Gewicht HALBIERT!

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Gewicht HALBIERT!
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Halbiert!

Abgenommen von 136 Kilo auf fröhlich-erfolgreiche 68 Kilo!

von Tanja Kaiser

Für Britta

Ich habe Tanja Kaiser 2018 persönlich und noch mit hohem Gewicht kennengelernt. Ihr Buch schildert eine erstaunliche Transformation. Es wird vielen Übergewichtigen Mut machen; Mut, ihr Leben zu verändern. Auch mit 50+ oder mehr als 100 Kilo Ausgangsgewicht. Weil es für Glück nie zu spät ist!

Andreas Bernknecht, Bestseller-Autor und Visionär

Inhalt

Titelseite

Widmung

Kapitel 1 Mein Leben mit 136 Kilo

1.1. Übergewicht. Gibt es sowas wie Alltag oder ist jeder Tag ein Survival-Kampf?

1.2. Mode? Eher nicht. Gekauft wird, was passt. Nicht, was gefällt.

1.3. Essen. Zwischen 5000 Kalorien und Salat plus Tee – normal gabs nicht

1.4. Sex. Echt jetzt, Dicke haben Sex? Ja, so: Unsere Geheimnisse.

1.5. Jetzt reicht´s! Ich stelle mich der Herausforderung und werde schlank.

Kapitel 2 Diät, Sport & Co. Ich habe alles mit­gemacht

2.1. Über 100 Diäten in 40 Jahren. Inklusive Pralinen-Diät – gibts wirklich

2.2. Mit Diäten geht’s bei mir nicht. Sport ist mein nächster Versuch.

2.3. Aha. Sport klappt auch nicht. Dann eben Fasten statt Diät. Fasten und Heiraten – ob das hilft?

2.4. Es wird skurril: Einlaufgerät, Anti-Fett-Lotion, schwitzige Abnehm-Unterwäsche und mehr

2.5. Wenn Lernen die Lösung ist: Meine Ausbildung zur Ernährungsberaterin; Zertifikate + Diplome

Kapitel 3 Wieso dauer­hafter Erfolg das Auf und Ab braucht!

3.1. Juchu – ich nehme ab. Guckt mal alle her!

3.2. Oh nein, wie gemein! Ich nehme wieder zu.

3.3. Teufelskreis Diät: Ich nehme ab, ich nehme zu, ich hab ein Plateau, ich hab keine Lust mehr.

3.4. Curvy Model als Lösung? Was mache ich an der Akademie der bildenden Künste?

3.5. Du bist nur dann dauerhaft erfolgreich, wenn du das Auf und Ab kennst. Teste dich im Fakten-Check

Kapitel 4 Abnehmen ohne Sport? Geht. Anfangs.

4.1. Aerobic-Training, 6x pro Woche mit 50 Minuten Cardio - Werde ich zum Sport-Fan?

4.2. Sein Ruf ist besser als sein Nutzen: Sport. Denn Sport kann dich am Abnehmen hindern.

4.3. Wissenschaftliche Hintergründe - Warum Sport beim Abnehmen mehr schadet als nützt

4.4. Woran du erkennst, ob du alltagstauglich abnimmst und wo deine Fehlerquellen liegen

4.5. Ist Sport also verboten? Nein, nicht, wenn er richtig gemacht wird. Wie richtiger Sport beim Abnehmen aussehen kann

Kapitel 5 Prinzessin trifft Fee – Hilft Wünschen beim Abnehmen?

5.1. Das Gebet der Dicken: Liebe Fee, mach mich schlank! Übersetzung: Mach Du was, nicht ich.

5.2. Im Würgegriff der Zucker-Mafia – da hilft auch keine Fee mehr.

5.3. Deine Träume hindern dich an deinen Zielen! Was dein innerer Saboteur damit zu tun hat

5.4. Tu so, als ob! Eine Lektion „Quantenphysik für An­fänger“

5.5. Effektive Wunscherfüllung. So machen das die Profis.

Kapitel 6 Ich bin so schlau und mach so dumme Fehler – der Rückfall

6.1. Wie doof kann man sein? So viel gelernt und nichts kapiert?

6.2. Menschen stolpern über Steine, nicht über Berge. Dein Weg wird leichter.

6.3. Wo Wissen hilft und wann Handeln angesagt ist

6.4. Willensstärke ist eine endliche Ressource. Zehn Monate dasselbe Frühstück. Spinne ich?

6.5. Das letzte & wichtigste Puzzlesteinchen: Die DMH®-Methode, sie kann, was andere nicht können – mich schlank machen!

Kapitel 7 Die letzten Pfunde schmelzen. Geschafft – halbiert!

