Der Yoga und seine Ziele

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Der Yoga und seine Ziele
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Der Yoga und seine Ziele

Sri Aurobindo


SRI AUROBINDO

DIGITAL EDITION


SRI AUROBINDO BHAVAN

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AURO MEDIA

Wilfried Schuh

Deutschland

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SRI AUROBINDO DIGITAL EDITION

Deutschland, Berchtesgaden

SRI AUROBINDO

Der Yoga und seine Ziele 2. überarbeitete Aufl. 2021 ISBN 978-3-96387-021-7 © AURO MEDIA 2021

Deutsche Übersetzung des engl. Titels:

The Yoga and Its Objects

Collected Works of Sri Aurobindo,

Vol. 13, pp. 71-91


© Fotos und Textauszüge Sri Aurobindos und der Mutter:

Sri Aurobindo Ashram Trust

Puducherry, Indien

Anmerkung des Herausgebers

Das Essay legt einige der Ziele und Anforderungen des Integralen Yoga fest: “...den Willen des Göttlichen in der Welt auszuarbeiten, eine spirituelle Transformation zu bewirken und eine göttliche Natur und ein göttliches Leben in die mentale, vitale und physische Natur und das Leben der Menschheit herniederzubringen.” Es werden auch die Prozesse des Yoga und die Bedingungen für die Sadhana behandelt. 1934 schrieb Sri Aurobindo, dass dieses Werk ein frühes Stadium seiner Sadhana darstellt und nur ein Teil davon auf den Yoga anwendbar ist, wie er sich nach mehr als zwanzig Jahren entwickelt hat.

Sri Aurobindo macht von der in der englischen Sprache gegebenen Möglichkeit, Wörter groß zu schreiben, um ihre Bedeutung hervorzuheben, häufig Gebrauch. Mit dieser Großschreibung bezeichnet er meist Begriffe aus übergeordneten Daseinsbereichen, doch auch allgemeine wie Licht, Friede, Kraft usw., wenn sie ihnen einen vom üblichen Gebrauch abweichenden Sinn zuordnen. Diese Begriffe werden hier kursiv hervorgehoben, um dem Leser zu einer leichteren Einfühlung in diese subtilen Unterscheidungen zu verhelfen.

Eckige Klammern bezeichnen Einfügungen des Übersetzers, die um des besseren Verständnisses willen angebracht erschienen. Einige wenige Sanskritwörter wie Sadhana, Sadhaka, Yoga usw. wurden eingedeutscht, da sie durch ihren häufigen Gebrauch bereits als Bestandteil der deutschen Sprache angesehen werden können. Alle anderen Sanskritwörter sind kursiv hervorgehoben.

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InhaltTitelseiteCopyrightAnmerkung des HerausgebersDER YOGA UND SEINE ZIELEGuideCoverInhaltStart

DER YOGA UND SEINE ZIELE

Sri Aurobindo

Der Yoga, den wir praktizieren, ist nicht allein für uns selbst, sondern er ist für das Göttliche. Sein Ziel ist, den Willen des Göttlichen in der Welt auszuarbeiten, eine spirituelle Transformation zu bewirken und eine göttliche Natur und ein göttliches Leben in die mentale, vitale und physische Natur und das Leben der Menschheit herniederzubringen. — Sri Aurobindo

