Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk

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4.1.3 Die 1970er Jahre

Der NachkriegsboomNachkriegsboom fand Mitte der 1970er Jahre ein Ende, soziale Differenzen wurden wieder deutlicher spürbar. Dieses Jahrzehnt, das man politisch mit der Ölkrise (1973), dem RAF-Terrorismus und dem „Deutschen Herbst“ (1977) verbindet, zeigt auf der anderen Seite die Früchte der EmanzipationsbewegungenEmanzipationsbewegung: „Fräulein“ für unverheiratete Frauen wurde 1971 offiziell durch „Frau“ ersetzt, der Abtreibungsparagraph 218 war in aller Munde und Themen wie Mutterschaft, Ehe und Sexualität wurden öffentlich diskutiert. 1975 senkte man die Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre, Chancengerechtigkeit in der Ausbildung äußerte sich durch die Einführung des BAföG (1971). Erste Anti-Atomkraft-Aktivitäten ließen ein verstärktes Umweltbewusstsein erkennen.

Die noch in den 1960er Jahren deutlicher spürbare Klassengesellschaft verlor jetzt zunehmend Kontur und die Menschen lebten in Wohlstand mit steigenden Einkommen und niedriger Arbeitslosigkeit; der Boom ging weiter bis in die Mitte der 1970er Jahre, als die Folgen der Ölkrise die Welt erschütterten und auch in Deutschland einen jähen wirtschaftlichen Abschwung auslösten. Einige Daten sollen dies verdeutlichen: Die Arbeitslosenquote stieg von 0,7 % (1970) jäh auf 4,65 % (1975) an, und erstmals seit Kriegsende lag das BruttosozialproduktBruttosozialprodukt im Minus (mit -1,1 %).1 Trotzdem setzte sich der allgemeine Trend des Wohlstands auch in diesem Jahrzehnt fort. 1970 waren 20 % der Haushalte, 1975 schon 50 % mit einem Telefon ausgestattet, 1978 verfügten 62 % aller Haushalte über einen eigenen PKW, so dass sich jetzt noch mehr Familien einen Urlaub leisten konnten. Es war eine Umschichtung des Konsums zu erkennen:

Während den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zufolge 1962/63 immerhin 58 Prozent des Einkommens unmittelbar lebensnotwendig – definitionsgemäß für Nahrung, Kleidung und Wohnung – verwendet wurden, waren es 1973 nur noch 44 und 1978 sogar nur 42 Prozent. (Schildt, 2002)

Die schon im vorherigen Jahrzehnt begonnene Hippie-BewegungHippie-Bewegung breitete sich als konsumkritische FriedensbewegungFriedensbewegung in Europa aus. Diese und andere JugendkulturenJugendkulturen (z.B. Punks) prägten die Szene und setzten internationale Standards, die in Tanzformen, Freizeitgestaltung und in der Mode zum Ausdruck kamen. Im geteilten Deutschland setzen sie symbolisch-expressiv Zeichen in Form von Verhaltensformen und konsumgeprägter PopkulturKulturPop-. Die Werbung in den 1970er Jahren wurden dementsprechend internationaler, schriller, bunter und sexy und stellte sich auf die Wünsche des jugendlichen Publikums ein.

In der Printwerbung wurden die Anzeigen größer und die Textmenge weniger, fremdsprachliche Elemente wiederum nahmen zu. In der Hörfunkwerbung nahmen typische „Modeerscheinungen“ der 1950er, 1960er und 1970er Jahre wie ChorsprechenChorsprechen oder der EndreimEndreim immer mehr ab und fanden sich ab den 1980er Jahren kaum mehr (5.4.2.2, Abb. 3). Das neue Paradigma der KonsumgesellschaftGesellschaftKonsum- und die Rolle der Werbung zeigten ein neues Profil.

