Abgespaced

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From the series: Abgespaced #1
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Abgespaced
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Das Buch

1. Der Mahr

2. Der Mauerhaken

3. Murrlyn

4. Hochachtungsvoll Gott oder Nachträglicher Antrag auf Beendigung eines gescheiterten Projektes namens "Welt"

5. Leseprobe

Impressum neobooks


Abgespaced – phantastische Kurzgeschichten von Thomas Frick

Das Buch

Skurril, abgedreht, spacig. Unterhaltsam, spannend und ideenreich. So urteilten seine Leser über die Kurzgeschichten von Tomb de Freak. Erstmals gibt es hier einige der Weltraum-Quickies in einem Band, darunter auch bisher unveröffentlichte.

- Der Mahr

- Der Mauerhaken (auch bekannt als: Flucht aus dem Kanzleramt)

- Murrlyn

- Hochachtungsvoll Gott oder Nachträglicher Antrag auf Beendigung eines gescheiterten Projektes namens "Welt"

Der Autor

Thomas Frick (* 7. August 1962 in Rostock, DDR) ist ein deutscher Regisseur und Autor. Er unterrichtet Drehbuch, Werbedramaturgie und Regie, auf vier Kontinenten. Über die journalistische Arbeit und das Drehbuchschreiben entwickelte Frick sich zum Autor und gab 2008 mit seiner Reiseerzählung "Die perfekte Insel" sein Debüt. Sie gewann den P.M-Leserpreis. Frick ist Absolvent der MASTERSCHOOL DREHBUCH. Unter dem Pseudonym Tomb de Freak veröffentlichte Thomas Frick Sciencefiction- und Horrorgeschichten.

Am Ende des eBooks findest du eine Vorschau auf die preisgekrönte Reiseerzählung »Die perfekte Insel« von Thomas Frick.

mehr: www.thomasfrick.de

1. Der Mahr

1. Dämon

Es begann, als ich mitten in der Nacht in einem entsetzlichen Alptraum erwachte. Ich konnte die Arme nicht bewegen und bekam keine Luft. Etwas lastete auf meiner Brust. In der Dunkelheit nahm ich einen Schatten wahr, schwarz, schwer atmend, hechelnd, schlürfend.

Ich konnte nicht schreien, mich nicht aufrichten, nicht einmal die Hände bewegen. Das ist der Tod, dachte ich. Ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall, was auch immer. Und dazu die ungenaue Halluzination eines Wesens, das auf mir saß.

Ein Attentäter, ein Dämon, ein Affe.

Alles Mögliche schoss mir durch den Kopf. Dazu die Todesangst und das Gefühl zu ersticken. Meine Versuche zu schreien. Die völlige Unfähigkeit, mich zu rühren. Nicht den kleinsten Finger. Nur wenige Zentimeter von mir entfernt musste eigentlich meine Frau Mara schlafen. Aber ich sah sie nicht. Es war, als wäre sie in einem fernen Land. Unendlich weit weg. Der Gedanke, neben ihr zu verrecken, ohne dass sie es ahnte, erfüllte mich mit Trauer.

Das ging eine Minute so. Es ging fünf Minuten so. Vielleicht eine Stunde. Längst hätte ich erstickt sein müssen, doch ich tat es nicht. Ich sah mein Leben an mir vorbeiziehen. Eine Wasserhose an meinem siebten Geburtstag am Meer. Der Sturz von einem Baum mit Zwölf. Der erste Kuss, beim Klang zusammenstoßender Wagons am Güterbahnhof. Und so weiter. Das Abitur. Nahkampfausbildung. Gehobener Polizeidienst. GSG 9. Ausland. Schwierigkeiten. Degradierung. Schreibtischjob. Das war ich. Es ging zu Ende. Darüber musste ich eingeschlafen sein.

Als Mara am Morgen unter der Bettdecke über mich glitt, so wie sie es gern tat, reagierten nur meine Reflexe. Mit einem Verteidigungsgriff stieß ich sie so weit von mir, dass sie gegen den Kleiderschrank prallte. Mit einem Schrei war ich über ihr, bereit, zu töten, bremste im letzten Augenblick ab und landete neben ihr im Spiegel. Die Scherben breiteten sich in unserem Schlafzimmer aus, kleine Splitter eines auseinanderbrechenden Lebens.

