Read the book: «Konsumtrottel»

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Sepp Eisenriegler:

Konsumtrottel

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 edition a, Wien

www.edition-a.at

Redaktion: Greta Sparer

Cover: JaeHee Lee

Gestaltung: Peter Chalupnik

Fotos: Julia Dvorin, Lukas Beck, Gettyimages

1 2 3 4 5 – 19 18 17 16

ISBN 978-3-99001-190-4

Hinweis:

Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit, wurde beim Verfassen des vorliegenden Buches auf geschlechtsneutrale Formulierungen verzichtet. Sofern es aus dem Kontext nicht anders hervorgeht, sind stets Frauen sowie Männer gleichermaßen gemeint und angesprochen.


Inhalt

Warum ich über Waschmaschinen schreibe

Warten auf den Kundendienst

Hinter den Kulissen

Die größten Lügen der Elektro-Multis

EINS. Die Preislüge

ZWEI. Die Werbe- und Marketinglüge

DREI. Die Reparaturlüge

VIER. Die Servicelüge

FÜNF. Die Innovationslüge

SECHS. Die Energieeffizienzlüge

SIEBEN. Die Garantielüge

Der Verlust der Kulturtechnik Reparieren

Der richtige Umgang mit einem Reparateur

Fünf Einkaufstricks

Was der Elektroschrott mit unserem Planeten macht

Warum ich über Waschmaschinen schreibe

Manche Probleme werden nie gelöst, weil sie so kompliziert zu erklären sind. Diese Erfahrung machen Politiker, die mit neuen Ideen gegen das Bestehende antreten, Nichtregierungsorganisationen, die Ungerechtigkeiten im sozialen Gefüge dieser Welt beseitigen wollen, und manchmal wir alle, wenn wir uns die Haare raufen, weil wir uns in unseren Beziehungen nicht richtig verständlich machen können.

Eines dieser Probleme ist, dass uns multinationale Hersteller von Elektrogeräten für dumm verkaufen. Dies etwa, indem sie uns in der Werbung Halbwahrheiten und Lügen erzählen oder ihre Produkte absichtlich so bauen, dass sie zu dem von ihnen gewünschten Zeitpunkt kaputtgehen und nicht mehr reparierbar sind.

Wir Europäerinnen und Europäer sind gebildet. Wir interessieren uns für Kunst, Kultur und die großen Fragen des Lebens. Aber wenn es um Technik geht, winken wir gerne ab. »Damit kenne ich mich nicht aus«, sagen wir, und implizieren, dass wir uns gar nicht auskennen wollen. Dieses Feld überlassen wir lieber anderen. Und wenn einer damit anfängt, hören wir gerne weg und nehmen es im Zweifelsfall eher hin, beim Kauf technischer Geräte ein bisschen abgezockt zu werden. So schlimm wird es schon nicht sein, denken wir, sonst hätte bestimmt schon jemand etwas dagegen unternommen.

Wer wie ich fast zwanzig Jahre lang hinter die Kulissen dieser Konzerne blickt, indem er mit einem Reparatur- und Servicezentrum ihre Produkte zerlegt und sich mit deren Innenleben befasst, lernt zwangsläufig die meisten der miesen Tricks kennen, mit denen sie arbeiten. Mit der Zeit wächst der Ärger. Denn doch – es ist so schlimm.

Die Konzerne kommen nur deshalb mit ihren Tricks durch, weil wir sie damit durchkommen lassen. Das ärgert mich noch mehr als ihre Lügen. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben, und ich habe mir etwas Simples überlegt, um nicht an den Abwehrreflexen in Sachen Technik zu scheitern: Ich schreibe vor allem über Waschmaschinen.

Es geht mir nicht um eine komplette Liste aller bewusst eingebauten Sollbruchstellen und ihrer technischen Hintergründe, um eine umfassende Darstellung aller Ausnahmeregelungen, die fast jede Werksgarantie als Lüge entlarven, oder um einen Überblick über alle vermeintlichen technischen Innovationen, die in Wirklichkeit nur leere Werbeansagen sind. Vielmehr werde ich zeigen, wie das System der Abzocke funktioniert, wie uns die Elektro-Multis als Konsumtrottel ständig an der Umsatzleine führen, und wie wir es in Zukunft besser machen können.

