Tu es einfach und glaub daran

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Und ganz besonders wichtig:

Wir haben eine Automatik im Kopf, uns für alles, was wir nicht gut oder gar nicht gemacht haben, zu beschimpfen. Das Loben der eigenen Leistung kommt nicht von allein. Wer damit große Schwierigkeiten hat, kann es einfach auch auf die Liste setzen. Es tut nämlich so gut.

Es hilft und beruhigt sehr, den Überblick über das zu haben, was wir an einem Tag schaffen wollen und sollen. Wichtig ist, uns selbst daran zu erinnern, dass es eine Freude ist, Ziele zu erreichen. Zu arbeiten ist oft anstrengend, und manche Tätigkeiten sind nicht als »Freude« einzustufen. Aber sie führen zu Zielen und Momenten, die uns freuen.



Was mein Aktenkoffer mit einer schöneren Welt zu tun hat

Ich glaube, dass jeder von uns die Welt verändern kann.

Dafür brauchen wir keine große Bewegung zu gründen.

Die erste und wichtigste Veränderung beginnt in unserer eigenen, kleinen Welt.

Meinem Aktenkoffer aus Leder habe ich den Namen »My little world« gegeben, »Meine kleine Welt« also. So war ich schon als Kind. Ich habe immer eine Tasche, einen kleinen Koffer oder einen anderen Behälter gehabt, in dem ich mir eine Art kleine Welt aus den Dingen gebaut habe, die darin aufgehoben waren.

Der Koffer, den ich derzeit verwende, ist über neunzig Jahre alt und hat einer der ersten selbstständigen Krankenschwestern Englands gehört, die für ihre Emanzipiertheit bekannt war. Das habe ich alles erst recherchiert, nachdem ich den Koffer in einem Antiquitätengeschäft gefunden und gekauft hatte. Anhand der Buchstabenkombination, die darauf eingraviert war, bin ich dann im Internet auf die Vorgeschichte meines Köfferchens gestoßen.

Der Koffer ist stabil, aber sehr handlich. Das Leder hat diese herrliche Patina. Ich habe in diesem Koffer alles dabei, was ich für meine Geschichten- und Schreibwelt benötige, damit ich es immer mit mir herumtragen kann. Mein Notizbuch, einen ganz besonderen Stift, ein iPad oder meinen kleinen, dünnen Laptop sowie ein eigenes Säckchen, in das ich meine Schlüssel gebe, damit sie beim Tragen des Koffers nicht hin- und herscheppern und etwas zerkratzen.

Ich habe auch ein persönliches Erinnerungsstück in meinem Koffer, das mir sehr viel bedeutet.

Alles, was in meinem Koffer steckt, bedeutet mir wirklich etwas und hat dort seinen festen Platz.

Natürlich gebe ich auch Unterlagen hinein, die ich an diesem Tag brauche. Oder Kataloge und Schriftstücke, die ich bekommen habe. Mein Handy hat darin Platz, sowie ein Ladegerät, falls meinem Handy oder dem iPad der Saft ausgeht.

Alles, was sich in meinem Koffer befindet, hat Qualität. Das bedeutet nicht, dass alles darin wahnsinnig teuer ist, darum geht es mir überhaupt nicht. Aber ich will, dass gut gearbeitete, mit Liebe hergestellte Gegenstände mit mir unterwegs sind und mein unmittelbares Umfeld bilden.

Die Gegenstände in meinem Koffer sind genau die, die ich gerne darin haben möchte, und sie sind so angeordnet, wie ich sie gerne haben möchte. Das fühlt sich gut für mich an.

Ich bin viel unterwegs. Wenn ich im Zug oder im Flugzeug sitze, ist dieser kleine Koffer mein Schreibtisch. Ich kann ihn auf meinen Schoß legen und auf dem iPad oder einem kleinen Laptop darauf arbeiten. Außerdem habe ich immer einen kleinen Proviant in meinem Köfferchen, falls ich unterwegs oder bei der Arbeit Hunger bekomme.

Mit einem Wort: Es ist alles darin so eingerichtet, dass ich über eine kleine Welt verfüge, die zu mir gehört und die ich überallhin mitnehmen kann. Es ist eine Welt, in der ich mich zu Hause und sicher fühle.

