Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.

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Jüdischer Platonismus

Ein bedeutender Vertreter des Mittelplatonismus war Philo von Alexandrien. Er entstammte einer reichen Familie Alexandriens und unternahm entschiedener als seine Vorgänger (z.B. Demetrios, Aristobul) den Versuch, die jüdische Überlieferung und die griechische Philosophie miteinander zu verbinden. Er wandte die von der Stoa entwickelte allegorische Auslegungsmethode auf die jüdische Bibel an, um so vor allem die anstößigen Anthropomorphismen zu bewältigen. Er ruft dazu auf, den einen und wahren Gott zu verehren und nach einem Leben in Frömmigkeit und Tugend zu streben. Dabei erscheint vor allem die Tora als der wahre Weg zur Tugend und Glückseligkeit und Mose als großer Philosoph und Lehrer113 eines gottgefälligen Lebens. Gottes Werke sind wohl in der Schöpfung und in der Lenkung des Kosmos zu erkennen, aber Gott selbst wird als rein geistiges Sein gedacht. So kommentiert Philo das Verbot, Götter aus Silber oder Gold zu machen, folgendermaßen: „denn wer meint, dass Gott Beschaffenheit habe, oder wer Gottes Einheit leugnet oder bestreitet, dass er ungeworden, unvergänglich und unwandelbar sei, der begeht Unrecht gegen sich selbst, nicht gegen Gott, wie es heißt: ‚machet euch nicht‘. Denn man muss an seine Gestaltlosigkeit, Einheit, Unvergänglichkeit und Unwandelbarkeit glauben; wer nicht also gesinnt ist, erfüllt seine Seele mit lügnerischem und gottlosem Wahn“ (Legum Allegoriarum I 51). Philo versteht sich bei seiner Aufnahme (vor allem) der Stoa und des „hochheiligen Plato“114 als ein legitimer Interpret der jüdischen Überlieferung für seine Zeit.

Der bedeutendste Mittelplatoniker war zweifellos Plutarch von Chaironeia115. Plutarch vereinigt in seiner Person alle bedeutenden Bildungstraditionen seiner Zeit. Er betrieb in seinem griechischen Heimatort eine philosophische Schule, hatte Kontakt zu namhaften Philosophen seiner Zeit, unternahm Reisen (z.B. nach Rom und Ägypten) und war ca. 20 Jahre lang einer der beiden Hauptpriester von Delphi. Er versuchte die griechische Religion wieder neu zu beleben, hatte weitgestreute kulturgeschichtliche Interessen und vollzog in seinen Doppelbiographien die Synthese von griechischem Geist und römischer Macht.

Paganer Monotheismus

Die starke Betonung der absoluten Transzendenz und Andersartigkeit Gottes, sein kategoriales Geschiedensein von allem Menschlichen und damit sein Entschwinden in eine unnahbare Ferne sind charakteristisch für die negative Theologie des Mittelplatonismus, speziell für sein Gottesbild116, das bei Plutarch so formuliert wird: „Was ist nun wirklich seiend? Das Ewige und Ungewordene und Unvergängliche, dem auch keine Zeit Veränderung bewirkt“ (Delphi 19). Für Plutarch sind Gott/die Götter die einzige der Zeit und dem Werden entnommene Wirklichkeit, sie stehen jenseits der Bewegung, des Werdens und Vergehens. Mit der Transzendenz Gottes verbindet sich deutlich eine Tendenz zum Monotheismus bei Plutarch117: Die Gottheit wird zwar bei den verschiedenen Völkern jeweils anders genannt, dennoch ist sie für alle Menschen dieselbe: „So gibt es einen Logos (), der den Kosmos ordnet, und eine Vorsehung, die dies leitet, und helfende Kräfte, die für alles eingeteilt sind.“118