Mara, zu Tode erschrocken, schnappte nach Luft und beeilte sich, von mir wegzukriechen. Ich kam zu mir und versuchte, sie zu beruhigen. Versuchte mich zu beruhigen. Beim Frühstück erzählte ich ihr von dem Alptraum. Viel wusste ich aber nicht. Unklare Angstzustände. Vielleicht etwas aus der Vergangenheit. Afrika. Asien. Augen in der Dunkelheit. Sie versuchte, so gut sie konnte Verständnis zu zeigen, bedauerte mich, zeigte Mitleid. Nahm es mit Humor. Ich sah in ihre Augen und wusste, dass sie sich etwas vormachte. Ihr Blick wich aus. Sie hatte Angst vor mir.

Der Morgen verging, ich musste zur Arbeit, überfuhr eine rote Ampel, schob im Büro Akten von hier nach dort, konnte mich nicht konzentrieren. Nur allmählich verflogen der Spuk und die Schuldgefühle. Ich hatte keine Lust, daran zu rühren und fand mich damit ab. Alltägliches nahm meine Aufmerksamkeit gefangen. An der Oberfläche verschwendete ich keinen Gedanken mehr an die letzte Nacht. Aber tief in meinem Innern rührte sich noch das Grauen. Ein Gefühl völligen Versagens. Eine Bedrohung zu sein.

2. Büro

Ich war besonders witzig an diesem Tag. Die Kollegen, meine Kameraden lachten andauernd und zuckten die Schultern über meine Albernheiten. Lange war ich nicht so charmant gewesen. Gähnte oft, als hätte ich die ganze Nacht wach gelegen. Oder gekämpft. Ich ging zum Kaffeeautomaten. Flirtete. Konnte mich gerade noch zurückhalten, einer Assistentin in den Po zu kneifen. Im Scherz natürlich, was sonst. Jeder hier wusste, dass ich verheiratet war. Ich merkte, wie aufgedreht ich war und riss mich zusammen.

Am besten war ich in meinem Büro aufgehoben. Nickte ein, schreckte auf, stieß den halben Kaffee über die Tastatur. Nahm mir vor, früh nach Hause zu gehen und auszuschlafen. Blieb stattdessen bis weit nach Feierabend, weil ich mich in alten Mappen verlor. Bis ich nur noch darauf starrte, ohne beim Lesen mitzudenken. Ich stand auf. Streckte mich. Es half nichts, ich musste heim.

Im Supermarkt stand ich lange vor den Regalen und kam nicht darauf, was Mara mir einzukaufen aufgetragen hatte. Also nahm ich einen großen Blumenstrauß. Als Investition, falls sie Gesprächsbedarf hatte. Doch als ich ankam, war Mara nicht da, war mit Freundinnen ausgegangen. Das tat sie gelegentlich. Na und? Warum sollte ich ihr nicht vertrauen? Ich schaltete die Kanäle durch, blieb bei einer Doku über Haie hängen. Eine Weile lang faszinierten mich die Bilder. Dann störte mich das Röcheln der Atemgeräte. Etwas daran erinnerte mich an den Traum von heute Nacht. Es war weniger das Atmen, als vielmehr das schlürfende Geräusch. Als würden die Taucher beständig etwas aus mir heraussaugen. Es war nicht auszuhalten. Ich schaltete ab. Kramte alte Fotoalben hervor. Ich und Mara auf Gomera. Sie im Bikini. Ohne Bikini. Sie war schön. War es heute noch. Würde es für mich immer sein. Die Sonne, die Wellen. Hatte ich wirklich einen Tintenfisch gegessen? Dass man so etwas vergessen kann.

