Der Teufel

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Der Teufel
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Ute Leimgruber

Der Teufel

Ute Leimgruber

Der Teufel

Die Macht des Bösen

Butzon & Bercker


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


Das Gesamtprogramm von Butzon & Bercker finden Sie im Internet unter www.bube.de

ISBN 978-3-7666-1358-5

E-BOOK ISBN 978-3-7666-4123-6

EPUB ISBN 978-3-7666-4124-3

© 2010 Butzon & Bercker GmbH, 47623 Kevelaer, Deutschland, www.bube.de

www.religioeses-sachbuch.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Christoph Kemkes, Geldern

Satz: Schröder Media GbR, Dernbach

Druck: Bercker Graphischer Betrieb, Kevelaer

Inhalt

Einleitung

I. Die Wiederverzauberung der Welt – Der Teufel in der Gesellschaft

1. Kirche und Gesellschaft – Eine Renaissance des Teufels?

2. Okkultismus, Satanismus – Destruktive Opposition

II. Lichtträger und Satanssturz – Der Teufel in der Bibel

1. Jahwe und das Böse im Alten Testament

2. Die Apokalyptik der Zeitenwende

3. Jesus, der Teufel und das Geheimnis des Bösen

III. Hexen und Satansglaube – Der Teufel in der (Kirchen-)Geschichte

1. Das frühe Christentum

a) Die Apostolischen Väter

b) Die Apologeten

c) Augustinus

2. Die mittelalterliche Scholastik

a) Anselm von Canterbury

b) Thomas von Aquin

3. Die Tradition im Lehramt: Das Vierte Laterankonzil (1215)

4. Hexenwahn und Hexenverfolgung

IV. Der Teufel und das Volk – Volksglaube und Kunst

1. Der Teufel im Volksglauben

2. Teufelsbilder in der Kunst

V. Martin Luther und der Teufel

VI. Weiche, Satan – Exorzismus und Teufelsaustreibungen

1. Exorzismen in der Geschichte

a) Taufexorzismen

b) Sachbeschwörungen

c) Exorzismen über Besessene

2. Tod und Teufel – Der Fall Klingenberg

3. Auf Teufel komm raus – Der neue Exorzismus aus dem Jahr 1999

VII. Was sagt die Kirche? Der Teufel in kirchlichen Texten

1. Lehramt: Katechismen

a) Katholischer Erwachsenen-Katechismus (KEK)

b) Katechismus der Katholischen Kirche (KKK)

2. Liturgie: Taufe

VIII. Keine Angstmacherei – Die pastorale Verantwortung der Kirche

1. Höllenfurcht und Fegefeuer – Die Pastoral der Angst

2. Abschied vom Teufel – Herbert Haag

IX. Vom Bösen reden – Das Geheimnis in Worte fassen

1. Das Böse ist und bleibt ein Geheimnis

2. Das Böse und die Verantwortung des Menschen

3. Der Teufel als Person?

4. Die Bedeutung des Bösen: Engagement dagegen!

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Böse geschieht. Es geschieht tagtäglich – und wir erfahren es tagtäglich. Ein Mann, der – als er anderen helfen wollte – zu Tode geprügelt wird. Kinder, die von den eigenen Eltern misshandelt werden. Der weltweite Terrorismus droht mit Selbstmordattentaten. Großgrundbesitzer enteignen Kleinbauern. Staaten und ihre Funktionäre zerstören die Lebensgrundlagen zahlloser Zivilisten. Es könnten noch viele Beispiele genannt werden.

Das Böse ist nicht irgendein abstraktes Konzept, sondern es ist greifbar, es ist real. Und gerade diese realen Erfahrungen sind es, die die Menschen dazu bewegt haben, die Frage nach dem Woher des Bösen zu stellen, die Frage nach dem Warum. In all den als schlimm, leidvoll, unterdrückend, zerstörerisch – kurz: als böse wahrgenommenen Erfahrungen taucht irgendwann die Frage nach dem Sinn auf. Die Sinnfrage ist aufs Engste mit den Vorstellungen vom Bösen verbunden. Denn sie zeigt den Verständnishorizont auf, innerhalb dessen sich unterschiedliche Gesellschaften mit der menschlichen Kontingenz, mit der Unheimlichkeit des Bösen auseinandergesetzt haben.