Marktforschung, Marketing und Werbung setzten mit Verbrauchertypologien, Marktsegmentierung und Produktpositionierungskampagnen […] auf die differenzierenden Aspekte des Konsums. Ihren Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung um Konsum und Gesellschaft mit der massiven akademischen, öffentlichen und politischen KonsumkritikKonsumkritik der 1970er-Jahre. Diese Kritik betrachtete Werbung als treibende Kraft einer von kapitalistischen Interessen motivierten und einseitig implementierten sozialen Ungleichheit. (Gasteiger, 2009, S. 55–56)

Die Verbraucherverbände sahen sich gestärkt und wandten sich gegen die Manipulation und die Produktion falscher Bedürfnisse in der Werbung, sodass die Werbebranche die 1970er-Jahre als Krise erlebte. Sie reagierte mit „einer stärker auf Information zielenden Werbung, aber immer noch mit der Grundannahme, das KonsumverhaltenKonsumverhalten maßgeblich steuern zu können“ (ebd.).

Wie ging es nach den 1970er Jahren weiter? Die 1980er Jahre gelten als Einschnitt in der Entwicklung des IndustriezeitaltersIndustriezeitalter zum InformationszeitalterInformationszeitalter und waren der Beginn der sich immer schneller fortsetzenden DigitalisierungDigitalisierung in allen Lebensbereichen, bei den Massenmedien kamen erste PrivatsenderPrivatsender auf (1984) (vgl. 2.1.2). Was die GeschlechterrolleGeschlechterrolle betrifft, so wurde das FrauenbildFrauenbild auch in den Medien immer mehr emanzipiert und verändert.2 Laut einer Pressemitteilung (Nr. 193 vom 21. Mai 2019) war 1980 jede zweite Frau zwischen 20 und 64 Jahren erwerbstätig.3 Die Utopie der MittelklassengesellschaftMittelklassengesellschaft begann wieder einer Klassengesellschaft mit ungleich verteiltem Vermögen zu weichen und sollte sich in den 1990er Jahren noch deutlicher polarisieren. Es war die postmoderne Konsumgesellschaft, in der die Verbraucher nicht mehr falschen Bedürfnissen zum Opfer fallen wollten, ihre Individualität wieder zu erobern versuchten und für ihre Kaufentscheidungen selbst verantwortlich sein wollten. Das zeigte natürlich Folgen für die Werbestrategien.

Das Abflauen der Auseinandersetzung über Konsum, ‚Manipulation‘ und ‚Entfremdung‘ in den Jahren um 1980 markierte damit nicht nur das Ende der Theorie einer starken, einseitigen WerbewirkungWerbewirkung, sondern auch den endgültigen Abschied von der Utopie einer durch Massenkonsum sozial nivellierten Gesellschaft in der Bundesrepublik (Gasteiger, 2009, S. 56).

4.2 Themen, Topoi und Zusatznutzen in der Produktwerbung

Was sagt die Stimme über ihre Zeit aus? Nicht nur das, was sich an ihrer Qualität ablesen (bzw. „abhören“) lässt, sondern auch das, was ihre Werbebotschaft ist, was sie also an Inhalt transportiert, soll hier näher betrachtet werden. Die Gesprächs- und Redemuster, die TopoiTopos und Themen, die – in unserem Fall – in den Werbespots erkennbar sind bzw. angesprochen werden, charakterisieren die gesellschaftlichen Normen der Zeit.

Unter Rückbezug auf die Terminologie der römischen Rhetorik wird im Folgenden die TopikTopik unter dem Blickwinkel von Gemeinplätzen (loci communisLoci communis) betrachtet, also Argumenten oder Argumentationsmustern, die in der jeweiligen Gesellschaft verankert und anerkannt sind oder waren. Diese sind nicht zuletzt auf geteilte und soziokulturell verankerte Werte zurückzuführen und transportieren in ihrem Konsens eine Meinung.

