Read the book: «Incels»

Font:

Veronika Kracher

INCELS

Geschichte, Sprache und Ideologie

eines Online-Kults


Veronika Kracher, 1990 in München geboren, beschäftigt sich mit der Incel-Subkultur, der Alt-Right, Imageboards wie 4chan und Rechtsterrorismus – irgendjemand muss es ja tun. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Feminismus und Patriarchatskritik, Antisemitismus, Literaturtheorie und Popkultur. Regelmäßige Publikationen u. a. in »konkret«, »Jungle World«, »Neues Deutschland« und »Antifaschistisches Infoblatt«. Wenn sie sich nicht gerade durch die Sümpfe toxischer Online-Kulturen wühlt, guckt sie Horrorfilme, liest Romane von Gisela Elsner, spielt Video- und Pen-and-Paper-Rollenspiele, besucht Postpunk-Konzerte und trinkt Wein.

»testcard zwergobst« wird präsentiert vom Magazin »testcard. Beiträge zur Popgeschichte«. Weitere Bände der Reihe:

• Frank Apunkt Schneider: »Deutschpop halt’s Maul«

• Dagmar Brunow (Hg.): »Stuart Hall. Aktivismus, Pop und Politik«

• Jonas Engelmann: »Wurzellose Kosmopoliten. Von Luftmenschen, Golems und jüdischer Popkultur«

• Wolfgang Seidel: »Wir müssen hier raus! Krautrock, Free Beat, Reeducation«

• Yvonne Kunz: »Jihad Rap. An den Rändern muslimischer Subkulturen«

• Sonja Vogel: »Turbofolk. Soundtrack zum Zerfall Jugoslawiens«

• Jan-Niklas Jäger: »Factually. Pet Shop Boys in Theorie und Praxis«


Diese Publikation entstand mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Rheinland-Pfalz

© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, Mainz 2020

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage November 2020

ISBN 978-3-95575-130-2

eISBN 978-3-95575-609-3

Lektorat: Jonas Engelmann

Gesamtgestaltung und Satz: Oliver Schmitt

Ventil Verlag, Boppstraße 25, 55118 Mainz

www.ventil-verlag.de

www.testcard.de

Inhalt

Was sind Incels überhaupt? Und wieso über sie schreiben?

Let’s embrace the Memetic Warfare: Die Rolle von Memes innerhalb der Incel-Community

Von der Selbsthilfeseite zum misogynen Terror: Eine kurze Geschichte der Incel-Bewegung

Rote Pille, schwarze Pille: Ein Blick in den Online-Medizinschrank

Echokammern statt Selbsthilfe: Die Incel-Foren

His Twisted World: Eine Analyse des Manifestes von Elliot Rodger

Elliot Rodgers Jünger: Die Incel-Community 2020

Zwischen »Supreme Gentleman« und »Untermenschen-Abschaum«: Das Selbstbild von Incels

Frauenhass: Die gesellschaftliche Normalität

Männlichkeit als pathologisches Problem

Incels als autoritäre Persönlichkeit

Gewalt als Mittel zur Mannwerdung

Der Ausstieg aus der Incel-Szene

Ohne Angst verschieden sein können

Nachwort: Brief an einen Incel

Incel-Glossar

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Bildquellen

Danksagungen

Was sind Incels überhaupt?
Und wieso über sie schreiben?

Wissen Sie was, liebe Leser*innen? Eigentlich würde ich dieses Buch lieber gar nicht schreiben müssen. Es gibt so viel schönere Dinge, als sich durch die frauenfeindlichen Hasstiraden frustrierter junger Männer zu lesen. Kätzchen kraulen. Mit der besten Freundin Champagner trinken. Feministische Graphic Novels lesen. Pen-and-Paper-Kampagnen spielen. Sogar sich die Zehennägel zu schneiden ist angenehmer als die Recherche in Incel-Foren! Aber, um mal mein eigenes Motto zu zitieren: Irgendeine muss es ja tun.

