Schlachtbank Düppel: 18. April 1864.

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Schlachtbank Düppel: 18. April 1864.
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Tom Buk-Swienty

Schlachtbank Düppel

Tom Buk-Swienty

SCHLACHTBANK DÜPPEL

18. April 1864

Die Geschichte einer Schlacht

Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg


Titel der dänischen Originalausgabe:

Slagtebænk Dybbøl

© Tom Buk-Swienty og Gyldendal 2008

Die Übersetzung wurde gefördert

vom Statens Kunstråds Litteraturudvalg.


Alle Rechte der deutschen Ausgabe

© Osburg Verlag Berlin 2011

www.osburgverlag.de

Lektorat: Bernd Henninger, Heidelberg

Herstellung: Prill Partners producing, Berlin

Umschlaggestaltung: Toreros, Lüneburg

Satz: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN Print: 978-3-940731-72-2

ISBN E-Book: 978-3-955101-01-5

Für meine Eltern, die mich gelehrt haben,

dass man in diesem Leben

seine Schlachten schlagen muss.

Die Schlacht war von einer eigentümlichen Schönheit. Im Osten sah man, wie die Strahlen der Morgensonne ihren Glanz über die Anhöhe von Düppel warfen. Entlang des Sunds stiegen rechts gewaltige Rauchsäulen von den brennenden Hütten bei Ulkebøl Vestermark senkrecht in den Himmel. Auf der linken Seite sah man die Uferböschungen des Vemmingsbund eingehüllt in den Nebel der schneeweißen Explosionswolken, die unablässig von den Batterien auf Broager ausgespuckt wurden. Am Fuß des Hügels blitzte konstant ein Flammengürtel auf; der klare, blaue Himmel und das ruhige, dunkelblaue Meer rahmten dieses Bild von Flammen und Rauch ein, das einen grandiosen Anblick bot. Der Lärm war furchteinflößend, ohrenbetäubender, als ich es jemals gehört hatte.

Edward Dicey, britischer Kriegskorrespondent,

Düppel, 18. April 1864

INHALTSVERZEICHNIS

Personengalerie

Vorwort

Einleitung: Der Veteran

Teil 1 Der Tag davor

1. Düppel, Sonntag, 17. April 1864

2. Der Ausgewählte

3. Der Schlachtplan

4. Schlachtbank Düppel

5. Das Panzerschiff

6. Der Kriegskorrespondent

7. Der kranke General

8. Der Gesandte des Roten Kreuzes

9. An der Front

10. Ein letzter Brief

11. Wachablösung

12. Die Verdammten

13. Der schlaflose Dichter

Teil 2 Der Weg nach Düppel

14. Die Handschuhe werden geworfen

15. Dänemarks Krieg

16. Nationalromantik

17. Der Eiserne Kanzler

18. Der tote König

19. Thyras Wall

20. Die ersten Tage

21. Der Leichenzug

22. Sankelmark

23. Der Sündenbock

Teil 3 Die Belagerung

24. Ströme vom Blut

25. Der Beschuss

26. Die letzte Woche

Teil 4 Die Entscheidung

27. Nacht

28. Die letzte Stunde

29. Der Augenblick

30. Die linke Flanke

31. Der Gegenstoß

32. Verbrannte Brücken

Teil 5 Das Feld der Ehre

33. Die Toten

34. Die Sterbenden

35. Die Gefangenen

36. Berlin

37. Das Geisterschiff

Epilog: Nachwirkungen

Danksagung

Ein Wort zu den Zitaten

Quellenmaterial und Archive

Literaturverzeichnis

PERSONENGALERIE

In diesem Bericht tritt eine Vielzahl von Personen auf. Vielen begegnen wir nur flüchtig – vielleicht nur in einer Passage, in der diese Person von einer Begebenheit des Krieges berichtet oder einen Augenzeugenbericht liefert. Andere lernen wir näher kennen, mit ihnen ziehen wir nach Düppel, in die Schlacht am 18. April 1864. Wir hören von ihren Gedanken und ihren Gefühlen, wir sehen mit ihren Augen und fühlen mit ihren Sinnen. Einigen Personen folgen wir durch das ganze Buch. Manchen bis in den Tod. Hier nun einige kurze biografische Skizzen der Männer, deren persönliche Geschichten ein wichtiger Bestandteil dieser Geschichte sind:

