Read the book: «Rudolf Cronau: Drei Jahrhunderte deutsches Leben in Amerika - Teil 2», page 2

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Welch glückliche Stunden mögen die Väter der deutschen Auswanderung in Germantown verlebt haben, wenn sie abends nach vollbrachter Arbeit auf den nach heimischer Art zu beiden Seiten der Haustür angebrachten Bänken saßen, von Bienen umsummt, von Tauben umflattert und vom Wohlgeruch der Blumen umwallt, die den aus Deutschland mitgebrachten Sämereien entsprossen! Wie oft mögen sie da der fernen Heimat gedacht haben, in der sie nur Kümmernisse und Verfolgung erlebt hatten, die ihnen aber trotzdem heilig und teuer blieb! Die Anhänglichkeit an dieselbe bekundeten sie, indem sie drei neue Ortschaften, die der Zuwachs später notwendig machte, Krefeld, Krisheim und Sommerhausen tauften.

Unter den alltäglichen Arbeiten vergaßen die Bewohner der deutschen Stadt nicht die Pflege des Geisteslebens. Den Mittelpunkt desselben bildete Pastorius, der die Errichtung einer Schule durchsetzte und persönlich eine Abendklasse leitete, in der er den reichen Born seines Wissens allen erschloss, die auf Vertiefung ihrer Kenntnisse bedacht waren. Der in jeder Beziehung merkwürdige Mann fand neben der Erledigung seiner Berufspflichten auch noch Zeit, schriftstellerisch tätig zu sein. Von seiner Vielseitigkeit und Gemütstiefe zeugt gewiss die Tatsache, dass er nicht weniger als 43 Bände mit Aufsätzen über Rechtskunde, Naturwissenschaft, Geschichte, Landwirtschaft, Theologie, Gedichten, Sinnsprüchen und philosophischen Betrachtungen füllte. Wie warm in seinem Herzen echte Liebe für das Vaterland und für seine Landsleute glühte, geht aus seinem berühmten, in lateinischer Sprache geschriebenen „Gruß an die Nachkommen“ hervor, mit dem er das Grundbuch von Germantown eröffnete. Der um die deutsch-pennsylvanische Geschichte hochverdiente Oswald Seidensticker, dessen Hauptwerk „Die Gründung von Germantown“ eine Perle echter, gemütstiefer Geschichtsschreibung ist, um die jedes Volk das Deutschamerikanertum beneiden dürfte, übersetzte denselben folgendermaßen: „Sei gegrüßt, Nachkommenschaft! Nachkommenschaft in Germanopolis! Und erfahre zuvörderst aus dem Inhalt der folgenden Seite, dass deine Eltern und Vorfahren Deutschland, das holde Land, das sie geboren und genährt, in freiwilliger Verbannung verlassen haben – oh, ihr heimischen Herde! – um in diesem waldreichen Pennsylvanien, in der öden Einsamkeit minder sorgenvoll den Rest ihres Lebens in deutscher Weise, d. h. wie Brüder, zu verbringen. Erfahre auch ferner, wie mühselig es war, nach Überschiffung des Atlantischen Meeres in diesem Striche Nordamerikas den deutschen Stamm zu gründen. Und du, geliebte Reihe der Enkel, wo wir ein Muster des Rechten waren, ahme unser Beispiel nach; wo wir aber von dem so schwierigen Pfade abwichen, was reumütig anerkannt wird, vergib uns; mögen die Gefahren, die andere liefen, dich vorsichtig machen. Heil dir, Nachkommenschaft!


Pastorius' Gruß an die Nachkommenschaft.

Kopie der im Grundbuch von Germantown befindlichen Originalniederschrift.

Heil dir, deutsches Brudervolk! Heil dir auf immer!“

Der lateinische Originaltext lautet:

A ex argumento in sequentis paginae primibus observa, Parentes ae Majores Tuos Alemaniam Solum quod eos genuerat, alueratque diu, voluntario exilio deseruisse, (oh! Patrios Focos!) ut in Silvosa hac Pennsylvania, deserta Solitudine, minus soliciti residuum Aetatis Germane, h. e. instar Fratrum, transigerent. Porro etiam inde addiscas, quantae molis erat, exant lato jam mari Atlantico, in Septentrionali isthoc Americae tractu, Germanam condere gentem. Tuque Series dilecta Nepotum! ubi fuimus exemplar honesti, nostrum imitare exemplum; Sin autem a semita tam difficili aberravimus, quod poenitenter agnoscitur, ignosce; Et sic te faciant aliena pericula cautam. Vale Posteritas! Vale Germanitas! Aeternum Vale!

