Menschengesichter

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Menschengesichter
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Ursula Kampmann

Menschengesichter

Götter, Herrscher, Ideale – das Antlitz des Menschen im Münzbild

Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck in jeder Form sowie die Wiedergabe durch Fernsehen, Rundfunk, Film,

Bild- und Tonträger, die Speicherung und Verbreitung in elektronischen Medien

oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags

E-Book 2013

© Conzett Verlag by Sunflower Foundation

Als Printausgabe 2005 bei MoneyMuseum by

Sunflower Foundation/Oesch Verlag erschienen

www.conzettverlag.ch

www.sunflower.ch

Fotos: Studio Lübke & Wiedemann, Stuttgart

ISBN 978-3-03760-022-1

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Vorwort

Kopf oder Zahl?

Im Namen der Götter

1. Göttervater Zeus in Olympia

2. Athena und Athen

3. Die Quellnymphe Arethusa

4. Philipp II. als Hegemon Griechenlands

5. Griechische Kunst – keltische Kunst

6. Die 30 Silberlinge

Wie der Mensch ins Münzbild kam

7. Alexander der Grosse

8. Ein Leichnam wird entführt

9. Der Kampf Makedoniens gegen Rom

10. Im Angesicht des Feindes

11. Die Iden des März

12. Augustus, Friedenskaiser oder Massenmörder?

13. Der einzige aussenpolitische Erfolg des Nero

14. Weltbürger Hadrianus

15. Ein rauschgiftsüchtiger Kaiser

16. Der Brudermord des Caracalla

17. Wer soll was bezahlen?

18. Ein Bild von einem Kaiser

19. Der Heilige der Heiden

20. Eine antike Power-Frau

21. Wo ist Gott?

Das Abbild der göttlichen Ordnung

22. Das Kind aus Apulien

23. Der Beginn der Rosenkriege oder der untätige König

24. Eine Frau als Herrin von Zürich

25. Der Heilige von Halberstadt

26. Viva il popolo

Der Fürst und sein Gesicht

27. Stupor Mundi

28. Ein Kampf um Sizilien

29. Der Doge, machtloser Herrscher eines mächtigen Reichs

30. Der Hercules von Ferrara

31. Die Condottieri, Gewinner in jedem Krieg

32. Mord in Mailand

33. Il Moro und Leonardo

34. Der «schreckliche» Papst

35. Ein Mädchen sucht sich einen Mann

36. Der Kaiser, in dessen Reich die Sonne nie unterging

37. Franz I. und die «Ungläubigen»

38. Heinrich VIII. und die zweite seiner sechs Frauen

39. Wie viel kostet die Macht?

40. Die Königin der Piraten

41. Augsburg im Dreissigjährigen Krieg

42. Der Herzog von Friedland

43. Der sparsame Sonnenkönig

44. Die Flucht nach Varennes

Neue Köpfe für eine neue Welt

45. Die Geburt der Freiheit

46. «Rufst du, mein Vaterland»

47. Das frivole Vreneli

48. Simón Bolivar, der Freiheitsheld von Südamerika

49. Hindenburg

50. Ein Dichter für Italien

Index

Vorwort

Menschengesichter auf Münzen – welch wechselvolle Geschichte! Denn immer wieder ändern sich im Laufe der Zeit Stellenwert und Darstellung von Köpfen auf Münzen. Die ersten Wesen mit einem menschlichen Antlitz auf Münzbildern sind antike Götter. Ihnen folgen Porträts von Herrschern, die sich entweder als idealisierter Halbgott inszenieren oder als stiernackiger Macho – bis sie ihren Kopf schliesslich gar nicht mehr fürs Geld hinhalten und Personifikationen moderner Ideale Platz machen. Doch stets bleibt das Münzbild Spiegel für Machtverhältnisse und Weltanschauungen, für den Stand und manchmal die ureigene Physiognomie einer Person.