Lange Zeit war es, wenn ich über Incels sprach oder schrieb, so, dass viele Zuhörer*innen oder Leser*innen – vor allem ein Publikum über 35 oder Personen, die weniger internetaffin sind als ich – mir sagten, dass sie gerade zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Thema konfrontiert worden wären. Incels waren lange Zeit ein primär nordamerikanisches Phänomen, in Deutschland berichtete man erst im Rahmen des Anschlags von Elliot Rodger in Santa Barbara 2014 und, dann auch im größeren Rahmen, als Alek Minassian 2018 in Toronto mit einem Sprinter in eine Menschenmenge raste. Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt sowohl intensiv mit der Geschlechterideologie der Alt-Right als auch mit der sogenannten »Manosphere«, also einem Online-Netzwerk antifeministischer Männerrechtsgruppen, befasst und auch einen Vortrag zum Thema konzipiert und begann, stärker zu dem damals in Deutschland noch vergleichweise obskuren Thema Incels zu recherchieren.

Das alles änderte sich nach dem 9. Oktober 2019, als ein junger Rechtsradikaler an Jom Kippur ein Attentat auf die Synagoge in Halle verüben wollte und seine Tat live im Internet teilte. Auch wenn die Tat, die zwei Menschen – Jana S. und Kevin L. – das Leben kostete, kein explizites Incel-Attentat, sondern ein antisemitischer Angriff war, stellten zahlreiche Medien, von der BILD-Zeitung1 bis hin zum leninistischen Blog Klasse gegen Klasse2, die Frage: »War der Täter ein Incel?« Diese Frage liegt nicht fern, da der Täter sowohl in seinem Livestream als auch seiner – dem Namen eines Manifestes unwürdigen – veröffentlichten Tatbeschreibung unter anderem Codes und Memes der von Incels frequentierten Imageboards wie 4chan verwendete, ein Alek Minassian gewidmetes Lied des Rappers Egg White hörte und durch seine Selbstgeißelung als »Versager« und »NEET«3 stark an den in hunderttausenden Foreneinträgen zelebrierten Selbsthass von Incels erinnerte.

Ich verbrachte den kompletten Tag nach dem Attentat damit, mich durch Imageboards wie Kohlchan und Foren wie Kiwifarms zu wühlen, mir den Stream des Täters anzusehen, die höhnischen Kommentare der globalen Online-Rechten zu lesen. Trauer über die beiden Opfer suchte man vergeblich, stattdessen fand man das zynische Lachen darüber, dass es dem Täter nicht gelungen war, die Betenden in der Synagoge zu ermorden.

Mir war schlecht. Die Anschläge von jungen Männern, die sich auf rechten Foren wie 4chan, 8kun, Kiwifarms oder incels.co radikalisiert hatten, die sich durch eine eigene Sprache, eigene Codes und das zynische Kokettieren mit Entfremdung, Nihilismus und Menschenhass auszeichneten, waren bisher etwas gewesen, das mehrere tausend Kilometer entfernt passierte: Incel-Attentate wie in Santa Barbara und Toronto, die antisemitischen Anschläge von Pittsburgh und Poway, die rassistischen Anschläge von Christchurch und El Paso. Die Täter: narzisstisch gekränkte junge Männer, die sich durch den Terroranschlag an der modernen Welt mit ihrem Feminismus und Kosmopolitismus zu rächen gedachten. Narzisstisch gekränkte junge Männer, für die der Terroranschlag eine Form der Wiedergutmachung der gefühlten Ungerechtigkeit war, nicht die Anerkennung, die Liebe und den Ruhm vor die Füße und die Schlüpfer williger junger Frauen an den Kopf geworfen zu bekommen, sondern tagtäglich erfahren zu müssen, ein unbedeutender Loser zu sein wie alle anderen auch – obwohl man sich selbst zu Größerem berufen fühlte. Es war ein Schock: Dieser Anschlag wäre der größte antisemitische Anschlag seit … Ja, seit dem Sieg über den Nationalsozialismus gewesen.

