Rache

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Sophia Maria Flores

Rache

Fünf kurze Kriminalerzählungen aus drei langen Jahrhunderten

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Wenn das Spiel zu Ende ist

Einstand

Die Tiefkühltruhe

Rache

Das Geständnis

Anmerkungen

Impressum neobooks

Wenn das Spiel zu Ende ist

Laura saß steif auf der Bettkante und wandte mir den Rücken zu. Sie trug ihr Kostüm vom Abend, was mich wunderte. Ein strenges Kostüm mit einem Schlauchrock. Obwohl sie keinerlei Anstalten machte, sich für die Nacht umzukleiden, löste sie ihre Haare, die wegen ihrer tizianroten Farbe auch im Dunkeln wie gefärbt aussahen. Die Spange, versilbert und mit kristallgleich glitzernden Strasssteinen besetzt, legte sie mit einer ungewohnt bedächtigen Bewegung auf dem Nachtschränkchen ab. Die Haare reichten ihr bis auf die Schultern hinab. Gegen das fahle Laternenlicht, das von draußen durchs Fenster fiel, waren die grauen Strähnen nicht zu erkennen. Meine Frau sah jung aus. Vielleicht hätte ich mich unter anderen Umständen noch einmal in sie verlieben können. So aber demütigte mich ihr Anblick. Wir schwiegen, wie meist. Seit ewigen Zeiten predigte ich, wir sollten getrennt schlafen. Platz dafür wäre genug. Die meisten Bekannten unseres Alters schliefen getrennt, sofern sie die Räumlichkeiten danach hatten. Aber Laura weigerte sich. Lange schon vermieden wir es, einander nahe zu kommen. Es gab keinerlei Berührung mehr zwischen uns, nicht einmal mit den Fingerspitzen. Dennoch führte kein Weg zu zwei Schlafzimmern. Jetzt ging Laura hinaus auf die Terrasse, eine Zigarette rauchen. Beinahe jeden Abend ging sie hinaus, egal bei welchem Wetter. Ich hasste es, wenn sie das tat, vor allem im Winter, wenn die Terrassentür ewig lange offen stand. Für gewöhnlich kam sie erst zurück, wenn ich schon schlief. Aus halb geschlossenen Augen beobachtete ich, wie sie die Terrassentür öffnete, aber nur für einen so schmalen Spalt, dass sie sich hindurchschlängeln musste. Zuletzt sah ich sie wie einen Scherenschnitt auf der anderen Seite des Fensters stehen. Wenn sie den Arm sinken ließ, zeichnete die Glut ihrer Zigarette eine Lichtspur in die Dunkelheit und es hatte den Anschein, als flöge ein Glühwürmchen über den Garten.

Ich schlief ziemlich bald ein, erwachte jedoch mitten in der Nacht. Mag sein, dass mein Körper das vertraute Gefühl von Nähe und Kühle vermisst hatte, das ihn sonst reizte, wenn Laura zurückkam und sich neben ihn legte. Ich richtete mich auf und spähte um mich. Das Bett neben mir war leer. Sogar unbenutzt. Es war drei Uhr am Morgen. Nirgendwo entdeckte ich ein Zeichen für die Anwesenheit meiner Frau. Um nicht endgültig wach zu werden, vermied ich es, das Licht einzuschalten. Blind tastete ich mich vorwärts. In der Stube stieß ich mit dem Knie gegen den Cocktailwagen, der an einer Stelle stand, wo er nichts zu suchen hatte. Das Messer fiel zu Boden, das ich das Zitronenmesser nannte. Ein teures Exemplar mit einer elf Zentimeter langen, geschmiedeten Klinge aus rostfreiem Stahl und mit einem Griff aus poliertem Ebenholz, der von Messingnieten gehalten wurde. Laura hatte es angeschleppt von irgendeinem Flohmarkt. Fortwährend schleppte sie irgendwelche Dinge von irgendwelchen Flohmärkten an, was mich nervte. Ich verspürte das Bedürfnis, auf die Terrasse hinaus zu treten. Auch dort keine Spur von Laura. Im Schimmer des Mondes sah ich eine halb gefüllte Zigarettenschachtel auf dem Boden liegen. Meine Frau war eine leidenschaftliche Raucherin. Unvorstellbar, dass sie eine halb gefüllte Schachtel freiwillig liegen ließ, sogar wenn sie feucht war vom Nachtnebel. Möglicherweise hatte einer unserer Gäste sie verloren. Am Abend zuvor hatten wir nämlich Gäste gehabt. Das heißt: Laura hatte sie gehabt, nicht ich. Sämtlich Kollegen von ihr, Anwälte aus sonst was für Kanzleien. Ich war auf Lauras Verlangen als der assistierende Ehemann aufgetreten, der, im Smoking, die Tabletts mit den Erfrischungen reicht. Den Smoking habe ich mir für solche Zwecke extra kaufen müssen, ich besaß vorher keinen. Die neueren unter Lauras Kollegen wussten nicht einmal, wer ich wirklich war. Sie fragten mich, wie ich heiße, doch dann nannten sie mich den ganzen Abend launig James und riefen mich bloß, um Drinks zu bestellen oder diese Appetithäppchen, die Laura »Canapés« nannte. Meine Frau schien sich bei all dem köstlich zu amüsieren. Seit ich meinen Job an der Uni verloren hatte, weil ich mit den Veröffentlichungen, die man von mir erwartete, nicht hinterhergekommen war, hielt sie mich für einen Blindgänger, der zeitlebens nichts zuwege bringen würde. Sie benutzte das Wort ironisch wie einen Kosenamen, dafür aber in einer Unendlichkeitsschleife: Blindgänger. Es war nicht leicht, zu allem, was ich verloren hatte, auch noch die Achtung der eigenen Frau zu verlieren. Zugegeben, ich lebte von ihren Honoraren. Nicht gerne, aber ich tat es. Das kleine Webdesignstudio, das ich nach dem ersten Schock der Arbeitslosigkeit gegründet hatte, lief miserabel. Die Leute brauchten Dienstleistungen wie die meine nicht mehr. Inzwischen gab es eine Menge billiger Software, mit der auch Laien bestens zurechtkamen. An den Kosten für das Haus, das Laura gehörte, konnte ich mich nicht einmal mit einem Zuschuss für die Hypothek beteiligen.