7.1. Nicht nur Fett schmilzt. Der Busen wird deutlich kleiner. Hält das meine Ehe aus?

7.2. Unbekanntes Problem: Flirtgefahr! Hilfe, Männer finden mich sexy!

7.3. Die Geburt der Knochen. Erstaunliche Entdeckungen unter dem Speck

7.4. Haben Schlanke etwa auch Probleme? Welche könnten das wohl sein?

Kapitel 8 Hilfreiche Links

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

KAPITEL 1
MEIN LEBEN MIT 136 KILO
1.1. ÜBERGEWICHT. GIBT ES SOWAS WIE ALLTAG ODER IST JEDER TAG EIN SURVIVAL-KAMPF?

Der Tag fing so schön an.

Es war ein Freitag im März, in wenigen Tagen hatte ich Geburtstag. Weil ich viele Gäste einladen wollte und noch viel vorzubereiten war, arbeitete ich an diesem Tag nur vormittags. Ich war 34 Jahre alt und mit meinem Job richtig zufrieden. Vor ein paar Wochen sagte mein Chef, dass er mehr von mir erwartete. Es war aber kein Gemecker – er wollte mich motivieren, mich für einen Leitungsposten zu bewerben. Anstatt nur eine gute Mit­arbeiterin zu sein, sollte ich ein eigenes Team führen und meine guten Ideen weitergeben. Heute, an diesem denk­würdigen Freitag, habe ich die Zusage bekommen. Schon nächste Woche würde ich das 15-köpfige Team überneh­men und auch noch glatte 40% Gehaltserhöhung bekom­men. Ich sag ja, der Tag fing so schön an.

Mittlerweile war es 14.30 Uhr und ich saß mit meinem Frühstück – 1,5 Liter Cola Light und zwei Schokoriegeln – in der Küche. Ich bildete mir tatsächlich ein, dass das so einigermaßen ok war. Immerhin hatte die Cola keine Ka­lorien, es war die erste Mahlzeit des Tages und ich rech­nete mir aus, dass die zwei Schokoriegel zusammen we­niger Kalorien ergaben als der Dönerteller, den ich in der Kantine nicht bestellt habe. Falls das nicht reichen würde, waren in der Küche noch drei Schokoriegel. Ich würde also nicht hungern müssen. Verrückt, oder? Das waren meine Gedanken: keine Sorge, wenn du Hunger be­kommst – es ist noch Schokolade da.

Wir sind im Jahr 1999. Ich fange direkt mit den schlimms­ten Tagen in der Mitte meines Lebens an. Der Beginn meines Leidensweges und die Ursachenforschung kommt später.

Das Internet begann gerade, die Welt zu verändern und alle waren begeistert; jeder meiner Freunde nutzte Emails. Ich startete also meinen Compu­ter und wollte nachsehen, wie viele Zusagen für meinen Geburtstag schon da waren. Es waren einige Emails ein­getroffen und ich rechnete mit 40 Gästen – gar kein Prob­lem, da ich in einer WG lebte, die eine 160 qm große, wunderschöne Jugendstilwohnung mit Dachterrasse be­wohnte.

Ich kam nur bis zur ersten Email, von meiner „dicksten“ Freundin Melanie: „Tanja, ich hab die Lösung!“ schrieb sie. Ok, wieder das Gewichtsthema, nichts mit Geburts­tag. Wir wussten beide nicht, wieviel wir wogen. Dafür gabs eine Lösung?

Ich erinnere mich an das schrille Pfeifen, das meine Waage von sich gab, als sie wegen zu vielen Kilos beim Draufsteigen zerbrach. Dabei hatte ich noch Glück! Melanie, meine Freundin, besaß eine Waage mit Glas-Display und musste sich einen Glassplitter aus dem Fuß operieren lassen, als die zersplitterte. Ein Freund von uns, der auf einem Bauernhof lebte, stieg immer auf die Viehwaage… das wollten wir Mädels aber doch nicht.

 

Melanie schrieb: „Du, wir sind vielleicht dick und fett. Aber wir sind ja beide nicht doof! Weißt du, dass du dir einfach eine zweite Waage kaufen kannst, mit je einem Fuß auf eine Waage steigst, beides addierst und schon hast du dein Gewicht?!“ Es klang triumphierend – der Sieg der Dicken über die mangelnde Technik der Schlanken!