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Der Yoga und seine Ziele

Der Yoga, den wir praktizieren, ist nicht allein für uns selbst, sondern er ist für das Göttliche. Sein Ziel ist, den Willen des Göttlichen in der Welt zu verwirklichen, eine spirituelle Transformation zu erwirken und eine göttliche Natur und ein göttliches Leben in die mentale, vitale und physische Natur, sowie in das Leben der Menschheit herniederzubringen. Sein Ziel ist nicht die persönliche Befreiung, Mukti, obwohl Mukti eine notwendige Bedingung des Yoga ist; vielmehr ist es die Befreiung und die Transformation der Menschheit. Sein Ziel ist nicht die persönliche Seligkeit, Ananda, sondern das Herniederbringen des göttlichen Ananda auf die Erde: Christi Reich Gottes, unser Zeitalter der Wahrheit, Satyayuga. Befreiung von der Illusion, mokṣa, ist für uns keine persönliche Notwendigkeit. Denn die Seele ist ewig im Zustand der Freiheit, nityamukta, und ihre Gebundenheit ist eine Selbsttäuschung. Wir tun nur so im göttlichen Schöpfungsspiel, als seien wir gebunden; in Wirklichkeit sind wir aber nicht gebunden. Wir können frei sein, wenn Gott es so will. Denn er, unser höchstes Selbst, ist der Meister des Spiels. Ohne seine Gnade und Zustimmung darf keine Seele das Spiel verlassen. Oft ist es Gottes Wille in uns, dass er sich durch das Mental der Unwissenheit und der Dualitäten bedient, bhoga: Freude und Kummer, Vergnügen und Schmerz, Tugend und Sünde, Genuss und Entsagung. Ganze Epochen lang denkt er in vielen Ländern überhaupt nicht an Yoga. Er spielt vielmehr Jahrhundert um Jahrhundert dieses Spiel immer weiter, ohne seiner müde zu werden. Darin liegt nichts Böses, nichts was wir verurteilen oder wovor wir zurückschrecken müssten. Denn es ist ja Gottes Spiel. Ein Weiser ist, wer diese Wahrheit anerkennt und um seine eigene Freiheit weiß, und trotzdem Gottes Spiel mitspielt und auf seinen Befehl zu einer veränderten Methode des Spiels wartet.

Der Befehl ist jetzt da. Gott hielt sich immer ein erwähltes Land zu seiner Verfügung, in welchem das höhere Wissen von Wenigen oder von Vielen durch alle Schicksale und Gefahren hindurch ständig gehütet wird. Für unsere Gegenwart ist dies, wenigstens in diesen Vier Epochen, Chaturyuga – das Land Indien. Wenn er es vorzieht, seinen ganzen Gefallen an der Unwissenheit und an den Gegensätzlichkeiten zu finden – an Streit und Wut, an Tränen, Schwäche und Selbstsucht, an den Vergnügungen, die aus Tamas, der Trägheit, und Rajas, der energetischen Aktivität, herrühren –, also am Spiel von Kali, dann verdüstert er in Indien das Wissen. Er stürzt Indien hinab in Schwäche und Entwürdigung, damit es sich in sein eigenes Innere zurückzieht und sich nicht in den Verlauf des göttlichen Lila, des göttlichen Spiels, einmischt. Wenn er sich aber aus dem Schlamm erheben will, und wenn Narayana [Beiname von Krishna] im Menschen mächtig, weise und voller Seligkeit werden soll, dann gießt er wieder neu das Wissen über Indien aus und hebt es empor, damit es dieses Wissen mit seiner notwendigen Auswirkung von Macht, Weisheit und Seligkeit an die ganze Welt verschenken kann. Wenn der Prozess vorherrscht, dass sich das Wissen nach innen zurückgezogen hat, dann verlassen die Yogins in Indien die Welt und praktizieren den Yoga nur für ihre eigene Befreiung, für ihre eigene Seligkeit oder für die Befreiung von einigen wenigen Jüngern. Wenn das Wissen wieder in den Prozess der Ausdehnung eintritt, dann weitet sich damit auch die Seele Indiens aus. Dann kommen die Yogins wieder an die Öffentlichkeit und wirken wieder in der Welt und für die Welt. Dann sitzen wieder Yogins wie Janaka, Ajatashatru und Kartavirya auf den Thronen der Welt und regieren die Nationen.