Es gibt Leute, die all ihre Kraft darin investieren, die Welt als Ganzes zu verändern. Dann gibt es Leute, die sich für einzelne Themen, die ihnen wichtig sind, irrsinnig stark engagieren. Es gibt sogar Leute, die kämpfen und ihr Leben riskieren, um sich für eine gute Sache einzusetzen. Sie alle bewundere ich.

Zugleich gibt es aber auch sehr viele Leute, die sagen: »Was soll ich in dieser Welt mit meinen Taten schon für einen Unterschied machen?«

Darauf sage ich: Wir können etwas verändern, wenn wir unsere eigene kleine Welt schaffen. So wie ich meinen Koffer ausgewählt und für mich gestaltet habe, so kann ich auch mein Leben rund um mich gestalten. Das hängt nicht davon ab, ob ich in einem großen Haus, einer kleinen Wohnung oder einem winzigen Zimmer wohne. Es geht darum, dass ich meine unmittelbare Umgebung so einrichten kann, dass sie das ausstrahlt, was ich mir für die ganze Welt wünsche. Ich kann in diesem meinem unmittelbaren Umfeld eine Atmosphäre kreieren, die auf andere ausstrahlt. Dafür braucht es nicht viel Geld. Außer natürlich, wenn jemand sagt: »Für mein Wohlbefinden müssen alle Dinge, die mir gehören, mit Blattgold belegt sein.« Dann hat er Pech gehabt, wenn er nicht zufällig so viel Geld verdient, dass er sich das leisten kann. Aber selbst dann sollte er sich überlegen, ob seine Prioritäten die richtigen sind.

Auch in meinem Verhalten kann ich die kleine Welt, die sich in einem Radius von vielleicht hundert Metern rund um mich abspielt, so beeinflussen, dass sie so aussieht, wie ich sie mir vorstelle.

Diese Einstellung kann sich in tausend Kleinigkeiten ausdrücken, zum Beispiel in der Ansage auf der Mobilbox meines Handys. Meine eigene Mobilbox sagt: »Guten Tag. Wenn Sie mir etwas besonders Erfreuliches mitzuteilen haben, sprechen Sie jetzt, sonst legen Sie bitte wieder auf.«

Natürlich lacht jeder zunächst einmal darüber. Aber meiner Erfahrung nach dränge ich damit doch jeden dazu, die Nachricht, die er mir hinterlassen möchte, positiv zu formulieren. Die Leute tun das dann auch.

Natürlich betrifft das auch die Art und Weise, wie ich mich kleide, und auch dafür ist nicht viel Geld nötig. Viel wichtiger ist es, Kleidung zu finden, die mir beim Tragen ein wirklich gutes Gefühl gibt, in der ich den Eindruck habe, ich selbst zu sein, und das durch die Kleidung auch nach außen zu transportieren.

Warum ich glaube, dass das alles so wichtig ist? Weil ich überzeugt davon bin, dass es eine ungeheure Strahlkraft hat.

Ja, wir können die Welt verändern.

Und zwar am einfachsten, indem wir unsere kleine, persönliche Welt in allen Aspekten so gestalten, dass es eine Welt ist, in der wir uns sehr wohl fühlen und in die andere gerne zu Besuch kommen.

»Bei dir ist es aber schön … Immer wenn ich dich sehe, fühle ich mich wohl, weil …« Das sind Formulierungen, an denen wir erkennen können, dass unsere kleine Welt auf andere eine positive Wirkung ausübt.

Die Menschen, die mit uns in Kontakt treten, tragen diese Schwingungen weiter wie die Ameisen einen aufgenommenen Duftstoff. Vielleicht überlegen sie sich sogar: Eigentlich möchte ich das auch so machen, eigentlich würde ich auch gerne so leben. Oder es bringt mich auf die Idee, wie ich das gerne für mich hätte. Schon bildet sich wieder eine Zelle, deren Wirkung wieder auf viele andere Menschen ausstrahlen kann. Wie die Waben in einem Bienenstock kann so etwas entstehen, das größer und größer wird und schließlich eine spürbar positive Wirkung auf die gar nicht so kleine Welt ausübt, die wir alle gemeinsam haben.

