Der Flug des Fasans

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Der Flug des Fasans
Font:Smaller АаLarger Aa

Expose: Der Flug des Fasans

Zwei Rockerbanden haben sich in Duisburg das kriminelle Geschäft mit Prostitution, Drogen und Waffenhandel untereinander aufgeteilt. Mikael Knoop muss in diesem Umfeld den Tod einer sonderbar hergerichteten Prostituierten ermitteln. Die sprichwörtliche Verschwiegenheit dieser kriminellen Kreise erschwert seine Ermittlungen enorm. Durch Tricks, Beziehungen und das Eintauchen in den Sumpf des Duisburger Straßenstrichs erfährt Knoop, wie menschenverachtend Frauen hier zur käuflichen Diensten gezwungen werden.

In einer parallellaufenden Ermittlung wird der Tod von fünf Prostituierten und einem Mann untersucht. Alle sechs Personen sind in dem Sammelbehälter der Duisburger Müllverbrennungsanlage durch Zufall entdeckt worden. Der Zweck, sich auf diese Weise der Leichen zu entledigen, liegt auf der Hand. Wie aber die Täter die Sicherheitsumzäunung der Anlage überlistet haben, stellt die Ermittler vor eine schwere Aufgabe.

Entsetzt erkennt Knoop in dem Mann einen Kumpel wieder, der ihm als strauchelnden Jugendliche auf den „richtigen“ Weg gebracht hat. Als Knoop die entstellte Leiche seines Freundes sieht, ist es für ihn unumstößlich, diesen Mistkerl dingfest zu machen. Weil auch hier als Ursprung das Rockermilieu vermutet werden muss, gelingt es Knoop, quasi als Kenner der Szene, auch in dieser Ermittlungskommission Mitglied zu werden. Dabei darf er über die frühere Beziehung zum Opfer nichts verlauten lassen, um seine persönliche Interessenslage nicht offenzulegen. Wenn er nicht aufpasst, dann droht ihm Minmum die Suspendierung.

Seine Arbeit mündet in einem Strudel der Gefühle. Einerseits ermittelt er Seiten seines alten Kumpels, die ihm früher nie bewusst waren. Andererseits hat er gegenüber seinen Kollegen Vorteile, weil Knoop weiß, welche Ermittlungsrichtung erfolgversprechender ist und welche nicht.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2014. Alle Rechte liegen beim Autor

Impressum

Flug des Fasans

Volker Buchloh

Copyright © 2014 Volker Buchloh

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-2599-2

Trilogie
Zweites Buch



Volker Buchloh

Duisburg Rheinhausen, 17. April

Der Mann stöhnte leise im Rhythmus seiner Bewegungen. Als sich sein Unterleib verkrampfte, hielt er nichts zurück. Deswegen war er ja schließlich hierher gekommen. Er machte noch ein paar Bewegungen, um das Gefühl abklingen zu lassen. Er merkte, wie sein Glied erschlaffte, da zog er es zurück. Ohne auf die Frau zu achten, die unter ihm lag, richtete er sich auf. Er stopfte alles in den Reißverschluss seiner Hose, murmelte etwas Unverständliches und verließ den Raum.

Der Ort roch muffig, aber auch nach Schweiß und anderen Körperausdünstungen. Es war ein Kellerraum, der aber nur halb in den Boden gebaut worden war. Wahrscheinlich aus Kostengründen. Das einzige Licht drang durch die Kellerfenster auf der einen Seite des Raumes und einer schwach leuchtenden Lampe an der Decke. Wer durch die Scheiben der Fenster blickte, der sah nur den festgetrampelten Boden eines Hinterhofs, der wohl nicht mehr benutzt wurde. Unkraut aller Art wuchs sogar in der Ascheschicht eines Trampelpfads. Die Düsternis der Räumlichkeit wurde durch die verdreckten Wände mit hervorgerufen. Irgendwann, aber bestimmt nicht in den letzten zwanzig Jahren, waren Sie mal geweißt worden. Inzwischen hatte sich Staub und Dreck auf ihren Poren niedergelassen. Stellen, an denen der Putz abgefallen war, waren nie repariert worden.