Mara kam spät und spielte die unabhängige Frau, die sich auch gut alleine amüsieren kann. Sie tat das selten und immer dann, wenn etwas zwischen uns schief hing. Jedes Mal beschlich mich in solchen Momenten die Panik, sie könnte Gefallen daran finden und mich verlassen. Aber welcher Mann spricht schon über seine tiefsten Ängste. Ich hielt es meistens für klüger, sie ein wenig aufzuziehen und in ihrer Rebellion zu bestärken. Halb ernst, halb im Spott. Sie durchschaute und mochte das. Heute jedoch rasten Schuldgefühle in meinem Schädel, wühlten in meinem Bauch. Ich bleib einsilbig, weil mir die richtigen Worte fehlten. Sie verschwand noch einmal in der Küche, fand meine Blumen und hatte einen ihrer Stimmungswandel.

Als sie wiederkam, war sie nackt und fragte mich, ob ich sie nicht noch einmal so umwerfen könnte, wie heute Morgen. Dabei grinste sie und stürzte sich derart furchtlos auf mich, dass ich vor Erleichterung hätte heulen können. Wir balgten uns, und es war beinahe wie vor zwanzig Jahren. Ich konnte es heute nur nicht ertragen, wenn sie auf mir saß. Aber wozu habe ich meine Spezialgriffe? Gelernt ist gelernt. Sie schrie und juchzte. Zerkratzte meinen Rücken. Danach schlief sie zufrieden, wie lange nicht mehr.

Ich starrte in die dunkeln Ecken unseres Schlafzimmers, hörte auf Maras Atem, sah sie an, ihr schönes Gesicht, die Lachfalten und hatte keine Lust, das Licht zu löschen. Ich war weit davon entfernt, es mir einzugestehen. Aber ich fürchtete mich. Vor etwas im Dunkeln. Ich, der Nahkampftrainer. Schwarzer Gürtel. Hatte Angst. Als mir diese Tatsache bewusst wurde, stöhnte ich auf, schüttelte den Kopf und knipste die Lampe aus.

3. Cornflakes

Die Nacht war traumlos. Doch ich erwachte, als hätte nicht Mara, sondern ich gestern einen gehoben. Sie war in der Küche, trällerte und machte Spiegeleier. Viele. Ich ging ihr nach, küsste ihren Nacken. Sie drehte sich um und grinste. Drückte mir einen Einkaufszettel in die Hand. Als ich ihn überflog, wurde ich rot. Natürlich. Jede ihrer Bestellungen vorm Vortage fiel mir ein. Nur ein Wort sagte mir nichts: Cornflakes.

Ich fragte sie danach. Mara lächelte irritiert. Wie ich das meinte, wollte sie wissen.

Ich entgegnete: »So wie ich es sage. Was bedeutet Cornflakes? Was ist das?«

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. Dann entschloss sie sich, das seltsame Spiel mitzuspielen. »Knusprige Flocken, aus Mais? Du isst sie gern? Mit Müsli? Und Milch?« Jeder Satz so ein bisschen mit einem Fragezeichen. Als wollte sie sagen: Na, dämmert es, alter Mann? Sie kniff mir in den Bauch. Vermutlich, um anzudeuten, dass Cornflakes Kalorien haben.

 

»Ich würde dir die Packung zeigen. Aber die ist alle.«

Cornflakes. Ich hätte schwören können, noch nie von so einem Nahrungsmittel gehört zu haben. Müsli kannte ich. Ja. Ich aß sie gern mit Flocken. Flocken aus Mais. Richtig. Mit Honig und Milch. Wie sonst. Alles klar. Die Flocken hießen vermutlich ... Es gab da einen Begriff. Aber er war wie ausradiert. Cornflakes? Vielleicht. Mara würde wie immer recht haben. Seltsames Wort jedenfalls.

Während ich noch grübelte, war sie es, die das Thema wechselte. Wir bräuchten Urlaub. Ich begann von unserer Zeit auf Gomera zu schwärmen. Aber je länger ich davon redete, umso abwesender schien sie. Bis ich verstummte.

4. Passwort

Als im Büro ein Kollege sein Tetrapack mit einem Strohhalm ausschlürfte, so ein drahtiger Afghanistan-Veteran mit einer Kampfnarbe auf der Stirn, fuhr ich ihn barsch an, er solle das lassen.

