Iron Man

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4: Die Schule der harten Hiebe

Ich besuchte die Birchfield Road School, eine damals moderne Hauptschule, in der man im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren unterrichtet wurde. Sie lag ungefähr vier Meilen von unserem Haus entfernt. Man konnte mit einem Schulbus dorthin fahren, doch der war oft überfüllt. Außerdem kostete die Fahrt einen Penny, den ich mir lieber sparte, indem ich zu Fuß ging.

In der Schule begegnete ich Albert, meinem ältesten Freund, und Ozzy, der einen Jahrgang unter uns war. Albert lebte in der Nähe der Birchfield Road. Ich besuchte ihn regelmäßig zum Mittagessen. Natürlich kam er auch gelegentlich zu uns. Damals pflegte ich keine großartigen Freundschaften, denn ich durfte nur selten raus. Meine Eltern verboten es mir. Mum und Dad ließen sich von ihrem Kurs nicht abbringen und behandelten mich wie ein rohes Ei. Sie waren fest davon überzeugt, dass ich irgendeinen Scheiß anstellen würde, wenn ich rausginge, und meckerten: „Bring bloß keinen Ärger nach Hause.“

Ich musste mich also damit abfinden, die meiste Zeit in meinem Zimmer zu verbringen. Auch heute stört es mich nicht, allein zu sein. Ich mag die Gesellschaft anderer Menschen, doch sie ist für mich keine zwingende Notwendigkeit.

Meine Eltern sorgten sich nicht umsonst. Von unserem Laden aus konnten wir über die Straße hinweg auf ein paar Reihenhäuser blicken. Daneben lag ein riesiger Schutthaufen. Ich weiß nicht, ob er noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte oder von abgerissenen Häusern, doch wir nannten ihn den „zerbombten Trümmerhaufen“. Dort trafen sich die Gangs aus der ganzen Gegend. Es konnte schnell passieren, dass man die Straße runter ging und von den Halbstarken vermöbelt oder sogar abgestochen wurde. Ich ging gerne und oft spazieren und wurde schnell zu ihrem Lieblingsziel. Deshalb begann ich mit Kraftübungen und stemmte Gewichte. Ich wollte in der Lage sein, mich selbst zu verteidigen. Schließlich nahm ich Judo- und Karateunterricht und zusätzlich Boxstunden. Zuerst wollte ich mich nur besser wehren können, aber schon bald begann mir der Sport Spaß zu machen.

In der Schule hatten Albert und ich eine Gang, die aber nur aus uns beiden bestand. Wir trugen Lederjacken, auf deren Rückseite „The Commanchies“ stand. „The Commanchies“ – das waren wir beide. Die Schulleitung versuchte, uns das Tragen der Jacken zu verbieten, doch ich besaß keine anderen Klamotten, da Mum und Dad sich die verdammte Schuluniform nicht leisten konnten. Ich hätte sie sowieso nicht gerne angezogen! In meinem Kleiderschrank hingen nur die Lederjacke und eine Jeans.

Ich trainierte hart, und Albert war von Natur aus ein stämmiger Typ. Auf dem Schulweg stolzierten wir wie die Hähne, da sich niemand an uns ran traute. Die wussten alle, dass sie eine ganz schöne Naht verpasst bekommen würden. Sogar die älteren Kids ließen uns in Ruhe. In der Schule herrschte das Gesetz der totalen Gewalt. In der Vergangenheit waren dort bereits Schüler abgestochen worden, und so trug ich manchmal ein Messer bei mir. Ich verabscheue Gewalt, aber so lebte man damals als Teenager. Wenn man sich nicht sofort wehrte, stand schon der Nächste da und wollte einem an den Kragen. Ich musste mich dauernd mit jemandem prügeln.

In unserem Viertel herrschte die Aston-Gang, und sie drängte mich, bei ihnen mitzumachen. Ich muss damals etwa 13 gewesen sein, ging einige Male zu dem Trümmerfeld, aber letztendlich wollte ich nichts mit ihnen zu tun haben. Einige von den Typen klauten in unserem Laden, und so verbot sich das von selbst. Ich erwischte sogar einen von der Gang beim Stehlen. Er wohnte nur einige Häuser entfernt. Ich rannte dorthin und versuchte mit aller Macht die Tür einzutreten. Die Gewalt wurde zur einzigen Ausdrucksmöglichkeit, denn man konnte sich mit diesen Kerlen einfach nicht vernünftig unterhalten.