Den Anstoss zu dieser Studie der Historikerin Ursula Kampmann über die Geschichte des menschlichen Antlitzes auf Münzen gab die Münzsammlung des MoneyMuseums. Ihre Strahlkraft und ihre geheimen Botschaften möchte ich mit anderen teilen und sie einem Laien- wie Fachpublikum immer wieder unter einem anderen Blickwinkel zeigen.

Dankend erinnern wollen wir uns an (den verstorbenen) Dr. Leo Mildenberg, den herausragenden Numismatiker, der uns mit seinem weisen Rat zu vielen numismatischen Kostbarkeiten aus der Antike verholfen hat. Apropos Kostbarkeit: Nicht der höchste Preis, das teuerste Stück bestimmt die Auswahl des MoneyMuseums, was zählt, sind Aussagekraft und künstlerische Ausstrahlung einer Münze.

Jürg Conzett

Gründer MoneyMuseum

Kopf oder Zahl?

Es ist eine altbekannte Situation: Zwei Menschen können sich nicht entscheiden, wer von ihnen eine bestimmte Aufgabe ausführen muss. Kopf oder Zahl?, heisst es dann, eine Münze wird geworfen, und der Zufall entscheidet, ob ihre Bild- oder ihre Wertseite oben liegt. Dies, obwohl längst nicht mehr auf allen Bildseiten Köpfe dargestellt sind. Im Gegenteil, unser ikonographisches Selbstverständnis ändert sich, weg vom menschlichen Angesicht auf Münzen, hin zu Blumen, Bauten oder Symbolen. Bei den Euromünzen – 2002 eingeführt und damit jüngstes Studienobjekt – sind lediglich auf weniger als einem Drittel aller Bildseiten Köpfe zu sehen. Unsere modernen Demokratien scheinen im eindeutig identifizierbaren Mensch kein Identität stiftendes Symbol mehr zu sehen.

Gerade in Zeiten der Veränderung, in denen jeder das Alte noch kennt und das Neue schon gesehen hat, ist der beste Moment, nach dem Warum zu fragen. Warum also galt uns der Kopf jahrhunderte-, nein, jahrtausendelang als das Motiv einer Münzseite? Und warum hat sich dies in den letzten 200 Jahren geändert?

 

Im Namen der Götter

Als die Münze in unserem heutigen Sinne irgendwann gegen Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. in Kleinasien, vielleicht in Lydien, erfunden wurde, dachte noch niemand daran, auf ihr ein menschliches Antlitz darzustellen. Die Prägeherren schmückten die Vorderseiten ihrer Münzen mit dem, was wir heute als Wappen bezeichnen würden: mit Symbolen, die ein Benutzer mit der Familie des Prägeherrn oder der prägenden Stadt in Verbindung brachte. Zweck dieser frühen Darstellungen war es, mit dem Bild den exakten Wert des abgewogenen Stückes Metall quasi zu garantieren.


Samos (Ionische Insel). Elektronhekte, 600–570 v. Chr. Löwenkopf von vorne in einem Kranz (?). Rs. Unregelmässig vertieftes Quadratum incusum um Mittelpunkt.

Die Bilder änderten sich erst, als im Verlauf der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. die griechischen Städte die Münze für sich entdeckten. Erst in dieser zweiten Phase gewann das kleine, abgewogene Stückchen Metall seine epochale Bedeutung: Es wurde nicht mehr als eine genormte und garantierte, wertvolle Handelsware benutzt, sondern als ein Massstab, mit dem jeder Gegenstand und jede Tätigkeit hinsichtlich des Wertes gemessen werden konnte. Damit veränderte sich die Welt drastisch. Arbeitsteilung und Kleinhandel entstanden. Die Demokratie in ihrem klassischen Sinn wurde vorbereitet.

Die Münze gehörte zu den städtisch geregelten Angelegenheiten. Sie galt – wie die Gesetze oder die Längen- und Hohlmasse – für die gesamte Stadt, und mit ihr identifizierte sich auch die ganze Stadt. Somit musste das Münzbild ebenfalls etwas sein, in dem sich alle Bürger einer Stadt wiederfanden.