Der Rest las sich dann eher wie ein trauriger Roman. Melanie hatte gestern zwei Waagen gekauft, zwei Mal das gleiche Modell. Im Laden erklärte sie lauthals, dass sie die zweite Waage ihrer Mutter mitbringen würde. Als wenn sich der junge Verkäufer dafür interessierte! Das war so ein typisches Verhalten von uns Dicken: Erkläre, was du tust. Damit die anderen nicht denken, du machst es aus Gründen des Dick-Seins. Verrückt, das Ganze!

Aber ich war genauso verhaltensgestört. Wenn ich große Mengen Lebensmittel kaufte, hatte ich das Gefühl, an der Kasse schief angeguckt zu werden. Dann habe ich strah­lend von ganz viel Besuch erzählt, damit keiner auf den Gedanken kam, dass ich das alles alleine essen würde. Wahrscheinlich dachte die Verkäuferin darüber nach, ob sie eine halbe Stunde eher Feierabend machen dürfte, weil ihr Hund Durchfall hatte und sie dringend zum Tier­arzt wollte. Gestern musste sie zwei Stunden die Woh­nung putzen und einen Hund trösten, der sich mit Kacke-verschmiertem Hintern unter ihrem Bett verkrochen hatte. Mit Sicherheit war es ihr egal, wieviel ich einkaufte und genauso egal war ihr meine Begründung dafür. Die war nur für mich wichtig und so habe ich mich in diesen Jahren sehr oft selbst belogen.

Zurück zu Melanie. Sie besaß nun diese zwei Waagen, das Experiment funktionierte und sie wusste, erstmals nach Monaten wieder, ihr aktuelles Gewicht: 142 Kilo. Nach einem Heulkrampf hat sie alles in sich reingefuttert, was im Kühlschrank und in der Küche war – Melanie hatte immer viele Vorräte – und ist dann noch zum Schnell­imbiss gefahren und futterte dort weiter.

Nachts hat sie mir diese Email geschrieben: „Tanja, warte nicht so lange wie ich. Keine Ahnung, wie es kam. Ich habe immer gedacht, ich wiege vielleicht 122 oder 123 kg. Du weißt schon, knapp über dem Gewicht, was meine alte Waage anzeigen konnte. Nie hätte ich gedacht, dass ich nochmal 20 Kilo zugenommen habe. 20 Kilo! Das muss aufhören! Bitte, tu dir den Gefallen, schockiere dich selbst! Kauf dir die Waagen und danach lass uns was machen – irgendwas – wir müssen etwas gegen das ständige Zunehmen tun!“

Ich bin sofort in den Baumarkt gefahren. Klar gefahren. Ich gehe doch nicht zu Fuß und schleppe zwei Waagen nach Hause. Das ist doch anstrengend! Ich nahm mein Auto. Zuhause habe ich mich im Bad eingeschlossen. Ich mach´s kurz.

Mein Gewicht addierte sich auf 136 Kilo.

Weit über dem, was ich geschätzt hätte. Obwohl ich durch die E-Mail vorgewarnt war, setze mein Denkver­mögen ebenso aus wie bei Melanie. Auch bei mir endete der Tag in Heulkrämpfen und Fress-Attacken. Nicht nur die drei restlichen Schokoriegel waren in Sekundenschnelle verputzt.

Ich bin auch runter auf die Straße gelaufen. In dem wun­derschönen Jugendstil-Haus, in dem ich wohnte, gab es im Erdgeschoß einen Döner-Imbiss. Den Dönerteller, den ich mir mittags in der Kantine verkniffen hatte, kaufte ich jetzt. Plus zwei weitere Teller und eine Auswahl an Vor­speisen. Der Verkäuferin erklärte ich nichts. Sie kannte mich und meine Lügen und heute war es mir auch mal egal. Das war mein schwarzer Freitag.


Foto Nr. 1 - Höchstgewicht 136 Kilo, Nürnberg 1999


Foto Nr. 2 - Startgewicht 68 Kilo, Carmel, Kalifornien, 1979

Ich war eine typische Dicke. Jahrzehntelang. Mit steigen­dem Gewicht nach jeder Diät und echt krassen Diät-Tagen oder Wochen zwischendurch. Dick-Sein ist eine Frage der Einstellung, nicht der Kalorien. Das hab ich lange nicht verstanden und die Tage nach Melanies Anruf waren mein absoluter Tiefpunkt. Ich nenne ihn heute FAT FRIDAY.