Vielleicht hätte sich die Gang an mir gerächt, doch da ich in der Gegend lebte, ließ sie mich in Ruhe. Sie hatte sowieso genug damit zu tun, die Truppe aus einem benachbarten Viertel zu bekämpfen. Ihre Feinde hatten schon ein Auge auf mich geworfen. Ich war zwar kein Mitglied der Aston-Gang, lebte aber dort und gehörte irgendwie zu ihnen.

Einige Jahre später schlich ich auf dem Weg zur Arbeit durch das feindliche Territorium. Ich ging immer an ihrem Anführer vorbei. Am Morgen war er ganz normal, aber in der Nacht – wenn sich seine ganzen Kumpel um ihn geschart hatten – verwandelte er sich. Der Trick bestand darin, blitzschnell durch die Straße zu rennen, damit ja niemand rauskam und einen entdeckte. Eines Nachts schaffte ich es nicht. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so viel Prügel einstecken müssen. Entweder du verteidigst dich, oder du steigst bei den Typen ein, was ich aber nicht wollte.

Früher hatte ich auf eine Karriere als Boxer gehofft. Vielleicht konnte ich ja Profi in einem Club werden. Ich träumte oft davon, auf einem Podest zu stehen und auf ein Riesenpublikum hinabzuschauen. In meiner Phantasie war ich ein umjubelter Profi-Boxer. Schließlich wurde das alles Realität, doch statt der Boxhandschuhe hielt ich eine Gitarre in den Händen.

Da mich die Schule nicht sonderlich interessierte, fielen meine Noten dementsprechend aus. Nach dem Elternsprechtag kam Mum immer wutentbrannt nach Hause und schimpfte mich aus: „Das ist fürchterlich, eine Schande! Was hast du in deinem Leben bisher erreicht?“

Mich juckte es nicht besonders, was die Lehrer und der Direktor über mich dachten, aber ich fürchtete mich vor der Reaktion meiner Eltern. Sie hassten es, wenn man Ärger machte, und sorgten sich ständig, was die Nachbarn wohl denken würden. Die Leute reden halt. Im Geschäft lief es dann so ab: „Oh, hast du gehört, was ihm oder ihr passiert ist? Die Polizei ist erst vor Kurzem bei ihnen aufgetaucht …!“

Alles drehte sich um den Tratsch. Sie wussten nicht, was außerhalb ihrer kleinen Straße vor sich ging, hatten aber jedes noch so winzige Detail über die Nachbarn parat. Wenn man schlechte Noten mit nach Hause brachte, verbreitete sich das wie ein Lauffeuer.

In der Schule setzten sie Albert und mich auseinander, weil wir ständig den Unterricht störten. Entweder beschossen wir andere Schüler mit Papierkügelchen, quasselten oder stellten sonst was an. Wir wurden oft vom Unterricht ausgeschlossen und mussten vor der Tür warten, bis die Stunde vorbei war. Wenn sie uns beide rausschmissen, stellten sie uns in die gegenüberliegenden Ecken des Flurs. Falls mal der Direktor vorbeikam und uns sah, drohte der Rohrstock. Oder es blühte einem das Nachsitzen, wobei sich die eine Stunde scheinbar in die Unendlichkeit zog.

Der Direktor drosch mit seinem Stock auf die Hände der Schüler ein, oder man musste sich umdrehen, sodass er einem den Hintern mit einem Schuh versohlen konnte. Einer der Lehrer benutzte für diese Folter sogar einen riesigen Zirkel. Natürlich polsterten sich die Schüler ihre Hosen mit Heften aus, aber dort sahen die Pauker vorher immer nach. Die Tortur nannten sie „Sechs Glücksgefühle“, was sechs schmerzhafte Hiebe bedeutete. Sie waren keine Unmenschen, nein, man konnte auswählen: „Wo willst du die Schläge hin haben – auf den Hintern oder die Hand?“