Mittlergestalten

Das Konzept der einen, absolut transzendenten Gottheit musste die Frage aufwerfen, wie eine Kommunikation zwischen Gott und Mensch überhaupt möglich ist. Plutarch bestimmt Mittlerwesen, die den Kontakt zu den wahren Gottheiten halten und eine für die Menschen unabdingbare Funktion wahrnehmen. Er verdeutlicht es am Isis-Osiris-Mythos: „Aus diesem Grunde tut man wohl am besten, wenn man alles, was von Typhon, Osiris und Isis erzählt wird, nicht für Begebenheiten einiger Götter oder Menschen, sondern gewisser großer Geister () hält, welche, wie auch Plato, Pythagoras, Xenokrates und Chrysipp mit den alten Theologen übereinstimmend behaupten, zwar stärker sind als Menschen und von Natur aus eine größere Macht besitzen als wir, aber auf der anderen Seite auch nicht eine ganz reine und unvermischte Gottheit, sondern so wie wir eine Seele und einen Körper haben, die Vergnügen und Schmerz empfinden können ... Und Plato nennt diese Art von Dämonen Dolmetscher und Mittelpersonen zwischen den Göttern und Menschen, die die Wünsche und Gebete der Sterblichen vor die Gottheit tragen und von da Prophezeiungen und gute Gaben zurückbringen“ (De Iside et Osiride 360.361). Das Konzept göttlicher Mittlerwesen und die Tendenz zum Monotheismus bei Plutarch lassen erkennen, wie es auch für Menschen aus dem genuin griechisch-römischen Kulturbereich möglich war, einen Zugang zu der neuen Religion der Christen zu finden.

Innerhalb der Ethik zeigt sich Plutarch als Philanthrop; er möchte die Menschen zur Überwindung der Begierden und zur tätigen Übung der Tugenden führen, um sie so von allen falschen Vorstellungen zu befreien. Deshalb gibt er Ratschläge auf fast allen Gebieten der Ethik, vom Fürstenspiegel bis hin zur Kindererziehung. Wahre Gottesfreunde sind nach Plutarch die Menschen dann, „wenn ihr geläuterter Sinn in Gott den Urquell alles Guten, den Vater alles Schönen erkennt, ihn, der Böses weder tun noch leiden kann. Er ist gut, und er weiß nichts von Missgunst, Furcht, Zorn und Hass“119. Gott gibt in der Vernunft/dem Logos Anteil an seiner Gerechtigkeit, Wahrheit und Milde und befähigt so die Menschen, sich dem Guten zuzuwenden.

Die antike Philosophie war immer auch eine Form paganer Theologie; die Götter galten als die Garanten und Begleiter menschlichen Lebens. Um die Zeitenwende herum dominierte eine therapeutische Philosophie/Theologie, die darauf abzielte, den Menschen die Meisterung des Schicksals zu ermöglichen. Als Lebensform und Technik des Glücklichseins, als Wissenschaft vom Leben120 kommt es der Philosophie darauf an, die im Menschen vorhandenen Tugenden zu wecken bzw. die Einsicht des Menschen zu fördern, sich an diesen Tugenden zu orientieren. So soll die Seele zu sich selbst zurückgeführt werden, indem sie fremde Ansprüche und falsche Wünsche abweist. Um wirklich glücklich, reich und frei zu sein, begnügt sich der Weise mit der Tugend. So wird die Philosophie zu einem Heilmittel, um gut zu leben und gut zu sterben. Schon hier wird deutlich: Die Nachfolger des Sokrates und die Nachfolger des Jesus von Nazareth praktizierten einen vergleichbaren Lebensstil, traktierten vergleichbare Themen und produzierten vergleichbare Literatur.

3.3 Das Judentum

EMIL SCHÜRER, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi I–III, Leipzig 41901– 1911 (Nachdrucke). Engl. Neubearbeitung hg. v. Geza Vermes/Fergus Millar/Matthew Black, Edinburgh I–III 1973–1987. – LEO BAECK, Das Wesen des Judentums, Gütersloh 1998 (= 1905). – GEORGE F. MOORE, Judaism in the first Centuries of the Christian Era I–III, Cambridge 1927–1930. – MARTIN HENGEL, Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 21969. − ARYE BEN-DAVID, Talmudische Ökonomie, Hildesheim 1974. − GÜNTER STEMBERGER, Geschichte der jüdischen Literatur, München 1977. – DERS., Das klassische Judentum, München 1979. – HAIM HILLEL BEN-SASSON (Hg.), Geschichte des jüdischen Volkes I, München 21981. – JACOB NEUSNER, Judentum in frühchristlicher Zeit, Stuttgart 1988.– JOHANN MAIER, Zwischen den Testamenten, NEB.AT EB 3, Würzburg 1990. – GÜNTER STEMBERGER, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, SBS 144, Stuttgart 1991. − HARTMUT STEGEMANN, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg 102007. – WERNER ECK, Rom und Judäa, Tübingen 2007. – MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Jesus und das Judentum, 39–168. − KENNETH C. HANSON/DOUGLAS E. OAKMAN, Palestine in the Time of Jesus. Social Structures and Social Conflicts, Minneapolis 22008. − PETER SCHÄFER, Geschichte der Juden in der Antike, Tübingen 22010. – RICHARD A. HORSLEY, Revolt of the Scribes, Minneapolis 2010. − MARKUS TIWALD, Das Frühjudentum und die Anfänge des Christentums, 53-200.