Mein Gewicht schwankte von 68 Kilo mit 16 Jahren bis zum absoluten Höchstgewicht von 136 Kilo mit 35 Jah­ren. Heute habe ich mein Traumgewicht von 68 Kilo und ich halte es – dabei bin ich fitter als damals mit 16 Jahren. Ja, ich bin genau da gelandet, wo ich gestartet bin und jetzt ist es gut! Warum also dieser riesige Umweg?

Die Zahl 68 mag gleich aussehen, aber zwischen den ver­unsicherten 68-Teenie-Kilos und den selbstsicheren, glücklichen und fitten 68-Traumfrau-Kilos liegt ein ganzes Leben. Viele Menschen haben sich gewünscht, dass ich ein Buch darüber schreibe und meine Erfahrungen wei­tergebe. Dieses Buch hast du jetzt vor dir. Um also die Höhen wirklich würdigen zu können, fangen wir mit den Tiefen an. Ich lebte jahrzehntelang in einem Teufelskreis aus Diäten und Rückfällen, Erfolgen und Niederlagen, Scham und ironisch-bissiger „Ich-bin-rund-na-und?“-Mentalität. Mit jeder Diät habe ich ein bisschen mehr zugenommen. Warum? Weil ich meine Einstellung nicht veränderte. Ich war dick, egal, mit wie vielen Kilos ich herumlief. Ich war dick im Kopf, in Gedanken und beson­ders natürlich in meinem Verhalten. Wie viele Dicke wünschte ich mir eine Märchenfee, die mich verzau­berte.

Bitte, liebe Fee, mach, dass ich schlank werde. Über Nacht oder jedenfalls schnell und so, dass ich weiter Schokolade essen kann. Vielleicht kannst du es ja hinbekommen, dass mich das Schokolade-Essen schlank macht? Oder dass ich Brokkoli liebe und gar keine Schokolade mehr will? Du kannst das schon – einfach den Zauberstab schwingen, etwas Feenstaub auf mir verteilen und fertig, ja? Mach es. Jetzt. Bitte!

Ganz wichtig: Die Fee muss danach kostenlos im Dienst bleiben, damit die Pfunde nicht wiederkommen. Niemals. Natürlich erwartet eine Fee keinerlei Gegen­leistung. Es klappt von alleine. Schließlich sind ja andere Menschen auch schlank, ohne dass sie sich kasteien müssen. Genau das will der dicke Mensch – Leistung ohne Gegenleistung.

Irgendwie war doch auch ich davon überzeugt, „von alleine“ dick geworden zu sein, also quasi unschuldig reingerutscht in die Situation. Es kann doch nicht ernst­haft am Essen liegen? An Schokolade? Schließlich isst mein Freund auch Schokolade und der ist dünn. Weil das von alleine passiert ist, wird es auch von alleine ver­gehen. Dachte ich. Zu der Zeit hatte ich bereits Sozial­pädagogik studiert. Ich lernte die Theorie kennen, dass die Krankheit verschwindet, wenn die Ursache ver­schwindet. Für Traumata mag das gelten, beim Über­gewicht habe ich es nicht so erlebt. Aber natürlich immer gehofft!

„Ich beschäftige mich mit meinen Sorgen und meiner Kindheit, stoße auf die große Verletzung, die alles verur­sacht hat. Dann heile ich die Verletzung und werde schlank.“

In der Zeit der Suche habe ich weiter gegessen wie vorher – zu viel und zu viel Falsches – aber ich war der Überzeu­gung, dass es eine Lösung gibt, ohne mein Essen zu ver­ändern. Mir war gar nicht bewusst, dass ich ein selbst-zerstörerisches Verhalten an den Tag legte. Bevor ich erstmals über einhundert Kilo wog, war ich tatsächlich der Meinung, dass mein Zunehmen auf magische Art und Weise aufhören würde. Ich werde doch nicht über 100 Kilo wiegen? 100 Kilo wiegen hässliche, dicke Männer, aber doch nicht hübsche junge Frauen?! Da passiert doch vorher irgendwas? Das darf doch nicht wahr sein! Aber es wurde wahr. Die Zahl 100 beeindruckte meine Waage überhaupt nicht.