Das Halbdunkel innerhalb der vier Wände schuf hellere und dunklere Bereiche. In dem von den Fenstern abgewandten eher dunklerem Teil waren Matratzen unordentlich aufeinander geschichtet. Sie waren aus billigem Schaumstoff gefertigt. Einen anderen Überzug als den industriell vorgesehenen gab es nicht. Im helleren Bereich lag ein einzelnes Unterbett. Auch hier gab es keinen Bezug. Man hatte die Matratze einfach auf den verdreckten Kellerboden geworfen. Auf der Schaumgummifläche lag eine Frau. Die wirrverteilten schwarzen Haare verdeckten ihren Kopf. Unterhalb ihres Bauchnabels war sie nackt. Der Oberkörper steckte in einer Weste, die jedoch nicht gänzlich zugeknöpft war. Zwar trug sie einen BH, aber dieser war nach oben gerutscht und gab teilweise deren Brüste frei. Die Beine der Matrone waren gespreizt und blieben unverändert so liegen.

Der junge Mann, der nun den Raum betrat, wippte in seinen Knien, so als ginge es zu einer Tanzveranstaltung. Er reichte dem Mann einen Zehneuroschein, den dieser wortlos annahm und in seine Tasche stopfte. Der junge Mann öffnete seine Hose und ließ diese auf seine Füße fallen. Dann griff er nach seinem Glied und bewegte es mehrmals hin und her. Er schaute auf den unbekleideten Unterleib der Frau. Es war eine Ausländerin. Dann kniete er sich auf die Matratze und begann, an dem BH der Frau zu fummeln. Sofort meldete sich der Mann, der breitbeinig daneben stand. Obwohl nur wenig Licht einfiel, konnte man den zu einer Glatze geschorenen Kopf sofort erkennen. Er trug ein T-Shirt, dessen Farbe und Beschriftung man in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte. Darüber hatte er eine ärmellose Lederjacke gezogen. Die zahlreichen Metallnieten glitzerten bei jeder Körperbewegung. Er machte diese Art Arbeit gerne. Einmal war sie nicht anstrengend. Dann behinderte sie seine krumme Hand nicht. Instinktiv schaute e auf sein Handgelenk, das nach links abgeknickt war. Die Folge eines Motorradunfalls vor vier Jahren.

„Hey Mann, dat kostet aber extra - ´nen Fünfer.“

Der Junge schaute in die hingehaltene Hand, zögerte etwas. Dann schüttelte er seinen Kopf. Er spielte wieder mit dem Glied, dann drang er in die Frau ein. Seine Hüfte bewegte sich wie ein Dampfhammer. Die Frau unter ihm bewegte nur ihre Lippen. Was sie sagte, konnte keiner verstehen. Wahrscheinlich sie selbst nicht einmal. Der junge Liebhaber atmete heftig.

„Hey, ist das nicht geil?“ Sein Kopf senkte sich zu ihrem Ohr. „Komm, sag mir, du bist geil auf mich. Bin ich nicht der Beste?“

Die Südländerin lag völlig apathisch dar. Nur ab und zu bewegten sich ihre Lippen.

„Komm, sag doch, wie geil du auf mich bist. Ich merke doch, wie es dir gefällt, was ich mit dir mache.“ Er stöhnte laut, um seine eigene Geilheit anzustacheln.

Bewegungslos lag der Körper der Dirne auf der Matratze. Langsam erhob sich ihre Hand, um sich kraftlos an ihrer Stirne zu kratzen. Danach sank die Hand erschöpft auf die Unterlage zurück. Ihre Augen waren meist geschlossen, so als wollen sie die Realität nicht wahrnehmen, die der Körper scheinbar willenlos akzeptierte. Wenn sie doch einmal ihren Blick an die schmutziggraue Kellerdecke richtete, dann sah man die Ausdruckslosigkeit in den Pupillen.