OTTO VON BISMARCK, 49 JAHRE:

Preußischer Ministerpräsident, Außenminister und engster Ratgeber König Wilhelms I. Sein Interesse galt der Stärkung und Bewahrung der Königsmacht, der konservativen Kräfte und des Militärs. Den Krieg des Deutschen Bundes gegen Dänemark, dessen Ausbruch er befördert hatte, sah Bismarck als Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.

J. BUBBE, ALTER UNBEKANNT:

Gemeiner preußischer Soldat des 24. Regiments. Teilnehmer der Sturmkolonne 5, die am 18. April die Schanze 5 angreifen sollte. Nahm außerdem an den Kämpfen bei Missunde am 2. Februar 1864 teil und wurde danach mit seinem Regiment am 17. März in das Dorf Düppel verlegt – in der Endphase der heftigen Kämpfe, die an diesem Tag dort stattfinden sollten.

C. BUNGE, ALTER UNBEKANNT:

Hauptmann des 11. preußischen Regiments und Teilnehmer der zweiten Angriffslinie am 18. April. Mit seinen Männern rückt er bis zur Schanze 2 vor, geht weiter bis zur zweiten Verteidigungslinie und stößt dort auf die dänische 8. Brigade. Teilnehmer im Kampf bei Missunde am 2. Februar und beim Angriff in der Nacht auf den 14. April 1864, bei dem das letzte Stück Niemandsland vor den Schanzen erobert wird.

EDWARD DICEY, 32 JAHRE:

Britischer Kriegskorrespondent des Daily Telegraph. Er sucht das Abenteuer, schrieb als Kriegskorrespondent über den amerikanischen Bürgerkrieg und zögert nicht, nach Dänemark zu reisen, um über den dänisch-deutschen Krieg 1864 zu berichten. Sympathisiert mit dem dänischen Heer. Wie alle Beteiligten in Düppel und auf der Insel Alsen ist er über die Gewalt an der Front erschüttert, seine Reportagen sind geprägt von dem alltäglichen Grauen, dessen Zeuge er wird.

WILHELM DINESEN, 18 JAHRE:

Dänischer Unterleutnant des 9. Regiments (und der 8. Brigade), einer der jüngsten Offiziere des dänischen Heeres. Teilnehmer des selbstmörderischen Gegenangriffs der 8. Brigade beim Sturm der Preußen auf die Schanzen am 18. April. Kommt am 14. April 1864 in Düppel an.

 

WILHELM GATHER, 26 JAHRE:

Gemeiner Soldat des 4. preußischen Garderegiments, 4. Kompanie. Am 16. April wird er der 6. Sturmkolonne zugeteilt, die am 18. April Schanze 5 stürmen soll. Geboren und aufgewachsen in der preußischen Rheinprovinz. Gather hasst den Krieg und das Soldatenleben und träumt nur davon, auf den elterlichen Hof zurückkehren zu können. Fürchtet ständig um sein Leben.

GEORG DANIEL GERLACH, 65 JAHRE:

Generaloberst der dänischen Armee, nachdem der ehemalige General de Meza entlassen wurde. Gerlach ist nicht an der Sitzung des Kriegsrats beteiligt, auf der beschlossen wird, die dänischen Truppen vom Dane werk abzuziehen. Weil er für den Rückzug nicht mitverantwortlich zu machen ist, wird er am 29. Februar 1864 zum Generaloberst ernannt. Gerlach ist kein starker Führer.

PETER VILHELM GROVE, 31 JAHRE:

Kriegskorrespondent des dänischen Dagbladet. Folgt dem dänischen Heer vom Danewerk nach Düppel, schreibt mitreißend und mit Einfühlungsvermögen. Dänemarks erster moderner Kriegskorrespondent.