Ich werde dies alles anhand von Beispielen zeigen, die ich als Leiter eines Reparatur- und Servicezentrums für Elektrogeräte selbst erlebt habe. Ich werde unter den vielen dieser Beispiele jene auswählen, die wir alle aus unserem eigenen Leben kennen, und ich werde mich auf Geräte konzentrieren, deren Technik einfach nachvollziehbar ist. Deshalb wird es im Folgenden gelegentlich um Fernseher, Handys, Staubsauger, Geschirrspüler, Handrührgeräte oder Laptops gehen – vor allem aber um Waschmaschinen.

Ich weiß nicht, ob ich Ihnen jetzt »viel Spaß beim Lesen« wünschen soll. Denn ich bin mir sicher, dass Sie sich an vielen Stellen ärgern werden, darüber, was diese Konzerne treiben, und darüber, dass Sie bisher darauf hereingefallen sind. Ich könnte Ihnen »viel Spaß in Ihrem neuen Leben als intelligenter Konsument« wünschen, aber das müsste wohl eher am Ende des Buches stehen. Deshalb versuche ich es so: Die Konzerne haben uns lange genug verarscht. Fangen wir an.

Sepp Eisenriegler, Juli 2016

P.S.: Ein bisschen von der Angst vor Technik abzulegen, kann auch nicht schaden. Denn sie ist eines der Dinge, mit denen die Elektro-Multis kalkulieren.

Warten auf den Kundendienst

Meine Frau war mit unseren beiden Söhnen einkaufen gegangen. Ich hatte am Balkon gerade eine geraucht und wollte mir ein feuchtes Tuch holen, weil der Wind die Asche aus dem Aschenbecher geweht hatte. Als ich in die Küche trat, stand ich mit meinen Korkschlapfen im Wasser und meine Socken waren im gleichen Moment bis zum Knöchel nass. Ich sah zum Geschirrspüler, von wo ich es plätschern hörte. Er lief gerade im letzten Waschgang und von der Oberkante der Tür stürzte ein kleiner Wasserfall herab.

Ich eilte ins Stiegenhaus, wo sich hinter einem Metalltürchen neben dem Eingang der Hauptwasserhahn befand, und drehte ihn ab. Ich konnte nur hoffen, dass die Sache ohne gelbe Flecken an der Decke des Mieters unter uns ausgehen würde. Anschließend legte ich die Küche mit Eimer und Wischmopp trocken und ging zu dem Elektrohändler in unserer Nähe, an dessen Laden ich auf dem Weg zur Arbeit immer vorbeikam. »Ich wäre dankbar, wenn Sie sich das bald ansehen könnten«, sagte ich zu dem Lehrling, den ich dort vorfand.

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Der Chef ist nicht da«, sagte er. »Aber so viel kann ich Ihnen auch sagen: Sie müssen mit dem Problem dorthin, wo Sie den Geschirrspüler gekauft haben.«

Also fuhr ich zu der Filiale der Elektrokette, in der meine Frau den Geschirrspüler erstanden hatte. Schon als ich durch die Glastür trat, wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich als einer, der ein Problem hatte, unerwünscht war. Erwünscht waren hier bloß Menschen, die etwas kaufen wollten. Vielleicht war es Einbildung, vielleicht lag es aber auch daran, dass neben all den Werbeschildern keines mit der Aufschrift »Reparaturannahme« hing. Die Verkäuferin, die mir schließlich ihre Aufmerksamkeit schenkte, schüttelte dann ebenfalls den Kopf. »Sie hätten sich den Weg sparen können«, sagte sie. »Rufen Sie beim Kundendienst des Herstellers an. Der ist zuständig.«

Der Kundendienst war immerhin auf mein Anliegen vorbereitet. Doch als es um eine Terminvereinbarung ging, war vom »Dienst am Kunden« nicht viel zu spüren. Das Ganze fühlte sich eher an wie die amtliche Bekanntgabe eines Termins für die Stromablesung in einer Gemeindebauwohnung. »12. April«, sagte die Frau.