Muss das immer so große Kreise ziehen? Nein, muss es nicht. Es reicht auch schon, wenn nur wir selber mit unserer kleinen Welt Freude haben, auch das ist schon viel. Es ist auf jeden Fall besser, als so zu leben, wie wir es eigentlich nicht wollen, an uns herumzumäkeln und gleichzeitig noch unglücklich zu sein im Wissen, auf den großen Weltlauf keinen Einfluss nehmen zu können.

»Wenn du die Welt verändern willst, verändere dich selbst«, das hat schon Mahatma Gandhi gesagt. Das mindert überhaupt nicht den Respekt für die Menschen, die es sich zum Ziel setzen, die Welt möglichst direkt und sofort zu verändern, große Bewegungen in die Welt zu setzen. Aber auch sie fangen oft bei sich selbst an. Sie machen sich zu einem Beispiel, das andere inspiriert. Daraus springt der Funke auf so viele andere über.

Wichtig:

Die kleine Welt, die ich meine, ist keine Flucht ins Private oder neues Biedermeier. Es geht darum, bei euch selbst ANZUFANGEN und nicht daran zu verzweifeln, dass ihr an der großen, weiten Welt und »der Gesellschaft« nichts ändern könnt.

Noch wichtiger:

Am Bau seiner kleinen Welt zu arbeiten, heißt auch nicht, neurotisch darauf zu achten, dass alles perfekt ist, um es anderen präsentieren zu können. Es geht darum, euch eine Umgebung aufzubauen, die Kraft und ein gutes Lebensgefühl gibt. Diese Freude, das Wohlbehagen und eure Leidenschaft dabei, strahlt heller als tausend Theorien.

Ein Leuchtfeuer an eigener Lebensfreude zu schaffen, indem wir uns unsere kleine Welt bauen, ist die beste Möglichkeit, die wir haben, auf andere positiv einzuwirken. Und es macht auch noch glücklich.



Welche vier Worte für mich alles leichter und schöner machen

Es gibt vier Worte, die mein Leben verändert haben. Ich habe sie als Schild auf meinem Schreibtisch, in meinem Handy als Erinnerung und sogar auf einem Schlüsselanhänger eingraviert.

 

Die vier Worte helfen mir, wenn es schwierig wird. Sie helfen mir, wenn es laut wird, weil ich eine Baustelle vor dem Haus habe. Sie helfen mir, wenn mich etwas schrecklich aufregt. Sie helfen mir, wenn wir etwas wehtut. Sie helfen mir, wenn ich etwas nicht erwarten kann und deshalb sehr ungeduldig bin. Sie helfen mir einfach in allen Lebenslagen.

Diese vier Worte helfen mir aber nicht nur bei Schwierigkeiten, oh nein. Diese vier Worte machen auch alles Schöne noch viel, viel schöner.

Wie diese vier Worte lauten?

Auch das geht vorbei.

Jetzt denkt sich mancher sicher: »Spinnt der?! Das soll so großartig sein? Diese vier Worte sollen Wunder bewirken?«

Ja. Mehr ist es nicht:

Auch das geht vorbei.

Was diese vier Worte können, möchte ich an einem Beispiel erklären. Es geht darin um meinen kleinen Hund Joppy. Vor einiger Zeit habe ich beschlossen, dass ich gerne wieder einen Hund in meinem Leben haben möchte. Wenn ich daran gedacht habe, habe ich mir einen sehr lieben und lustigen Hund vorgestellt, der ein richtiger Kumpel ist, eine starke Persönlichkeit hat, mich mit seiner Lebendigkeit jeden Tag herausfordert und vor allem gesund ist.

Daran habe ich ganz fest gedacht, und – das Leben hat mich zu einem Jack-Russell-Welpen aus einer sehr, sehr guten Zucht geführt. Dort wird ganz besonders auf Charakter und Gesundheit der Hunde geachtet. Ich habe mir dort aus einem Wurf einen Welpen ausgesucht, den ich mit neun Wochen mit nach Hause nehmen durfte, und habe ihn »Joppy« getauft. Unglaublich wie süß so ein kleiner Welpe sein kann, der am Anfang kaum größer als zwei Hände ist.