Die bestrafenden Lehrer trugen das dann im so genannten Schwarzen Buch ein. Jedes Mal, wenn sie einen erwischten, schauten sie dort nach. „Was, der letzte Eintrag war erst vor zwei Tagen?“

Ich erinnere mich nur noch an wenige Lehrer. Mister Low unterrichtete Musik. Von ihm lernte ich kaum was, denn in der Schule bedeutete Musik Blockflötenspielen. Es gab damals keine anderen Instrumente, und so mussten wir in die verdammten Dinger blasen. Manchmal denke ich noch an Mister Williams, den Mathelehrer. Das verwundert mich selbst, denn ich ging fast nie zum Unterricht. Ich hasste Mathe, langweilte mich zu Tode und wurde oft vor die Tür gesetzt. Manchmal hatte ich gar nichts angestellt, stand nur auf der Türschwelle, wo mir ein schallendes „Raus!“ entgegen tönte.

Wirklich verrückt. Aber so war das früher nun mal.

5: Aus der Dunkelheit ins trügerische Licht

Dad und seine Brüder spielten Akkordeon. Sie waren eine recht musikalische Familie. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als ein Drumset, hatte aber keinen Platz, um es aufzubauen. Wegen des Lärms hätte ich es auch nicht in unserem winzigen Haus spielen können. Da blieb mir nur die Wahl zischen dem Akkordeon oder gar keinem Instrument. Ich begann damit im Alter von zehn Jahren, und habe immer noch ein Bild von mir und dem verdammten Ding, das bei uns im Hinterhof geschossen wurde.

Wir besaßen damals ein Grammophon, besser gesagt eine Musiktruhe. Es war eine Einheit mit einem Plattenspieler und zwei Lautsprechern. Mir gehörte ein winziges Radio, und da ich fast immer im Zimmer hockte, blieb mir nichts anderes übrig, als Radio zu hören. Ich konnte mich nicht so einfach ins Wohnzimmer setzen, da sich dort die Ware bis unter die Decke stapelte. So lauschte ich meistens der Top 20 oder Radio Luxemburg. In diesem kleinen Zimmer liegen meine musikalischen Wurzeln. Ich hockte vor dem Radio und hörte mir großartige Gitarrenbands wie The Shadows an. Von nun an wollte ich unbedingt Gitarre lernen. Ich liebte den Sound, die ganzen Instrumentals und wusste: So will ich auch spielen können. Schließlich kaufte Mum mir eine Gitarre. In dieser Beziehung war sie sehr großzügig. Sie arbeitete hart und sparte sich so das Geld mühsam zusammen. Für Linkshänder gab es damals aber noch keine große Auswahl: „Eine Linkshändergitarre – was soll denn das sein?“

In einem Katalog entdeckte ich eine elektrische Watkins Rapier. Sie kostete ungefähr 20 Pfund und Mum stotterte sie in wöchentlichen Raten ab. Die Gitarre hatte zwei Pickups und einige kleine Chrom-Potis, die man hochziehen musste, um den Klang zu ändern oder die Tonabnehmer anzusteuern. Mit der Klampfe wurde ein winziger Watkins Westminster-Amp geliefert. Ich schnappte mir einen Lautsprecher aus der Musiktruhe und baute den im Verstärker ein, was aber nicht viel brachte. Glücklicherweise merkten das meine Eltern nicht, denn sie hörten nur selten Musik.

 

Da saß ich nun mit meiner ersten Anlage im Zimmer und begann zu üben. Ich hörte mir die Top 20 an und wartete auf die Shadows, die ich mit einem Mikro und einer uralten Bandmaschine mitschnitt, damit ich zu den Stücken üben konnte. Später verfügte ich über genügend Geld, um mir ein komplettes Album zuzulegen. Ich spielte immer und immer wieder mit den Songs mit. Zwar interessierten mich unterschiedlichste Musikstile, aber die Shadows standen an erster Stelle, weil ich Melodien und strukturierte Kompositionen mochte. Ich versuchte das Gitarrenspiel melodisch auszurichten, da Melodien zu den Grundbausteinen der Musik gehören. Dieser Ansatz stammt aus meinen Anfangstagen, hat sich nicht geändert und ist ein wichtiger Teil meines Songwritings.