»12. April?«, fragte ich. Das war in drei Wochen. »Geht es nicht früher?«

»Ausgeschlossen«, sagte sie. In ihrem Tonfall und in ihrem kurzen, trockenen Lachen schien eine mindestens halbstündige Rede darüber zu liegen, wie ahnungslos ich offenbar war und wie dankbar ich sein musste, überhaupt einen Termin zu bekommen.

»Am 12. April kann ich nicht«, sagte ich.

Ich nahm den Termin dann trotzdem, denn er war noch immer besser als der nächstmögliche, der schon in der letzten Maiwoche gelegen wäre. »Seien Sie bitte zwischen acht und zwölf Uhr da«, sagte die Frau.

»Genauer lässt sich das nicht sagen? Ich muss nämlich in die …«

Ich unterbrach mich, weil ich spürte, dass es sinnlos war. Sie hörte gar nicht mehr zu. Kundendiensttermine vergeben zu können, das war wohl eine der geheimen Machtpositionen, wie Parkscheinkontrolleur oder Bademeister, in denen Menschen ihren Sadismus ausleben und sich nach Herzenslust an der Menschheit rächen konnten, wofür auch immer.

Am Morgen des 12. April wusch ich gründlich ab. Ich bin in dem Punkt nicht kleinlich, aber wenn bei einer vierköpfigen Familie der Geschirrspüler nicht läuft, stapeln sich immer schnell die Pasta-Töpfe, Bratpfannen und Nutella-Löffel in der Spüle. Um Punkt acht Uhr trocknete ich die letzte Tasse ab und war bereit für den Servicetechniker.

Als der Mann seine Werkzeugtasche in unser Vorzimmer stellte, hatte ich bereits ein zweites Mal abgewaschen und abgetrocknet, denn er kam lange nach dem Mittagessen, so gegen 13.30 Uhr. Dafür musste er die Küche erst gar nicht betreten, um seine Diagnose zu stellen. »Das Gerät ist älter als fünf Jahre«, sagte er noch vom Vorzimmer aus, während er einen kurzen Blick in unseren Garderobenspiegel warf und sich beiläufig durch die Haare fuhr. »Das zahlt sich nicht mehr aus.«

Es wunderte mich, dass fünf Jahre für einen Geschirrspüler schon ein so hohes Alter waren. Er erklärte mir, dass es an der Garantie läge. Die sei bei einem fünf Jahre alten Gerät abgelaufen und danach sei eine Reparatur angesichts der günstigen Preise für neue Geräte nicht mehr sinnvoll. »Dann tut es mir leid, dass Sie umsonst gekommen sind«, sagte ich.

»Kein Problem«, sagte der Mann. Er suchte nach einer Unterlage für seinen Rechnungsblock. »Das macht alles zusammen …« Er tippte etwas in seinen Taschenrechner und nannte mir schließlich eine Summe in Höhe eines Viertels des Kaufpreises eines neuen Geschirrspülers.

»Alles zusammen?«, fragte ich. »Was meinen Sie damit?«

»Die Anfahrt und die Besichtigung. Wenn Sie bei uns ein neues Gerät derselben Marke kaufen, entfallen diese Kosten. Das wissen Sie ja bestimmt.«

Ich hatte es nicht gewusst und wollte schon andächtig nicken. Ach, was war ich doch für ein naiver Konsument gewesen, und was für eine Last für diese Menschen, die im Auftrag großer Elektro-Konzerne ihr Bestes für uns gaben.

Erst im letzten Moment besann ich mich. Denn in gewisser Weise war ich es mir schuldig, nicht nur ein kluger, sondern auch ein kritischer Konsument zu sein. Schließlich arbeitete ich für die Wiener Umweltberatung und beriet Privatpersonen, öffentliche Einrichtungen und Gewerbetreibende beim verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur – etwa in den Bereichen Abfall, Reinigung, Energie oder Baustoffe.

Weshalb für mich schon berufsbedingt der Verdacht nahelag, dass mein Gefühl, ich sei als Konsument naiv und würde erst dann alles richtig machen, wenn ich den Empfehlungen dieses Servicetechnikers folgte, ein von der Industrie gewünschtes und gemachtes sein könnte. Ich wurde richtig böse. »Warten Sie«, sagte ich. »Ob und wo ich einen neuen Geschirrspüler kaufe, weiß ich noch nicht, aber ich zahle gar nichts, wenn Sie mir nicht den Fehler zeigen. Deshalb sind Sie schließlich hier.«

Er warf noch einen Blick in den Spiegel, diesmal wohl, um Zeit zu gewinnen.