Mit dem Attentat auf die Synagoge von Halle, das gegen den Feminismus, People of Colour, vor allem aber gegen die vermeintlich hinter all diesen Übeln steckenden Juden gerichtet war, wurde die Möglichkeit dieser Form von Gewalt mit einem Mal auch in Deutschland real. Dass wir uns nicht falsch verstehen: rechter Terror hat in einem nur sehr unzureichend entnazifizierten Deutschland eine Tradition, die von der Wehrsportgruppe Hoffmann über den NSU bis hin zu rechtsradikalen Prepper-Gruppen wie Nordkreuz reicht. Dass jedoch ein Täter im Alleingang loszieht, ein mit zahlreichen Memes und Videospiel-Anspielungen gespicktes »Manifest« (na ja, eher: eine Loseblattsammlung) hinterlässt und seine Tat online überträgt, das gab es in der Form bisher nicht.

Ich schrieb auf Facebook einen längeren Post über den Anschlag und verbrachte die Nacht weitestgehend schlaflos und von Albträumen heimgesucht. Am nächsten Tag klingelte ab früh morgens das Telefon: Pressekontakte, die wissen wollten, ob es sich bei dem Attentäter um einen Incel handeln würde. Man hätte meinen Text gelesen und würde sich nun für meine Expertise interessieren. Ich korrespondierte an dem Tag mit meinem sehr geschätzten Kollegen Roland Sieber, mit dem ich gemeinsam auf Kohlchan und Kiwifarms recherchiert und viele Screenshots und Videos hin- und hergeschickt hatte. Er recherchiert zu Rechtsextremismus in der Gaming-Community und ebenfalls zu rechten Online-Foren, auch bei ihm stand das Telefon nicht mehr still. »Es ist bitter, dass wir seit Jahren über das Gefahrenpotential dieser Strukturen schreiben, und wir werden ignoriert. Und dann werden zwei Menschen ermordet und der potentiell größte antisemitische Anschlag in Nachkriegsdeutschland scheitert an der Synagogentür«, schrieb er mir.

Mit einem Mal war die Frage »Was sind eigentlich Incels?« auch in Deutschland angekommen. Wenige Tage nach dem Anschlag war ich zusammen mit meinem Verleger Jonas Engelmann auf eine Konferenz in Merseburg eingeladen, ich sollte dort zu Incels referieren. Merseburg ist nur wenige Kilometer von Halle entfernt. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als ich im Zug saß. Das Gespräch mit den Veranstaltenden kam recht schnell auf das Attentat, auch da eines der Opfer, Kevin L., aus Merseburg stammte.

Wir wissen nicht, ob der Täter ein Incel war – sein Anschlag war, obwohl ihm eine antifeministische Komponente innewohnte, primär antisemitisch; seine »Alternativopfer« sollten Menschen mit Migrationshintergrund sein. Aber wir wissen, dass er die auf Selbst- und Frauenhass basierende Ideologie mit ihnen teilte.4 Und es war dieses Attentat, mit dem die längst überfällige Beschäftigung mit dem Gefahrenpotential online radikalisierter junger Männer auch in Deutschland begann – auf Kosten zweier Menschenleben.

Ich selbst beschäftige mich seit etwas mehr als zwei Jahren intensiv mit der Incel-Subkultur und kann guten Gewissens behaupten, deutschlandweit zu den Personen zu gehören, die sich am besten mit diesen »unfreiwillig im Zölibat Lebenden« auskennen. Wer hätte gedacht, dass ein Mangel an Respekt vor den eigenen psychischen und emotionalen Grenzen auch von Vorteil sein kann – man kann sich intensiv mit einem wirklich scheußlichen Thema befassen, von dem die meisten Menschen, und das auch zu Recht, lieber die Finger lassen, und – zack! – ist man gefragte Koryphäe auf dem Gebiet.