Dieses Charakteristikum lässt die Topik einer Werbung zum Spiegel der geltenden soziokulturellen Werte ihrer ZielgruppeZielgruppe werden. Im Rahmen einer Analyse von Werbung ermöglicht deshalb die differenzierte Erfassung der verwendeten Topoi Rückschlüsse auf anerkannte WertvorstellungenWertvorstellungen und Orientierungsgrößen in der intendierten Zielgruppe. […] Mit der rhetorischen Erfassung der einzelnen TopoiTopos von Werbung sind nicht nur Aussagen über konkrete ZielgruppenspezifikaZielgruppenspezifika möglich, sondern auch Rückschlüsse auf den allgemeinen ZeitgeistZeitgeist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. (Schüler, 2012, S. 209)

Ein tieferer Einstieg in Fragen der Werteforschung, die Erörterung der unterschiedlichen WertetypologienWertetypologien und -kategorien oder die Abgrenzung zwischen Werten, Bedürfnissen, Einstellungen, Motiven, Präferenzen, Normen und Tugenden würde an dieser Stelle zu weit führen, es sei daher auf Golonka (2009) verwiesen und exemplarisch ein paar Ansätze herangezogen, die bei der Analyse der HörfunkspotHörfunkspots in Kapitel 5 berücksichtigt wurden.

Nach umgangssprachlichem Verständnis wird als ein Wert alles angesehen, was für jemanden wertvoll ist, d.h. eine positive Bedeutung für ihn hat und seine bestimmten (materiellen oder ideellen) Bedürfnisse befriedigen kann. Es kann sich dabei um Gegenstände im weitesten Sinne des Wortes handeln, vor allem jedoch um Merkmale, die den Gegenständen (oder Personen) von Menschen zugeschrieben werden. (Golonka, 2009, S. 81–82)

WerteWerte (ethische, religiöse, kulturspezifische, individuelle …) sind in KulturstandardsKulturstandard1 verankert und können je nach Gruppe (Nation, Gesellschaft, Generation, Geschlecht etc.) von den Werbeschaffenden auf WerbebotschaftenWerbebotschaft übertragen und mit dem beworbenen Produkt verbunden werden. In diesem Sinne wird also mit Werten, manchmal auch für Werte geworben, wobei die Grenzen zwischen Wert, Wunsch, Motiv usw. fließend sind.

Einer der bekanntesten Ansätze in diesem Zusammenhang dürften die sich in der BedürfnispyramideBedürfnispyramide von MaslowMaslow (1954) widerspiegelnden Werte sein, in denen sich das KonsumverhaltenKonsumverhalten der Menschen abbilden lässt. Hierbei kann eine Hierarchie, von der Erfüllung von GrundbedürfnissenGrundbedürfnissen bis zum Wunsch nach Selbstverwirklichung, stufenweise nachvollzogen werden. Dabei rückt das jeweils „höhere“ Bedürfnis erst nach Erfüllung des jeweils „niedrigeren“ in den Fokus. So lauten die Stufen der Pyramide von der Basis zur Spitze wie folgt: physiologische Bedürfnisse (Hunger, Durst, Gesundheit etc.) – Sicherheitsbedürfnisse (Sicherheit, Frieden etc.) – soziale Bedürfnisse (Liebe, Geborgenheit etc.) – Individualbedürfnisse (z.B. Selbstachtung) – Selbstverwirklichung (Freude an der Arbeit, kreatives Leben etc.).

Die Frage, die sich im Anschluss an die Skizzierung der Nachkriegsjahrzehnte in diesem Kapitel (4.1) und den Ausführungen zur Radiorhetorik (2.3) und den Persuasionsstrategien der Hörfunkwerbung (2.4) stellt, sind die den Familien- und Gesellschaftsmodellen zugrunde liegenden Themen und Topoi, die Werbeschaffende für die Konstruktion der Argumentation und der Konzeption des AppellsAppell (sprachlich und nicht sprachlich) heranziehen, um einen überzeugenden Zusatznutzen zu finden, mit dem sie dem Produkt ein AlleinstellungsmerkmalAlleinstellungsmerkmal (einen USPUSP) zu verleihen versuchen, was bei immer wachsender Konkurrenz zunehmend wichtig wird. Auf dieser Grundlage soll schließlich in 5.4 beispielhaft gezeigt werden, wie Stimme und SprechweiseSprechweise diese Themen in ihrer Verkaufsrhetorik aufgreifen.