»Kennen Sie sich überhaupt aus?«, fragte ich ihn. Ich deutete auf seine Tasche. »Welchen Beruf haben Sie gelernt? Wissen Sie überhaupt, wie sich ein Geschirrspüler öffnen lässt? Oder sind Sie nur der verlängerte Arm der Verkaufsabteilung?«

In der Rolle des Konsumenten als Querulant war ich erfolgreicher als bei meinem Versuch, die vorgegebenen Wege korrekt zu beschreiten. Wenige Augenblicke später kniete der Servicetechniker vor meinem Geschirrspüler. Auf der Anrichte lagen ein paar Schrauben und neben ihm lehnte die Abdeckung des Gerätes. »Schauen Sie«, sagte er und deutete in den von dünnen Spinnweben durchzogenen Innenraum. »Es ist dieser kleine Schlauch hier. Ich hatte es mir schon fast gedacht.«

Ich wollte mich schon für die Expertise bedanken, als ich ein weiteres Mal nachzudenken anfing. Vielleicht war das neuerlich naiv, aber ein Schlauch? Wegen eines Schlauches sollte nichts mehr zu machen sein? Ein kaputter Schlauch bedeutete gleich einen Totalschaden? »Lässt sich der nicht austauschen?«, fragte ich. »So ein Schlauch müsste doch ein Verschleißteil sein.«

»In Wirklichkeit brauchen sie ihn nicht einmal auszutauschen«, sagte er. Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu, als wäre er auch schon lange böse auf ein System, in dem er ständig sein Fachwissen als Vasall eines nach Umsätzen gierenden Konzerns verraten musste. Er zog den Plastikschlauch links und rechts ab, blies einmal durch und befestigte ihn wieder. »Das war’s«, sagte er. »Der Schlauch war verstopft. So etwas passiert, wenn Sie zu viel Geschirrspülmittel verwenden.«

Das war vor zwanzig Jahren. Meine beiden Söhne sind inzwischen erwachsen und werden mich hoffentlich bald zum Großvater machen. Auch sonst hat sich einiges in meinem Leben verändert. Ich weiß jetzt, dass nicht nur Servicetechniker unter gespaltenen Persönlichkeiten leiden. In den Ingenieurs- und Produktdesignabteilungen der Elektro-Multis sieht es genauso aus. Dort sitzen begabte und gut ausgebildete Techniker und Designer und sind hin- und hergerissen zwischen ihrem Berufsethos, gute Produkte zu entwickeln und zu gestalten, und dem Druck, ihren Arbeitgebern mithilfe von Sollbruchstellen beim Erreichen ihrer Umsatzziele zu helfen.

Bloß zwei Dinge sind für mich in diesen zwanzig Jahren unverändert geblieben. Das erste: Ich habe nach wie vor keine Lust, mich als Konsument von Konzernen verarschen zu lassen. Das zweite: Mein Geschirrspüler von damals funktioniert noch immer.

Hinter den Kulissen

Ich habe meinen früheren Job als Umweltberater nicht zufällig gewählt. Mir war schon früh die Zerbrechlichkeit und Schutzbedürftigkeit unseres Planeten bewusst geworden, und die Rolle von uns Menschen als seine größte Bedrohung. Mein Geographielehrer öffnete mir damals die Augen dafür. Er redete oft davon, dass wir Menschen zu wenig von der Erde wissen, sonst würden wir uns anders verhalten. Wir würden anders mit ihrer Natur, ihren Ressourcen und ihrer Atmosphäre umgehen. Er war für mich ein Botschafter des richtigen Lebens, dessen Stimme im allgemeinen Getöse viel zu wenig Gehör fand, weshalb ich ebenfalls Geographielehrer werden wollte.

Vor allem die physische Geographie faszinierte mich – die Bewegungen der tektonischen Platten, die sich verschiebenden Gesteinsschichten und ihr empfindliches Gleichgewicht. Jenes Gleichgewicht, das wir allzu leicht vergessen, wenn wir uns auf der Erdoberfläche oder darunter, etwa bei der Ausbeutung der Bodenschätze, benehmen, als hätten wir die absolute Kontrolle.