Der kleine Kerl hat mich und meinen Mann Ivo zum Lachen gebracht, uns unterhalten – und er hat uns in die totale Verzweiflung getrieben. Ein Welpe ist nämlich nicht nur süß. Ein Welpe weckt dich auch zwei- bis dreimal pro Nacht auf, weil er hinaus muss. Dann musste ich ihn nehmen und im Pyjama mit ihm in den tief verschneiten, eiskalten Garten vor unserem Haus hinausstapfen, damit er sein Geschäft erledigen konnte. Danach wieder zurück ins Haus und schnell unter die Bettdecke, nur um drei Stunden später von Joppys Jammergeräuschen geweckt zu werden, weil er schon wieder musste …

So ging das Nacht für Nacht für Nacht, bis mein Schlafmangel gefährlich anwuchs und sich in Missmut verwandelte.

Joppy hingegen war natürlich nach wie vor lustig. Nur manchmal bedeutete das Lustigsein, dass er in der Wohnung herumsauste, die Lammfelle von den Sesseln beim Esstisch fetzte, zur Zimmertanne raste, um ihr die Äste herunterzureißen und wenige Sekunden später schon beim Zimmerbrunnen war, um daraus zu trinken, und von dort direkt zu den Stuhlbeinen zu sprinten, um sie abzunagen.

Es hat mich einfach wahnsinnig gemacht. Außerdem ist Joppy trotz vieler Versuche lange Zeit nicht sauber geworden. Er hat einfach nicht kapiert, dass das Haus keine Toilette ist und dass er sein Geschäft im Freien erledigen soll.

Jede Nacht mehrmals aufzustehen, im Haus immer wieder kleine unliebsame Überraschungen zu finden und dann beim Spazieren auch noch seine liebe Not mit einem unfolgsamen Hund zu haben: Das war eine ganze Menge.

Ein guter Freund hat mir damals einen schönen Spruch mitgegeben: »Es ist völlig normal, einen Welpen manchmal aus dem Fenster werfen zu wollen. Es ist nur nicht normal, es wirklich zu tun.«

Obwohl ich kurze Zeit das Gefühl hatte, dass die Anschaffung dieses Hundes der größte Fehler meines Lebens gewesen ist, habe ich mich dann an die vier Worte erinnert, von denen dieses Kapitel handelt.

Auch das geht vorbei.

Kaum hatte ich es geschafft, mich ein wenig zu entspannen und meine Gedanken von all dem wegzubewegen, was Joppy können, lernen und machen muss, habe ich die Sache nicht mehr ganz so dramatisch gesehen. Der »Oh nein!«-Moment und der »Was für eine Katastrophe!«-Moment sind auf einmal weggefallen, und ich konnte meine Situation ein bisschen ruhiger und nüchterner betrachten.

Und dann geschah das Überraschendste: Innerhalb weniger Tage konnte ich feststellen, wie Joppys Verhalten sich verändert hat. Er schlief in der Nacht auf einmal acht Stunden durch, ging in den richtigen Momenten ins Freie und wurde insgesamt folgsamer und braver, ohne dabei irgendetwas von seiner Lebendigkeit einzubüßen.

Auch das geht vorbei.

Diese vier Worte haben mich beruhigt. Und aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass diese Beruhigung oft der entscheidende Anstoß ist, um Probleme zu lösen und anstrengende Lebensphasen zu meistern. Ob diese Phasen dadurch wirklich schneller vergehen, weiß ich nicht. Aber zumindest fühlt es sich so an, weil ich dann nicht mehr die ganze Zeit damit beschäftigt bin, mir selbst einzureden, dass das alles sich bestimmt niemals ändern wird und gleichzeitig jede Minute zu kontrollieren, ob sich vielleicht doch schon etwas geändert hat.

Ich habe mir die vier magischen Worte aber noch aus einem anderen Grund ständig vorgesagt. Ein Welpe bleibt nicht ewig klein. Jeden Tag wächst er und wird größer. Viele Dinge, die am Anfang ungeheuer süß an ihm sind, gehen schneller vorbei, als es einem in seinen Welpen verliebten Hundebesitzer lieb sein kann.

Der kleine Hund in meinen beiden Händen, der so winzig war, ist inzwischen groß geworden.

Auch das geht vorbei.