Damit war ich übrigens nicht alleine. Ich treffe heute viele Menschen, die mir bestätigen, dass es möglich ist, jahrelang sein eigenes Gewicht nicht zu kennen. Diese Blindheit betrifft aber nur das Gewicht. Alles andere funktionierte ja: Ich lebte in einer Beziehung, hatte einen großen Freundeskreis und einen tollen Job. Nach einem Umzug lernten mich neue Freunde gleich als dicke Tanja kennen und mochten mich. Ich versuchte, das Beste aus einem dicken Leben zu machen. Wie das geht? Hier ein Beispiel: Ich duschte nur. In der Badewanne stand der Bauch weit über der Wasseroberfläche und so macht ein Vollbad keinen Spaß. Genau genommen hatte ich ja nur einen nassen Rücken.

Gestern erst fragte eine Freundin: Du hast so toll ab­genommen! Gell, das Leben ist jetzt leichter? Nein. Ein Leben auf der bequemen Couch ist nicht anstrengend. Sicher, heute ist der Alltag einfacher und Bewegung macht Spaß! Nur von dem Unterschied, wie es sich an­fühlt, 136 Kilo einen Berg raufzuschleppen oder mit 68 Kilo freudig nach oben zu wandern, kann ich nichts erzäh­len. Weil ich mit 136 Kilo nicht auf den Berg geklettert bin.

Ist anstrengend, wird also nicht probiert. Punkt.

Statt Sport oder anstrengende Ausflüge zu machen, lud ich Freunde zu legendären Brunches mit Video ein: „Miss Marple und die verdächtigen Lachsröllchen“, „Poirot findet die Leiche im Pudding“ oder „Star Trek, Milky Way und Sternen-Pizza“. Lebensqualität, selbst erfunden. Damals hat meine Katze kulinarisch sicher besser gelebt als ich.

Beruflich bewarb ich mich in einem großen Call-Center, natürlich mit Bushaltestelle vor der Tür und Aufzug im Gebäude. Sitzend konnte ich mein Geld verdienen. Meine Stimme war toll – sie war das einzig Lebendige an mir; sie sprühte vor Witz und Vitalität. Oft wurde ich ge­fragt, ob ich für Sex-Hotlines arbeitete – mit meiner Stimme konnte ich wirklich beeindrucken! Dabei war das Ganze nur der kümmerliche Rest von mir. Ausgehen in eine Kneipe? Hm. Wer würde mir vorher verraten, was in dieser Kneipe für Mobiliar steht? Nur, wer mal in der Öffentlichkeit versucht hat, aus einem Stuhl aufzustehen, dessen Armlehnen sich tief in die nicht-vorhandene Taille gedrückt haben und wo der Stuhl mit dir aufsteht, kennt die Scham und die Angst vor unbekannten Sitzflächen. Jahrelang hab ich deshalb auf Bänken gesessen, im Bus, in der U-Bahn, im Restaurant.

Urlaub machte ich immer auf dem europäischen Fest­land. Jedenfalls da, wo ich mit einem Auto hinkam. Die Schmach, in einem Flugzeug nach einem Verlängerungs­gurt für Dicke zu fragen, wollte ich mir nicht antun. Und überhaupt – Holland ist ja so schön...!

Dick-Sein ist ein anstrengender Überlebenskampf. Selbst mit Video-Pizza-Partys.

1.2. MODE? EHER NICHT. GEKAUFT WIRD, WAS PASST. NICHT, WAS GEFÄLLT.

Als Frau von Mitte 50 lerne ich gerade meinen eigenen Stil kennen. Wie verwirrend, in ein Geschäft zu gehen, fünf Kleidungsstücke zu probieren und alle fünf passen! Was soll ich denn jetzt kaufen? Woher soll ich wissen, was mir steht?

Das zumindest war früher einfacher: Als dicke Frau ging man in den 1980er und 1990er Jahren zu Ulla Popken oder nähte selbst. Große Größen gab es anfangs wirklich nur dort und ich bedanke mich heute noch dafür, dass sie uns nicht nackig im Regen haben stehen lassen. Sicher, solange es nur diese eine Marke gab, haben sich dicke Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz immer wieder in derselben Bluse getroffen. Das konnte peinlich werden. Aber immer noch besser als in Omas Kittel­schürze.


Foto Nr. 3 - Kleidung diente dem Verhüllen, nicht der Schönheit

Man darf nicht vergessen, das war ja alles vor den Zeiten von Amazon und Ebay. Niemand kaufte seine Kleidung online und die großen Bekleidungsgeschäfte hatten keine Abteilung für große Größen. Unvorstellbar, aber es gab eine Zeit, in der Modedesigner entschieden, dass Dicke kein Recht auf Stil hätten und alles über Größe 46 gar nicht erst produziert wurde. Auf die meisten Edel-D­esigner trifft das heute noch zu. Chanel in Größe 52? Ein No-Go!