»Du bist in letzter Zeit ein bisschen komisch«, sagte er, und warf die leere Packung in den Müll. Ich starrte misstrauisch den Eimer an. Dieses rasselnde Geräusch hatte etwas von Haien und Atemnot. Dass es in einem meiner Alpträume vorgekommen war, hatte ich vergessen. Aber es machte mich wahnsinnig, es war ungehörig. Bösartig. Um nicht zu sagen, aggressiv.

»Ist alles bei dir in Ordnung?«, fragte er.

Ich fühlte mich ertappt und entschuldigte mich. Er bat mich ebenfalls um Verzeihung und hielt mir einen Vortrag über die Verrohung der Sitten im Büro. Natürlich sei es unhöflich, vor den Kollegen laut zu schlürfen. »Und wie geht es Mara? Wir haben lange nicht mehr gegrillt.«

Das klang doppeldeutig. Als hätte er nicht gegrillt gesagt, sondern etwas Obszönes. Ich verkniff mir die Bemerkung, dass wir nie im Leben jemals zusammen gegrillt hätten. Genau genommen war mir der Typ mit seinem eingedellten Schädel völlig fremd und seine anbiedernde Art nervte. Er tat so, als wäre er mein bester Freund. Was machte er überhaupt hier?

Ich ließ ihn stehen und ging zu meinem Schreibtisch. Blätterte in Dossiers. Wie sehr man sich doch von seiner Arbeit entfremden kann. Gesichter von Personen blickten mich aus Fotos an. Einige kamen mir bekannt vor. Gefährder, Terroristen. Agenten. Kontakte. Was hatte ich mit ihnen zu schaffen? Meine Finger tippten auf der Tastatur das Passwort ein. Es war kompliziert. Willkürliche Zeichen und Zahlen. Aber vertraut in der Hand. Vielleicht sollte ich es mir aufschreiben, dachte ich. Es geht ja nicht an, dass meine Finger es kennen, ich selbst aber nicht. Das war der Moment, in dem ich stutzte.

Was war eigentlich los mit mir? Ich wusste nicht, was Cornflakes waren. Verlor ich meinen Verstand? Bekam ich vielleicht gerade Alzheimer oder ... wie hieß das Wort, wo man ... Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn. Mein Herz begann zu pochen.

Nein, nicht das! Ich war doch erst ... verdammt, ich war Jahrgang ... Ich war wahrscheinlich übermüdet. Die Nächte liefen nicht so, wie sie sollten. Schon seit längerer Zeit war ich morgens immer völlig kaputt. Mara hatte sich zwar an mein Schnarchen gewöhnt, behauptete gar, ohne es nicht einschlafen zu können. Aber gab es da nicht diese Krankheit, bei der einem Schnarcher nachts der Atem wegbleibt? Er steht einfach still. Das Gehirn verhungert. Und das ist lebensgefährlich. Jedenfalls macht dich der Sauerstoffmangel müde und unkonzentriert.

Ich sollte meinen Hausarzt aufsuchen, dachte ich. Hatte ich einen? Sicher. Mara würde wissen, wer das war.

5. Mara

Wenigstens habe ich noch meine Haustür gefunden, dachte ich im Scherz, als ich heimkam. Als ich das Wohnzimmer betrat, rutschte mir das Herz in die Hose. Ich sah es sofort an Maras Gesicht, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie saß auf der Couch und starrte mich mit leerem Blick an. Was hatte ich jetzt wieder verbrochen? Schon richtete ich mich auf eine Verteidigung ein.

Da begann sie, seltsam verhalten: »Wie kommst du darauf, dass wir mal auf Gomera waren?« Und als ich nicht gleich kapierte, was sie meinte, fuhr sie fort. »Du hast beim Frühstück davon gesprochen. Ich dachte erst, du erfindest etwas.«

Nach einigem Stammeln und Erklären kam mir die Idee, das Fotoalbum zu holen. Im Bücherregal war es nicht. Am Abend hatte ich noch darin geblättert. Das wusste ich. Ich nannte ihr Einzelheiten, Details. Den schwarzen Sand, den Tintenfisch. Daten. Bestand darauf, dass wir an einem Sonntag zurückgeflogen waren. Stritt, trumpfte auf. Froh, dass meine Erinnerung mich so weit nicht im Stich ließ.