Ich mochte zwar die Beatles, doch der Sound von The Shadows und Cliff Richard basierte auf dem Rock’n’Roll, und deshalb gefielen sie mir besser. Natürlich stand auch Elvis auf den vorderen Plätzen, doch er konnte meine Helden nicht übertrumpfen. In Großbritannien war Cliff viel bekannter als Elvis. Möglicherweise beeinflusste das meinen Geschmack. Ich traf Cliff einige Male, traute mich aber nicht, ihm zu verraten, was für ein großer Fan ich war.

Nach der Schule ging ich immer schnell in mein Zimmer und übte einige Stunden lang Gitarre. Ich versuchte mein Bestes, wartete aber vergebens auf Bands, die bei mir anklopften, damit ich bei ihnen einsteige. Bei dem ersten Projekt musste Albert ran. Er sollte singen und ich wollte ihn begleiten. Er war zwar kein Sänger, glaubte aber, dass er es schaffen kann. Alberts Elterhaus war für meine Verhältnisse recht nobel, denn sie hatten zwei Wohnzimmer. Wir stellten uns in den ersten Raum und probten. Aus dem anderen Wohnzimmer hörten wir dann die laute Stimme seines Vaters: „Hört mit dieser Katzenmusik auf! Könnt ihr das nicht irgendwo anders machen?“

Wir konnten nur einen Song, den wir dauernd wiederholten – „Jezebel“ von Frankie Lane. Wir müssen damals ungefähr 13 Jahre alt gewesen sein, und Albert quäkte stimmbrüchig: „If ever the devil was born, without a pair of horns, it was you, Jezebel, it was you“.

So begann also meine Karriere im Musikgeschäft.

Dann tat ich mich mit einem Pianisten und seinem Drummer zusammen. Sie waren viel älter und fragten mich, ob ich mit ihnen in einem Pub auftrete. Ich konnte noch nicht besonders gut spielen, aber es gefiel den beiden. Das Üben mit den Typen machte mich unheimlich nervös, doch ich wollte es unbedingt durchziehen.

Endlich ein Gig! Und sogar in einem Pub!

Vom Gesetz her durfte ich noch nicht Gaststätten besuchen. Trotzdem spielte ich dort die ersten Gigs.

Ron und Joan Woodward wohnten in unserer Straße einige Häuser weiter. Ron besuchte uns oft. Er und Dad quatschten fast jeden Abend und qualmten mit ihren Zigaretten das ganze Zimmer voll. Ron verbrachte mehr Zeit bei uns, als bei sich zu Hause und wurde schnell zu einer Art Adoptivsohn. Er war ungefähr zehn Jahre älter, doch wir schlossen schnell Freundschaft. Ich überredete ihn, sich einen Bass zuzulegen. Nach einigen Übungsstunden machten wir sogar ein paar Gigs, wo wir uns einige Kommentare anhören mussten: „Tja, er ist doch schon ganz schön alt, oder?“

Ich antwortete: „Er ist mein Kumpel und will in der Band spielen!“

So lief das früher – dein Kumpel spielte auch in deiner Band.

„Kann er denn überhaupt spielen?“

„Nein, eher nicht, aber er ist mein Freund.“

Zu unserer Band gehörten außerdem noch ein Rhythmusgitarrist und ein Schlagzeuger. Ungefähr drei Mal in der Woche probten wir in einem Jugendheim. Ich fand das herrlich. Der Entwicklungsschritt von einem einsamen Musiker in seinem stillen Kämmerlein zum Spielen mit anderen Leuten war für mich eine phantastische Erfahrung.

Nigel, der Rhythmusgitarrist, verhielt sich immer ein bisschen großspurig. Bei einer Probe übernahm er den Gesang. Plötzlich klebte das Mikro an seinen Lippen, weil es nicht geerdet war. Er wand sich gekrümmt auf dem Boden, nachdem er einen heftigen elektrischen Schlag abbekommen hatte. Da ihn keiner sonderlich mochte, dachten wir alle, dass er die Schmerzen verdient habe. Schließlich zogen wird doch den Stecker aus der Anlage und er überlebte. Tatsächlich kamen wir nach dem Vorfall mit ihm viel besser klar. Scheinbar bewirkte der Stromstoß auch was Gutes. Doch er blieb nicht lange in der Band, die sich kurz nach seinem Ausstieg auch auflöste.