Während ich darüber nachsann, ob ich die Zigarettenschachtel verwahren sollte, sah ich, dass in der ganzen Siedlung nur in einer einzigen Wohnung Licht brannte, in einem Gebäude am Ende der Hauptstraße. Das war Lambrechts Villa. Er ist kein Jurist, trotzdem lud Laura ihn zu jeder ihrer Partys ein. Er war die einzige Ausnahme, die sie sich in dieser Hinsicht gestattete. Im Gegensatz zu mir hat Lambrecht seinen Job an der Uni behalten, eine Professur für Informatik. Er veröffentlicht einen wissenschaftlichen Artikel nach dem anderen, als müsste er eine Weltmeisterschaft gewinnen. Wir waren einmal befreundet. Laura kennt ihn durch mich. Dass die beiden das Licht brennen ließen, war ungewöhnlich. Ich fühlte mich in meiner Vermutung bestätigt und kroch wieder ins Bett.

In den ersten zwei, drei Tagen suchte ich nicht nach meiner Frau. Meines Erachtens war das nicht erforderlich. Laura war, im Gegensatz zu mir, ein Geschöpf mit angeborener Spontaneität. Sie verschwand öfter einmal. Zwar hatte sie diesmal ihre Schminksachen zurückgelassen, aber ich mutmaßte, dass bei Lambrecht eine Zweitausstattung hinterlegt war. Nach einer halben Woche telefonierte ich schweren Herzens bei ihm an, um meiner Pflicht Genüge zu tun. Niemand hob ab. Trotzdem war ich erleichtert oder gerade deshalb. Ich malte mir aus, wie es wäre, wenn Laura nicht zurückkäme. Nein, nicht, wenn sie nicht zurückkäme, das alleine besagte noch nichts, sondern wenn sie tot wäre. Da sie es liebte, auf der Harley ihres Lovers über die Salzmünder Landstraße durch die Heide zu preschen, standen die Chancen nicht schlecht, dass es sie erwischt haben könnte. Ich ertappte mich dabei, wie ich mir Hoffnung auf ihre Lebensversicherung machte. Auch ihr Vermögen müsste mir zufallen, vorausgesetzt dass sie daran nichts gedreht, zum Beispiel Lambrecht als Erben eingesetzt hatte. An den Abenden schloss ich die Terrassentür und lauschte den Sinfonien Mahlers, die Laura nicht zusagten. Ich trank Gin, den Laura verabscheute, und legte dabei wie ein Ami die Beine auf den Stubentisch, was Laura albern fand. Als eine Woche verflossen war, schlich ich mich eines Abends im Dunkeln hinüber zu Lambrechts Villa. Die Rollläden waren hochgezogen, aber die Zimmer sahen verwaist aus und gründlich aufgeräumt. Lambrecht pflegte die Rollläden immer oben zu lassen, wenn er wegfuhr, damit die potentiellen Einbrecher glaubten, es sei jemand anwesend. Gleichzeitig hatte er Fenster und Türen mit einer Alarmanlage gespickt, wegen seiner teuren Computer. Lambrecht ist schlau und gleichzeitig vorsichtig. Beidem hat er seine Karriere zu verdanken. Ich war schon immer unvorsichtig gewesen und vielleicht nicht einmal schlau. Nie hatte ich aus meinem Herzen eine Mördergrube gemacht. Alle kannten meine, wie es hieß: sozialromantische Gesinnung. Ob Lambrecht bei meinem Rausschmiss nachgeholfen hat, konnte nicht bewiesen werden. Er äußerte sich nie dazu, und danach zu fragen verbot sich. Aber ich war mir ziemlich sicher. Er wollte mich weghaben, dort und überhaupt. Das behaupte ich. Jedenfalls hat jetzt er die Professur statt meiner. Ich fand, Vergebung wäre das erste Zeichen von Altersschwäche gewesen. Ich wollte nicht vergeben. Lambrecht nicht und Laura auch nicht. Nur wartete ich auf eine Gelegenheit, in der meine Rache nicht auf das Niveau eines Theaterwitzes herabgewürdigt werden konnte.