Der Begriff ‚Judentum‘

Monotheismus, Erwählung, Tora und Tempel

Als Oberbegriff benennt ‚Judentum‘121 die mit der Eroberung Babylons durch die Perser (539 v.Chr.) beginnende Geschichte Judas (zugleich idealtypisch: Israel) und der jüdischen Diaspora unter den militärisch-kulturellen Fremdmächten der Perser, Griechen und Römer122. Unter Darius I. wurden um 520 v.Chr. in der persischen Provinz Jehud neue Verwaltungs- und Wirtschaftsformen geschaffen, in deren Rahmen in mehreren Etappen eine Rückkehr von Exilanten aus dem Exil erfolgte. Der Tempel wurde wieder aufgebaut (ca. 520–515 v.Chr.) sowie Sozial- und Kultreformen unter Esra (458 v.Chr.?) und Nehemia (445–433 v.Chr.) durchgeführt. In dieser Zeit konstituierte sich die maßgebliche Form des Judentums. Im Zentrum der Bemühungen stand die Hochschätzung und Durchsetzung des Gesetzes des Mose (vgl. Esr 7/Neh 8;10)123, wobei der Einsetzung der Feste (Passa: Esr 6,19–22; Laubhüttenfest: Neh 8,13–18; Sabbat: Neh 13,15– 22) und dem Verbot der Mischehen offenbar eine besondere Bedeutung zukam (vgl. Esr 9f/Neh 13,1–3.23–31). Das Deuteronomium lieferte dafür das im Hintergrund stehende theologische Programm und spiegelt in seinen Fortschreibungen diesen Prozess. Der Wiederaufbau Jerusalems wird als göttliche Führungsund Bundesgeschichte interpretiert; Jahwe gibt seinem Volk seine alte/neue Identität zurück. Der Jahwe-Monotheismus, die Erwählung, die Tora des Mose, der Tempel, der Sabbat, der Bund und das Land ‚Israel‘ standen von nun an im Zentrum des religiösen Denkens und formten die Religion des Judentums (s.u. 3.3.1).

 

Auch im Anschluss an die Eroberungszüge Alexanders des Großen im Nahen und Mittleren Osten (zwischen 336 und 323 v.Chr.) blieb Juda eine größtenteils autonome Provinz, die neben einem Statthalter von den jeweiligen Hohepriestern nach den Vorschriften der Tora geführt wurde. Unter den Ptolemäern (ca. 301–200 v.Chr.) und den Seleukiden (ca. 200–63 v.Chr.) geriet Juda angesichts des massiven Hellenisierungsdruckes in eine anhaltende Identitätskrise (s.u. 3.3.1), die zur Aktivierung jener Bewegungen (Apokalyptik, Weisheit) und zur Bildung jener Gruppen (Pharisäer, Essener, Zeloten) führte, die für die Welt des Neuen Testaments von großer Bedeutung sind. Auch nach der Eroberung Palästinas durch die Römer (Pompeius 63 v.Chr.) erfolgte keine direkte Unterstellung unter römische Herrschaft, sondern Vasallenfürsten (vor allem Herodes der Große 37–4 v.Chr.) regierten das Land unter Anerkennung seiner überlieferten religiös-politischen Strukturen.