PRINZ FRIEDRICH KARL VON PREUSSEN, 37 JAHRE:

Bei Ausbruch des Krieges Oberbefehlshaber des 1. preußischen Armeekorps und ab März Oberbefehlshaber der Truppen bei Düppel. Ein unentschlossener und wankelmütiger Anführer – allerdings wächst sein Mut ab Mitte April, als die dänischen Stellungen durch den preußischen Granatenbeschuss stark beschädigt sind. Der Stratege hinter dem Sturm auf die Düppeler Schanzen.

NIELS CHR. LARSEN, 30 JAHRE:

Landwehrmann und Infanterist des 22. dänischen Regiments. Er hat eine vielversprechende Zukunft als Müller in Hellum/Nordjütland vor sich; verheiratet mit Inger Marie, die beiden haben einen Sohn und eine neugeborene Tochter. Larsen kommt am 17. April 1864 in die Schanzen, wo er beim preußischen Angriff in der vordersten Linie liegt.

JOHAN PETER LARSSEN, 42 JAHRE:

Artilleriekanonier der 4. dänischen Verstärkungskompanie. Der älteste gemeine Soldat des Heeres. Kapitän eines Feuerschiffs, den die schwierige Lage der Dänen bei Düppel so aufwühlte, dass er sich im April 1864 freiwillig an die Front meldet.

CARL CHRISTIAN LUNDBYE, 51 JAHRE:

Dänemarks Kriegsminister. Ausgebildeter Artillerieoffizier und aktiv im Feld während des dreijährigen Krieges zwischen Dänemark und Deutschland 1848–1851. Als der Krieg 1864 ausbricht, erweist er sich als ein pedantischer und ruhmsüchtiger Schreibtischgeneral, dem das Verständnis für die tatsächlichen Verhältnisse an der Front fehlt und der sich in den falschen Momenten einmischt. Entlässt de Meza als Generaloberst, nachdem der die Truppen vom Danewerk abgezogen hat.

GENERAL CHRISTIAN JULIUS DE MEZA, 72 JAHRE:

Generaloberst bei Kriegsausbruch. Ein älterer exzentrischer, aber kompetenter und entschlossener Heerführer. Obwohl er weiß, dass diese Entscheidung in Kopenhagen auf Unverständnis stoßen wird, lässt er das dänische Heer vom Danewerk abziehen, da er fürchtet, dass es vom Feind überrannt wird.

DITLEV GOTHARD MONRAD, 52 JAHRE:

Dänemarks Konseilpräsident (Ministerpräsident). Nationalliberaler Politiker, Bischof und einer der führenden Köpfe bei der Ausarbeitung des dänischen Grundgesetzes von 1849. Bekannt für seinen außerordentlich großen Arbeitseinsatz, aber gleichzeitig bei Kriegsausbruch psychisch geschwächt. Er hat keinerlei Kenntnisse von den Verhältnissen an der Front bei Düppel und erwartet, dass das dänische Heer die Stellung hält.

RASMUS NELLEMANN, 34 JAHRE:

Korporal des 2. dänischen Regiments. Gutsverwalter bei Frijsenborg in der Nähe von Hammel bei Århus. Familienvater und nur notgedrungen Teilnehmer des Krieges, über dessen Schrecken er in seinen Briefen berichtet. Am 17. April wird er in die Laufgräben bei Schanze 2 verlegt, in denen er sich dann auch befindet, als der Sturm auf die Schanzen beginnt.

PETER HENRIK CLAUDE DU PLAT, 54 JAHRE:

General und Anführer der 2. Division des dänischen Heeres bei Düppel. Gentleman-Offizier: gut ausgebildet, gebildet, rechtschaffen, loyal und mutig. Am 16. April 1864 bietet er Generaloberst Gerlach an, die Verantwortung für einen Rückzug des dänischen Heers zu übernehmen. Gerlach lehnt ab.