Ich konnte das Ende der Schulzeit kaum erwarten. Ich hasste die Penne, und die Lehrer hassten mich. Fast jeder verließ die Schule mit 15, bis auf die Leute, die aufs College gingen. 15 Jahre, und das war’s dann mit der Bildung. Ich fühlte mich total erleichtert, begann mich nach einem Job umzusehen und übte noch intensiver. Da ich mich ständig mit der Gitarre beschäftigte, wurde ich schnell besser und setzte mich in kürzester Zeit von Leuten wie Ron Woodward ab. So stieg ich bei den Rockin’ Chevrolets ein, die ich sehr mochte. Das muss 1964 gewesen sein. Für mich waren das schon Vollprofis. Sie konnten Songs der Shadows perfekt nachspielen und hatten auch Rock’n’Roll im Programm, da einige der Musiker diese Ära noch erlebt hatten. Bis dahin hatte ich die Songs von Chuck Berry, Gene Vincent oder Buddy Holly ignoriert, aber jetzt kam ich auf den Geschmack.

Der Sänger Neil Morris war das älteste Mitglied. Neben ihm spielten Dave Whaddley Bass, Pat Pegg Schlagzeug und Alan Meredith Rhythmusgitarre. Damals traf ich Margareth, Alans Schwester. Wir verlobten uns sogar und wollten heiraten. Unsere Beziehung sollte eine längere Zeit überstehen als The Chevrolets.

Ich kann mich nicht erinnern, wie genau ich zu der Band stieß. Wahrscheinlich sah ich eine Anzeige am schwarzen Brett eines Musikgeschäfts. So gestaltete sich mein Leben zu der Zeit – ich hing entweder in einem Musikladen ab oder besuchte die Proben anderer Bands. Dadurch lernte ich immer mehr Leute kennen.

Mum und Dad schmeckte es nicht, dass ich mit diesen Gruppen in den Pubs spielte. Ich musste sogar zu einer bestimmten Uhrzeit wieder zu Hause sein. Doch nach einer kurzen Zeit respektierten sie es, nicht zuletzt weil ich Geld verdiente. Die Rockin’ Chevrolets machten den klugen Schachzug, sich bei meiner Mutter vorzustellen. Die ganze Band kam zu Besuch, und Mum schmierte ihnen Schinkenbrötchen. Jahre später, bei Black Sabbath, lief das nicht anders ab. Sie fragte immer, ob jemand Hunger hatte. Immer. Ja, so eine Mutter war sie.

Langsam, aber sicher bekamen die Rockin’ Chevrolets eine Menge Auftrittsangebote. Wir trugen bei den Gigs alle identische, rote Laméanzüge. Eigentlich besaß ich nicht das Geld, um mir so einen teuren Anzug zu leisten, aber man musste das Spielchen mitmachen. Am Wochenende traten wir in Pubs auf. Einer dieser Pubs lag in einem üblen Stadtteil von Birmingham. Bei jedem verfluchten Auftritt gab es dort eine Schlägerei, für die wir praktisch den Soundtrack lieferten. Manchmal traten wir auch bei einer Hochzeit auf, oder in einem Bürgerhaus vor doppelt so alten Leuten, die meckerten: „Hey, ihr seid viel zu laut!“

Da mittlerweile alles professioneller und ernsthafter geworden war, brauchte ich eine bessere Gitarre. Burns gehörte zu den wenigen Firmen, die Linkshändermodelle fertigten, und so fiel meine Wahl auf eine Burns Trisonic. Sie zeichnete sich durch die „Trisonic Sound“-Schaltung aus, was auch immer das sein sollte. Ich spielte sie nur so lange, bis ich endlich eine Fender Stratocaster für Linkshänder fand. Als Verstärker benutzte ich einen Selmer mit eingebautem Echo.