Dabei zeigt jede Zeichnung vom geologischen Aufbau der Erde für jedes Kind verständlich, wie lächerlich diese Kontrollidee ist. Nur der oberste Teil der äußeren Schale der Erde ist fest, der Rest ist flüssig oder gasförmig. Die feste Erdkruste ist durchschnittlich gerade einmal 35 Kilometer dick, was der Strecke von Wien nach Eisenstadt oder von Frankfurt nach Mainz entspricht. Das Verhältnis ist wie bei der Schale einer Mandarine zur eigentlichen Frucht. Nur ist das »Fruchtfleisch« der Erde 1.000 bis 6.000 Grad Celsius heiß.

Nichts kann dort unten überleben. Nicht einmal ein Roboter könnte in mehr als dreißig Kilometer Tiefe vordringen. Diese Lebensfeindlichkeit des Erdkerns spüren sogar schon die Arbeiter in afrikanischen Goldminen, die bis in 3.000 Meter Tiefe reichen. Bei 45 Grad Celsius bohren dort unten Männer und Frauen im Lichtkegel ihrer Stirnlampen nach Gold, das wegen seiner hohen Leitfähigkeit beim Bau von Handys und anderen Geräten zum Einsatz kommt.

Um genug Gold für vierzig Handys zu erhalten, müssen Menschen unter miserablen Arbeitsbedingungen eine Tonne Golderz an die Oberfläche befördern.

Schmerzhaft bewusst wird uns die Lächerlichkeit unserer Kontrollidee, wenn sich die Lebensfeindlichkeit des Erdkerns auch an der Oberfläche zeigt – etwa bei Vulkanausbrüchen oder schweren Erdbeben. Im Vergleich zu diesen Naturgewalten ist alles von uns Menschen Geschaffene nur Tand. Keine Versicherungsgesellschaft der Welt würde das Risiko abdecken, das wir eingehen, indem wir diese Naturgewalten mit unseren von Gier getriebenen Eingriffen in die Ökosysteme herausfordern, dachte ich während meines Geographiestudiums.

Vor allem gaben und geben mir die destruktiven wirtschaftlichen und politischen Prozesse zu denken, die dazu führen, dass Bergbau-Multis und andere Konzerne, die mächtiger als ganze Staaten sind, dieses Risiko wider besseren und überall verfügbaren Wissens ständig steigern. Zum Beispiel, wenn sie mit Hilfe von umweltschädlichem und energieaufwendigem Fracking die letzten Ölreserven aus der Erde herauspressen, oder Menschen in den ärmsten Regionen der Welt unter widrigen Umständen immer tiefer bohren und graben lassen, um mineralische und metallische Ressourcen zu gewinnen.

Ich fragte mich damals, während meines Studiums, wie es sein kann, dass diese Konzerne rücksichtslos die Rohstoffe der armen Länder ausbeuten. Rohstoffe, die in der Folge billige Arbeitskräfte in den Schwellenländern zu Waschmaschinen, Geschirrspülern oder Fernsehern verarbeiten, die wir in den reichen Ländern billig kaufen und achtlos wieder entsorgen, wenn uns wegen einer neuen Werbebotschaft danach ist.

Womit wertvolle Stoffe aus dem Erdinneren, die in Armut lebende Menschen teils unter Einsatz ihres Lebens geborgen haben, und deren Abbau das sensible Gleichgewicht der Systeme unseres Planeten stören kann, einfach auf Halden für Elektroschrott landen.

Es heißt, dass aus Elektroschrott inzwischen mehr Gold zu gewinnen ist, als aus vielen Minen.

Ich fragte mich während meines Studiums auch, warum wir da einfach mitspielen, zumal ich schon damals den Verdacht hegte, dass wir als Konsumtrottel nicht nur dem Planeten schadeten, sondern auch uns selbst. Ständig neue Geräte zu kaufen, bloß weil sie billig waren, war über einen längeren Zeitraum betrachtet bestimmt teurer, als einmal ein ordentliches zu kaufen, das sich reparieren ließ und ewig hielt.

Warum also spielten wir da mit?