Sie starrte mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Als würde ich sie auf den Arm nehmen. Allmählich wurde ich wütend. Hatte Mara das Album versteckt? Was hatte sie vor? War es so ein Versteckte-Kamera-Streich? Wir waren beide nicht der Typ für solche Späße. Aber selbst für diese Erklärung wäre ich dankbar gewesen.

Vermutlich gingen ähnliche Gedanken durch ihren Kopf. Gekränkt zogen wir uns jeder in uns selbst zurück. Schweigend machte sich jeder alleine für die Nacht fertig. Ich weiß noch, dass ich das Bett mit einem feindseligen Blick ansah, ohne zu wissen, warum. Mara schlüpfte sehr zugeknöpft unter die Decke und drehte sich weg. Wie an Tagen, an denen ich mich schlecht benommen hatte.

Ich legte mich neben sie, möglichst ohne ein Geräusch zu machen. War stinksauer, weil ich nicht verstand, warum ich ein schlechtes Gewissen haben sollte. Gegenüber Mara, und erst recht mir selbst. Und doch hatte ich eines. Wie auch immer. Knipste das Licht aus und starrte gefühlte zwei Stunden an die Decke. Als ich ihren ruhigen Atem hörte, war ich den Tränen nahe, verfluchte mich und lauschte dem Wühlen der Angst in meinen Eingeweiden. Der Furcht, es würde von jetzt an so bleiben.

So musste ich weggedämmert sein.

6. Dunkelheit

Was ich träumte, ist, glaube ich, unwichtig. Aber ich erwachte mit einem Schreck, der mir den Atem nahm. Wie vor zwei Tagen konnte ich keinen Zentimeter meines Körpers rühren. War gelähmt, wie in Wachs gepackt. Meine Augen konnte ich öffnen. Die Pupillen bewegen. Aber das war es dann auch.

Ein guter Freund von mir hatte multiple Sklerose. Diese Krankheit, bei der man gefühlt Stück für Stück in Zement gegossen wird, wie in einem Mafiafilm. Am Ende erstickt man nicht einfach, sondern wird künstlich am Leben gehalten. Man kann gerade noch die Lider bewegen und umher blicken, sonst nichts mehr. Als würde das Gehirn einen Notfallplan fahren. Nur noch sehen, hören, fühlen. In totaler Starre und Hilflosigkeit. Die letzte Bastion der Sinne vor dem völligen Absterben. So irrte einzig und allein mein Blick durch die Dunkelheit und suchte nach dem Monster, das vorletzte Nacht auf meiner Brust gesessen hatte. Ich sah es nicht. Natürlich nicht.

Denn es ist nicht wirklich so, dass nachts etwas in unsere Schlafzimmer kriecht, um auf uns zu hocken. Das sind Phantasien, Ausgeburten unserer Ängste, die entstehen, wenn etwas ganz Natürliches uns den Atem raubt. Medizinische Probleme. Schlafstörungen. Halsbeschwerden. Beim Frühstück würde ich Mara nach unserem Hausarzt fragen. Dann hörte ich das Geräusch.

Es war schon länger da gewesen, aber jenseits meiner Wahrnehmung. Ich hatte es ausgeblendet, wie ein Kind, das die Augen schließt, um das Ungeheuer nicht zu sehen. Jedoch im vollen Bewusstsein, dass es da ist, dass es lauert, und dass es kommt. Es braucht nur die Hand auszustrecken, in der Dunkelheit. Ein Schmatzen und Schlürfen war es, regelmäßig wie Darth Vader, genau das leise Blubbern, das mir in den letzten zwei Tagen durchs Unterbewusstsein gespukt und fast meinen Verstand geraubt hatte.