Maite Kelly mit eigener Mode bei Bon Prix oder Harald Glööckler mit dem liebevollen Slogan „In jeder Frau steckt eine Prinzessin“ kamen erst Jahre später. Für die normal verdienende Bevölkerung änderte sich das Mode-Angebot nur ganz allmählich. Das wirft die Frag auf: Was kam zuerst? Dicke Menschen in Größe 58 oder Mode in Größe 58? Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass zuerst die Dicken da waren und das Angebot sich uns und unseren Formen anpasste. Anfangs nur ein­farbig und in sehr schlichten Formen. Ganz langsam er­öffneten auch Geschäfte, die Dessous für Dicke verkauften. Das trug uns von Harald Schmidt den Satz ein: „Dessous für Dicke? Gibt’s schon immer. Früher nannte man sie Leggins“.

 


Foto Nr. 4 - Große Bikinis oder Unterwäsche gab es in schwarz

Die USA sind Europa bei manchen Entwicklungen immer ein paar Jahre voraus. Mit den Dicken und der Mode war das auch so. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gab es bereits Dicke in Größe 7XL, das ist XXXXXXXL, und für diese Boutiquen mit Kleidung in Übergröße. Auch die Engländer waren nach dem Krieg früher dick als wir Deut­schen und ich kenne moppelige Frauen, die sich ihre Dessous aus England bestellen, weil die Auswahl dort stets größer und günstiger ist. Irgendwie ist die Mode auch bunter und lustiger.

Das zumindest ist ein Problem, was junge Dicke im Jahr 2020 nicht haben. Fast hätte ich „nachwachsende Dicke“ geschrieben und das beschreibt den aktuellen Zustand ziemlich gut.

Dicke Mütter bekommen dicke Kinder und später dicke Teenager. Als wäre es angeboren! Dabei wissen wir längst aus der psychologischen Forschung, dass die Gene nur einen sehr kleinen Teil ausmachen und der Rest ge-lernt und er-lernt wird, am einfachsten durch Nach­ahmung. Wenn Mama und Oma immer Riesenportionen servieren, ständig Snacks zur Verfügung stehen und jeder moppelig ist, ist das normal und als Kind machst du das mit. Du kennst es ja nicht anders. Deinen Nachtisch be­kommst du nicht nur Sonntags, sondern „morgens halb zehn in Deutschland“. Die Werbung kennt doch jeder und die Verkaufszahlen sprechen für sich. Dieses Vererben von schlechten Gewohnheiten ist für mich ein wichtiger Grund, Frauen beim Abnehmen zu helfen: Sie tun es für sich und für die nachfolgenden Generationen, für die eigenen Kinder. Das geht so weit, dass viele erst werden schwanger (können), wenn sie schlanker sind. Zurück ins Jahr vor meinem Black Friday 1999. Es gab kaum passen­de Mode und Elasthan wurde nur sehr sporadisch ver­wandt. Was bedeutet das bei der Unterwäsche? BHs in Oma-Farben, also weiß und kratzig (der Krankenhaus-Flair), schwarz (das kleinere Übel und der Gatte fragt er­schrocken: Ist was mit Oma?) oder in schlimmem Haut-Ton. Keine Ahnung, wer sich diese Farbe ausgedacht hat, aber „haut“ ist nicht hautfarben. Vielleicht ist es die Farbe einer Wasserleiche, aber keine junge, gesunde Frau hat diesen seltsamen Hautton.

Passende BHs zu bekommen war also schwierig. Passende, hübsche BHs zu bekommen war fast unmög­lich. Dafür gab es einen Vorteil bei den Höschen. Hej, als Dicke kann man Tangas anziehen. Die dünnen Bändchen links und rechts dehnen sich über einige Größen hinweg! Schließlich kann man den Slip ja unter dem dicken Bauch tragen und so ein Tanga besteht eh nur aus ganz wenig Stoff. Der gräbt sich zwar seitlich tief in die Haut und zwickt, ist aber um vieles schöner als eine Unterhose, die über den großen Bauch geht. Spätestens seit dem Kino­film Schwer verliebt kennt jeder diese Unterhosen-Monster. Sich in zu kleine Größen quetschen ist nachvoll­ziehbar, sogar mit String-Tangas. Ok, ich persönlich mag diese „Arsch-frisst-Hose-Modelle“ nicht, aber es war eine Möglichkeit. Eine Sache, die mich jahrzehntelang beglei­tet hat, war der Umstand, keine Taille zu haben. Da ging es gar nicht so sehr darum, ob man die wirklich hatte oder nicht. Schließlich gibt es ja dicke Formen in einer Vielzahl von Variationen. Egal, ob Bluse, Jacke, Pulli oder T-Shirt: Es wurde immer drüber getragen. Niemand von uns Dicken steckte das T-Shirt in die Hose! Niemand zeigte freiwillig seine Formen. Verstecken war in, kaschieren war ein Modewort und locker-fallend wäre heute das Keyword bei der Google-Suche nach großer Mode.