Mit lautem Geschrei ergoss der Freier seinen Samen in die Scheide. So als ob nichts geschehen wäre, machte er weiter. Der Glatzkopf trat kräftig gegen die Wade des jungen Mannes. Schmerzhaft zog dieser sein Knie an.

„Ist ja schon gut Mann.“ Er stand sofort auf, zog seine Hose hoch und gürtete sie fest. Während er den Raum verließ, zog er den Reißverschluss seiner Hose hoch. Er trat in den langen Gang eines Kellerkomplexes. Die gemauerte Wände waren auch hier nur unvollständig verputzt und genau so dreckig wie der Kellerraum. In den Fugen hatte sich Staub und Schmutz angesammelt. An der Decke des langen Ganges baumelten in große Entfernung zwei nackte Glühbirnen in ihrer Fassung. Das Licht, welches sie spendeten, war über alle Maßen dürftig. Die Männer, die hier in der Schlange standen, schien dies nicht zu stören. Mitten im Gang warteten zwei Freunde auf ihn. Der blonde Zwölfjährige wirkte ein wenig verschüchtert in der unbekannten Umgebung. Der um einen halben Kopf größere mit Pickelgesicht und roten Haaren trat unruhig mit den Füßen auf der Stelle.

Der jugendliche Freier zeigte seinen rechten Bizeps. „Boh, war dat toll. Der hab´ ich es aber gegeben. Habt Ihr gehört, wie die gestöhnt hat. Und als die gekommen ist, da hat die mir ins Ohr geflüstert, wie geil ich sie gemacht habe.“ Die zwei Jungen schauten ihn ehrfürchtig an.

Der eine mit den rotgefärbten Haaren schluckte mehrmals. „Meinst du, ich könnte auch mal...?“ Er machte mit der Faust das Zeichen für schmutzigen Sex.

Der Chinese hinter ihm raunzte ihn an: „Kleiner, stell dich bloß hinten an.“ Er machte die typische Handbewegung, indem der Daumen die Richtung angab. Die Wartenden hinter dem Chinesen nickten und grummelten aggressiv.

In den Kellerraum war ein Ausländer getreten. Mit ihm betrat ein Geruch von Knoblauch und ranzigem Käse den Raum. Zu welcher Nationalität man ihn zählte, konnte man nicht sagen. Aber ein südländischer Typ war er allemal. Er hatte schütteres graues Haar. Sein magerer Körperbau belegte, er steckte nur wenig Geld in die Ernährung seines Körpers. Er trug ein Sakko, welches am linken Ärmel winkelförmig eingerissen war. Das weiße Hemd war am Halse nicht verschlossen und hatte lange Zeit kein Waschpulver mehr gesehen.

„Warum habt Ihr heute nur eine?

Das Muskelpaket schaute ihn wütend an. Dann bequemte er sich doch zu einer Antwort. „Wir tauschen aus.“

Die Augen des Alten zeigten freudigen Glanz „Ich möchte auch lecken und ein Stück Papier.“ Seine Stimme klang emotionslos.

 

„Fünfzehn“, beschied ihn der Aufpasser. Er hielt seine Hand hin. Die vereinbarte Summe wechselte ihren Besitzer. Von einer Küchenrolle riss die Lederjacke ein Blatt ab und reichte sie dem Kunden. Während er damit das Geschlecht der Frau säuberte, wollte der Glatzkopf wissen: „Wie viele sind noch draußen?“

„Ich glaube fünfzehn.“ Unbeteiligt roch er ausgiebig an der Scheide, dann setzt er seine Säuberungsaktion weiter fort. Die Bewegungen der Zunge hinterließen bei der Frau keinen Eindruck. Der Unterleib des Freiers machte langsame kreisförmige Bewegungen. Der Aufpasser multiplizierte ein paar Zahlen. Er war enttäuscht. Nurwenig mehr als vierhundert Euro würde er bei einer Matratze heute nur verdienen können. Er verzog unwillig sein Gesicht. Und davon würde er fünfzig auch noch als Miete abgeben müssen. Kein guter Tag heute. Inzwischen hatte der Alte den Reißverschluss geöffnet und sein Glied platziert. Seine Bewegungen waren dem Aufseher zu langsam. Wütend trat er mehrmals gegen dessen Schuhe.

