Frankensteins Kopf

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Stefan S. Spill

Frankensteins Kopf

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Abgerutscht

Gruppenkuscheln

Tote Hände

Das Schreckgespenst

Impressum neobooks

Abgerutscht

Der morsche Ast brach. Krachend. In den Ohren hallte das Geräusch nach und erschlug die nächtliche Still mit einem einzigen Streich. Das Atmen unterdrückend, versuchten alle Sinne den stockfinsteren Wald zu durchleuchten. Hektisch, zwischen dem Anbranden des Blätterrauschens, die Orientierung zu behalten. Sein Geist wollte unbedingt alles wahrnehmen, jetzt und sofort. Nur, um der wagen Chance willen, etwas in der Dunkelheit zu erhaschen, was ihn jetzt vielleicht suchte - gehört hatte. Ein instinktives Verlangen, was langsam von seinem Herzschlag übertrumpft wurde. Er befand sich nur einige hundert Meter oberhalb von dem kleinen Dorf. Und nur zehn Minuten strammen Fußmarsches unterhalb der Burg - eigentlich noch mitten in der Zivilisation. Jetzt aber kam es ihm vor, als ob er im tiefsten Wald grauer Vorzeiten, Tagesmärsche vom nächsten menschlichen Wesen entfernt, im nassen Laub, neben dem Weg lag. Insgeheim wünschte er sich das Tosen eines Verkehrsflugzeuges zu hören. Einen Helikopter, der wie so oft während der Rundflüge auch Burg Frankenstein ansteuerte. Ein Teil des geborstenen Astes, der die unfreiwillige Rutschpartie gestoppt hatte, bohrte sich unangenehm in die Innenseite seines Oberschenkels. Auch die Fingerspitzen fühlten sich taub und rissig an, als ob Glassplitter unter den Nägeln dabei geholfen hatten, die Folgen seines Fehltritts auszumerzen. Die Taschenlampe war während des Sturzes verloren gegangen. Nur an das dumpfe Klacken konnte sich sein Gehirn erinnern. Das Metallgehäuse musste irgendwo unter ihm auf etwas Hartem aufgeschlagen und dann ausgegangen sein. Vorsichtig wollte der linke Fuß einen besseren Halt suchen. Der Rechte war außer Gefecht. Eine falsche Bewegung und die spitze Bruchstelle fuhr in sein Bein. Mit jeder erneuten Anstrengung raschelte mehr Laub den Abhang hinunter. Ein Geräusch, wie das weiße Rauschen eines Störsenders, der alle seine Sinne lahmlegte und den Wald noch dunkler machte. Sofort zwang sich sein Körper zur Regungslosigkeit. Das Radar musste störungsfrei arbeiten können, damit er das Killerkaninchen, den Bösen Wolf, der die sieben Geißlein verführt hatte, seine hässliche Großmutter mit der Schrotflinte, und natürlich Räuber Hotzenplotz und alle anderen Dämonen, die sein Gehirn hervorbringen konnte, rechtzeitig hören konnte.

Eigentlich war er kein Schisser - dachte er - glaubte er. Scheiße dunkel war es trotzdem. Hier gab es keine Straßenlaternen. Keine beleuchteten Wohnzimmerfenster, die spärlich aber immer noch mehr als genug Licht durch die Ritzen der Rollläden auf die nächtlichen Straße entweichen ließen. Hier und jetzt gab es nur den dunkelsten Wald, den er je erlebt hatte. So finster, dass die Nebelschwaden, die das klägliche Mondlich auffingen, als gespenstische Fetzen sichtbar wurden. Zwischen den Bäumen hindurch, quetschten sie sich, um dann erschöpft über den Waldweg zu kriechen. Bis sie sich auf der anderen Seite an den Ästen der Buchen empor zogen, um als bedrohliche Geste über seinen Kopf hinweg zu schweben. Es half nichts. Selbst seine Barthaare schienen zu Berge zu stehen.

Schleppend begann Marek mit sich selbst zu reden. Sagte sich, dass das jetzt voll peinlich wäre, wenn ihn einer seiner Freunde sehen könnte. Dümmlich ausgerutscht, auf die Fresse geflogen, im Dreck gelandet und auch noch die Lampe verloren. Und dabei fast schon den Kackstift in der Buchse. Jetzt ein Selfie. Mit einem fetten Grinsen. Damit wäre die Sache geritzt, denn dass er dreckverschmiert und ohne Lampe auf der Frankenstein ankommen würde, das war ihm inzwischen klar. Wenn er schon in die Scheiße tritt, dann besser gleich Knie, nein, besser noch hüfttief. Ein cooler Shot konnte selbst die dümmste Idee in das Gold der Anerkennung verwandeln. Seine Gedanken begannen zu fliegen. Das entstehenden Bild seiner erdachten Selbstdarstellung wollte reichen, um das Dunkel zwischen den Bäumen auszuleuchten. Der Gedanke, mit stolzgeschwellter Brust verkünden zu können, dass er sich nur noch mit der Taschenlampen-App auf dem Handy den Weg durch den Beerbacher Wald gebahnt hatte. In der Halloweennacht. Hoch zur Burg Frankenstein. Das würde einem angehenden UFC-Champion gerecht werden! Von heroischem Tatendrang durchflutet begannen die vom nassen Waldboden verschmierten Finger, in der Hosentasche nach der Gotteschöpfung des frühen einunzwanzigsten Jahrhunderts zu grapschen. Die Hintergrundbeleuchtung des Displays ging an. Erst jetzt konnte er das Blut sehen.

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