Bereits im Jahre 1691 erhielt Germantown städtische Gerechtsame. Dass die Bewohner Pastorius zum Bürgermeister erwählten, war der Ausdruck der von allen gegen ihn empfundenen Dankbarkeit. Zugleich bekleidete er das Amt eines Friedensrichters. Als er am 2. Juni ein Ratsbuch beschaffte, eröffnete er dasselbe mit einigen seinen Gerechtigkeitssinn kennzeichnenden Sprüchen.

„Lasset die Forcht des Herrn bey Euch seyn und nehmet nicht Geschenke. Beleidigt keine Wittib noch Waisen. Schaffet dem Armen Recht und helffet dem Elenden und Dörftigen. Richtet recht zwischen Jedermann; sehet keine Person an, sondern höret den Kleinen wie den Großen. In euren Wahltagen setzet zu Häuptern übers Volk redliche, weise, erfahrene und verständige Leute, die wahrhafftig und dem Geitze feind sind.“

Wie wohl würde es um die amerikanische Nation stehen, wenn alle Richter sich bestrebten, gleich einem Pastorius solchen Grundsätzen gerecht zu werden.

Als Richter hatte Pastorius kaum etwas zu tun. Mitunter vergingen Monate, ehe er Anlass fand, einen Bewohner von Germantown in eine gelinde Geldstrafe zu nehmen. Seidensticker, welcher die Gerichtsakten von Germantown einer Durchsicht unterzog, nennt dieselben trocken und langweilig, fügt aber hinzu: „Glücklich die Gemeinde, deren Gerichts-Annalen langweilig sind!“

Unzweifelhaft ist auch eine Großtat der ersten deutschen Ansiedler in Amerika auf den hochherzigen Pastorius zurückzuführen: der erste in der zivilisierten Welt erhobene Protest wider die Sklaverei, die unfreiwillige Knechtschaft. Die Einfuhr von Negersklaven in die an der Ostküste von Nordamerika gelegenen holländischen und englischen Kolonien wurde bereits seit Anfang des 17. Jahrhunderts betrieben, ohne dass die für allgemeine Menschenrechte eintretenden Puritaner und Quäker den Menschenhandel als eine Ungerechtigkeit empfanden. Erst als William Penn für seine Provinz den „Frame of Government“ entwarf, und das Dokument seinem Freunde Benjamin Furley, einem in Rotterdam geborenen Quäker, der zugleich Agent der Frankfurter Gesellschaft war, zur Begutachtung vorlegte, hatte dieser ihm den Vorschlag unterbreitet: „Lasst keine Schwarze direkt eingeführt werden. Und wenn solche aus Virginien, Maryland oder sonst woher mit Familien kommen, welche dieselben früher irgendwo kauften, so lasst dieselben (wie nach der Verfassung von West Jersey) nach acht Jahren frei erklären.“

Aber die Handelsgesellschaft, welcher Penn angehörte, und die gleich allen anderen Kolonisten englischer und holländischer Abkunft Sklaven hielt, wollte diesem Vorschlag Furleys nur so weit entgegenkommen, dass sie in eine Freilassung ihrer Sklaven nach 14jähriger Dienstzeit derselben willige, wenn dieselben sich verpflichteten, nach erfolgter Freilassung zwei Drittel aller Erzeugnisse des ihnen zugewiesenen Landes an das Warenhaus der Gesellschaft abzuliefern, anderenfalls sie in dienendem Verhältnis bleiben müssten.

Den Deutschen, welche in ihrer eigenen Heimat den Druck der Obrigkeit schwer empfunden hatten, schien die Sklaverei höchst ungerecht, indem sie gegen die Lehren der christlichen Religion verstoße. Deshalb beschäftigten sie sich sehr lebhaft mit dieser Frage und ließen ihren von Pastorius in englischer Sprache niedergeschriebenen Protest im Februar 1688 der Monatsversammlung der Quäker verlesen. Das denkwürdige Schriftstück hat verdeutscht folgenden Wortlaut:

„An die Versammlung bei Richard Worrells.