„Hey Alter, mach´ hinne. Oder es kostet einen weiteren Zehner.“

Der Alte arbeitete schneller. Mit fast erstickender Stimme murmelte er: „Oh du meine Blume, meine Tochter. Du bereitest mir solche Freude. Danke, weil ich dich glücklich machen darf.“ Aus seinem Penis tröpfelte etwas Ejakulat.

Als der Alte aus dem Kellerraum fortgegangen war, rückte die Schlange einen Schritt nach vorne. Nun stand der Mörder auf Platz Vierzehn.


Die Schritte der Springerstiefel hallten in dem Gang wieder. Die spärliche und weitentfernte Beleuchtung warf groteske Schatten der Person an die Kellerwände. Das ungeputzte, schmierige Ziegelmauerwerk schluckte das meiste des ausgestrahlten Lichtes. Dem Mann mit den Springerstiefeln war dieser Zustand bekannt. Dieser Ablauf gehörte zu seinen täglichen Pflichten. Trotzdem fluchte er leise. Dieser Teil seiner Arbeit gehörte nicht zu seiner Lieblingsbeschäftigung. Wenn er die eine oder andere der Nutten hätte bumsen können, dann hätte er auch noch ein wenig Spaß bei diesem Job. Aber in eine Spalte einzudringen, in der der Abschaum von Rheinhausen abgespritzt hatte, das widerte ihn zu tiefst an. Wer weiß, was für Krankheiten er sich dabei holen würde. Sollten die Miststücke doch daran sterben, er nicht. Bei diesem Gedanken griff er sich in den Schritt und bewegte langsam seine Hand. Lust verspürte er schon. Er verspürte immer Lust. Deswegen war er auch zu dem Spitznamen >Phallus< gekommen. Er empfand diese Bezeichnung als Ehre. Eigentlich konnte er sich nicht vorstellen, dass es außer Bumsen noch was Sinnvolleres im Leben geben könnte. Aber nicht hier und nicht jetzt. Nicht bei dieser Sorte Schlampen. Er überlegte und entschied sich, im Anschluss an seinen Job bei Arnika vorbei zu schauen. Arnika arbeitete im vereinseigenen Bordell in der Humboldtstraße. Hier musste er zwar zahlen, bekam aber als Mitglied fünfzig Prozent. Arnika war für ihn die Richtige. Sie war schon etwas in die Jahre gekommen. Was ihr als Jugend fehlte, musste sie mit anderen Dienstleistungen ausgleichen. Und auf solche Dienstleistungen, da bestand er. Genau wie das, was er nun in seiner Hand spürte.

Vor einer Stahltüre blieb er stehen. Das Licht oberhalb dieser Türe war extra dazu angebracht, damit man das Schloss der Türe gut sehen konnte. Sicherheitsmaßnahme sozusagen. Er verscheuchte seine lüsternen Gedanken. Hier durfte er keinen Fehler machen. Der Boss würde ihn mit Stumpf und Stiel in den Boden rammen. Er stellte das Tablett auf einen Hocker, bevor er die Türe aufschloss. Er öffnete den Eingang und vergewisserte sich, keiner stand im Eingangsbereich. Die Beleuchtung im Zimmer war genau so armselig wie die im Gang draußen. Dann ergriff er das Tablett und stellte es auf eine Anrichte, die als Küchenzeile an der Wand stand. Immer wieder schaute er sich dabei um.