Zumeist bezogen sich die Darstellungen auf das besondere Verhältnis, das eine Stadt zu bestimmten göttlichen Mächten hatte. Jede Stadt besass ihr eigenes Pantheon, überall wurde eine andere Auswahl von Göttern, Naturmächten und Heroen verehrt. Die wichtigste Gottheit einer Stadt musste nicht unbedingt mit Zeus zusammenfallen, den wir als den Obersten der griechischen Götter kennen. Im Gegenteil, jede göttliche Macht konnte zur wichtigsten aufsteigen, wenn sie durch ihr als real empfundenes, im lokalen Mythos überliefertes Eingreifen gezeigt hatte, dass sie bereit war, für das Wohlergehen der Bürger Verantwortung zu übernehmen. Das konnte sich ausdrücken durch ein «Geschenk» an die Stadt oder durch Hilfe in Gefahr. Durch ihren einmal gewährten Beistand schloss die Gottheit mit allen Bürgern der Stadt einen ganz besonderen Bund, der ihr die Verehrung der Polis einbrachte, wofür sie sich mit ihrer fortdauernden Unterstützung bedankte.

Deshalb sind auf den archaischen Münzen häufig Symbole der wichtigsten Götter einer Stadt zu sehen. So bedeutete eine Ähre für den Bewohner Metaponts eben nicht nur eine Ähre, sondern den komplizierten Vorgang des Säens, Wachsens und Erntens, den die Göttin Demeter beschützte, die Metapont durch reiche Ernten besonders beschenkte.


Metapont (Lukanien). Stater, um 520 v. Chr. Ähre mit langen Grannenhaaren. Rs. Ähre inkus.

Die Bürger von Gela dagegen, deren Stadt an der Mündung eines Flusses lag, wussten genau, dass sie ihren Wohlstand dem ruhig und gleichmässig fliessenden Gewässer verdankten, dem sie den gleichen Namen gegeben hatten wie ihrer ganzen Stadt. Brachte der aus dem Gebirge kommende Fluss auch im Hochsommer noch genug Wasser, um die Felder zu versorgen? Stieg im Frühjahr der Pegel nur auf das gewohnte Mass? Oder überfluteten die Wassermassen, die durch das Flussbett nicht mehr gezähmt werden konnten, die bewohnten Gebiete? Solche Sorgen und Fragen waren es, die dem Flussgott die besondere Verehrung der Stadtgemeinschaft von Gela eintrugen. Und ihn wählte sie, um sich als Ganzes im Münzbild darzustellen. Sie gab ihm dabei keine reale Gestalt, sondern versuchte, im Bild des Stieres die doppelte Wirkungsweise des Gottes einzufangen: Inbegriff der Fruchtbarkeit und furchtbar in seiner ungezähmt dahin stürmenden Gewalt.


Gela (Sizilien). Didrachmon, 490–480 v. Chr. Nackter Reiter n. r. galoppierend. Rs. Das Vorderteil des Flussgottes Gelas als menschengesichtiger, bärtiger Stier n. r. gelagert.

In Akragas dagegen wurde Zeus verehrt. Ihm baute man einen prachtvollen Tempel, dessen Ruinen Besucher der Stadt Agrigento heute noch bestaunen. Ihm reservierten die Bürger von Agrigento auch eine der beiden Seiten ihrer Münzen. Sie stellten Zeus in seiner Wirkungsweise dar: Er, der Oberste aller Götter, war es, der das menschliche Schicksal in den Händen hielt. Er konnte das Dasein jederzeit ohne Vorwarnung zerstören, genauso wie der Adler jederzeit aus den Höhen des Himmels hinabstossen konnte, um die sich auf einem Felsen sonnende Schlange zu packen und sie zu töten. Zeus war mächtig in dieser Zeit ohne Notfallmedizin und Genfer Konvention. Das Schicksal der Stadt Akragas ist dafür ein gutes Beispiel: Kurz nachdem die hier gezeigte Goldmünze geprägt wurde, eroberten die Karthager die Stadt und zerstörten sie.