 

Aus der Reihe an Forschungen zur Kategorisierung von WertenWerte und WeltbildernWeltbilder seien zwei herausgegriffen, die für die Analysen in Kapitel 5 herangezogen wurden (siehe Tab. 2). Sie dienten als Grundlage für Gruppierungen von Themenbereichen bzw. Werten, die in den dort untersuchten Produktgruppen anzutreffen sind.2 Zum einen ist das Christa Wehners (1996, S. 25) Katalog von 18 durch Werbung „kommunizierte Werte“, die sowohl den Grundnutzen als auch den Zusatznutzen widerspiegeln und jeweils die Bedürfnisse der Zielgruppe ansprechen. Zum anderen Hermann Cölfens (1999, S. 106) 30 „WerbeweltbilderWerbeweltbilder“, mit denen er bei seiner Untersuchung von Werbeanzeigen über drei Dekaden (1960–1990) arbeitete.


Kommunizierte Werte nach Wehner (1996) Werbeweltbilder nach Cölfen (1999)
Wirtschaftlichkeit (Preis-Leistungs-Verhältnis, Umgang mit Ressourcen), Leistungsfähigkeit (Funktonalität, Zuverlässigkeit, Wirkung), Qualität (Hochwertigkeit, auch Premiumkategorie), Technik (moderne Technologie), Convenience (Bedienungskomfort, Ersparnis von Zeit und Kraft), Sauberkeit (Reinheit, Glanz, Hygiene), Sicherheit (materiell und immateriell, Zukunftssicherung), Ernährung (Geschmack und Bekömmlichkeit von Lebensmitteln), Genuss (‚Zusatznutzen‘ von Nahrungsmitteln und Getränken), Gesundheit (Vorsorge, Heilung, auch gesunde Ernährung), Physisches Wohlbefinden (Komfort, Vitalität), Schönheit (physische Attraktivität, Gepflegtsein, Jugend), Ästhetik (schöne Dinge, gute Form, Design), Soziale Beziehungen (Freundschaft, Liebe, Partnerschaft, Familie), Lebensfreude (Unbeschwertheit, das Leben genießen, Hedonismus), Lebensart (Stil, Anspruch, gehobener Konsum, Kultiviertheit), Naturnähe/Ökologie (Abgeschiedenheit, Umweltbewusstsein), Soziale Anerkennung (Erfolg, Status, Bewunderung). Qualität, Geld, Wirtschaftlichkeit, Genuss, Bequemlichkeit, Gesundheit, Fortschritt/Forschung, Neu, Erfolg der Firma, Frau, Kochen/Haushalt, Schnelligkeit, Sicherheit, Kinder, Attraktivität, Tradition, Haltbarkeit, Spaß/Spiel, Urlaub/Reise, Mann, Kreativität, Selbstbewusstsein, Familie, Liebe, Erfolg des Kunden, Umweltbewusstsein, Luxus/Anspruch, Erfahrung, Individualität, Jugend.

Tab. 2:

WertekommunikationWertekommunikation in der Werbung (Wehner, 1996; Cölfen, 1999)

Für die im nächsten Abschnitt untersuchten Hörfunk-Werbespots werden nicht alle angeführten Werte von Interesse sein, was nicht zuletzt an der Fokussierung der Untersuchung auf drei ProduktgruppenProduktgruppen liegt. Die in den Spots erkennbaren Werte spiegeln sich in der ArgumentationsstrategieArgumentationsstrategie und nicht zuletzt in der Inszenierung der Produkte wider.