Auch Röcke oder Kleider gab es in meinem Schrank sehr lange gar nicht. Warum? Dicke Oberschenkel scheuern sich gegenseitig auf. Das kann bis zu blutigen Ekzemen führen. Also werden Hosen getragen. Selbst wenn man sich dann auf der Straße anhören muss, dass jeder Gaul auf diesen Brauerei-Pferd-Arsch stolz wäre. Klar halfen Hosen nicht wirklich.

Die Oberschenkel der Hosen gingen an derselben Stelle wie sonst die eigene Haut kaputt. Ich erinnere mich daran, dass ich sonst noch sehr gut erhaltene Lieblings­hosen wegwerfen musste, weil sie Löcher an den Innen­seiten der Beine hatten.

Gürtel. Auch so eine Sache. Niemandem wäre es ein­gefallen, einen Gürtel zu tragen. Selbst wenn du eine Taille hast, willst du nicht, dass jemand die Ausmaße deiner Hüften erkennt. So waren viele Dicke unförmig an­gezogen und erinnerten an einen rechteckigen Kasten. Oder, wenn die Schultern schmal waren, eher an ein Oster­ei. Es ist schon eine besondere Ironie, dass die Men­schen, die sich gerne in der Öffentlichkeit verstecken würden, mit ihren dicken Formen ganz besonders auf­fallen. Du kennst den Satz „Die Trauben sind mir zu sauer.“? Bei mir waren die Trauben die Mode. Ich habe das Ganze zum Kult gemacht. Schlanke Freundinnen kritisierte ich, weil sie sich dem Modediktat unterwarfen. In den Achtzigern gab es den bezeichnenden Spruch „Männer machen Karriere, Frauen Diäten.“ Als Emanze wollte ich da nicht mitmachen und hatte wieder mal eine neue Ausrede zum Nicht-abnehmen-müssen.

In den 2000er Jahren hat sich der Spruch minimal ver­ändert: Männer verändern die Welt, Frauen ihren Körper. Heute sage ich: Lasst uns schnell unseren Körper verändern und die überflüssigen Pfunde verlieren und dann, liebe Frauen, dann heben wir die Welt aus den Angeln!

Ich kritisierte damals, dass meine Freundinnen jede Saison viel Geld für etwas ausgaben, von dem andere be­stimmten, ob es „in“ war. Passend dazu wurden Stunden im Bad verbracht, danach stylte man sich vor dem selbst­verständlich verspiegelten(!) 7-türigen Kleiderschrank und brauchte Stunden beim Frisör. Lange vor der „Geiz-ist-geil“-Kampagne besaß ich wenige, offene Holzregale statt eines großtürigen Kleiderschranks. Sie sind ja auch völlig ausreichend für T-Shirt und Jeans. Auf meinem kleinen, gerade mal gesichtsgroßen (!) Spiegel prangte trotzig der Aufkleber: Alles, was schöner ist als ich, ist geschminkt.

In Zeiten der Stretch-Mode (Juhu – mir passt eine Hose in Größe 54! – hej, damals trug ich 58, da war das toll!) verliert man den Bezug zum eigenen Umfang. Es kann passieren, dass man im Biergarten mit dem Hintern, also hinten, fremde Gläser umwirft und vorne mit dem Bauch auf dem Grillteller des Nach­barn landet, weil man selbst quer zwischen den Bier­tischen immense Ausmaße angenommen hat. Stellt euch die Kommentare vor!