Hier folgen die Gründe, warum wir gegen den Handel in Menschenleibern sind. Ist irgendjemand, der in gleicher Weise behandelt, das heißt verkauft und zeitlebens als Sklave gehalten werden möchte? – Wie zaghaft und schwachherzig gebärden sich viele auf See, wenn ihnen ein fremdes Schiff begegnet, – fürchtend, es möge ein türkisches sein, und sie möchten gefangengenommen und in der Türkei als Sklaven verkauft werden. Wohlan, ist euer Verfahren besser als das der Türken? Im Gegenteil, es steht denen weit übler an, welche vorgeben, Christen zu sein. Denn wir hören, dass die meisten Neger gegen ihren Willen und gegen ihre Zustimmung hierhergebracht werden, und dass viele von ihnen gestohlen wurden. Nun, obgleich sie schwarz sind, können wir doch nicht einsehen, dass dieser Umstand irgendwelche größere Berechtigung verleiht, sie als Sklaven zu halten, als wenn man es mit weißen Menschen zu tun hätte. Man sagt, wir sollten allen Menschen ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse oder Hautfarbe, so begegnen, wie man selbst behandelt zu werden wünscht.

Doch sind die, welche Menschen rauben und jene, welche sie kaufen und verkaufen, nicht alle gleich? – Hier herrscht Freiheit des Glaubens, was recht und vernünftig ist. Aber hier sollte auch Freiheit des Körpers herrschen, ausgenommen für Übeltäter, was ein andrer Fall ist. Aber wir protestieren dagegen, Leute wider ihren Willen herzubringen. In Europa sind viele ihres Glaubens wegen unterdrückt. Hier dagegen sind die, welche wegen ihrer schwarzen Farbe unterdrückt werden.

Wir wissen, dass die Menschen keinen Ehebruch begehen sollen. Aber manche machen sich dieser schweren Sünde in andrer Form schuldig, indem sie Frauen von ihren Männern trennen und anderen überliefern. Manche verhandeln obendrein die Kinder dieser armen Geschöpfe an andere Leute.


Der Protest der Deutschen von Germantown gegen die Sklaverei. Nach der in der Gesellschaft der „Freunde“ zu Philadelphia aufbewahrten Originalhandschrift.


Oh, die ihr solche Dinge tut, überlegt, ob Ihr in der gleichen Weise behandelt werden möchtet, und ob es sich mit wahrem Christentum verträgt. Ihr überbietet Holland und Deutschland in solchen Dingen. Es bringt euch in allen europäischen Ländern in Verruf, wenn sie dort hören, dass die Quäker hier Menschen in der gleichen Weise wie das Vieh verkaufen. Aus diesem Grunde zeigen manche keine Neigung, hierherzukommen. Denn wer könnte solches Tun verteidigen oder befürworten? Wir können es nicht; es sei denn, dass ihr uns überzeugt, dass Christen ein Recht haben, so zu handeln. Sagt, was könnte uns Schlimmeres widerfahren, als wenn Menschen uns rauben oder stehlen wollten, um uns von unseren Angehörigen zu trennen und als Sklaven in fremde Länder zu verkaufen? Einsehend, dass dies nicht die Art ist, in der wir mit uns verfahren sehen möchten, protestieren wir gegen diesen Menschenschacher. Und wir, die wir bekennen, dass es ungesetzlich ist, zu stehlen, müssen es gleichfalls unterlassen, Dinge zu kaufen, von denen wir wissen, dass sie gestohlen wurden. Wir sollten dagegen helfen, dass dieser Raub und Diebstahl unterdrückt werden. Die Sklaven aber sollten aus den Händen ihrer Räuber erlöst und in gleicher Weise freigegeben werden, wie in Europa. Dann wird Pennsylvanien einen guten Ruf erlangen, wohingegen es jetzt dieser Ursache wegen in anderen Ländern berüchtigt ist. Wir sollten dies umso mehr tun, als die Europäer begierig sind, zu erfahren, in welcher Weise die Quäker ihre Provinz regieren. Viele dieser Europäer beneiden uns. Wenn dies aber wohlgetan ist, was wäre dann vom Übel?

Falls es diesen als dumm und hinterlistig verschrienen Sklaven einmal in den Sinn käme, sich zu vereinigen und für ihre Freiheit zu kämpfen und dann ihre Herren und Herrinnen in der gleichen Weise zu behandeln, wie diese sie behandelten, werden dann diese Herren und Herrinnen zum Schwert greifen und diese armen Sklaven bekämpfen? Manche würden, wie wir glauben, nicht zögern, dies zu tun. Aber hätten diese Neger nicht ebensogut das Recht, für ihre Freiheit zu kämpfen, als wie Ihr das Recht zu haben glaubt, sie als Sklaven zu halten?