Die Rockin’ Chevrolets mussten sich auflösen, denn sie hatten Alan Meredith rausgeworfen, ohne den aber nichts lief. The Birds & The Bees waren die nächste größere Band. Ich spielte vor und bekam den Job. Sie hatten sich schon in der Profi-Liga etabliert. Das Auftragsbuch war prall gefüllt. Sogar eine Europa-Tournee stand bevor. Die Entscheidung fiel leicht – ich wollte Profi werden und hing dafür den Tagesjob an den Nagel. Zu der Zeit malochte ich als Schweißer in einer Fabrik. Am letzten Arbeitstag, einem Freitag, erzählte ich meiner Mutter in der Mittagspause, dass ich auf die letzten Stunden pfeife. Sie bedrängte mich aber, den Job anständig abzuschließen. Was ich auch tat. Ich ging zurück zur Arbeit. Und dann zerfiel meine ganze Welt zu einem Scherbenhaufen.

6: Autsch!

Wie ich schon sagte, passierte es am letzten Arbeitstag. Eine Frau musste an einer Stanze Metallbleche verformen und ich schweißte sie dann aneinander. An jenem Freitag kam sie nicht zur Arbeit. Da ich nichts anderes zu tun hatte, stellten sie mich an die Stanze. Ich hatte bislang noch nie an der Maschine gearbeitet und wusste nicht, wie man sie bediente. Das Monster glich einer überdimensionalen Guillotine, die durch ein Fußpedal angesteuert wurde. Man schob also das Blech da rein, trat auf das Pedal, und schon kam das Stanzwerkzeug mit einem ohrenbetäubenden Knall runter und bog das Metall.

Am Morgen lief alles prima. Als ich aus der Mittagspause zurückkam, betätigte ich den Fußschalter und die Presse quetschte meine mittleren Finger ein. Reflexartig zog ich schnell die Hand zurück und riss mir dabei die zwei Finger ab. Streck mal deine Hand aus und stell dir eine Linie zwischen den Fingerkuppen des kleinen und des Zeigefingers vor. Der überstehende Teil vom Mittel- und Ringfinger wurden abgetrennt. Aus der blutigen Masse stachen die Knochen hervor. Ich dachte, ich träume. Überall war Blut. Ich stand so sehr unter Schock, dass ich zuerst gar keine Schmerzen spürte.

Man brachte mich ins Krankenhaus, aber anstatt etwas gegen die Blutungen zu unternehmen, steckte man meine Hand einfach in eine Plastiktüte. Sie füllte sich schnell mit Blut. Ich bekam Panik. Wenn mir keiner zu Hilfe eilte, würde ich verbluten.

Ein wenig später brachte jemand die abgetrennten Fingerstummel ins Hospital – in einer Streichholzschachtel. Sie hatten sich schon schwarz verfärbt und konnten demzufolge nicht mehr angenäht werden. Schließlich entnahmen sie Gewebe vom Arm, legten es über die verletzten Kuppen und nähten es an. Da ich beide Fingernägel verloren hatte, entnahmen sie faseriges Hautmaterial von einer gesunden Nagelwurzel, in der Hoffnung, dass vielleicht ein kleiner Fingernagel wachsen würde. Dann modellierten sie die Kuppen mit Hautgewebe und vernähten die Wunde.

Ich hockte zu Hause und fiel in eine tiefe Depression. Das war’s also: Ende, Schluss, aus! Die Realisierung dieses Schicksalsschlags fiel mir verdammt schwer. Ich war gerade bei einer tollen Band mit einer viel versprechenden Zukunft eingestiegen und wurde am allerletzten Arbeitstag zum lebenslangen Krüppel. Der Manager der Fabrik, ein älterer, glatzköpfiger Mann mit einem dünnen Schnurrbart namens Brian, besuchte mich einige Male. Er merkte, wie tief ich in einem schwarzen Loch steckte. Eines Tages brachte er mir eine EP mit und sagte: „Leg die mal auf.“

Ich antwortete: „Nein, das will ich wirklich nicht.“

Jetzt Musik zu hören, war sicherlich kein geeigneter Weg, um meine Stimmung aufzuheitern.