Das Böse hat eine bedrängende Wirklichkeit, und diese Wirklichkeit will thematisiert werden. Die Frage nach Gott und nach seiner Verantwortung für das Böse sind beinahe zwangsläufig gestellte Fragen angesichts der menschlichen Wirklichkeit. Die christliche Tradition überliefert uns hier die Vorstellungen um den Teufel. Der Teufel und die Geheimnishaftigkeit des Bösen gehören untrennbar zum innersten Kern der Frage nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sinn der gemachten Erfahrungen. Die existenzielle Angefochtenheit des Menschen durch das erfahrene Böse ist das Bindeglied zu den vielfältigen Überlieferungen, in deren Mittelpunkt die Figur des Teufels steht. Die Rede vom Teufel hat eine lange Tradition, und sie hat eine erstaunliche Entwicklung durchlaufen. Neben dem Christentum – das hier im Buch im Mittelpunkt stehen wird – finden sich Teufelsvorstellungen nur in wenigen religiösen Vorstellungen. Wenn auch viele Religionen Dämonen zu ihrem Personal zählen und fast alle Weltanschauungen das Thema des Bösen problematisieren, so gehört der personalisierte Teufel neben dem Christentum nur im Zoroastrismus (oder Mazdaismus), in der antiken hebräischen Religion (nicht im modernen Judentum) und im Islam1 zu den Inhalten religiöser Überlieferung.

Der Begriff Teufel stammt wie auch der englische devil und der spanische diablo vom griechischen diabolos ab. Diabolos bedeutet ursprünglich Verleumder, Meineidiger oder Gegner vor Gericht. In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (2./3. Jh. v. Chr.) wurde der Begriff diabolos zum ersten Mal verwendet, um das hebräische Wort Satan, wörtlich: Gegner, Hindernis oder Widersacher, zu bezeichnen. Hier ist also Der Böse zum ersten Mal als diabolos benannt. Später bekam er noch viele weitere Namen und Bezeichnungen, die häufigsten sind Satan, Luzifer oder Beelzebub – je nach Zeit und jeweiliger religiöser Überlieferung. Die großen monotheistischen Religionen haben also die Vorstellung einer Figur, die für das Böse verantwortlich zeichnet, entwickelt, um die Spannung zwischen erfahrener Wirklichkeit und der Vorstellung des einen Gottes zu bearbeiten.

Das vorliegende Buch behandelt nach einem Blick auf die gegenwärtige Gesellschaft und ihre Teufelsbilder (Kapitel I.) diese jüdisch-christlichen Traditionen im Alten und im Neuen Testament, aber auch in der Kirchengeschichte (Kapitel II.; III.). Doch nicht nur die Bibel, die Kirchenoffiziellen oder die Theologen machten sich Gedanken über das Böse, Teufelsbilder finden sich im Volksglauben ebenso wie in der christlichen Kunst (Kapitel IV.); auch für Martin Luther und die Protestanten war das Thema von großer Wichtigkeit (Kapitel V.).

 

Einer der zentralen Orte der Rede vom Teufel war (und ist) der Exorzismus, bei dem vermeintlich vom Teufel besessene Menschen von eben jenem befreit werden sollen. Was ist von dieser Tradition zu halten? Ist es nicht vielmehr reiner Aberglaube? Dies untersucht Kapitel VI.

Was sagt die kirchliche Lehre heute über die Lehre vom Bösen und über die Figur des Teufels? Antworten darauf gibt das Kapitel VII. Doch die Lehre und die Rede vom Teufel wurden über Jahrhunderte hinweg skrupellos auch dazu missbraucht, den Gläubigen Angst einzujagen, sie einzuschüchtern und so die Herde gefügig zu halten. Diese Pastoral der Angst und der anschließende Abschied vom Teufel in Teilen der Theologie behandelt das Buch in Kapitel VIII.