Die Diaspora

Die Entstehung der jüdischen Diaspora ( = „Zerstreuung“) ist im 6. Jh. v.Chr. mit dem babylonischen Exil und Deportationen verbunden124. Im 5. Jh. existierte nicht nur in Babylonien eine blühende jüdische Kultur, sondern auch für die ägyptische Nilinsel Elephantine ist eine Diaspora-Gemeinschaft belegt. In Kleinasien expandierte die jüdische Diaspora besonders unter den Seleukiden (ab 200 v.Chr.), in Ägypten wurde Alexandria zum kulturell höchst bedeutsamen Zentrum des Diaspora-Judentums. Weitere Zentren der Diaspora waren Syrien (Antiochia, Damaskus), Zypern, Griechenland mit Kreta, Rom und die Kyrenaika125. Insgesamt lebten in der Diaspora weitaus mehr Juden als in Palästina, im 1. Jh. n.Chr. ca. 5–6 Millionen Menschen126. Die meisten Juden außerhalb Palästinas lebten in Ägypten, deren Zahl Philo mit rund einer Million angibt127. Die jüdischen Diaspora-Gemeinden hatten eine weitgehende interne Selbstverwaltung, dennoch hing ihr Wohlergehen immer auch vom Wohlwollen der Herrscher und der jeweiligen nichtjüdischen Bevölkerung ab. Grundsätzlich galt auch für die Diaspora das Ziel, nach den ‚Gesetzen der Väter‘ und den jüdischen Sitten zu leben, d.h. speziell die Ehe- und Speisegesetze sowie den Sabbat einzuhalten. Obwohl die Pilgerreisen nach Jerusalem ein wichtiges Band zwischen Palästina und der Diaspora waren, förderte die Entfernung zum Jerusalemer Tempel die Entstehung der Synagoge ( = „Versammlung“) als neuem kulturellen und religiösen Zentrum der jüdischen Gemeinden. Erste Spuren finden sich ab dem 3. Jh. v.Chr. in Ägypten, seit dem 1. Jh. v.Chr. setzte sich die Synagoge auch langsam in Palästina durch128. Die Dominanz der griechischen Sprache und der kulturelle Einfluss des Hellenismus erforderten nicht nur eine Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische (Septuaginta), sondern es entstand mit den jüdisch-hellenistischen Schriften der Diaspora ein eigener Literaturzweig, der sich griechischem Denken teilweise stark öffnete.

Die politische Situation des Judentums um die Zeitenwende

Die Geschichte des Judentums im 1. Jh. vor und im 1. Jh. nach der Zeitenwende lässt sich nur unter Einbeziehung der Auseinandersetzungen um die Hellenisierung im 2. Jh. v.Chr. verstehen. Der Seleukide Antiochius IV. Epiphanes (175–164 v.Chr.) betrieb eine aggressive Hellenisierungspolitik. Er plünderte 169 v.Chr. den Tempel und betrat das Allerheiligste (vgl. 1Makk 1,21–23; 2Makk 5,15f.21); 168 v.Chr. erließ er Religionsedikte, die faktisch ein Verbot der Ausübung der jüdischen Religion darstellten (vgl. 1Makk 1,44–50). Darüber hinaus führte er 167 v.Chr. den Kult des Gottes Zeus Olympos im Jerusalemer Tempel ein (vgl. Dan 9,27; 11,31: ‚Greuel der Verwüstung‘) und ließ auf dem Land überall Altäre aufstellen, an denen jeder der fremden Religion opfern konnte. Ziel des Seleukiden war eine vollständige Hellenisierung und damit Integration Judas in das seleukidische Weltreich.

Makkabäeraufstand und Gruppenbildung

Makkabäer

Gegen diese gewaltsamen Assimilationsbestrebungen bildete sich innerhalb des Judentums eine Opposition. Die Befürworter der Zwangshellenisierung innerhalb des Judentums dürften eine Minderheit gewesen sein, die vor allem in Jerusalem lebte und von der Entwicklung persönlich profitierte129. Die meisten Juden hingegen – insbesondere auf dem Land – standen diesen Hellenisierungsbestrebungen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Von dem Beginn des offenen Widerstandes gegen Antiochius IV berichtet 1Makk 2,15–28, wonach ein jüdischer Priester namens Mattatias aus Eifer für das Gesetz einen anderen Juden erschlug, der ein Opfer vor einem heidnischen Altar darbringen wollte. Zusammen mit ihm erschlug er auch den königlichen Beamten, der sie zum Opfer zwingen wollte und riss den Altar nieder. Danach floh er mit seinen Söhnen in die Berge und organisierte den Widerstand. Bald nach dem Beginn der Erhebung im Jahre 167 v.Chr. starb Mattatias und sein Sohn Judas trat an die Spitze der Bewegung; er wird in 2Makk 5,27 allein als Heerführer erwähnt und erhielt den Beinamen ‚der Makkabäer‘ ()130, nach dem die ganze Bewegung genannt wurde.

Schon bald verbanden sich mit der makkabäischen Bewegung die gesetzestreuen ‚Frommen‘ (gr.: ), von denen es in 1Makk 2,42 heißt: „Damals schloss sich ihnen auch die Gemeinschaft der Hasidäer an, das waren tapfere Männer aus Israel, die alle dem Gesetz treu ergeben waren“ (vgl. 1Makk 7,13; 2Makk 14,6). Die Wendung („Gemeinschaft der Hasidäer“) weist darauf hin, dass diese Gruppe bereits längere Zeit existierte und sich schon vor den Makkabäern gebildet hatte. Ihr dürften Priester und maßgeblich Schreiber/Schriftgelehrte (gr.: ) angehört haben (vgl. 1Makk 7,12f), die vor allem seit der Perserzeit als Überlieferungsträger für die jüdische Identität eintraten und apokalyptische Schriften verfassten, in denen der politische und theologische Protest gegen den Assimilationsdruck durch Großmächte unübersehbar ist (s.u. 3.3.1).