Nun erwägt diese Angelegenheit wohl, ob sie gut oder böse ist. Falls Ihr es für recht befindet, die Schwarzen in solcher Weise zu behandeln, so bitten und ersuchen wir euch hiermit liebevoll, uns darin zu belehren, was bis heute nie zuvor getan wurde, nämlich, dass es Christen ziemt, so zu verfahren. Einstweilen werden wir uns über diese Angelegenheit zufriedengeben, und gleichfalls unsere guten Freunde und Bekannte in der Heimat beruhigen, für welche es ein Schrecken und Abscheu ist, dass Menschen derart in Pennsylvanien behandelt werden.

Dies ist von unsrer Versammlung in Germantown, abgehalten am 18. des 2. Monats 1688. Zu übergeben an die Monatsversammlung bei Richard Worrells.

Garret Hendericks. Derick up de Graeff. Francis Daniell Pastorius. Abraham up den Graeff.“

Die Monatsversammlung der Quäker fand das Dokument zu wichtig, als dass sie sich für zuständig hielt, einen Beschluss zu fassen. Sie überwies das Schriftstück der „Vierteljahrsversammlung“, die dasselbe aus den gleichen Gründen am 4. April an die „Jahresversammlung“ weitergab. Diese drückte sich am 5. Juli mit der Erklärung um die heikle Frage herum: „Es wurde hier eine von mehreren deutschen Freunden verfasste Schrift eingereicht, welche die Frage der Gesetzlichkeit oder Ungesetzlichkeit des Kaufs und Haltens von Negern betrifft. Man kam dahin überein, dass es dieser Versammlung nicht zustehe, ein positives Urteil über diese so viele andere Dinge berührende Frage abzugeben. Aus diesem Grunde unterließ man es, auf die Angelegenheit einzugehen.“

Damit wurde das denkwürdige Schriftstück zu den Akten gelegt. Erst volle 155 Jahre später wurde es von dem Geschichtsforscher Nathan Kite wieder aufgefunden und am 13. Januar 1844 in der Quäkerwochenschrift „Friend“ zum Abdruck gebracht. Das Original, ein stark verwitterter Bogen in Folioformat, befindet sich noch heute im Besitz der Quäkergesellschaft der Friends in Philadelphia.

Wenngleich der menschenfreundliche Pastorius die Abschaffung der Sklaverei nicht erlebte, so durfte er sich doch versichert halten, dass seine Anregung einst Früchte tragen werde. Bereits im Jahre 1711 kam in Pennsylvanien ein Gesetz zur Annahme: „An act to prevent the Importation of Negroes and Indians into the province.“ Es wurde zwar von der englischen Regierung sofort für ungültig erklärt, aber schon 1715 begannen die Quäker ernstlich sich gegen den überseeischen Sklavenhandel auszusprechen. 1730 gingen sie schon so weit, das Kaufen importierter Sklaven zu missbilligen.

Unterdessen war, was an dem edlen Pastorius sterblich, längst zu Staub zerfallen. Er schied gegen Ende des Jahres 1719 aus dem Leben und wurde auf dem alten Quäkerfriedhof von Germantown begraben. Kein Nachweis ist vorhanden, an welcher Stelle die Gebeine des edlen Mannes ruhen, von dem sein berühmter, ihm im Tode vorausgegangener Zeitgenosse und Freund William Penn einst sagte: „Vir sobrius, probus, prudens et pius, spectatae inter inculpataeque famae“; „Nüchtern, rechtschaffen, weise und fromm, ein Mann von allgemein geachtetem und unbescholtenem Namen“.


Altes Haus in Germantown, in dem der Protest gegen die Sklaverei verfasst

und geschrieben wurde. Nach einer alten Zeichnung.

Auch nach Pastorius' Tode flossen die Jahre in Frieden über die deutsche Stadt hinweg. Keine Indianerkämpfe, Religionsstreitigkeiten oder Parteifehden wurden hier ausgefochten. Mit den benachbarten Quäkern, denen sich viele Mennoniten von Germantown förmlich anschlossen, unterhielt man die beste Fühlung. Zuwanderung aus Deutschland und den benachbarten Kolonien ließ das Städtchen Germantown rasch emporblühen. Von diesem Zuwachs erwies sich keiner so wertvoll wie die Einwanderung eines aus Laasphe in Westfalen stammenden Mannes, Christoph Saur, der im Jahre 1727 in Germantown anlangte.