Akragas (Sizilien). Notprägung einer Tetradrachme in Gold, 406 v. Chr. Adler n. l., in seinen Krallen eine Schlange haltend, im Begriff, mit dem Schnabel auf die sich noch windende Schlange einzuhacken. Rs. Krabbe.

Zeus war aber nicht nur der Zerstörer, der Vernichter, er konnte auch auf andere Art und Weise wirken. Er schenkte zum Beispiel den Sieg im Wettspiel oder im ernsthaften Kampf und machte damit aller Welt klar, wer in seiner Gunst stand.

Aber langsam, über Jahrhunderte hinweg, veränderte sich das Weltbild der Griechen. Wobei die Entwicklung nicht stetig dahinfloss, sondern sich die verschiedenen Vorstellungen – und natürlich auch die unterschiedlichen Bilder auf Münzen – generationenlang nebeneinander hielten. Zunächst waren es nur einige wenige, die erkannten, dass nicht die Götter das menschliche Schicksal bestimmten, sondern dass es jedem einzelnen gegeben war, sein Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Zwar anerkannte jeder die Macht, die als Schicksal, oberste Gottheit, olympische Götter oder wie immer man sie nennen wollte, ins irdische Dasein eingreifen konnte, zwar praktizierten die Bürger noch jahrhundertelang die überlieferten städtischen Rituale, und trotzdem wandelte sich das Bild der Götter, sie wurden menschlicher.

Ausdruck davon sind die seit dem letzten Viertel des 6. Jahrhunderts v. Chr. auf den Münzen zunehmend als Menschen erscheinenden Gottheiten: Apollon als junger, attraktiver Mann mit langem, wallendem Haar, Dionysos als etwas verweichlichter Geselle, dem man seine Freude an jeder Form von Gelage anzusehen glaubt, Artemis als kurz geschürzte Jägerin mit Pfeil und Bogen, Athena als gewappnete Kriegerin, Hera als erhabene, reife Frau, Aphrodite als der Inbegriff des reizenden Mädchens und Zeus als weiser Mann in den besten Jahren, alleine geeignet, um das Schicksal der Welt zu regieren. Damit hatte das menschliche Antlitz das Münzbild erobert.

Syrakus (Sizilien). Tetradrachmon, um 466 v. Chr. Siegreiches Viergespann mit Wagenlenker im Schritt n. r., darüber fliegende Nike, die Pferde bekränzend, darunter Löwe. Rs. Kopf der Quellnymphe Arethusa im Lorbeerkranz n. r., darum vier Delphine.

1. Göttervater Zeus in Olympia


Olympia. Münze der Hüter des Heiligtums, der Eleer (Peloponnes). Stater, um 360 v. Chr. Kopf des bärtigen Zeus von Olympia mit Lorbeerkranz n. l. Rs. Adler n. r. sitzend.

Heute denken wir bei Olympia sofort an die Olympischen Spiele. Im Geiste sehen wir edle Jünglinge um die Wette laufen oder sich im Ringkampf messen, und doch fing es einst ganz anders an.

Apollon und Herakles sollen in mythischer Vorzeit dem Zeus in Olympia ein Heiligtum eingerichtet haben, in dem ein Sohn des Apollon aus den Flammen des Opferfeuers die Zukunft weissagte. Die Nachkommen dieses ersten Priesters von Olympia begleiteten in historischer Zeit als eine Art Feldgeistliche griechische Heere und Siedler in die ganze damals bekannte Welt. Wir wissen zum Beispiel, dass die Auswanderer, die in Syrakus eine neue Heimat finden sollten, von einem olympischen Priester begleitet wurden, und dass vor der Schlacht von Plataiai, wo im Jahre 479 v. Chr. die vereinten griechischen Streitkräfte die Perser besiegten, ein Priester aus Olympia den Willen der Götter erkundet hatte.