Der Raum hatte die Maße von ungefähr sechs mal sechs Metern. Da aber der Raum sechs Frauen Platz bot, war dies wenig genug. Aber die Schlampen brauchten nicht mehr. Die Frauen hatten sich beim Geräusch des Aufschließens auf ihre Lagerstätten zurück gezogen. Sie wussten, bei Nichtbefolgen drohten Schläge. Und damit sparte ihr Bewacher in keinster Weise. Ja es bereitete ihm satanisches Vergnügen, auch noch dann zuzulangen, wenn es eigentlich nicht mehr notwendig war. Aber dennoch huschte der Blick des Mannes immer wieder durch den Raum, denn man konnte ja nie wissen, ob es nicht anders kam. Die Nutten waren hier eingesperrt, bis sie ihre Unkosten abgearbeitet hatten. So sagte man es ihnen jedenfalls. Zu diesen Kosten gehörte nicht nur der Transfer von Bulgarien hier her, auch die Ablösesumme und die Schmiergelder an den Grenzen. Auch für Miete und Verpflegung sollten diese Schlampen bezahlen. Auch seine Handreichungen waren nicht kostenlos. Und der Boss wollte dazu noch Gewinn machen. Da kam einige Arbeitszeit zusammen, damit sich so etwas bezahlt machte. Schon möglich, wenn dabei die Vorstellungen über die Dauer des Arbeitsverhältnisses unterschiedlich war. So konnte man nie ausschließen, ob die Fotzen sich nicht abgesprochen hatten, ihrerseits das Arbeitsverhältnis zu kündigen, und einfach abhauten. So etwas durfte nicht passieren. Nichts durfte passieren, das nach draußen drang. Dann hatte er schlechte Karten. Mit dem Boss war nicht zu spaßen.

Durch den Lichtschacht zweier vergitterter Kellerfenster fiel zusätzliche Helligkeit in den Raum. Davon profitierten aber nur die oberen beiden Liegestätten. Die darunter befindlichen Lager lagen im Halbdunkel. Es war also eine Frage der Durchsetzungsfähigkeit, welche der Frauen hier oben liegen durfte. Nur die Robustesten konnten diesen kleinen Vorteil für sich in Anspruch nehmen.

Phallus stellte die Konservendosen neben das Servierbrett. Dann drehte er sich zur anderen Wand um. Unter einem hockerähnlichen Möbel zog er einen Behälter hervor. Angewidert verzog er seine Lippen. Er fluchte über den Gestank, der sich schnell im Raum verbreitete. Hastig stülpte er wieder den Deckel über den Eimer. Bevor er ihn aufhob, fixierte er erneut die Frauen. Aber alles blieb ruhig. Er wuchtete den Behälter hoch. Dabei vermied er jeden unnötigen Körperkontakt mit dem Gefäß. Im Gang stellte er das Behältnis auf einen Rollwagen.

Als die Türe wieder geschlossen wurde, sprangen die Frauen wie elektrisiert auf und eilten zu der Anrichte. Eine korpulente Frau, die ihre langen dunklen Haare zu zwei Zöpfen geflochten hatte, führte das Kommando. Eine spindeldürre Gestalt öffnete den Wasserhahn. Ein spärlicher Wasserfluss füllte einen großen Topf, der ihr von einer Rothaarigen gereicht wurde. Eine Kleinwüchsige mit kurzen schwarzen Haaren öffnete die gelieferten Dosen und füllte den Inhalt in die bereitgestellten Töpfe. Ein mobiler Elektroherd mit zwei Platten wurde angestellt. Abwechselnd rührten die Frauen den Topfinhalt. Jede musste probieren. Es ging aber nicht darum, die Feinheit des erwärmten Gerichts abzustimmen. Die Frauen wollten nicht warten, weil sie Hunger hatten. Es ging quasi um eine extra Portion bei der Essenszuteilung. Nur eine der Frauen machte die Aufregung nicht mit. Sie blieb im Bett liegen. Ihre geschlossenen Augen wollten die Realität nicht wahrnehmen.