Mit sanfter Stimme drängte er mich: „Du solltest es aber hören, denn ich will dir eine interessante Geschichte erzählen. Der Typ spielt mit nur zwei Fingern Gitarre.“

Es war der überragende, in Belgien geborene Jazz-Gitarrist Django Reinhardt, und verdammt noch mal – sein Spiel überwältigte mich. Wenn er das geschafft hat, werde ich es auf jeden Fall versuchen. Brian hatte sich Sorgen gemacht und mit seinem Geschenk viel Mitgefühl bewiesen. Ich weiß nicht, wo ich ohne ihn gelandet wäre. Nachdem ich die Musik gehört hatte, war ich fest entschlossen, etwas aus mir zu machen, statt Trübsal zu blasen.

Die zwei Finger steckten immer noch in dem Verband, und so versuchte ich mit dem kleinen und dem Zeigefinger zu üben, was sich als ziemlich frustrierend herausstellte. Wenn man erst mal auf einem bestimmten spielerischen Niveau angelangt ist, ist es verdammt hart, wieder von vorn zu beginnen.

Vielleicht sollte ich die Gitarre umdrehen und als Rechtshänder spielen? Im Nachhinein wäre das vielleicht eine praktikable Alternative gewesen. Doch damals befürchtete ich, bei einem Wechsel der Griffhand die gleiche Zeit zu benötigen, die ich schon ins Instrument investiert hatte. So entschloss ich mich, als Linkshänder weiterzumachen. Ich biss mich durch, obwohl mir die Ärzte abrieten: „Es ist besser für dich, aufzuhören. Such dir einen neuen Job, mach was anderes.“

 

Aber zum Teufel noch mal, es musste doch irgendwie klappen.

Ich dachte darüber nach und kam auf die Idee, über die Finger eine Art Kappe zu stülpen. Schnell schnappte ich mir eine Flasche Fairy Liquid, schmolz sie, rollte die zähflüssige Plastikmasse zu einem Ball zusammen und wartete, bis sie sich abgekühlt hatte. Mit einem glühenden Stahlstab brannte ich ein Loch von der Größe meines Fingers in ihn rein. Die scharfen Kanten entfernte ich mit einem Messer, anschließend bearbeitete ich das Stück stundenlang mit Schmirgelpapier, bis es glatt genug war und einem Fingerhut ähnelte. Ich steckte das Ding auf einen Finger und versuchte damit Gitarre zu spielen, doch es fühlte sich nicht gut an. Das Plastik rutschte immer von den Saiten ab. Da die Wunden noch nicht richtig verheilt waren, tat es auch höllisch weh. Ich musste mir ein anderes Material suchen und versuchte es mit hartem Stoff, der natürlich schnell zerriss. Als nächstes kamen verschiedene Lederstärken an die Reihe, was auch nicht funktionierte. Glücklicherweise fand ich eine uralte Lederjacke, aus der ich ein hartes Stück trennte. Ich formte es so, dass es auf den Plastik-Fingerhut passte, und klebte es fest. Nachdem es getrocknet war, probierte ich die neue Prothese und – verdammt noch mal – ich konnte die Saiten gut treffen. Ich schliff das Leder mit feinem Papier und rieb es an einer harten Oberfläche, damit sich die Poren schlossen und es sich nicht zu schnell am Griffbrett verfing. Es musste so beschaffen sein, dass ich mühelos die Saiten rauf und runter rutschen konnte.

Trotz der Fingerhüte tat es noch weh. Auf der Kuppe meines Mittelfingers sieht man eine kleine Wölbung, unter der sich direkt der Knochen befindet. Ich muss immer höllisch aufpassen, denn wenn die Prothese abfällt und ich mit voller Wucht in die Saiten greife, platzt die Haut auf. Meine ersten künstlichen Fingerkuppen fielen ständig runter. Das entwickelte sich zu einem leidigen Problem. Der Roadie musste oft auf der Bühne herumkriechen und fluchte: „Wo ist das Scheißding denn hin?“

Jedes Mal, wenn ich die Bühne betrete, wickele ich mir medizinisches Pflaster um die beiden Finger, streiche ein wenig Sekundenkleber darauf und stecke dann die Prothesen auf. Natürlich muss ich mir das jeden Abend wieder abreißen.