Doch die Wirklichkeit des Bösen entzieht sich letztlich jeder eindeutigen Erklärung und Einordnung. Sie ist eine Macht, die bedrängt und existenziell erfahrbar ist, gleichwohl bleibt sie im Grunde geheimnisvoll. Die Macht des Bösen besteht im Grunde in ihrem Geheimnischarakter – man kommt ihr auch begrifflich nicht endgültig bei. Wie nun theologisch verantwortlich vom Bösen gesprochen werden kann und welche Rolle der Teufelsbegriff dabei spielt, davon handelt das Kapitel IX.

Die faktische Erfahrung des Bösen ist Grundlage für die Rede vom Bösen. Und nur eine verantwortete Rede vom Bösen vermag das existenzielle Problem des Bösen aufzufangen – jenseits von Aberglauben und Okkultismus, jenseits von Instrumentalisierung und Drohgebärden, jenseits von fundamentalistischem Dualismus oder einer falsch verstandenen Theodizee. Das Problem des Bösen bedarf der Versprachlichung, denn man muss das Böse benennen, um es zu bannen.

Das vorliegende Buch will zweierlei: Es will informieren über die althergebrachten Bilder des Teufels und den Umgang mit ihnen – quer durch die Geschichte –, und es will einen Beitrag dazu leisten, wie der Wirklichkeit des Bösen in Bezug auf die Menschen, die damit konfrontiert sind, begegnet werden kann, in Verantwortung vor der Theologie und ihrer Überlieferung.

I. Die Wiederverzauberung der Welt – Der Teufel in der Gesellschaft
1. Kirche und Gesellschaft – Eine Renaissance des Teufels?

Die Frage nach dem Bösen, nach seinen Erscheinungsformen und seinen Ursachen gehört zu den Grundfragen der Menschen. Doch auch wenn diese Frage immer wieder gestellt wurde, die Antworten driften weit auseinander. Was ist böse? Wann ist etwas als böse zu bezeichnen? Schon bei diesen Fragen ist man sich nicht einig. Ist es böse, dass täglich tausende Kinder mangels sauberen Trinkwassers sterben? Und wenn ja, wer ist da böse? Die Frage und ihre Beantwortung fällt zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten je anders aus. Das Problem scheint unlösbar zu sein. Und doch: Die Frage nach dem Bösen lässt niemanden kalt.

Und wie steht es mit dem Teufel? Er ist doch die Personifikation des Bösen schlechthin – und er stößt auf ungebrochenes Interesse. Laut einer repräsentativen FORSA-Umfrage aus dem Jahr 2005 gaben 27 % der Befragten an, an den Teufel zu glauben.2 Ob das nun viel oder wenig ist, obliegt der Seite des Betrachtenden. Bilder vom Teufel aber kann sich fast jeder machen. Die Facetten der Reaktion auf den Teufelsbegriff reichen von Abscheu bis Faszination. Ob Literatur, Film- und Kulturschaffende, ob Philosophie oder Kunst: Der Teufel und das Böse finden zahllose Verkörperungen.

Spätestens seit dem 11. September 2001 ist die Diskussion über das Böse neu entflammt. In den rauchenden Türmen des World Trade Centers soll sich sogar die Fratze des Teufels gezeigt haben – die entsprechenden Bilder verbreiteten sich via Internet in Minutenschnelle über den ganzen Erdball. Das Vokabular der amerikanischen Evangelikalen und ihres Präsidenten ebenso wie das ihrer Gegenspieler im Nahen oder Fernen Osten oder sonst wo auf der Welt unterstützt den Eindruck, der Teufel habe wieder Einzug gehalten in die Welt. Wieder?