Und endlich kam mir die richtige Idee: Mara benutzte gestern hin und wieder ein Taschentuch. Sie war erkältet. Sie schnarchte. Mehr nicht. Ich bewegte meine Augen mit Mühe in ihre Richtung. Versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen. Aber ich lag ungünstig. Hatte mich weggedreht. Das feuchte Geschnaufe war unheimlich. Gesund klang das nicht. Bei jedem Einschlürfen ging es mir durch und durch.

Zu meiner Bewegungsunfähigkeit regte sich wieder die Angst. Nein, das beschreibt es nicht richtig. Ein abgrundtiefes Grauen kroch mir den Rücken hoch. Langsam, tastend. Wie ein Dutzend Spinnen. Von der anderen Seite des Bettes wehte es mich kalt an. Irgendwo in meinem Rücken geschah etwas Unnatürliches. Das war nicht Mara. Oder doch? War es die überbordende Phantasie, die Todesangst eines Gelähmten? In meiner Ausbildung als Nahkampfspezialist, meiner aktiven Zeit, hatte ich solche Situationen trainiert.

Du bist gefesselt. Allein in einem Raum. Man hat dir ein Muskelrelaxans verabreicht. Du kannst dich nicht rühren. Aber du musst kämpfen. Sonst bist du tot. Handele! Niemand kann es, außer dir. Was tust du? Es gibt Atemübungen. Leicht gesagt, wenn man zu ersticken glaubt. Wir hatten Waterboarding ausprobiert. Zuerst war es wie ein Sport. Uns gegenseitig gefesselt und nasse Handtücher auf das Gesicht gelegt, den Duschkopf drauf gehalten. Wasser marsch, Kumpel. Keiner der Kameraden stand das durch. Alle winselten am Ende um Gnade. Der eine früher, der andere später. Es geht auch gar nicht. Diesen Kampf gewinnt man nicht.

Am Ende blieb vielleicht etwas haften, ein Knacks, tief in der Seele, mit dem Verstand nicht aufzuspüren. Die Gewissheit, dass du zerbrechlich bist. Waren es Spätfolgen dieser Traumata, die mich jetzt in meine Nächte verfolgten? Psychosomatische Auswirkungen? Die Strafe, dass wir zu weit gegangen waren? Denn das waren wir.

Atemübungen. Du bist gefesselt in einem Raum. Du musst es versuchen. Ich bemerkte, dass mein Kreislauf verrückt spielte. Es war die Furcht, zu ersticken. Ganz normal. Damit ließ sich arbeiten. Das hatte ich früher geübt. Den hämmernden Puls in den Griff zu bekommen. Meditation. Nicht dagegen ankämpfen. Die rasenden Gedanken bezähmen. Weil sie zu viel Energie verbrauchen. Eine Grafik fiel mir ein. Sauerstoffverbrauch bei Panik. Wie hoch war nochmal der Koeffizient? Nein. Weg mit der Grafik! Nichts denken, nichts vorstellen, nichts fühlen. Abschalten.

Allmählich beruhigte ich mich. Meine Muskeln erschlafften. Ich sank tiefer in die Kissen. Allein dadurch entstand bereits eine Bewegung. Wie beim Tauchen, wenn nur dein Atem deine Position in der Schwerelosigkeit bestimmt. Die Synapsen verstanden und richteten sich auf neue Signale ein. Meine kleinen Finger zuckten schon. Mehr aber auch nicht.

Ruhig! Es ist zu früh. Mach dich leer. Ohm. Nein, jetzt nicht lachen.

Es dauerte noch eine Weile, bis jeder Zentimeter meines Körpers nachgab, in der Matratze versank und meine Lunge beinahe zum Stillstand kam. Mein Herz war nur noch ein tiefer Gong, der gefühlt einmal am Tag zum Mittag schlug. Dann konzentrierte ich alle Energie auf einen Punkt in meinem Nacken und drehte den Kopf zur Seite. Es ging. Was sah ich?

Völlige Dunkelheit. Hielt ich noch die Augen geschlossen? So schwarz war es noch nie in unserem Schlafzimmer gewesen. Die helle Bettwäsche war gerade so, an der Grenze der Wahrnehmbarkeit auszumachen. Ein matter grauer Schein im Nichts. Aber Mara blieb unsichtbar, irgendwo darin vergraben.