Viele politische Gemeinschaften verdankten dem Zeus von Olympia, der durch seine Priester wirkte und half, ihr Bestehen. Und natürlich revanchierten sie sich. Sie sandten dem Gott reiche Weihgeschenke und schickten anlässlich des alle vier Jahre stattfindenden grossen Festes zu seinen Ehren eine Festgesandtschaft. Und da zu jedem ordentlichen griechischen Fest Wettspiele gehörten, waren in den Wettkämpfen von Olympia natürlich die besten Sportler jeder Stadt vertreten. Das war der Ursprung der Berühmtheit der Olympischen Spiele, die die besten Sportler aus allen von Griechen besiedelten Weltgegenden anzogen.

Das Bild von Zeus, der uns hier als bärtiger Mann in seinen besten Jahren entgegentritt, ist beeinflusst durch die berühmte Darstellung des Zeus, die Phidias Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. für den Tempel von Olympia schuf. Diese Gold-Elfenbein-Statue, die übrigens nie ein verehrtes Kultbild, sondern lediglich eine kostbare Weihegabe an den olympischen Zeus war, zählte in der Antike zu den sieben Weltwundern. Unzählige Griechen sahen sie. Sie alle waren von ihr so beeindruckt, dass sich bald niemand mehr in Griechenland Zeus anders vorstellen konnte, als ihn die Statue des Phidias zeigte.

2. Athena und Athen


Athen. Tetradrachmon, um 450 v. Chr. Kopf der Göttin Athena mit Helm n. r., auf dem Helmkessel Palmette und drei schmückende Blätter vom Olivenbaum. Rs. Eule n. r. sitzend, dahinter Zweig vom Olivenbaum mit Blättern und Frucht sowie Mondsichel.

Ein in der Antike weithin bekannter Mythos erzählt, wie Athena zur Beschützerin von Athen wurde: Einst stritten sich die Götter Poseidon und Athena, wer Attika besitzen solle. In bester griechischer Tradition beschlossen sie, durch einen Zweikampf zu entscheiden, wer in Zukunft die dort wohnenden Menschen schützen dürfe und dafür von ihnen Opfer bekommen sollte. Wer den Athenern das bessere Geschenk machen könne, der würde Schutzgottheit Attikas sein. Poseidon stiess seinen Dreizack in den felsigen Grund und liess eine Quelle aufsprudeln, Athena aber schenkte den Olivenbaum, in der Antike eines der wichtigsten Kulturgewächse überhaupt. Aus seinen Früchten wurde das Öl gepresst, mit dem die Griechen ihre Speisen kochten, den Körper pflegten und die Nacht erhellten. So fiel die Entscheidung leicht: Athena wurde die wichtigste Schützerin Athens. Was – zumindest nach antiker Vorstellung – auch der Göttin Vorteile brachte. Denn Athen war eine reiche Stadt, die über die Mittel verfügte, ihre Stadtgottheit durch prächtige Weihegeschenke, reiche Opfergaben und grosse Prozessionen zu ehren. Das Verhältnis zwischen Stadt und Schutzgottheit wurde damals nämlich als eine Art Vertrag verstanden, bei der die Gottheit nur so lange verpflichtet war, ihre Hilfe zu gewähren, wie sie von den ihr anvertrauten Bürgern die ihr zustehende Verehrung erhielt.

 

So ist Athena auf dieser Münze dargestellt als die Göttin, die durch ihr Geschenk den Athenern in der Vergangenheit eine grosse Wohltat erwiesen hatte und dies in Zukunft weiterhin tun würde. Ihr Helm ist geschmückt mit den Blättern des von ihr geschenkten Baumes, auf der Rückseite finden wir über der Eule, dem heiligen Tier der Athena, einen kleinen Olivenzweig. Diese Wohltaten der Göttin darzustellen, war wichtig, denn erst dadurch wurde Athena, die in den meisten Städten Griechenlands verehrt wurde, als die besondere Schutzgottheit Athens charakterisiert.

Ob es nun die Hilfe Athenas war oder das Silber, das in den attischen Bergwerken bei Laurion gefunden wurde, oder die kompromisslose Machtpolitik der athenischen Demokratie, die Eulen, wie man in der Antike die Prägungen der Stadt nannte, waren Ende des 5. und Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. die wichtigste Handelswährung im gesamten Mittelmeerraum. Und Athen wurde vor der selbstzerstörerischen Auseinandersetzung mit Sparta im Peloponnesischen Krieg so reich, dass ein heute noch bekanntes geflügeltes Wort entstehen konnte: «Eulen nach Athen tragen».