Im Nachhinein finde ich es fast seltsam, dass so viele dumme und gemeine Sprüche mich nicht getroffen wirklich haben. Mein Schutzpanzer war bereits zu dick und ich wehrte mich eher verbal, anstatt abzunehmen und dem Ganzen den Grund für die Hänselei zu ent­ziehen. Es gab Zeiten, da konnte ich mich immer spontan mit einem Spruch wehren: „Ja, ich bin viel­leicht dick, aber du bist doof und ich kann abnehmen – was kannst du?“

Dicke Leute verbannen ihre Spiegel - ich damals natürlich auch. Bei Melanie steht der Spiegel im Garten und zeigt die blühende Rose immer doppelt. Es sieht super aus, ist eine wirklich schöne Gartendeko, aber geboren wurde die Idee aus dem verzweifelten Wunsch, den Spiegel aus dem Schlafzimmer zu ent­fernen. Nur so ist es möglich, sich selbst jahrelang zu täuschen. Leider wird man ja nicht über Nacht dick, sondern schleichend, Tag für Tag, Woche für Woche. Auf einmal sind es dann 10 Kilo mehr, die man gar nicht so genau mitbekommen hat. Das ist wie mit dem Älterwerden. Auch das passiert täglich und erst auf einem Foto sieht man die Unterschiede.

Die wenigstens Dicken wollen freiwillig mit auf ein Foto. Wenn doch, nehmen sie ein Kind auf den Schoß, den kleinen Hausdackel dazu und setzen sich hinter einen großen Blumenstrauß. Jede meiner dicken Klienten, die ich heutzutage betreue, hat solche Fotos von sich zu Hause.

Das Gesicht bleibt am längsten schön, verzeiht die Pfunde am ehesten. So lässt es sich auch erklären, warum viele Dicke genau dann mit einer Diät an­fangen, wenn sie sich kurz vorher in einem Schau­fenster mal als Ganzkörper-Kunstwerk gesehen haben.

Oder wenn sie ungewollt auf einem Foto auftauchen, wo es keine Versteckmöglichkeiten gab. Machen Sie sich ihre dicke Verwandtschaft zum Feind und foto­grafieren Sie! Jeden! Immer! Aber hoffen Sie nicht drauf, dass bereits der erste Schreck mit einem Ihrer Fotos heilende Wirkung hat. Dafür haben dann die Zukunfts-Schlanken ein Vorher-Foto zum Angeben und danken ihnen vielleicht Jahre später!

Jahre später lobte mich mein Mann, dass ich die schnellste Frau im Bad und beim Anziehen sei, mit der er jemals zusammengelebt hat. Damals war es notwendiger Selbstzweck. Wie lange kann es schon dauern, sich Jeans und T-Shirt anzuziehen und die Haare zum praktischen Pferdeschwanz zu binden? Heute brauche ich manchmal eine Aufforderung, mich hübsch zu machen. Es ist immer noch neu und ungewohnt und manchmal vergesse ich, dass ich es jetzt kann!

Wieso Pferdeschwanz? Damals scheiterten kom­plizierte Hochsteck-Frisuren an dicken Armen, die nicht so lange hochgehalten werden konnten. Kurze Haare gefielen mir aber auch nicht. Sie verdeckten nicht mal im Ansatz das Doppelkinn, das Richtung Dreifachkinn unterwegs war. So habe ich erfolglos ständig neue Frisuren ausprobiert. Aber auch die schönste Dauerwelle sieht bei einem schlanken Gesicht einfach attraktiver aus. Ich beneide Frauen, die seit 30 Jahren dieselbe Frisur tragen und sich damit wohl fühlen. Der Neid erstreckte sich jahrelang auch auf den Kleiderschrank. Nicht nur, dass sie eine viel größere Auswahl hatten als ich – alles im Schrank passte auch. Meine Nachbarin besitzt drei Kleider­schränke und zwei Schuhschränke voller Sachen in einer Größe. Bei mir war es jahrelang so: Passt heute, passt bei 20 Kilo weniger, passt bei 25 Kilo mehr, passt erst bei Idealgewicht und hängt im Schrank als Motivation.

Thema Schönheit. Eine Faltencreme war in den Moppel-Zeiten nicht nötig – die körpereigenen Fett­ablagerungen unter der Haut strafften alle Konturen. Jahrelang sah mein glatt gespanntes Gesicht jünger aus, als ich tatsächlich war. Dünne Mitmenschen mussten sich aufwendig und teuer Eigenfett-Unter­spritzungen in die Naso-Labial-Falten (Mund-Nasen-Furche) setzen lassen, dazu wird aus dem eigenen Hintern Fett abgesaugt, um es im Gesicht wieder hin­zuspritzen. Da bekommt doch der Ausdruck „Arschgesicht“ gleich eine ganz neue Bedeutung.

Ja, Lästern war sehr wichtig im dicken Überlebens­kampf.