Ich verlor die „Fingerhütchen“ nur einige Male. Auf einer Tournee lebe ich mit diesen Dingern und trage sie immer bei mir. Natürlich besitze ich ein Ersatz-Set und auch mein Gitarrentechniker hält ein Paar bereit.

Mit den Teilen unbehelligt durch den Zoll zu kommen, ist ein anderes Thema. Ich bewahre sie in einer kleinen Schachtel auf. Bei einer Kontrolle höre ich oft den Spruch: „Na, was haben wir denn hier? Etwa Drogen?“

Und dann – was für ein Schock – sind es Finger! Ich musste es dem Zollpersonal schon mehrmals erklären, woraufhin die Antwort immer lautete: „Igitt!“

Mit angewiderter Miene legen sie den Fingerersatz wieder in das Schächtelchen.

Die Fingerhüte werden heutzutage in der orthopädischen Abteilung eines Krankenhauses hergestellt. Sie fertigen dafür einen kompletten Arm an, von dem die Fingerspitzen abgeschnitten werden. Als ich nachfragte, warum nicht nur die Finger produziert werden, meinten sie: „Viel zu kompliziert. Es ist viel leichter einen ganzen Arm zu gießen.“

Da kann man sich gut vorstellen, wie sich der Müllmann fühlt, der den „Restarm“ in der Tonne findet. Meine heutigen Prothesen sehen wie richtige Finger aus. Ich muss sie nicht mehr aus Leder herstellen, sondern kann sie direkt benutzen. Manchmal sind sie ein wenig zu weich, aber nach einiger Zeit an der frischen Luft härten sie nach. Ein wenig Sekundenkleber kann wahre Wunder wirken. Das einzige Problem liegt im Feinschliff, denn der kostet mich verdammt viel Zeit.

Meine Eigenanfertigungen von damals nutzten sich schnell ab, doch die heutigen Fingerhütchen sind beständiger geworden, bis auf das Leder, das sich durchscheuert. Jedes Prothesen-Set hält mindestens einen Monat, auf Tour vielleicht nur zwei Wochen. Wenn die Abnutzung beginnt, muss die ganze Prozedur wiederholt werden. Ich gebe immer noch die Vorlage in die Klinik, mit der ich vor über 40 Jahren begann. Sie ist zwar schon ganz schön abgenutzt, sollte aber noch einige Jährchen halten. Obwohl der Fingerersatz recht primitiv ist, funktioniert er einwandfrei. Entweder man gibt auf, oder beginnt den Kampf und arbeitet damit. Es ist eine harte Arbeit, denn nicht nur die Herstellung wird jedes Mal kompliziert, auch das Spiel mit Prothesen ist nicht einfach, denn das Gefühl fehlt. Ich muss ständig üben, um die Feinmotorik zu beherrschen.

Ein Charakteristikum meines Sounds liegt beim bevorzugten Spiel mit den beiden gesunden Fingern. Ich baue Akkorde mit dem kleinen und dem Zeigefinger auf und moduliere sie durch ein Vibrato. Die verkrüppelten Finger setze ich vornehmlich bei den Soli ein. Beim Saitenziehen, das viel Kraft erfordert, habe ich gelernt, den ersten und vierten Finger zu benutzen. Mit dem Mittel- und Ringfinger kann ich eine Saite nämlich nur leicht nach oben drücken. Vor dem Unfall benutzte ich nie den kleinen Finger, und somit musste ich mich extrem umstellen. Trotzdem ist meine Spieltechnik beschränkt, denn mit den Fingerhütchen werde ich bestimmte Akkorde niemals greifen können. Früher waren Barré-Akkorde kein Problem. Jetzt kann ich einige nicht mehr spielen, und muss mir Alternativen einfallen lassen, um einen voluminöseren Klang zu kreieren. Zum Beispiel schlage ich einen E-Akkord an und spiele die Note E mit einem leichten Vibrato, damit es voller klingt. Das ist quasi ein Ersatz für einen vollständigen Griff. Ich entwickelte einen individuellen Stil, passend zu meinen physischen Beschränkungen. Er ist recht unorthodox, funktioniert aber.