Die erste Frage, die mir in Interviews gestellt wird, lautet in der Regel: »Was sind Incels eigentlich?« Incels, antworte ich dann, ist die Kurzform für »Involuntary Celibate«, also: unfreiwillig im Zölibat Lebende. Es handelt sich um junge Männer, die der sogenannten Blackpill-Ideologie anhängen, das nihilistischere Derivat der verschwörungstheoretischen und antifeministischen Redpill-Ideologie.

Die Redpill-Ideologie ist, kurz skizziert, eine maskulinistische Verschwörungsideologie, die besagt, dass der weiße, heterosexuelle und cisgeschlechtliche Mann inzwischen der große Verlierer unserer Zeit ist, in der die Welt vom Feminismus beherrscht wird, der wiederum eine jüdische Erfindung sei. Deswegen müsse sich der Mann auf ursprünglich männliche Werte zurückbesinnen und, da Männlichkeit sich für diese Redpiller über die Abwertung von Weiblichkeit konstituiert, Frauen zeigen, wo sie hingehören: in die Küche und ins Ehebett. Die Redpill-Ideologie ist die Ideologie narzisstisch gekränkter Männer, die panische Angst vor dem Verlust ihrer Hegemonie haben, die nun einmal auf der Unterdrückung und Ausbeutung anderer basiert. Wenn People of Colour, Frauen und queere Menschen sich emanzipieren, wird die Aufwertung der eigenen Person über die Abwertung Marginalisierter um einiges erschwert, weshalb jegliche Emanzipationsbestrebungen bis aufs Blut bekämpft werden. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass Männerrechtsaktivismus die Einstiegsdroge in rechtsradikales Denken ist.

Incels identifizieren sich weitestgehend mit dem Antifeminismus, Antikommunismus und Antisemitismus dieser Redpill-Ideologie, wie auch mit der Inszenierung als Erleuchteter und Aufgeklärter. Sie treiben aber all diese Aspekte auf eine wahnhafte Spitze: die Blackpill.

Sie sind der Ansicht, dass der Mann als solcher ein naturgegebenes Recht auf Sex hätte. Frauen verweigern Incels dieses Recht jedoch, da sie – so das Verständnis der Incels – allesamt wirklich oberflächliche Schlampen sind, die nur mit gottgleichen Klischeezeichnungen von Hypermaskulinität, sogenannten »Chads« schlafen, denn alle Männer, die nicht den weiblichen Anforderungen von Attraktivität entsprechen, hätten den sexuellen Wettbewerb schon lange verloren. Incels betrachten sich als die größten Verlierer unserer Zeit: sie haben, so ihr Glaube, eine Niete in der »genetischen Lotterie« gezogen und seien viel zu unansehnlich, um von Frauen überhaupt beachtet zu werden. Die einzige Empfindung, die Frauen unattraktiven Männern entgegenbringen können, sei nämlich Verachtung. Schuld daran ist der Feminismus. Die Welt sei vor der Geißel des Feminismus nach dem Prinzip des »Looksmatching« gestaltet gewesen, was bedeutet: Incels sortieren Menschen, ähnlich wie Pick-up-Artists, in »Attraktivitätslevel« von eins bis zehn ein. Früher sei einem Mann des Attraktivitätslevels »vier« eine Frau des gleichen Attraktivitätslevels garantiert gewesen, heute seien Frauen jedoch dem Anspruchsdenken verfallen, nur noch »Chads« könnten ihnen genügen. Deswegen bleibe keine Frau mehr für den armen, einsamen und jungfräulichen Incel übrig (dessen Idealfrau übrigens minderjährig, jungfräulich, unterwürfig und einem grenzwertigen Anime entsprungen sein muss), ja eigentlich ist schon jeder Mann unter dem Level »acht« in den weiblichen Augen eine unerträgliche ästhetische Zumutung. Dieser vernichtenden Kränkung der »Sexlosigkeit« kann für Incels nur mit einem Mittel begegnet werden: dem Krieg gegen Frauen, der bis zum Femizid reicht.