Am ersten Tag der zweiten Woche verfügte ich mich zum Polizeirevier, wo ich eine Vermisstenanzeige aufgab. Ich wusste, dass es, ohne eine solche Anzeige erstattet zu haben, später aussichtslos sein würde, Laura für tot zu erklären. Der gelangweilte Wachtmeister, der, indem er die beiden Zeigefinger zum Tippen benutzte, die Daten wegen der Durchschläge auf einer vorsintflutlichen elektrischen Schreibmaschine aufnahm, hätte beinahe vergessen, mich nach einem Foto zu fragen. Ich zog das Porträt, das ich zu Hause vorsorglich eingesteckt hatte, aus der Jackentasche. Der junge Kerl, vielleicht Mitte der Zwanzig, begaffte das Ding entsetzt. Dann holte er aus einer der Schubladen seines Schreibtisches ein anderes Foto hervor und verglich die beiden miteinander. Mit rauer Stimme bat er mich zu warten und eilte, beide Abzüge in der Hand, in einen Nebenraum. Nach einer Weile hektischen Getuschels kehrte er mit einem etwas älteren Polizeihauptmeister zurück, der mit der bekümmerten Miene eines öffentlichen Bedenkenträgers einherschritt. Er wollte wissen, warum ich erst jetzt käme. Meine Frau sei erwachsen, entgegnete ich. Nach einer Pause, deren Dauer und Entschiedenheit mir nicht einleuchtete und während der er mit seinem Wachtmeister verstörte Blicke wechselte, meinte der Polizeihauptmeister, er komme nicht umhin, mich in einer heiklen Angelegenheit um Mithilfe zu bitten. In der Rechtsmedizin liege eine weibliche Leiche. Keine Ausweispapiere, keine Firmenkennung in der Kleidung, nichts. Außer der meinen gebe es keine Vermisstenmeldung. Die Frau ähnele jener Person auf dem von mir beigebrachten Foto. Das müsse erst einmal nichts heißen. Aber unter den gegebenen Umständen sei er gehalten, mich um eine Identifizierung zu bitten.

 

Den süßlichen Gestank der Verwesung, der mich schon an der Tür zu dem lindgrün gekachelten Obduktionsraum umflorte, ertrug ich besser, als befürchtet, vielleicht weil ich noch nicht gefrühstückt hatte. Die Tote lag auf einem hohen Metalltisch, dessen Blutrinnen vom Spülwasser feucht waren. Man hatte sie mit einem lindgrünen Laken zugedeckt. Der mit einem lindgrünen Kittel drapierte Mediziner lüpfte wortlos das Leinen, jedoch nur so weit, dass bis auf den Kopf der Leiche nichts entblößt war. Noch während das Laken durch die Luft fuhr, schloss ich die Augen, um den Moment der Gewissheit so lange hinauszögern, wie irgend möglich. Als ich schließlich durch die sich langsam wieder weitenden Lidspalten wie durch Milchglas das bleiche, auf einen Kranz aus tizianroten Haaren gebettete Gesicht erblickte, glaubte ich im ersten Moment, Laura vor mir zu haben. Der Mediziner hielt zwischen gummibehandschuhtem Zeigefinger und Daumen eine Haarspange hoch, die aussah, als sei sie versilbert. Sie war mit kleinen Strasssteinen besetzt, die kristallgleich glitzerten. Meine Verblüffung war grenzenlos. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass mich der Polizeihauptmeister observierte. Als sich unsere Blicke trafen, hob er die Augenbrauen. Dann, ganz langsam und nur leichthin, nickte ich.

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