ERNST SCHAU, 41 JAHRE:

Major und Offizier in General du Plats Stab. Bekannt als kompetenter Offizier. Hat heftige Vorahnungen, dass er den Krieg nicht überleben wird. Schreibt täglich einen Brief an seine geliebte Frau Friede. Hält sich in Düppel auf, als der Sturm auf die Schanzen losbricht.

CHARLES VAN DE VELDE, 46 JAHRE:

Entsandter des Roten Kreuzes, Beobachter des Krieges von 1864. Sein Kollege Louis Appia ist Beobachter auf der preußischen Seite der Front, während van de Velde sich bei den Dänen auf Alsen aufhält. Ein sensibler Mann und Hypochonder, dessen Nerven nur schwer ertragen, was er bei Düppel zu sehen bekommt.


Abb. 1: Die Düppeler Mühle, fotografiert am 19. April 1864.

VORWORT

Viele der Teilnehmer, die später die Schlacht an den Düppeler Schanzen am 18. April 1864 beschrieben, konnten sich ebenso genau an das Wetter erinnern wie an das Kampfgetümmel, die Granatexplosionen, die Verstümmelten, die Schreie, die Leichen, die blutverschmierten Verwundeten und die aufgerissene Erde. Sie erinnern sich verblüffend gut an den Duft des Frühjahrs. Ein gewaltiger Mond hatte in dieser milden und windstillen Nacht zum 18. April am Himmel gestanden. Und als die Sonne sich bei Tagesanbruch zeigte, geschah dies bei wolkenlosem Himmel über den geschwungenen Hügelkämmen, den sanften Buchten und dem glänzenden Meer von Düppel, Alsen und Sundeved, die man von beinahe jedem Punkt in der Landschaft aus sehen kann.

Die Soldaten hörten auch den Gesang der Lerchen, und das ist das Unglaublichste an ihren Erinnerungen. Die ganze Nacht über, bis weit in den Vormittag hinein, hatte der bis dahin intensivste Beschuss der Kriegsgeschichte stattgefunden. Achttausend Granaten explodierten zwischen den in Schanzen, Schützenlöchern und Laufgräben eingegrabenen dänischen Soldaten. Die Landschaft, die von den Dänen passenderweise Schlachtbank Düppel getauft worden war, bebte, der Lärm war infernalisch.

Dennoch gab es zahlreiche Soldaten, dänische wie deutsche, die später schworen, Lerchengesang gehört zu haben – trotz der Explosionen, trotz der unablässigen Gewehrsalven. Und vor allem hatten sie den Gesang in dem Moment gehört, als die Kanonen exakt um zehn Uhr vormittags schwiegen. In diesem Moment wurde die Hölle entfacht, der Sturm auf die dänischen Stellungen begann.

Vielleicht haben die Lerchen nur in den Köpfen der Soldaten gesungen, als Ausdruck ihrer noch immer vorhandenen Menschlichkeit, die sich nach Leben sehnte und die Gewalt derart destruktiver Kräfte nicht akzeptieren mochte. Vielleicht handelte es sich auch um eine Art von höherem göttlichem Gleichgewicht: Wo es zu Grausamkeiten kommt, gibt es auch eine entsprechende Schönheit. Nachdenklich stimmt in jedem Fall, dass auch viele Veteranen einer der größten und blutigsten Schlachten der Weltgeschichte – der Schlacht an der Somme am 1. Juli 1916 – berichteten, dass sie direkt vor dem Angriff die Vögel singen hörten oder sich daran erinnerten, wie ungewöhnlich schön das Wetter an diesem Tag gewesen war. Auch der 11. September 2001 war in New York ein so durchsichtig klarer und schöner Tag, dass man meinen könnte, Engel wären im Spiel gewesen.

Der 18. April 1864 war kein himmlischer Tag. Es war ein höllischer Tag. Für die deutsche Seite ist es sicherlich ein Tag des großen Triumphs gewesen, doch auch auf der Seite der Sieger hatte es Angst gegeben: das Adrenalin der Furcht, das Röcheln der Sterbenden, Verstümmelungen und überfüllte Lazarette.