Als der damals gerade 22 Jahre alte Elliot Rodger im Mai 2014 auf dem Campus der Santa Barbara-Universität in Kalifornien sechs Menschen erschoss und 14 weitere verletzte, wurde die Öffentlichkeit zum ersten Mal mit dem Phänomen der Incels konfrontiert. Nach dem Attentat tötete Rodger sich selbst, nicht jedoch ohne davor ein 137 Seiten langes Manifest unter dem Titel My Twisted World zu veröffentlichen, in dem er seine komplette Biographie akribisch nach Gründen absucht, wieso sein eliminatorischer Frauenhass eine legitime Wiedergutmachung der Kränkung sei, noch nie einen weggesteckt zu haben. Größere Bekanntheit erlangten Incels nach einem Attentat in Toronto: Am 23. April 2018 raste der 25 Jahre alte Alek Minassian mit einem Sprinter in eine Menschenmenge in einem belebten Geschäftsviertel. Er ermordete zehn Menschen, 16 weitere wurden verletzt. Auf Facebook ließ er verlauten: »Private (Recruit) Minassian Infantry 00010, wishing to speak to Sgt 4chan please. C23249161. The Incel Rebellion has already begun! We will overthrow all the Chads and Stacys! All hail the Supreme Gentleman Elliot Rodger!«5

Wenn man sich die Debatte über Incels anschaut, werden diese oft als psychisch krank, Freaks, Außenseiter, das Andere oder als ein Kult gelabelt – als etwas, mit dem der ganz normale Mann überhaupt nichts zu tun hat. Dies ist jedoch ein gewaltiger Fehlschluss – böse Zungen könnten gar behaupten, dass die Auseinandersetzung mit dem Incel als frauenhassendem Gewalttäter eine unbewusste Abwehr der Tatsache ist, dass der durchschnittliche Mann und der Incel ideologisch gar nicht so weit voneinander entfernt sind.

Die Gesellschaft, in der wir leben, ist auf der systematischen Unterdrückung von Frauen aufgebaut, und nicht nur Incels reagieren mit Gewalt auf die narzisstische Kränkung, von einer Frau abgelehnt zu werden. Männer weigern sich, Frauen als eigenständige Subjekte anzuerkennen, und bestrafen sie, wenn sie auf ihr Recht auf einen Subjektstatus pochen. Männer objektivieren Frauen, belästigen Frauen, stalken Frauen. Sie verprügeln Frauen, kaufen sich die Körper von Frauen und verfassen anschließend vor Frauenhass triefende »Bewertungen« in Freierforen. Sie vergewaltigen und sie ermorden Frauen. Laut einem Bericht des Bundeskriminalamtes wurden 2018 114.393 Frauen in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt6, 122 Frauen wurden von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet.7 Männer unterdrücken Frauen sowohl auf gesellschaftlicher als auch individueller Ebene, in einem patriarchalen System, das die Herrschaft aller Männer über alle Frauen, wie auch generell über Menschen, die außerhalb binärer Geschlechterkategorien fallen, garantiert. Und selbst wenn man zu den selbsternannten feministischen Helden zählt, die eine Frau niemals aktiv vergewaltigen würden, profitiert man von einer Gesellschaft, in der Frauen permanent durch patriarchale Gewalt in die Schranken gewiesen werden. Denn Frauen wird von klein auf eingebläut, dass es einfacher ist, sich den patriarchalen Vorstellungen von Frausein zu unterwerfen, als gegen diese Strukturen aufzubegehren. Der Kampf gegen das Patriarchat ist ein schwerer und wird gegen die heftigen Widerstände von Männern und deren Steigbügelhalter*innen geführt. Jede Feministin, jeder Mensch, der von den hegemonialen Vorstellungen des Geschlechterverhältnisses abweicht, kann ein Lied davon singen.

Es ist also mitnichten so, dass Frauenhass ein Spezifikum von Incels ist. Er ist, tragischerweise, konstitutiv für unsere Gesellschaft. Das Phänomen »Incels« entsteht nicht in luftleerem Raum, sondern ist Resultat eines Systems, in dem patriarchales Anspruchsdenken, Misogynie und Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung sind.