Gottes Lila bewegt sich immer in einem Kreislauf vom Zeitalter der Wahrheit, Satyayuga, hin zum Zeitalter des Verfalls, Kaliyuga, und durch Kali hindurch wieder zu Satya: vom Goldenen Zeitalter hin zum Eisernen Zeitalter und wieder zurück durch das Eiserne Zeitalter zum Goldenen Zeitalter. In der modernen Sprache bedeutet Satyayuga die Weltepoche, in welcher eine stabile und zureichende Harmonie geschaffen ist, und wo der Mensch unter bestimmten Bedingungen und Begrenzungen eine Zeit lang die Vollkommenheit seines Wesens verwirklicht. Diese Harmonie existiert in seiner Natur durch die Kraft einer im Inneren gesicherten Reinheit. Aber dann beginnt diese Harmonie sich aufzulösen. Während der Treta-Epoche kann der Mensch die Harmonie noch durch die individuelle und kollektive Willensanstrengung aufrechterhalten. Aber der Auflösungsprozess schreitet immer weiter fort. In der Dwapara-Epoche versucht der Mensch, die Harmonie durch intellektuelle Ordnungen, durch die allgemeine Zustimmung und durch Gesetz durchzusetzen. Aber in der Kali-Epoche stürzt die Harmonie schließlich in sich zusammen und wird zerstört. Jedoch ist diese Kali-Epoche nicht ausschließlich etwas Böses. In ihr werden in fortschreitendem Maß die nötigen Voraussetzungen dazu aufgebaut, dass wieder eine neue Satya-Epoche, eine neue Harmonie und eine fortgeschrittenere Vollkommenheit kommen kann. In der Kali-Epoche, die zwar abgelaufen ist, die aber in ihren Auswirkungen noch andauert – die jetzt jedoch definitiv zu Ende kam –, ist es zu einer allgemeinen Zerstörung des „Alten Wissens“ und der „Alten Kultur“ gekommen. Nur wenige Bruchstücke von ihr sind uns in den Veden, in den Upanishaden, in anderen „Heiligen Schriften“, sowie in den verworrenen Traditionen der Welt erhalten geblieben. Nun ist aber die Zeit für eine erste Aufwärtsbewegung und für einen ersten Versuch gekommen, eine neue Harmonie und eine neue Vollkommenheit zu erreichen. Das ist der Grund dafür, dass heute so viele Ideen auftauchen, welche die menschliche Gesellschaft, das Wissen, die Religion und die Ethik vervollkommnen wollen. Doch ist die wahre Harmonie noch nicht gefunden worden.

 