Wieder wurde der Schlüssel ins Schloss gesteckt. Schnell zog die Rothaarige die Töpfe von der Platte und folgte den anderen zu den Etagenbetten. Das Gesicht des Mannes erschien im Türspalt. Der entleerte Behälter wurde in die Toiletteneinrichtung geschoben. Ein Tritt mit dem Fuß arretierte diesen. Dann verschwand Phallus, ohne ein Wort zu sagen. Das Schließen der Türe war das erneute Startsignal für die Frauenschar. Die Töpfe wurden wieder auf die Kochstelle geschoben. Bald erfüllte ein Duft von Hackbraten und Rotkohl den kärglichen Raum. Die Korpulente nahm die Verteilung der Speisen vor.

„Und, kriegt die Ali auch etwas? Wenn die nicht will, dann opfere ich mich gerne“, sagte die schrille Stimme der Rothaarigen auf Bulgarisch. Sie zog ihren Pullover vor der Brust zusammen, bevor sie ihre Schale ergriff.

„Halt die Fresse, du Luder.“ Die korpulente Frau machte Anstalten, die Rothaarige mit der Kelle zu schlagen.

Diese wich in Richtung der Bettgestelle zurück. Hastig tauchte sie dabei den Löffel in das Essen und stopfte sich den Mund voll.

„Hey, du dumme Kuh!“, bellte die Korpulente. „Wann wirst du es endlich schnallen. Die Ali kratzt sonst ab, wenn du der alles wegfrisst. Den Ärger bekommen wir dann alle, nicht nur du.“ Sie ergriff ihre Schüssel. Befriedigt stellte sie fest, sie konnte sich wieder eine größere Portion zuteilen.

Alle fünf Frauen saßen nun auf der Bettkante der beiden unteren Betten. Schweigend schaufelten sie sich alles in den Mund und schluckten mehr als sie kauten. Solange jede mit ihrer Portion beschäftigt war, konnte sie den anderen nichts wegnehmen. Nur das schmatzende Geräusch gierig herunter geschlungenen Essens erfüllte den Raum. Die Portion für diejenige, die man Ali genannt hatte, blieb derweil auf der Anrichte stehen. Die Betreffende machte aber keine Anstalten, sich ihre Portion zu holen. Die Kleinwüchsige war zuerst fertig. Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, rülpste laut und leckte dann die Essensspuren an den Fingern mit der Zuge ab.

„Du Olga“, wandte sie sich an die Korpulente, „soll ich die Ali füttern?“

Die anderen kicherten. „Die Suwa hat wieder ihren sozialen Tick.“ Es war die Bohnenstange, die mit gehässiger Stimme das Ansinnen kommentierte. „Dafür kommst du bestimmt noch in den Himmel.“ Dann lachte sie über ihren eigenen Witz.

Suwa machte einige Kreuzzeichen hintereinander. „Lästere du nur. Dein Platz in der Hölle ist dir sicher, dumme Sau.“ Sie stand auf, ergriff die für Ali gefüllte Schale und ging auf das linke Gestell zu, wo Ali in der unteren Etage teilnahmslos lag. „Verpisst euch!“

Die Frauen erhoben sich. Eine fragte: „Wer spült?“ Eine andere antwortete: „Immer die, die fragt.“

Suwa stellte das Geschirr auf den Boden. Sie ergriff Alis Beine und zog diese von der Matratze. Dann zog sie den Oberkörper nach vorne. Ali murmelte etwas, was man nur als Ablehnung verstehen konnte. Als aber Suwa ihr den ersten Löffel zwischen ihre Zähne drückte, gab sie ihren Widerstand auf. Teilnahmslos kaute sie das, was man ihr eintrichterte. Nachdem sie Zweidrittel ihrer Ration verspeist hatte, ließ sie sich zurückfallen und kauerte sich zusammen wie ein Embryo. Hastig schaufelte Suwa den Rest der Mahlzeit in ihren Mund, bevor irgendjemand etwas sagen konnte.y

„Die macht nicht mehr lange.“ Suwa erhob sich, um Schüssel und Löffel abzuspülen. Aber keiner hörte ihr zu.