Im Umfeld dieser Bewegung wird zumeist auch der gemeinsame Ursprung von Pharisäern und Essenern vermutet131, denn wie diese zeichneten sich die Hasidäer offenbar durch einen besonderen Toragehorsam und eine entschiedene Abwehr von Überfremdungserscheinungen des jüdischen Glaubens aus132. Josephus scheint diese Interpretation zu bestätigen, denn er erwähnt für die Zeit des in den Kreisen der Toratreuen sehr umstrittenen nicht-zadokidischen Hohepriesters Jonathan (152–143 v.Chr.) die Existenz der drei jüdischen Schulrichtungen der Pharisäer, Sadduzäer und Essener (vgl. Josephus, Antiquitates 13,171–173).

Pharisäer

Konturen gewinnen die Pharisäer133 zur Zeit des Johannes Hyrkan (135/134–104 v.Chr.), wo sie als eine gegen den König eingestellte festgefügte Gruppe erscheinen, die über ein großes Ansehen beim Volk verfügt (vgl. Josephus, Antiquitates 13,288–292). Die Pharisäer verlangten von Hyrkan die Aufgabe des Hohepriesteramtes, möglicherweise weil seine Mutter einmal in Kriegsgefangenschaft geraten war. Hier zeigen sich Übereinstimmungen mit den ursprünglichen Idealen der makkabäischen Bewegung, die zuallererst an einem legitimen Tempelkult und der korrekten Einhaltung der Tora interessiert war. Eine dominierende Stellung nahmen die Pharisäer z. Zt. von Salome Alexandra ein (76–67 v.Chr.), Josephus betont ihren stets wachsenden Einfluss auf die Königin (vgl. Bell 1,110–112). Unter Herodes d. Gr. (40–4 v.Chr.) dürfte der Einfluss der Pharisäer eher geringer gewesen sein134. Josephus gibt ihre Zahl für diese Zeit mit 6000 an (Antiquitates 17,42)135, sie stellten eine einflussreiche Minderheit innerhalb der jüdischen Bevölkerung dar. Gegen Ende der Herodeszeit wandelten sich die Pharisäer von einer politischen Gruppe zu einer Frömmigkeitsbewegung136.

Zeloten

Bedeutsam war die Abspaltung einer radikalen Richtung innerhalb der Pharisäer, die sich selbst im Anschluss an Pinhas (Num 25) und Elia (1Kön 19,9f) Zeloten ( = „die Eiferer“) nannten. Diese Gruppe bildete sich 6 n.Chr. unter Führung des Galiläers Judas von Gamala und des Pharisäers Zadduk (vgl. auch Apg 5,37)137. Die Zeloten zeichneten sich durch eine Verschärfung des ersten Dekaloggebotes, strenge Sabbatpraxis und eine rigorose Einhaltung der Reinheitsgebote aus. Sie strebten eine radikale Theokratie an und lehnten die römische Herrschaft über das jüdische Volk aus religiösen Gründen ab138.

Eine eher entgegengesetzte politische Haltung nahmen die Sadduzäer ein (s.u. 5.4), die vornehmlich aus den aristokratischen Familien Jerusalems stammten und ihre herrschende Stellung im politischen und religiösen System des Judentums (vor allem im Synedrium) durch die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Großmächten zu sichern suchten.