Nur Indien kann diese Harmonie entdecken, denn sie kann nur durch eine Umwandlung der jetzigen Natur des Menschen zur Entfaltung gebracht werden, und nicht dadurch, dass man diese nur korrigiert. Eine solche Umwandlung ist aber nur durch Yoga möglich. Die Natur des Menschen und der Dinge befindet sich augenblicklich in einer Disharmonie; die „Harmonie” besteht aus lauter Dissonanzen. Es muss zu einer völligen Umwandlung des Menschen kommen: in seinem Herzen, in seinem Handeln und in seinem Mental, und zwar von Innen, und nicht von Außen her. Das kann nicht durch politische oder gesellschaftliche Institutionen geschehen, auch nicht durch neue Glaubensbekenntnisse und Weltanschauungen, sondern wir müssen Gott in uns selbst und in der Welt verwirklichen und das ganze Leben durch diese Verwirklichung neu gestalten. Eine solche Transformation kann nur durch einen Integralen Yoga, Purna-Yoga, geschehen – durch einen Yoga, der nicht für einen bestimmten Zweck geübt wird, selbst wenn dieser Zweck die spirituelle Befreiung, Mukti, oder die Seligkeit, Ananda, wäre, sondern allein mit dem Ziel, das Menschsein in uns selbst und in den anderen aus dem Göttlichen zur Erfüllung zu bringen. Für ein solches Ziel sind die Übungen des Hatha-Yoga und des Raja-Yoga nicht ausreichend. Auch der Trimarga-Yoga, der von der Gita gelehrte „Dreifache Weg“, kann nicht genügen. Wir müssen noch höher gehen und uns dem Adhyatma-Yoga widmen. Das Prinzip des Adhyatma-Yoga ist folgendes: Im Wissen müssen wir alle Dinge als den einen göttlichen Brahman realisieren. Er ist alles, was wir sehen, oder was wir zwar nicht sehen, dessen wir aber bewusst sind – die Menschen, die Gegenstände, wir selbst, die Ereignisse, die Götter, Titanen und Engel. In unserem Handeln und in unserer Haltung muss es zu einer absoluten Selbst-Überantwortung an den Paratpara Purusha kommen, an jenes Sein, das noch über dem Höchsten Selbst steht –, an die transzendente, unendliche und universale Personalität, die zugleich personal und apersonal, endlich und unendlich, sich selbst begrenzend und unbegrenzbar, der Eine und die Vielen ist. Mit seinem Sein gestaltet er nicht nur die Götter dort oben, sondern auch den Menschen, den Wurm und die Erdscholle hier unten. Die Überantwortung muss eine vollständige sein. Nichts darf zurückgehalten werden: kein Begehren, keine Forderung, keine Meinung, keine Vorstellung, als müsse dieses so sein und jenes kann nicht so sein, als sollte dieses sein, und jenes nicht. Alles muss hingegeben werden. Das Herz muss von jeglichem Verlangen geläutert, der Intellekt von jeglichem Eigenwillen gereinigt werden. Man muss von allen Dualitäten frei werden. Die ganze sichtbare und unsichtbare Welt muss als ein einziger höchster Ausdruck von einer verborgenen Weisheit, Macht und Seligkeit geschaut werden. Unser ganzes Wesen muss so, wie ein Fahrzeug passiv ist in der Hand seines Lenkers, hingegeben werden, damit die göttliche Liebe, Macht und vollkommene Intelligenz ihr Werk tun und ihr göttliches Spiel der Schöpfung, Lila, zur Vollendung bringen können. Unser Ego, ahaṅkāra, muss völlig ausgelöscht werden, damit wir schließlich so, wie Gott es mit uns vorhat, die vollkommene Seligkeit, die vollkommene Stille, das vollkommene Wissen und das vollkommene Wirken der göttlichen Existenz erlangen können. Selbst wenn diese Haltung einer völligen Selbst-Überantwortung auch nur in einer unvollkommenen Weise zustande gebracht werden kann, so hört damit jede Notwendigkeit von Yoga-Kriya, von speziellen Yoga-Disziplinen, auf. Denn nun wird Gott selbst in uns zum Sadhaka und zum Siddha, der den Yoga in uns praktiziert und darin die vollkommene Meisterschaft erlangt. Nun wirkt seine göttliche Macht in uns, nicht mehr durch unsere künstlichen Yoga-Übungen, sondern durch eine Wirksamkeit der Natur, die vollkommen durchgestaltet ist, die alles erforscht, und die unfehlbar funktioniert. Die allerstärkste Selbstkontrolle des Raja-Yoga, saṁyama, die höchstentwickelte Beherrschung der vitalen Kräfte, prāṇāyāma, die angestrengteste Meditation, die höchste Ekstase in der Gottesliebe, bhakti, das Handeln in strengster Selbstverneinung, mögen gewiss machtvolle und effektive Methoden sein. Sie sind aber doch in ihren Ergebnissen schwach im Vergleich zu dieser höchsten Wirkensweise. Denn all diese Übungen sind doch bis zu einem gewissen Grad begrenzt, weil unsere Leistungsfähigkeit begrenzt ist; aber jene Weise des Wirkens ist in ihrer Machtfülle unbegrenzbar, weil Gottes Leistungsfähigkeit unbegrenzbar ist. Sie wird nur durch seinen Willen eingeschränkt, der weiß, was das Beste für die Welt ist, und auch für jeden von uns innerhalb der Welt und losgelöst von ihr.

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