Eine erste Antwort fand ich, als ich in den 1990er-Jahren in einer Filiale einer österreichischen Lebensmittelkette mit der Umweltberatung ein Projekt zur Abfallvermeidung durchführte. Dort standen die Cola-Dosen griffbereit auf Augenhöhe, während die Pfandflaschen der gleichen Getränkemarke sich ganz unten im Regal befanden – sichtbar nur für jene Kunden, die danach suchten. Die Filialleiterin war skeptisch, als wir die Flaschen nach oben und die Dosen nach unten schlichteten, doch es trat ein, was ich erwartet hatte. Die Kunden legten nun die Mehrwegflaschen in ihre Einkaufswagen, während die Dosen verstaubten.

Die Handelskette hatte trotzdem kein Interesse, die neue Coca Cola-Ordnung zu behalten oder sie gar im Sinne der Umwelt und einer nachhaltigen Ressourcennutzung auch in allen anderen Filialen durchzusetzen. Denn Pfandflaschen sind für Handelsketten mühsam. Jemand muss die zurückgegebenen Flaschen in Kisten einsortieren und bis zur Abholung durch die Lieferanten ins Lager stellen. Wenn die Kunden Dosen statt Flaschen kaufen, sparen die Handelsketten Lohn- und Lagerkosten.

Dass die Mehrwegflaschen allmählich verschwanden, lag also nicht nur an den Bedürfnissen der Kunden, die sich über leichtere Einkaufstaschen und mehr Platz im Kühlschrank freuten, begriff ich. Daran waren auch die wirtschaftlichen Interessen der Handelsriesen schuld, die uns als Kunden gemäß ihren eigenen Bedürfnissen manipulieren, ohne dass wir es merken. Wenn es dann um den Elektroschrott und den Plastikmüll geht, verweisen sie trotzdem mit einer Krokodilsträne auf unsere Kundenbedürfnisse. Sie verkaufen Geräte mit »Öko«-Schaltern, die nichts als ein Etikettenschwindel sind (siehe Kapitel »Die Energieeffizienzlüge«), hängen Einkaufstaschen zur Kassa, die zum Teil aus nachwachsenden Rohstoffen statt aus Plastik bestehen, deren ökologischer Fußabdruck aber in Wirklichkeit auch nicht viel besser als der reiner Plastiktaschen ist, und schlichten BioWare in die Regale, mit der sie genauso viel oder sogar noch mehr als mit herkömmlicher verdienen.

Meine Frage war damit hinlänglich beantwortet. Wir spielen mit, weil die Multis uns dementsprechend manipulieren.

Wir sind nicht von Natur aus Konsumtrottel, sondern die Konzerne machen uns dazu. Und wahrscheinlich können sie es selbst nicht fassen, dass wir auf ihre simplen Tricks ständig hereinfallen.

Ich entwickelte das Bedürfnis, etwas gegen diese unaufhörliche Manipulation und diesen, unserem Wirtschaftssystem offenbar immanenten, Wegwerfwahnsinn zu tun. Meine Idee bestand darin, alte, bereits entsorgte Waschmaschinen, Geschirrspüler oder Fernseher, die noch zu retten waren, zu reparieren und günstig zu verkaufen.

Ich fing im Frühjahr 1998 mit zwei Angestellten, zwölf Langzeitarbeitslosen sowie Förderungen einiger öffentlicher Wiener und Brüsseler Stellen an. Mein Reparatur- und Servicezentrum, kurz R.U.S.Z, bekam viel Aufmerksamkeit. Die Wienerinnen und Wiener brachten uns ihre defekten Waschmaschinen, Bügeleisen, Bohrmaschinen, Heckenscheren, Fernseher, Videorecorder und Stereoanlagen, die sie teils über Jahre in Kellern, Garagen und auf Dachböden aufgehoben hatten.

Dieses Interesse, von dem wir anfangs teils regelrecht überfordert waren, zeigte mir, dass unsere Initiative ein Marktversagen ausglich. Viele Menschen hatten offenbar darauf gewartet. Warum hätten sie sonst die Geräte so lange aufbewahrt?