Dieses Buch hat es sich zur Aufgabe gemacht, einen Einblick in die Incel-Subkultur zu liefern. Im ersten Teil werde ich einen Abriss über die Entstehungsgeschichte der Incels von einer Selbsthilfegruppe hin zu einem toxischen Kult liefern und über die Mitglieder der Szene sprechen – über die Anzahl, ihre Herkunft, ihr Alter und ihre Organisation auf unterschiedlichen Foren.

Im darauffolgenden Kapitel werde ich eine tiefenhermeneutische Analyse der Incel-Ideologie anhand Elliot Rodgers Manifest My Twisted World leisten, das innerhalb der Incel-Community inzwischen Kultstatus erlangt hat. Anschließend wende ich die Textanalyse auf Incel-Foren an und analysiere dort exemplarisch an der verwendeten Sprache die dahintersteckende Ideologie. Diese Ideologie basiert, wie ich aufzeigen werde, auf pathologischem frauenfeindlichen Verschwörungsdenken, Selbsthass und kultiviertem Nihilismus.

Des Weiteren wird in diesem Buch das Verhältnis von Incels zu Rechtsradikalismus, Islamismus und rechtsradikalem Terrorismus verhandelt – Frauenhass ist laut einer Studie der Anti Defamation League die »Einstiegsdroge« in rechtsradikales Denken8, und man kommt nicht umhin zu bemerken, dass auf Boards wie 8kun eine neue Generation an Terroristen heranwächst, die alle dem gleichen Tätertypus entsprechen: dem narzisstisch gekränkten, in der Regel weißen Mann, der in einem Terrorakt eine Wiedergutmachung seiner vermeintlich erfahrenen Kränkung sieht.

Diesen Tätertypus werde ich im letzten Teil des Werkes vor allem anhand der Theorien von Raewyn Connell, Rolf Pohl, Klaus Theweleit, Theodor W. Adorno und Kate Manne beschreiben und eine sozialpsychologische Analyse von Incels durchführen. Da ich einen materialistisch-feministischen Anspruch an meine Arbeit habe, wird diese Analyse vor einer Kritik am patriarchal strukturierten Kapitalismus erfolgen.

Zum Abschluss werde ich versuchen, Ansätze zu bieten, wie sich aus diesem toxischen Sumpf, der sowohl für seine Mitglieder als auch deren Opfer im Tod enden kann, entkommen lässt. Denn, und daran gilt es festzuhalten: Incels mögen glauben, ihr Zustand sei unausweichlich, er ist es jedoch nicht – genauso wenig wie die patriarchalen Verhältnisse, in denen er seinen Ursprung hat.

Außerdem, da Incels als klandestine Szene ihre sehr eigene, ideologisch aufgeladene Sprache haben, ist am Ende des Buches ein Glossar beigefügt, das die gängigen Begriffe und Memes der Incel-Szene übersetzt. Wer (außer Incels und den bemitleidenswerten Leuten, die zu Incels forschen) weiß denn schon aus dem Stegreif, was »Coomer«, »Lanklet« oder die »PSA-Skala« bedeuten?

Und bevor wir beginnen: dieses Buch behandelt sexuelle Gewalt gegen Frauen wie auch Kinder, Misogynie, Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit. Leider komme ich bei einer tiefgründigen Analyse meines Gegenstandes nicht umhin, mich intensiv mit der ihm innewohnenden gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu befassen. Auch für Personen, die Erfahrungen mit suizidalen Gedanken oder Depressionen haben, könnte die Lektüre beizeiten beschwerlich werden. Ich hoffe, meinem Anspruch an einen Mittelweg zwischen einer analytischen Betrachtung und einem sensiblen Umgang mit den Themen gerecht zu werden. Den einen oder anderen ironischen Seitenhieb wird mir die Leserin verzeihen müssen – manchmal ist ironische Distanz die einzig mögliche Bewältigungsstrategie, um einem Thema wie »Incels« begegnen zu können.

$12.91