Essener

Wie in der Anfangszeit der Pharisäer spielte auch bei den Essenern die Legitimität des Hohepriesteramtes und damit die Reinheit des Tempelkultes eine entscheidende Rolle. Die Übernahme des Hohepriesteramtes durch den Nichtzadokiden Jonathan im Jahr 152 führte wahrscheinlich zum Eintritt des Lehrers der Gerechtigkeit (als bisherigen Hohepriester) in die schon seit ca. 20 Jahren bestehende Bewegung des ‚Neuen Bundes‘ (vgl. CD I 5–11)139. Diese chassidische Gruppe bildete nun zusammen mit dem Leher der Gerechtigkeit und seinen priesterlichen Anhängern die Essener ( = die Frommen). Diese Entstehungsgeschichte erklärt die für die Essener charakteristische andauernde starke Polemik gegen den aktuellen Tempelkult in Jerusalem. Nach Philo gab es 4000 Essener140, die in Dörfern lebten und die Städte mieden. Andererseits bezeugt Josephus ein Essener-Tor in Jerusalem (Bellum 5,145), das auf einen vornehmlich von Essenern bewohnten Stadtteil hinweist141. Er spricht außerdem davon, dass sich die Essener hinsichtlich der Ehe unterschieden; eine Richtung erlaubte die Heirat, eine andere hingegen lehnte sie ab (vgl. Bellum 2,160). Schließlich weisen die Schriftfunde bei Qumran darauf hin, dass hier in unmittelbarer Nähe zum Toten Meer von ca. 100 v.Chr. – 68 n.Chr. ein geistiges Zentrum der Essener existierte142. Die Essener dürften also keine uniforme Bewegung gewesen sein; auffällig bleibt schließlich, dass sie im Neuen Testament nicht erwähnt werden. Nach den Qumran-Texten vertraten die Essener einen radikalen Toragehorsam (vgl. CD 20,19– 21), der sich mit einem vertieften Sündenverständnis (vgl. 1QH 4,30; 1QS 11,9f) und mit einem elitären Erwählungsbewusstsein verband143. Sie sahen sich als Gegenüber zum (kultisch entweihten) Jerusalemer Tempel, wo der ‚Frevel-Priester‘ regiert (vgl. pHab 8,8–13 u.ö.). Demgegenüber praktizierten die Qumran-Essener den idealen Kultus und widerstanden so als ‚Söhne des Lichtes‘ den über Israel hereingebrochenen endzeitlichen Versuchungen. Dem gnädigen Wirken Gottes in der Endzeit durch die Offenbarung seines Willens bei den Vorherbestimmten, der Gemeinschaft der Qumran-Frommen, entspricht deren vollkommene Ausrichtung an der Tora und ihre Buße für rituelle und ethische Vergehen. Dennoch bedürfen auch die Frommen des Erbarmens Gottes, die Gerechtigkeit Gottes ist seine Bundes- und Gemeinschaftstreue, aus der die Gerechtigkeit des Menschen erwächst (vgl. 1QH 12,35–37).

Hohepriester

Vom Makkabäeraufstand bis hin zum jüdischen Krieg war das Hohepriesteramt ein zentraler Streitpunkt zwischen den Juden und den herrschenden Großmächten, aber auch innerhalb des Judentums. Der Hohepriester war das Oberhaupt der Jerusalemer Priesterschaft (vgl. 1Kön 4,2), er salbte den König (vgl. 2Kön 11,12) und trug die Verantwortung für den Tempelkult. Nach dem Exil verband sich mit der kultischen Stellung ein zunehmender politischer Einfluss als Vorsitzender des Synedriums. Der Hohepriester entsühnte das Volk am Versöhnungstag (Lev 16), er trug ein besonderes Gewand (Ex 28,1–39) und vollzog die Opfer am Räucheraltar (Ex 30,7.10). Die Heiligkeit des Hohepriesteramtes erforderte bestimmte Verhaltensregeln (vgl. Lev 21,10–15), das Amt war erblich (Lev 6,15; Num 20,26ff) und der Inhaber musste Zadokide sein (vgl. 1Chr 5,27–41). Mit Menelaos (vgl. 2Makk 4,23–29; Josephus, Antiquitates 12,237–241) und Alkimos (2Makk 14,3–14; Josephus, Antiquitates 12,382–388) übernahmen während des Makkabäeraufstandes erstmals zwei Nichtzadokiden das zudem auch noch käuflich erworbene Hohepriesteramt. Unter den Hasmonäern lag das Hohepriesteramt ausschließlich in der Hand der Herrscher und wurde aus der Perspektive der Frommen unrechtmäßig ausgeübt. In AssMos 6,1 heißt es über diese Zeit: „Dann werden sich Könige als Herrscher über sie erheben, und man wird sie zu Hohepriestern Gottes berufen; doch sie werden Gottlosigkeit verüben vom Allerheiligsten aus.“ Unter den Römern schließlich wurden das Prinzip der Erblichkeit und der Lebenslänglichkeit des Hohepriesteramtes gänzlich aufgehoben und die Hohepriester allein nach dem Willen der Herrscher (oftmals nur für kurze Zeit) eingesetzt144. Die Diskrepanz zwischen der Idealkonstruktion des Hohepriesteramtes (vgl. Sir 50) und der Wirklichkeit konnte nicht größer sein. Das höchste Amt des Judentums war immer mehr zum Spielball politischer und finanzieller Interessen geworden. Aus der Sicht der toratreuen Juden stellte diese Situation eine andauernde schwere Provokation dar, denn mit unrechtmäßigen Hohepriestern war auch der Jerusalemer Tempelkult illegitim und keine wirkliche Sühne für das Volk möglich.