Als uns ein Segler den sechs Meter langen Flautenschie-bemotor für seine Yacht brachte, wusste ich, dass wir noch mehr tun mussten. Wir bildeten gemeinsam mit Reparaturbetrieben, die bisher für sich allein ein schwieriges Dasein gefristet hatten, das Reparaturnetzwerk Wien, zu dem inzwischen mehr als achtzig Betriebe gehören. Wir tauschen Informationen aus und sorgen dafür, dass wir möglichst alle anfallenden Reparaturen bewältigen können.


Seit zwei Jahrzehnten blicke ich hinter die Kulissen der Elektro-Multis, indem ich mit meinem Team im Wiener Reparatur- und Servicezentrum ihre Produkte auseinander nehme.

Reich werden wir dabei alle nicht. Denn, zwar mögen die Menschen unser Angebot, der »freie« Markt aber hat etwas dagegen. Das fand ich heraus, als das Arbeitsmarktservice die Zusammenarbeit aufkündigte und wir mit wirtschaftlich vertretbaren Preisen arbeiten mussten. Wenn eine Reparatur selbst bei uns ein paar Tage dauert und fast so viel oder sogar noch mehr als eines der sofort verfügbaren neuen Geräte kostet, liegt die Entscheidung der Kunden, einmal mehr die Augen vor dem Wegwerfwahnsinn zu verschließen, nahe.

Aus verständlichen Gründen. Die meisten von uns ahnen, dass gute Qualität in der Regel mehr kostet, und billigere Ware meistens auch schlechter ist. Doch manchmal wollen oder können wir die 300 oder 600 Euro mehr nicht ausgeben, wenn sich kurz nach Weihnachten der BH-Bügel in der Waschmaschinenpumpe verfangen hat und der Hersteller sagt: »Leider kein Garantiefall.«

In den vergangenen Jahren hat sich der Wettbewerb zwischen Reparatur und der neuen Ware aus den Handelsketten immer weiter verschärft. Der Grund dafür sind die immer billigeren Geräte in den Regalen. Der Wegwerftrend hat sich mit ihnen durchgesetzt, und er macht inzwischen nicht einmal mehr vor Produkten wie Bohrmaschinen, Stereoanlagen und Küchenherden halt, die wir vor fünfzig Jahren noch für mindestens ein halbes Leben gekauft haben.

Dieser Wettbewerb ist unfair und des freien Marktes eigentlich unwürdig. Denn die externalisierten Kosten, also die Kosten für Umweltzerstörung und Schäden in der sozialen Entwicklung ganzer Länder, sind bei den Geräten der Schnäppchenanbieter natürlich nicht eingepreist. Das alles zahlen wir, unsere Kinder und unsere Enkel in Form von Folgekosten für Klimakatastrophen, Kriege, die im Kern immer wirtschaftlich motiviert sind, und Flüchtlingsströme. Das bedeutet, dass wir Reparateure zwar keine Subventionen mehr bekommen, die profitorientierten Konzerne über Umwege aber sehr wohl.

Die Konzerne nehmen uns Reparateure auch sehr wohl als Konkurrenten ernst. Sie strengen sich an, um uns das Leben schwer zu machen. Zum Beispiel mit Handrührgeräten, deren Gehäuse verklebt statt verschraubt sind, sodass sie ihr Besitzer schon beim kleinsten Defekt nur noch wegwerfen kann.

Gleichzeitig schlagen die Konzerne Nutzen aus der Wegwerfkultur, indem sie die Lebenszeit ihrer Produkte mit technischer Raffinesse und auf Basis ihrer Umsatzziele und Marketingpläne wissentlich verkürzen. Dabei kriegen sie uns auch noch psychologisch dran. Sie erzählen uns, dass unser Gerät vielleicht noch funktioniert, aber dass wir besser dran sind, wenn wir es loswerden. »Hau weg, den Dreck«, lautet ein Slogan der Elektrokette Saturn.

Vor allem bei Prestigeprodukten wie Fernsehern oder Handys fallen wir gerne darauf herein und entsorgen Geräte, die voll funktionstüchtig sind und noch jahrelang gehalten hätten. Wir kaufen uns, Studien zufolge, alle ein bis zwei Jahre ein neues Smartphone und ersetzen mit sechzigprozentiger Wahrscheinlichkeit unseren funktionierenden Flatscreen-Fernseher durch einen neuen.