Für die andere Seite war der Tag eine Menschenschlächterei, wie es sie in der dänischen Geschichte noch nie gegeben hatte. Niemals waren dänische Truppen in einen so rasenden – und hoffnungslosen – Kampf geschickt worden. Natürlich hatte es in der Geschichte des dänischen Königreichs große Schlachten gegeben. Die Schlacht an der Kopenhagener Reede am 2. April 1801 war aus dänischer Sicht ausgesprochen blutig und heftig gewesen. Die Schlacht bei Isted am 24. und 25. Juli 1850 gegen die schleswig-holsteinischen Aufständischen oder – je nach Standpunkt – Freiheitskämpfer war die bis dahin größte Schlacht in der Geschichte des Nordens. Doch am 18. April 1864 kämpfte man gegen einen Gegner, dem an den meisten Frontabschnitten viermal so viele Soldaten zur Verfügung standen. An Intensität und Verlusten pro Einheit gibt es aus dänischer Sicht nichts, was sich mit dem 18. April 1864 messen kann. Ganze Kompanien wurden ausgelöscht, ganze Regimenter aufgelöst.

Drei Brigaden waren todgeweiht, als sie am Abend des 17. April ihre Positionen im Niemandsland von Düppel bezogen, und gut die Hälfte der insgesamt 12000 dänischen Soldaten, die sich in der eigentlichen Kampfzone befanden (weitere 15000 lagen auf der Insel Alsen als Reserve), kam am 18. April nicht zurück nach Alsen. Sie standen annähernd 40000 Angreifern gegenüber.

Der 18. April hat eine große historische Bedeutung, nicht nur, weil es ein makabrer Tag war, der Tausende von Familien in Trauer stürzte. Für Dänemark bedeutete dieser Tag den Anfang vom Ende des dänischen Gesamtstaats – der Tag wurde zum Inbegriff des Niederlagenkomplexes, der bis heute den nationalen Charakter Dänemarks beeinflusst. Man mag diskutieren, ob Dänemark, das 2003 mit großem Getöse in den Irak-Krieg zog, nicht allmählich den Schatten von 1864 hinter sich gelassen hat. Aber es ist unbestritten, dass sich Dänemark kurz nach dem 18. April in einen Kleinstaat verwandelt sah – in eine Mikroeinheit, die auf der europäischen Bühne machtpolitisch ohne Bedeutung war.

Das Gegenteil geschah in Deutschland – das heißt, Deutschland im heutigen Sinn gab es 1864 noch nicht, sondern lediglich einen lockeren Verbund von neununddreißig kleinen und größeren Staaten, in dem Preußen mit Österreich um den größten Einfluss kämpfte. König Wilhelm I. und vor allem der preußische Ministerpräsident und spätere Kanzler Otto von Bismarck träumten von einem vereinten deutschen Reich unter der Führung Berlins. Es waren gewagte Ambitionen, denn in Preußen gab es einflussreiche Kräfte von demokratischer Gesinnung, die einem Krieg skeptisch gegenüberstanden. 1864 war Preußen geprägt von seinem eigenen Niederlagenkomplex aus den Napoleonischen Kriegen. Napoleons nachhaltige Siege bei Jena und Auerstedt 1806 hatten das Selbstvertrauen der preußischen Militärs erschüttert und Selbstzweifel gesät, obwohl das preußische Heer an den Siegen über Napoleon bei Leipzig 1813 und Waterloo 1815 beteiligt gewesen war.