 

Messianische Gestalten und Bewegungen

Segmentierung des Judentums

Religiöse und politische Erneuerer und Aufwiegler

Die mit dem Makkabäeraufstand voll einsetzende Segmentierung des Judentums in theologisch wie politisch differente Bewegungen prägt die Geschichte des 1. Jh. n.Chr. und ist auch für die Geschichte des frühen Christentums von großer Bedeutung. Nach den Erfolgen der Makkabäerzeit und der relativen Eigenständigkeit unter der Herrschaft der Hasmonäer (ca. 142–63 v.Chr.) geriet der jüdische Staat ab 63. v.Chr. unter römische Tributpflicht. Während vor allem die Herrschaft Herodes d. Gr. (40–4 v.Chr.) Israel noch einmal relative Unabhängigkeit schenkte, führte die Reichsaufteilung unter den Herodessöhnen 4 v.Chr. zu einer Entwicklung, die keineswegs zufällig in den ersten jüdischen Krieg mündete. Im Kontext der Schreckensherrschaft des Archelaos (4 v.Chr. – 6 n.Chr.) und der sich anschließenden Umwandlung Judäas in einen (wichtigen) Teilbereich der römische Provinz Syrien145 kam es nicht nur zur Bildung der zelotischen Bewegung, sondern schon zuvor brachen an vielen Orten Aufstände aus, die vom römischen Befehlshaber Varus146 brutal niedergeschlagen wurden (vgl. Josephus, Bellum 2,55–79). ‚Messianische Propheten‘ wie Simon, Athronges und Judas, der Sohn des Hezekias traten auf147, d.h. lokale Anführer, Erneuerer und Aufrührer, die mit politischen, sozialen und theologischen Begründungen gegen die römische Macht148 aufbegehrten und die Herrschaft anstrebten. Josephus charakterisiert die angespannte Situation zusammenfassend: „So war Judäa voll von Banden, und wer einige antraf, die mit ihm revoltieren wollten, der stellte sich als König an ihre Spitze und beschleunigte so den Untergang des Staates“ (Antiquitates 17,285). Hinter den von Josephus als ‚Räuberbande‘ bezeichneten Gruppen standen messianische und soziale Hoffnungen, die sich auf eine Befreiung von der Römerherrschaft und eine gerechtere Ordnung richteten. Nach PsSal 17,21ff wird der von Gott dem auserwählten Volk gesandte König und Gesalbte nicht nur die Heiden vertreiben, sondern auch über sein Volk in Gerechtigkeit herrschen. Judäa, aber auch Galiläa blieben Unruhegebiete, in denen es immer wieder zu kleinen Aufständen kam. So berichtet Josephus149 von einem samaritanischen Propheten (um 36 n.Chr.) und von dem auch in Apg 5,36 erwähnten Theudas (um 45 n.Chr.).

Auch das Auftreten Johannes des Täufers und Jesu von Nazareth muss in diesem Kontext gesehen werden150. Ihre Erneuerungsbewegungen wurden offensichtlich als politisch gefährlich wahrgenommen. Die Bußpredigt des Täufers (Mk 1,2–8; Mt 3,7– 12par) veranlasste seinen Landesherrn Herodes Antipas (4 v.Chr. − 39 n.Chr.), ihn um 28 n.Chr. aus dem Weg zu schaffen151. Herodes Antipas stellte auch Jesus von Nazareth nach (vgl. Lk 9,7–9; 13,31–33), konnte sich seiner aber nicht bemächtigen. Die Ereignisse in Jerusalem im Jahr 30 zeigen deutlich, dass Jesu Auftreten sowohl von den jüdischen Autoritäten als auch von den Römern als politisch gefährlich eingestuft wurde. Die messianischen Ovationen beim Einzug in Jerusalem (vgl. Mk 11,8–10), die Tempelreinigung und vor allem die Kreuzesinschrift weisen darauf hin, dass Jesus messianische Erwartungen und damit auch Unruhen auslöste. Die Kreuzesinschrift („Der König der Juden“) dürfte weder von Juden noch von Christen stammen und belegen, dass die Römer Jesus von Nazareth als (politischen) Messiasprätendenten hinrichteten152.