Indem Werbung den Gebrauch eines Produktes in einem konkreten sozialen Kontext darstellt, bietet sie dem Konsumenten eine Möglichkeit zur Wertsteigerung des Produkts, die weit über die Implikationen des Kaufs hinausreicht. So realisiert sich das Image des Produkts auch in der Inszenierung seines Gebrauchs. Dieses wird dann wieder Bestandteil der werblichen Argumentation, die den Konsum (mit-)begründet. (Schüler, 2012, S. 211)

Von speziellem Interesse in diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt die Rolle von Frauen in der Hörfunkwerbung der untersuchten Jahrzehnte und im allmählichen Abbau des Kinder-Küche-Kirche-Klischees, wobei sich die Frage stellt, inwieweit Hörfunkspots die gesellschaftlichen Errungenschaften von Frauen auch zeitgetreu reflektieren.3

5 Exemplarische Untersuchung von historischen Hörfunk-Werbespots (die 1950er, 1960er und 1970er Jahre)

Die empirische Untersuchung von historischen HörfunkHörfunk, historischer-Werbespots der ausgewählten drei Jahrzehnte umfasst drei Untersuchungsbereiche (drei methodische Ansätze): zum einen die Frage nach ZeitzeugnissenZeitzeugnisse, die von den Themen und TopoiTopos im Spot aufgenommen werden, und die sich in Stimme und SprechweiseSprechweise widerspiegeln. Weiter die perzeptive (auditive) WahrnehmungWahrnehmungauditive und schließlich die akustischeAnalyseakustische (experimentalphonetischeAnalyseexperimentalphonetische) Analyse ausgewählter Parameter mittels der phonetischen Analyse-Software Praat.1

Die Untersuchung der perzeptiven WahrnehmungWahrnehmungperzeptive ist zudem aus dem Grund interessant, dass Testpersonen im Jahr 2020 Werbespots beurteilten, deren Ausstrahlung z.T. fast 70 Jahre zurückliegt. Das heißt, dass diese Bewertungen durch eine aktuelle Linse betrachtet wurden, welcher sämtliche Themen, KlischeesKlischee, StereotypeStereotyp und WerteWerte von heute zugrunde liegen. Man muss also davon Abstand nehmen, diese Beurteilung gleich zu setzen mit einer, die aus einem anderen Zeitraum stammt, ggf. sogar aus genau der Zeit der Entstehung des Spots. Die Komplexität geht noch weiter: Eine Person, die sich an jene Spots noch erinnern kann, die also ein gewisses Alter hat, wird ihre ErinnerungswerteWerteErinnerungs- bewusst oder unbewusst mit einbringen. Auch hier könnte man sich fragen, ob ihre Antworten mit jüngeren Personen, die die „alten“ Stimmen vielleicht zum ersten Mal hören, vergleichbar sind. Diesen Fragen konnten im Rahmen der vorliegenden Analyse (noch) nicht vertieft nachgegangen werden, was nicht ausschließt, in die besagte Richtung weiter zu forschen.

Die Transkripte im Anhang sind nicht nur dazu bestimmt, die Ergebnisse der Untersuchung nachvollziehen zu können und Transparenz zu garantieren, sondern auch, um für weiterführende Forschungsfragen zur Verfügung zu stehen.

5.1 Forschungsfragen

Anhand der hier beschriebenen Untersuchung sollten sprecher-, marken- und zeitspezifische Charakteristika erkannt und analysiert werden, wobei der Schwerpunkt auf der Stimme und SprechweiseStimmeund SprechweiseSprechweise lag. Dabei wurde das Medium Hörfunk herangezogen.1 Die Untersuchung versteht sich als exemplarisch und somit auch als Anregung, das Korpus auszuweiten und interessante Ergebnisse auch anhand weiterer Untersuchungsobjekte zu verifizieren und zu vertiefen.

Die zwei Fragenkomplexe der Untersuchung, die auch der inhaltlichen Struktur dieses Abschnitts zugrunde liegen, sind wie folgt zu verstehen:

1 Welche PersuasionsstrategienPersuasionsstrategien, ThemenThema und TopoiTopos werden seit den 1950er Jahren in der Hörfunkwerbung eingesetzt, und wie werden sie von Stimme und Sprechweise aufgenommen?Neben der thematischen und argumentativen Analyse wird in diesem Abschnitt sprachlichen und außersprachlichen Entwicklungen nachgegangen, um schließlich zu prüfen, wie sich dies in Stimme und Sprechweise manifestiert.