Mit der westlichen Aufklärung schien auch der Teufelsglaube an ein Ende gekommen zu sein. Die berühmt gewordene Parole Max Webers von der „Entzauberung der Welt“3 steht stellvertretend für den Prozess der Säkularisierung in der Moderne. Im Zuge dessen wurde die Akzeptanz von Gutes und Böses wirkenden Geistern suspekt und kam schließlich gänzlich abhanden. Die Natur wurde entpersonalisiert, und zwar in dem Maße, in dem sie rational erklärbar wurde. Was objektivierend nicht zu beobachten war, was keiner kausalen und logischen Erklärung zugänglich gemacht werden konnte, durfte es nicht mehr geben.

Mit der Entzauberung der Welt fiel auch der Teufel und mit ihm alle anderen Geistwesen aus dem allgemein akzeptierten Regelungsrahmen der Welt. Zwischen Säkularisierung, Neurobiologie, Quantenphysik und Biochemie schienen der Teufel und seine Dämonen ausgedient zu haben. Zur gleichen Zeit verlor die Kirche das Monopol auf eine umfassende Interpretation der gesamten Wirklichkeit, des gesellschaftlichen und privaten Lebens. Bald konnte sie dies selbst bei ihren eigenen Mitgliedern nicht mehr einfordern. Mit diesem Plausibilitätsverlust und dem ihrer religiösen Symbole ist allem Anschein nach auch der Sinnverlust des christlich geprägten Begriffes Teufel verschwunden. Mit ihm ging der Glaube an Himmel und Hölle, ja, an eine gesamte stabilisierende Weltordnung unter. Dieser noch weit über die Teufelsproblematik hinausreichende Prozess wird allgemein als Kopernikanische Wende bezeichnet – dies ist eine Metapher für den Zusammenbruch der Metaphysik und des Glaubens. Das Projekt der säkularen Moderne hat den Teufel abgeschafft; und auch das Christentum scheint den Teufelsglauben so vieler Jahrhunderte undifferenziert im Kuriositätenkabinett der Kirchengeschichte entsorgt zu haben. Die traditionelle Vorstellung eines personifizierten Teufels wird zumeist als Anachronismus angesehen, denn vergegenwärtigt man sich den Erfahrungshorizont der meisten Menschen, so hat wohl die Erfahrung des Bösen, nicht jedoch eine dezidierte Rede vom Bösen oder gar vom Teufel ihren Platz. Dämonen- und Teufelsglauben gehören der Vergangenheit an. Der Terminus Teufel und die damit verbundenen Anschauungen scheinen für die Mehrzahl der Menschen ausgedient zu haben.

Doch wie gesagt: Ganz so einfach ist es nicht. Die Prozesse der Entmythologisierung und der aufklärerischen Modernisierung haben ihre Gegenseite. Es ist eine Bewegung, die nach dem Scheitern der großen Ideologien (Kapitalismus, Marxismus) und angesichts einer allgegenwärtigen Bedrohung, wie beispielsweise durch den Terrorismus, schon länger zu beobachten ist. Zwar schwindet zunehmend traditionelle Kirchlichkeit (inklusive formeller Zugehörigkeit zu einer der Großkirchen), doch bedeutet dies nicht das Schwinden von Religiosität und religiöser Vorstellungen. Auch der Themenkomplex Teufel und Dämonen erfährt erneut Konjunktur. So wurde von verschiedenen Seiten von einer „Wiederverzauberung der Welt“, von einer „Renaissance des Bösen“ oder gar von einem „Comeback der Teufel“ gesprochen. Die Wiederbelebung des Glaubens an Engel, Teufel, Dämonen und andere übermenschliche Geister besonders auf dem Feld religiöser Bewegungen steht nur scheinbar im Gegensatz zu einem säkularisierten, aufgeklärten Zeitgeist. Der Hang zum Irrationalen ist letztlich das illegitime Kind des Rationalismus.