Caligula-Krise

Zu einer schweren Krise im Verhältnis zwischen Rom und Jerusalem kam es am Ende der Regierungszeit Caligulas (39/40 n.Chr.). Caligula intensivierte den Herrscherkult und war offenbar nicht mehr bereit, die Sonderstellung der Juden gegenüber dem Kaiserkult zu akzeptieren153. In Alexandria kam es 38/39 n.Chr. zu antijüdischen Pogromen, weil die Juden sich u. a. weigerten, am Kaiserkult teilzunehmen. Daraufhin befahl Caligula dem syrischen Statthalter Petronius, im Tempel von Jerusalem eine goldene Statue des Kaisers als ‚Zeus Epiphanes Neos Gaius‘ aufzustellen (vgl. Josephus, Bellum 2,184–203; Antiquitates 18,261–288; Philo, Legatio ad Gaium 200–207). Philo interpretiert dieses Vorgehen als einen bewussten Krieg gegen das Judentum und lässt keinen Zweifel: „Was Gaius aber veränderte, war keine Kleinigkeit, sondern die größte Ungeheuerlichkeit, der Versuch nämlich, das geschaffene, vergängliche Wesen eines Menschen zum ungeschaffenen, unvergänglichen eines Gottes nach eigenem Belieben umzuformen“ (Legatio ad Gaium 118). Das Vorgehen des Caligula rief den erbitterten Widerstand der Juden hervor, die Petronius mit Erfolg baten, die Durchführung dieses Auftrags zu verzögern (vgl. Philo, Legatio ad Gaium 222–253). Die Ermordung Caligulas führte schließlich dazu, dass seine Statue nicht aufgestellt wurde und so ein offener Krieg zwischen Juden und Römern (vorerst) verhindert werden konnte.

Anhaltende Spannungen

Die kurze Herrschaft des mit Claudius befreundeten Agrippa I. (41–44 n.Chr.) über fast das gesamte Gebiet seines Großvaters Herodes d. Gr. war nur ein kurzes Zwischenspiel, denn nach seinem plötzlichen Tod kam der größte Teil Palästinas wieder unter direkte römische Verwaltung. Die Provokationen der Juden durch die römischen Soldaten und Prokuratoren hielten an, ebenso wuchs die anti-römische Grundstimmung im Vorfeld des jüdischen Krieges154. Das politisch-religiöse Konzept der Heiligkeit und Reinheit Israels war auf Dauer nicht mehr vereinbar mit einer Besatzungsmacht, die ihrerseits politisch-religiöse Ansprüche in Form einer gemäßigten Präsenz des Kaiserkultes erhob155. Unter dem Prokurator Tiberius Alexander (46–48 n.Chr.)156 kam es in Palästina zu einer großen Hungersnot, die für die verarmte Landbevölkerung einer Katastrophe gleichkam. Ausgelöst durch einen Zwischenfall während eines Passa-Festes z. Zt. des Prokurators Ventidus Cumanus (48–52 n.Chr.), ereigneten sich blutige Zusammenstöße in Jerusalem, die den Zeloten viel Zulauf brachten. Josephus berichtet: „Viele verlegten sich aber auf das Räuberhandwerk, weil es ziemlich ungefährlich erschien; über das ganze Land hin ereigneten sich Raubüberfälle und die Wagemutigsten unternahmen sogar offene Empörungsversuche“ (Bellum 2,238f). Unter dem Prokurator Felix (52–60 n.Chr.) verschärfte sich die Situation; unter ihm zerfiel die römische Herrschaft in Palästina, gleichzeitig wuchs der Einfluss der Zeloten weiter. Es kam zu Aufständen, so berichtet Apg 21,38, dass Paulus gefragt wurde: „Bist du nicht der Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufruhr gemacht und 4000 von den Aufrührern in die Wüste hinausgeführt hat?“ Von dem Auftreten eines Ägypters samt seiner großen Anhängerschar berichtet auch Josephus157; Felix schlug diesen Aufstand mit Waffengewalt nieder. Von der antirömischen Stimmung innerhalb des Judentums wurde auch die Jerusalemer Gemeinde betroffen. Die Hinrichtung des Herrenbruders Jakobus um 62 n.Chr. (s.u. 9.1) durch konservative sadduzäische Kreise dürfte damit zu tun haben, dass die Jerusalemer Gemeinde wegen ihrer Verbindung mit den Christen aus griechisch-römischer Tradition nicht mehr als Bestandteil des Judentums angesehen wurde. Unmittelbar vor Ausbruch des Krieges traten Propheten auf, die über Jerusalem Klage anstimmten; so Jesus ben Ananias (zwischen 62–64 n.Chr.), der den Untergang der Stadt ankündigte158.