2 Wie nehmen heutige Hörerinnen und Hörer Stimme und Sprechweise in der Hörfunkwerbung seit den 1950er Jahren wahr?Im weiteren Verlauf werden im zweiten Fragenkomplex detailliertere Teilfragen aufgegriffen und beantwortet, z.B.: Was ändert sich in Bezug auf Natürlichkeit, Sympathie und Überzeugung im Laufe der untersuchten Jahrzehnte? Welche Tendenzen sind bei stimmlichen und sprecherischen Parametern erkennbar und wie wirkt sich das auf die Rezeption heute aus? Besondere Beachtung findet die Frage: Wie haben sich weibliche und männliche Stimmen und Sprechweisen verändert?

5.2 Korpus

Das der Untersuchung zugrunde liegende Korpus ist ausschließlich akustischer Natur. Im Gegensatz zu den bisher weit häufiger erforschten schriftlichen Werbemitteln (in erster Linie Anzeigen- und Plakatwerbung) musste das flüchtige Medium transkribiert, also schriftsprachlich transponiert werden, damit Aussagen zu Form und Inhalt möglich wurden. Diese TranskriptionenTranskript sind im Anhang abgedruckt und können eingesehen werden. Was sich den Lesern entzieht, ist die akustische Komponente; hierfür ist für jeden Spot der entsprechende Archivierungscode des Historischen Archivs für Werbeforschung angegeben.

Dass eine historische Analyse aufgrund erschwerter Zugangsbedingungen und lückenhafter Archivierung von Seiten der Werbeagenturen und Aufnahmestudios eine Herausforderung darstellt, wird von Reimann (2012) anschaulich dargestellt. Die hier verwendeten historischen Spots finden sich alle im Regensburger Archiv für Werbeforschung (RAWRAW) und sind dort allen Interessierten nach Registrierung zugänglich. 1

5.2.1 Das Regensburger Archiv für Werbeforschung

Wie bereits in Kapitel 1.1 erwähnt, ist das Regensburger Archiv für Werbeforschung (RAW) für historische Forschungen im Bereich WerberhetorikRhetorikWerbe- im Hörfunk bestens geeignet. Die in erster Linie deutschen bzw. deutschsprachigen Spots waren von dem Wirtschaftswissenschaftler und Werbeproduzenten Erwin H. Geldmacher systematisch gesammelt worden und gingen 2003 als Schenkung an die Universität Regensburg. Dort wurden sie in einem eigenen Archiv der Universitätsbibliothek, dem Historischen Archiv für Werbeforschung (HWAHWA) der Forschung zugänglich gemacht. Heute ist das HWA eine Sammlung des RAW; seine über 50000 Spots aus den Jahren 1948 bis 1986 wurden bzw. werden vom MultiMediaZentrum der Universitätsbibliothek Regensburg digitalisiert und umfassen Spots diverser Produktgruppen (in erster Linie Nahrungs-/Genussmittel und Hygiene-/Wasch-/Putzmittel). Teilweise sind sie mit Transkriptionen und Regieanweisungen bzw. Anmerkungen versehen (Reimann, 2012, S. 484–585).

Was vorab auch gesagt werden muss, ist, dass das Archiv trotz des Umfangs seiner zum Großteil digitalisierten Werbespots keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Es war für Werbeproduzenten früher keineswegs üblich, vorläufige Arbeitsversionen oder auch gesendete Rundfunkspots zu archivieren, so dass es für die vorliegende Untersuchung schwierig war, Radiospots desselben Produkts aus allen untersuchten Zeiträumen zu finden. Dieser Umstand erklärt auch die Auswahl der hier untersuchten Produkte.

Die Arbeit am HWA und den anderen diversen Sammlungen des RAW (es gibt eine Sammlung von rund 500 Werbeschallplatten der 1950er bis 1980er Jahre1, an Werbefilmen etc.) ist längst nicht abgeschlossen. Immer wieder gibt es neue Zugänge, die digitalisiert und katalogisiert werden müssen.

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