Das ist nicht nur ein Trost, das sind nicht nur Worte der Beruhigung. Es ist auch eine ständige Erinnerung daran, wie vergänglich alles Schöne ist, das uns umgibt, ja wie vergänglich wir letzten Endes auch selbst sind.

Weil ich mich immer wieder bewusst an diese vier Worte erinnert habe, habe ich alles, was an diesem Welpendasein so schön war, noch mehr genossen, mich noch mehr daran erfreut, bewusst hingeschaut und gelächelt. Immer wieder habe ich mir gedacht: »Ist das nicht lieb und herrlich? Ich werde das in meinem ganzen Leben nie vergessen.«

Nutze die Zeit und genieße das Glück und die Schönheiten, die dich umgeben. Nimm die Menschen, Tiere und Dinge um dich nicht als Selbstverständlichkeiten hin und geh nicht achtlos und griesgrämig an ihnen vorbei. Wir alle glauben intuitiv, dass alles so bleibt, wie es ist, aber das ist ein Riesenirrtum. Alles ändert sich, alles vergeht, das Gute wie das Schlechte.

Inzwischen ist Joppy erwachsen geworden und hat sich zu einem richtigen Prachthund entwickelt. Die schwierige Zeit mit ihm ist vorbei.

Auch das geht vorbei.

Diese vier Worte haben meiner Meinung nach den Nobelpreis verdient. Für mich sind sie ein Zauberspruch geworden.

Meine Erkenntnisse:

Gutes wie Schlechtes ist vergänglich. Wenn wir uns diese Tatsache immer wieder bewusst machen, wird unser Leben im Alltag leichter und glücklicher.

Manche Probleme müssen wir aktiv lösen. Vieles im Leben löst sich aber auch ganz von alleine, wenn wir nur ein bisschen Geduld haben.

Auch alles Schöne und Wunderbare geht vorbei. Auch Momente, in denen das Leben einfach ist und dahingleitet, dauern nicht ewig. Sie gehen vorbei und deshalb ist es am besten, wenn wir sie in vollen Zügen genießen, solange sie da sind.

Und noch einmal: AUCH DAS GEHT VORBEI. Vier Worte, die helfen, beruhigen und Freude verdoppeln! Mehr kann man von vier Worten wirklich nicht wollen.



Mehr Freude mit Arbeit & Co.

Wie ich die Angst vor dem Anfang überwinde

Weil ich Schriftsteller bin, werde ich öfters gefragt, wie ich mit Schreibkrisen umgehe. Die Leute, die mich das fragen, stecken meistens selber in einer und hoffen, dass ich ihnen einen Tipp geben kann, wie sie mit ihrer Diplom-, Master- oder anderen Uniarbeit fertig werden können.

»Ich stecke einfach fest und kann mich nicht motivieren«, höre ich dann oft. »Hast du nicht irgendwelche Tipps?«

Nun ja, ich habe in meinem Leben bisher mehr als 550 Bücher geschrieben. Deshalb kann ich zu diesem Thema hier und jetzt einige schockierende Enthüllungen aus meinem Schriftstellerleben preisgeben.

Manche Leute denken nämlich, mein Alltag läuft so ab: Ich wache in der Früh auf, springe aus dem Bett, stürze an den Computer und tippe voller Freude bis zum Abend in einer Tour durch. Und pardauz, schon ist wieder ein halbes Buch fertig. Nur so, denken die Leute, kann ein Mensch einen so hohen Output an Büchern in seinem Leben produzieren.

Als ich vor knapp dreißig Jahren mit dem Schreiben begonnen habe, da habe ich manchmal wirklich so gearbeitet. Ich habe nur so vor mich hin getippt, mich für unbesiegbar und den Allerbesten gehalten. Jede Geschichte eine Sensation. Ich hatte überhaupt keine Zweifel.

Jetzt kommt aber das Erstaunliche und Unglaubliche: Je mehr Bücher ich geschrieben habe, desto langsamer bin ich geworden.