Auf preußischer Seite war man sich 1864 keineswegs so sicher, Dänemark besiegen zu können, wie es in der historischen Rückschau gewöhnlich dargestellt wird. Als der Krieg ausbrach, war Dänemark kein Kleinstaat – und die Dänen galten in weiten deutschen Kreisen als widerborstige Unterdrücker der deutschen Freiheit in den Herzogtümern Schleswig und Holstein. Viele Deutsche sprachen mit ebenso viel Verachtung wie Furcht über ›Das Dänenthum‹, das heißt, die Unterdrückung von Deutschen durch die Dänen. Rein militärstrategisch wurden die dänischen Verteidigungsanlagen – zunächst das Danewerk, später die Düppeler Schanzen – als mächtige Bastionen angesehen. Zumal die militärische Bewegungsfreiheit der Preußen durch die erhebliche Überlegenheit der Dänen zur See behindert wurde. Ministerpräsident Bismarck, König Wilhelm I. und die Generäle waren der Ansicht, dass es eine nationale und militärische Katastrophe wäre, wenn die entscheidende Schlacht bei Düppel nicht gewonnen würde. Sollte es nicht gelingen, könnten sich ihre Pläne von Preußen als dominierender Macht im Deutschen Bund – und in Europa – leicht in Luft auflösen.

So gesehen stand für die Gegner der Dänen alles auf dem Spiel. Als der Sieg bei Düppel nach einer langen und verlustreichen Belagerung endlich errungen wurde, löste er in Berlin eine Welle der Erleichterung und Euphorie aus – und stärkte die konservativen und militärischen Kräfte, während die demokratisch-liberale Bewegung an Boden verlor. Ohne den 18. April ist es keineswegs sicher, ob Bismarck die siegreichen Kriege gegen Österreich 1866 und Frankreich 1870–71 geführt hätte, die Deutschland schließlich vereinten. Kriege, die eine neue und bis 1914 im Übrigen relativ friedliche Weltordnung schufen. Eine Ordnung, in der Deutschland ein machtpolitisches Schwergewicht in Europa bildete.

 

Der 18. April 1864 änderte die europäische Geschichte – mit einem Schlag.

Der Autor dieses Buches ist in Sønderborg in der Nähe von Düppel aufgewachsen. Als Junge habe ich zwischen den zahlreichen Gedenksteinen für die gefallenen Soldaten gespielt, die an der berühmten Mühle über die alte Front verstreut stehen. Und häufig habe ich – auch wenn ich als Erwachsener zurückkam – gedacht: Wer waren diese Männer? Was haben sie wirklich in diesen Apriltagen 1864 erlebt? Was heißt es, sich mitten auf einem Schlachtfeld zu befinden – noch dazu einem Schlachtfeld, das unsere Geschichte so nachhaltig verändert hat?

In den vergangenen einhundert Jahren wurden unzählige Beschreibungen des Krieges veröffentlicht. Nach dem Jubiläumsjahr 1964 schien es allerdings, als hätten die Chronisten genug, sie schwiegen. Abgesehen von Spezialwerken und einigen Büchern, die einen allgemeinen Überblick über den gesamten Kriegsverlauf geben, gibt es für den heutigen Leser kaum Texte, die sich direkt mit der eigentlich entscheidenden Schlacht bei Düppel und ihrer Geschichte beschäftigten. Dass dieser Tag seine Chronisten nicht gefunden hat, ist besonders bemerkenswert, da eine unglaubliche Anzahl von Schilderungen aus erster Hand vorliegt. In den Archiven gibt es Tausende von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen aus dem Krieg. Dieses Buch ist dokumentarisch. Alle Zitate und Beschreibungen basieren auf dänischen und deutschen Briefen, Tagebüchern, Erinnerungen und zeitgenössischen Fotografien von der Front – Material, das uns in die damalige Zeit zurückführt und uns mitnimmt ins Kampfgetümmel.

Der 18. April 1864 nagt an unserem kollektiven Unterbewusstsein. 2006 wurde das Datum vom offiziellen Dänemark sogar als ›epochal‹ kanonisiert. Allerdings ohne dass allzu viele Menschen wussten, was sich an diesem Tag im April an den Düppeler Schanzen tatsächlich abgespielt hatte.

Von diesem Tag – und von denen, die ihn erlebten – handelt dieses Buch.


Abb. 2: Schlachtszene aus dem Stummfilm En rekrut fra 64 (»Ein Rekrut des Jahres 64«). Regie: Urban Gad, 1910.