3. Die Quellnymphe Arethusa


Syrakus (Sizilien). Dekadrachmon, 400–395 v. Chr. Werk des Stempelschneiders Euainetos. Quadriga in einem Wagenrennen n. l. fahrend; der Lenker treibt mit einem Stab seine Pferde zur höchsten Geschwindigkeit an; auch die Götter sind dem Gespann wohlgesinnt, denn sie senden die geflügelte Nike, die dem Wagenlenker den Kranz bringt; in dem durch die Bodenlinie abgetrennten Abschnitt Waffengruppe. Rs. Kopf der Arethusa n. l., das Haar bekränzt mit Schilfblättern; um sie herum vier Delphine, unter dem Delphin am Halsabschnitt Signatur des Künstlers.

Pausanias überliefert in seinem Reiseführer zu den Sehenswürdigkeiten Griechenlands, dass Arethusa einst eine Jägerin gewesen sei, die sich von Alpheios verfolgt sah. Doch ehe der junge Mann das Mädchen vergewaltigen konnte, verwandelten sie die Götter in eine Quelle. In ihrer neuen Gestalt gelangte Arethusa bis zur Insel Ortygia, dem befestigten Zentrum der Stadt Syrakus. Alpheios aber wurde zu einem Fluss und folgte der Entflohenen. Er soll noch heute seine Wasser mit denen der Arethusa mischen und damit reich sprudelndes Süsswasser auf einer ansonsten vom Meerwasser umschlossenen Insel liefern.

Soweit der Mythos, der in historischer Zeit an einen viel älteren Kult anknüpfte. Denn die Verehrung einer Naturgottheit, verkörpert in der Quelle Arethusa, war in Syrakus wesentlich älter. Das Erlebnis, auf einer steinigen Insel, umgeben vom nicht geniessbaren Salzwasser des Mittelmeeres, eine Süsswasserquelle zu finden, die noch dazu ausreichte, um eine kleine Stadt zu versorgen, dies empfanden die Menschen in der Antike als einen göttlichen Gnadenerweis. So wurde Arethusa, die Gottheit, die in der Quelle gegenwärtig war und ihre sprudelnden Wasser den durstigen Menschen schenkte, von Syrakus als eine Staatsgottheit verehrt. Den Bürgern der Polis war sie so wichtig, dass sie die Quellnymphe praktisch von Anfang an auf den Münzen der Stadt abbildeten.

Schon bald wurden Arethusa als Attribut vier um sie herumschwimmende Delphine beigegeben. Diese Tiere waren nicht willkürlich gewählt. Der Delphin galt in der Antike als das Tier, das – von Apoll gesandt – dem Schiff sichere Überfahrt signalisierte. Wichtig für das Gelingen einer weiten Schifffahrt über das Mittelmeer waren vor allem die Häfen, die ein von Stürmen bedrängtes Schiff anlaufen konnte. Und die Götter hatten die Stadt Syrakus wahrlich gesegnet: Gleich zwei Häfen, ein grosser und ein kleiner, boten je nach Windrichtung Schutz vor den Unbilden des Wetters. Im Jahre 734 v. Chr. soll eine Gruppe von korinthischen Kolonisten diesen idealen Platz für eine Siedlung entdeckt und okkupiert haben. Es war also in erster Linie die geografische Lage, durch die Syrakus in sehr kurzer Zeit zu einer der grössten und bedeutendsten Handelsstädte der antiken Welt wurde. Und dies empfanden seine Bewohner als Gottesgeschenk.

Sie stellten auf der Rückseite ihrer Münzen eigentlich ein Abbild ihrer Stadt aus der Vogelsicht dar: Die Quelle Orthygia in der Mitte, umgeben von den ringsum flutenden Wassern des Mittelmeeres.