Und warum? Weil es in meinem Kopf diese Stimmen gibt, die sagen: »Bist du dir sicher, dass du das kannst? … Also ich bin nicht sicher, ob das eine gute Geschichte ist … Ob deine Leser nicht vielleicht enttäuscht sein werden? … Das könnte wieder harte Kritik für dich geben … Ist das wirklich eine neue Idee? … Ich weiß nicht, ob dieser Stil so passt …«

Diese Stimmen sind mit den Jahren immer mehr und immer lauter geworden. Sie machen mich manchmal wahnsinnig und das Arbeiten richtig beschwerlich.

Wenn ich deshalb heute ein Buch schreibe, dann läuft das, vor allem am Anfang, manchmal so ab:

In der Früh setze ich mich an den Computer, schaue auf den Bildschirm und dann …

… stehe ich erst einmal wieder auf, um mir einen guten, frischen Espresso zu holen. Ich setze mich wieder hin, schaue auf den Bildschirm und dann …

… stehe ich noch einmal auf, um mir noch ein Glas Wasser zu holen. Dann setze ich mich wieder hin, schaue auf den Bildschirm und …

… spiele erst einmal ein bisschen Backgammon.

Ja, ich fange einfach nicht an. Weil da in mir eine Angst ist, ob das wirklich gut ist. Ich, Thomas Brezina, Autor von mehr als 550 Büchern habe doch tatsächlich manchmal Angst anzufangen.

Was tue ich dann? Gebe ich auf, verzweifle ich?

(Ja, ich verzweifle manchmal.)

Aber ich gebe nicht auf!

Stattdessen setze ich mir ein Tagesziel, eines, das wirklich erreichbar ist.

Bei mir sind das am Anfang eines Buches zum Beispiel 2.000 bis 2.500 Wörter, die ich an einem Tag schreiben möchte. Wenn ich in der Geschichte dann schon fortgeschritten bin, steigere ich dieses Ziel auf 3.500, 4.500, ja manchmal sogar 5.000 Wörter, die ich mir an einem Tag zu schreiben vornehme. Diese Zahl versuche ich dann auch wirklich einzuhalten.

Unter meinem Tagesziel, das ich auf einem Notizzettel auf meinem Desktop notiere, steht aber auch die Belohnung, die ich bekomme, wenn ich das Ziel erreicht habe. Das kann alles Mögliche sein: Von einer Folge einer TV-Serie bis zum Essen meiner Lieblingsspeise oder einem kleinen Geschenk, das ich mir dann besorge.

Aber jetzt kommt das Wichtigste: All das dient nur dazu, mich dazu zu bringen, endlich anzufangen. Ich motiviere mich damit, mich wirklich hinzusetzen und mit dem Schreiben zu beginnen. Ist es nicht gut, dann überlege ich mir einfach, was ich besser machen kann, und lösche den misslungenen Teil, ohne lange zu zögern.

Wenn ich dann einmal im Schreiben bin, liegt das Schwerste schon hinter mir. Dann kommt meiner Erfahrung nach irgendwann der Punkt, wo ich in den sogenannten Flow kippe. Auf einmal laufen die Ideen im Hinterkopf von ganz alleine. Dann schreibe und schreibe und schreibe ich.

Zusätzlich gönne ich mir pro Arbeitstag eine Minute, in der ich mir genau vorstelle, wie das fertige Buch am Ende aussehen wird.

Wie wird es aussehen, wie wird es sich gedruckt und gebunden anfühlen, wie wird es riechen? Ich stelle mir den Moment vor, in dem das Buch aus der Druckerei kommt und ich es das erste Mal in meinen Händen halte. Ich stelle mir auch vor, wie Menschen, die das Buch gelesen haben, mir davon erzählen, wie es ihnen gefallen und sie unterhalten hat.

 

Das tut richtig gut.

Wenn ich mein Tagespensum dann erreicht habe, egal wie groß oder klein es gewesen ist, dann lobe ich mich, und zwar nicht zu knapp. »Hey, das hast du heute richtig gut gemacht. Morgen läuft es sicher wieder genauso.«

Und wenn der Tag aber die totale Pleite war? Dann hole ich tief Luft und sage zu mir selbst: »Okay, auch solche Tage gibt es. Jetzt ist es Zeit hinauszugehen, das Hirn auszuschütteln und auf andere Gedanken zu kommen. Morgen ist ein neuer Tag, an dem es bestimmt besser laufen wird.«

You have finished the free preview. Would you like to read more?