In vielen religiös-fundamentalistischen Gruppen wird der Teufel zu jenen Traditionen gerechnet, die zum unbedingten Glaubensschatz zählen und unter allen Umständen zu erhalten sind. Der „Leibhaftige“ wird als ernst zu nehmender und realer Gegner betrachtet, gegen den zu kämpfen den Menschen befohlen sei. Ob er in Form von menschlichen Feinden auftrete, die zu vernichten oder wenigstens zu bekehren seien, oder als Dämon, der Menschen in Besitz nehmen könne – Unerklärliches vermag so erklärt und Unübersichtliches geordnet werden. Der Zulauf zu fundamentalistischen Gruppierungen am Rande der großen christlichen Kirchen gehört ebenso zur Erfolgsgeschichte des wiedererstarkten Bösen wie seine Position in Sekten und Freikirchen. Die Komplexität der tatsächlichen Verhältnisse wird rigoros beseitigt zugunsten einer eindeutigen Interpretation der Welt. Vom Teufel wird ein eindeutiges Bild entwickelt, gespeist durch ein wortwörtliches Verständnis der biblischen Schriften. Andersdenkende werden allzu rasch selbst dämonisiert und zu Gegnern erklärt: Es gebe nur die Möglichkeit „With us or against us“, wie es der ehemalige US-Präsident George W. Bush formulierte.

Auch nicht-religiöse Diskurse widmen sich der Herausforderung des Bösen; gerade die Philosophie sieht sich gefordert. Der polnische Philosoph Leszek Kolakowski schreibt in seinem Buch Gespräche mit dem Teufel in einer berühmt gewordenen „metaphysischen Pressekonferenz“4, die Kategorie des Teufels als eine jahrhundertealte Tradition der Auseinandersetzung mit den Phänomenen des Bösen sei zu einer oft allzu lächerlichen Zweckrationalität zugunsten einer modernen Realitätssicht verkommen. Doch der philosophische Umgang mit dem Teufel stößt auf Schwierigkeiten, denn die Zuschreibung des Prädikats „böse“ gelangt letztlich immer an die Frage des Warum?, an die Frage von Verantwortung, Verursachung und Freiheit und an die Auseinandersetzung mit den Lösungsversuchen der Theologie. Gott wird letztlich zum Angeklagten der Vernunft. Albert Camus fasste dies in Worte:

„Vor Gott gibt es weniger ein Problem der Freiheit als ein Problem des Bösen. Wir kennen die Alternative: Entweder wir sind nicht frei und der allmächtige Gott ist für das Böse verantwortlich. Oder wir sind frei und verantwortlich, aber Gott ist nicht allmächtig. Alle scholastischen Spitzfindigkeiten haben der Schärfe dieses Paradoxons nichts hinzugefügt und nichts genommen.“5

Anstatt zahlreicher weiterer philosophischer Abhandlungen über das Böse soll an dieser Stelle nur ein Autor genannt werden: Rüdiger Safranski. „Man muss nicht den Teufel bemühen, um das Böse zu verstehen.“ Mit dieser programmatischen These beginnt er sein Buch Das Böse oder Das Drama der Freiheit6. Auch wenn er für sein Verständnis der bösen Wirklichkeit ausschließlich die Ambivalenz der menschlichen Freiheitserfahrung, also ein rein menschliches Phänomen der Wirklichkeitsbewältigung, anführt und somit die Geschichte des Bösen rational, ohne ein diabolisches Geheimnis zu bemühen, erfassen will – um die Diskussion des Teufels kommt auch er nicht herum. Doch der Teufel ist für ihn zentrales Symbol ideologischer Diktatur und Manipulation; religiöse Sprache und Hermeneutik seien in diesem Sinne zu ambivalent, um sie akzeptieren zu können. Symbolische und imaginative Wirklichkeitserschließung erfahren bei Safranski eine Radikalkritik. Das Böse wird hier einzig anthropologisch interpretiert: Das Paradigma der menschlichen Freiheit erscheint als Ausgangs- und Mittelpunkt jeglicher Reflexion über das Böse.