Dafür hörte ich umso mehr. Und mir stellten sich die Haare auf. Da mein eines Ohr nun auf mein eigenes Kissen drückte und das andere frei in den Raum lauschte, hatte es den Anschein, als käme das Schlürfen und Schmatzen aus der Dunkelheit über der anderen Betthälfte. Da war etwas. Eindeutig. Auf meiner Frau. Ganz sicher. Der Angreifer. Der Geist. Der Gorilla. Mein Alptraum von vorletzter Nacht.

Phantasie, sonst nichts, funkte ein Rest Realitätssinn in mir. Draußen auf der Straße näherte sich ein Auto. Zone dreißig, ruhige Gegend, also nicht gerade schnell. Sein matter Lichtschein warf den Schatten des Fensterkreuzes an die Zimmerdecke, vier verzerrte Rechtecke, die langsam zu wandern begannen und an Schärfe gewannen. Dann wurde der Alptraum Realität.

Erst als Silhouette vor dem Widerschein des wandernden Lichtkegels. Die Zimmerdecke reflektierte einen winzigen Rest auf die dahinterliegende Zimmerwand. Es musste eine Art riesiger Affe sein, so viel sah ich schon. Dann wanderte das Lichtkreuz zur Deckenlampe. Spiegelte sich darin. Fiel über diesen Umweg auf die Gestalt, die da hockte. Und erlosch.

Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich alles gesehen. Es war menschlich. Und auch wieder nicht. Gollum war das Erste, was mir bei diesem Anblick einfiel. Und auch wieder nicht. Es war deformierter, nackter, muskulöser. Und auch nicht. Eher klumpig. Seine Augen lagen in tiefen Falten und waren geschlossen, wie in seliger Verzückung. Es saugte an einer Art Strohhalm, welcher dünn und klebrig zwischen den wulstig gespitzten Lippen hing. Eine Röhre, ein Schlauch, der von der Fratze der Kreatur, mein Herz setzte aus, in einem leichten Bogen abwärts zu Mara reichte und in ihrer Nase verschwand.

 

In der nachfolgenden Dunkelheit hörte ich nur das schlürfende Geräusch. Das Abbild des Wesens glühte auf meiner Netzhaut nach, wie der Blitz eines Fotografen. Nein, wie der einer Atombombe. Hatte ich das wirklich gesehen? Ich hatte. Jedes einzelne klebrige Haar auf dem beinahe kahlen Schädel, der Sabber in seinen Mundwinkeln, der weißliche Schorf auf seinen Armen. Das blasse Gesicht meiner Frau, ihr Kopf zurückgebogen, ein Anblick wie in der Leichenhalle.

Es saugte sie aus! Das Ungeheuer trank von ihr. Ein eleganter Vampir freilich, mit einem langen Trinkhalm, wie in einer Strandbar auf den Kanaren. Er schlürfte ihre Gedanken. Ihre Erinnerungen. Und vermutlich nicht nur ihre und ganz sicher nicht zum ersten Mal. Gomera, wer weiß, was er noch stahl. Nicht Alzheimer, nicht irgendeine Sklerose hatte Nacht für Nacht unsere Festplatten gelöscht. Es war dieses Vieh, das jetzt auf meiner Frau hockte.

Ich holte Luft, bäumte mich auf, schaffte es ein paar Zentimeter weit, schlug in etwas Angespanntes. Das schrie, wie sterbende Tiere. Es polterte, entfernte sich. Dann setzte mein Denken aus.

7. Tintenfisch

Als wir am nächsten Morgen erwachten, dachte ich zunächst, ich hätte Mara in der Nacht bewusstlos geschlagen. Ohne es zu wissen. Im Traum. So sehr ich mich anstrengte, konnte ich mich nicht erinnern, was ich eigentlich Schauriges geträumt hatte. Nur die Ahnung eines eiskalten Schreckens war geblieben. Und der alarmierende Anblick von Mara.

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