelle in Wien, am Bauernmarkt 1, betrieben hat, für Malik gearbeitet oder war das erst später der Fall? Als Autorin des Malik-Verlages taucht sie erst 1932 auf, nämlich in der Anthologie Dreissig neue Erzähler des neuen Deutschland mit der Erzählung Geduld bringt Rosen. Deutlich früher erfolgten die Übersetzungen Elias Canettis für Wieland Herzfeldes Malik-Verlag; gut vorstellbar ist, dass die Malik-Lektorin Veza Taubner ihrem damaligen Freund diese Übersetzertätigkeit im Anschluss an das Chemiestudium 1929 vermittelt hat.

Bestimmt aber wurde im Hause Taubner/Canetti kurz vor dem Jahr 1930 sehr viel übersetzt. Rechnet man die Übersetzung von John Cowper Powys’ Wolf solent192 durch Veza Canetti vor dem Publikationsjahr 1930 im Unterakkord für Dr. Hoffmann bei Zsolnay dazu, sind es allein für den Malik-Verlag vorerst die beiden Übersetzungen von Upton Sinclairs Leidweg der Liebe193 und Das Geld schreibt,194 beide ebenfalls vor 1930 – Upton Sinclairs Alkohol195 hingegen wurde erst 1932 veröffentlicht.

Der Biograf Elias Canettis, Sven Hanuschek, zitiert einen Tagebuchauszug Elias Canettis vom 5. September 1927, wo er festgehalten hat, was Veza an der Wollzeile in Wien um 11 ½ Uhr vormittags zu ihm gesagt hat: „Vor einem Jahre war ich jung und blühend, nun bin ich alt und verwelkt.“196 Hanuschek interpretiert diese Aussage dahingehend, dass Elias Canetti gemeint haben soll, er mache alle Frauen alt, wie es schon bei seiner Mutter der Fall gewesen sein soll. Dass Veza Taubner ausgerechnet an der Wollzeile, wo sich das Übersetzerbüro von Dr. Richard Hoffmann befand, diese Aussage macht, und zwar kurz vor der Mittagspause, könnte vielmehr etwas mit der hohen Arbeitsbelastung Veza Taubners zu tun gehabt haben. Wahrscheinlich war Veza einfach erschöpft von der sich kumulierenden Übersetzungs-Arbeit für zwei Verlage. Zudem muss sie parallel auch noch schriftstellerisch tätig gewesen sein. Sonst wären die Publikationen ihrer Erzählungen und Novellen anfangs der 30er Jahre ja nicht möglich geworden; ausserdem hatte sie ja zu diesem Zeitpunkt schon zwei Romane fertig, als da sind Kaspar Hauser und Die Geniesser.197 Dies würde ferner erklären, dass Elias Canetti mit seiner Übersetzertätigkeit frühestens ab 1928/29 eher Veza Taubner entlastet hat als umgekehrt. Gerade auch weil Elias Canetti im Februar noch seine Dissertation in Chemie abschliessen musste.198

Leider kann nicht mit Sicherheit belegt werden, dass Veza Taubner vor 1930 für den Malik-Verlag lektoriert hat. Für die Anthologie Dreissig neue Erzähler des neuen Deutschland, die mit halbseitigen Porträts zu den 30 vertretenen Autoren endet, ist hingegen Veza Taubner als Lektorin in Betracht zu ziehen. Es stellen sich nur vier Dichter, darunter Veza Magd, gleich selbst vor, indem sie aus der Ich-Perspektive spannungsvolle Eckpunkte aus der eigenen Biografie schildern.199 Die mit „Notizen über Leben und Werk der 30 neuen deutschen Erzähler“ betitelten Autorenporträts weisen bei jedem Einzelnen explizit auf die proletarische Herkunft des Dichters oder der Dichterin hin. Der Stil dieser Porträts – eine Mischung aus Stolz und Sarkasmus – weist auf die Feder Veza Taubners hin. Leider ist kein Verfasser oder keine Verfasserin der Autorenporträts angegeben, gut vorstellbar ist, dass dies das Lektorat gleich selbst erledigt hat.200

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass ein Lektorieren für den Malik-Verlag für Veza Taubner beziehungsweise Veza Canetti ab 1924 bis zum Jahr 1938 in Betracht gezogen werden muss. Die Übersetzertätigkeit für Malik erfolgte unter dem Namen von Elias Canetti, die literarischen Produktionen unter den Pseudonymen Veza Magd 1932 und Veronika Knecht 1934.