Wendet man den Blick auf die breite Massengesellschaft und ihre Ausdrucksformen, sind Kategorien von Gut und Böse augenscheinlich. Die zeitgenössischen Bilder und Symbole des Bösen sind im säkularen Bereich stark durch massenmediale Darstellung und Multiplikation geprägt. Und es werden immer häufiger religiöse Versatzstücke und Symbole aus ihrem traditionellen Kontext gelöst und umgewidmet, so auch in beinahe inflationärer Weise die Begriffe Teufel oder teuflisch. Schlagworte insbesondere in der Werbebranche, die sich in hohem Maß religiöser Gefühle und Elemente bedient, wie „teuflisch billig“, „höllisch scharf“, „Putzteufel“ oder Ähnliches, gehören mittlerweile zur Alltagssprache. Es tauchen dabei Teufel(chen) auf, mit Hörnchen auf dem Kopf und einem schwarzen, wahlweise schwarz-rotem Umhang. Die Begriffe „Teufel“ oder „höllisch“ meinen dabei meist gar nichts Böses oder zu Verurteilendes. Sie sollen vielmehr den Gegensatz zu langweilig, brav, altbacken oder fade ausdrücken. Wer das entsprechende Produkt kauft, kauft gleichzeitig auch Leidenschaft, Verruchtheit, eben einen Lebensstil, der das genaue Gegenteil eines frommen, angepassten Lebens ist. Der Begriff Teufel dient dabei als Signal, um die Aufmerksamkeit eines kaum mehr zu reizenden Publikums wenigstens kurzfristig auf eine Sache zu lenken, sodass das Ziel, den Profit immer weiter zu steigern, mit immer neuen Variationen teuflischer Assoziationen erreicht werden soll. Dass die genuin religiöse Rede vom Teufel im Kontext des Glaubens dabei sinnentleert wird, ist unübersehbar.

 

Neben dem Teufelsbegriff taucht auch die Teufelsfigur auf säkularem Hintergrund auf – es werden dabei bewusst religiöse Gefühle im Spiel mit Elementen der (christlichen) Tradition benutzt. Seit den 1970er-Jahren ist Satan eine Kultfigur im Horrorgenre und Garant für volle Kinokassen. Zahlreiche Filme voller populär-religiöser Versatzstücke variieren die Abgründe menschlichen Daseins und der unheimlichen Bedrohung durch transzendente Mächte. Garantiert und autorisiert wird dies durch Bibelzitate (vornehmlich der Offenbarung des Johannes) und christliche „Traditionen“ wie Hexenvorstellungen. Filme wie Rosemary’s Baby (Roman Polanski, 1967), Der Exorzist (William Friedkin, 1973 mit zwei Fortsetzungen 1977 und 1989), Das Omen (Richard Donner, 1975 mit zwei Fortsetzungen 1978 und 1982), Angel Heart (Alan Parker, 1986, mit Robert de Niro als Luzifer „Lou Cypher“), Im Auftrag des Teufels (Taylor Hackford, 1997, diesmal gibt Al Pacino den Teufel), Teuflisch (Harold Ramis, 2000), Constantine (Francis Lawrence, 2005) oder The Reaping – Die Boten der Apokalypse (Stephen Hopkins, 2007) sind nur wenige Beispiele für die noch immer anhaltende Erfolgsgeschichte okkulter Themen auf der Kinoleinwand.

Ein Blick in die Bücherlisten der Verlage zeigt eine immense Produktion an (oft dubiosen) Schriften zu Themen wie Teufel, Engel, Dämonen etc. Zahlreiche Bücher pseudoreligiösen Inhalts und unwissenschaftlicher Natur – jedoch mit dem Anspruch auf Seriosität und Wahrhaftigkeit – befassen sich mit dem Problem des Bösen und der Existenz Satans: Ein schier unüberschaubares Angebot lässt auf eine entsprechende Nachfrage schließen. Mit immer neuen Enthüllungen und spektakulären Erkenntnissen wird ein gewaltiger Markt bedient, der in seiner Gier nach transrationalen Ungeheuerlichkeiten unersättlich scheint.