Nicht an Gelehrsamkeit, sicher aber an Vielseitigkeit war er dem edlen Pastorius über. Sagt doch eine handschriftliche Notiz von ihm: „Er ist ein sehr ingenieuser Mann, ein Separist, der auf die 30 Handwerke ohne Lehrmeister erlernet. Denn als ein Schneider ist er dahin nach Amerika gereiset und nun ein Buchdrucker, Apotheker, Chirurgus, Botanicus, groß und klein Uhrmacher, Schreiner, Buchbinder, Concipient der Zeitungen, der sich alle seine Buchdruckerwerkzeuge selbst verfertigt; ziehet auch Bley und Drat, ist ein Papiermüller, u. s. w.“

In keiner seiner vielen Beschäftigungen erzielte Christoph Saur so große und nachhaltige Erfolge wie in der Druckerei.

Die nach Pennsylvanien gekommenen deutschen Sektierer verfassten zahlreiche religiöse Erbauungsschriften, die sie in Philadelphia bei Andreas Bradford, Samuel Keimer und Benjamin Franklin drucken ließen. Sie mussten es sich allerdings gefallen lassen, dass ihre Andachtsbücher mit lateinischen Lettern gedruckt wurden, da gotische Typen bisher nicht nach Amerika gebracht waren. Seidensticker zählt in seiner Monographie: „German printing in America“ eine ganze Reihe solcher mit römischen Typen gedruckten Bücher auf. Welchen Wert die amerikanischen Drucker auf die Kundschaft der Deutschen legten, geht daraus hervor, dass Bradford im Jahre 1730 einen deutschen Kalender erscheinen ließ unter dem Titel: „Der Teutsche Pilgrim, mitbringend seinen sitten Calender. Auf das Jahr nach der gnadenreichen Geburt unseres Herrn und Heylands Jesu Christ MDCXXXI.“

Benjamin Franklin wagte sich sogar an die Herausgabe einer deutschen Ausgabe seiner „Pennsylvania Gazette“. Er kündigte dieselbe am 11. Juli 1732 mit folgenden Worten an: „Am nächsten Samstag wird die Philadelphische Zeitung, ein Blatt in Hochdeutsch, herausgegeben werden. Dieselbe wird alle vierzehn Tage Samstags erscheinen. Auf dem Lande wohnende Subskribenten können sie um zehn Uhr in Empfang nehmen. Anzeigen werden vom Drucker der Zeitung wie auch von Herrn Louis Timothee, Sprachlehrer angenommen, welcher dieselben übersetzt.

Diese Zeitung war mit römischen Lettern gedruckt. Eine Kopie der zweiten Nummer vom 24. Juni 1732 befindet sich in den Sammlungen der Historical Society of Pennsylvania. Gleich an der Spitze dieser Zeitung lässt Franklin sich folgendermaßen vernehmen: „Wiewohl ich geglaubt hätte, dass sich unter denen teutschen Einwohnern dieses Landes mehr Liebhaber sollten gefunden haben, die dieses zumahl vor junge Personen so nützliche Werk, die Ausgabe der Zeitungen nehmlich, befördern, und dazu mit anstehen würden; so erstreckte sich doch die Anzahl derer, die sich dazu unterschrieben haben, vor jetzt nicht über 50. Nichtsdestoweniger habe ich auf meiner Seiten nicht ermangeln wollen, damit einen Anfang zu machen, der Hoffnung lebend, dass sich noch mehrere einfinden werden, selbiges zu befördern, sonsten ich mich genöthigt sehen würde, bald wieder damit aufzuhören.“

Da diese Ermunterung ohne Wirkung blieb, so stellte Franklin den Druck der „Philadelphischen Zeitung“ wieder ein. Die geringe Teilnahme der deutschen Bevölkerung an diesem Unternehmen erklärt sich dadurch, dass Franklin wiederholt Äußerungen getan hatte, aus denen starke Abneigung gegen alles Deutsche hervorleuchtete.

Dem scharfen Blick Christoph Saurs entging es nicht, dass er sich eine lohnende Existenz gründen könne, wenn er in Germantown eine Druckerei eröffne und bei der Vervielfältigung der von seinen Landsleuten verfassten Schriften gotische Lettern verwende, die aus alter Gewohnheit von den Deutschen bevorzugt wurden. Wie richtig er rechnete, beweist die Tatsache, dass fortan fast alle Werke der deutschen Sektierer in und um Germantown bei ihm verlegt wurden.

Die Frage, ob Saur auch die ersten deutschen Lettern nach Amerika brachte, ist noch offen. Die Ansicht Seidenstickers, dies sei der Fall gewesen, wurde neuerdings durch den Fund eines im Besitz des Herrn Julius Sachse in Philadelphia befindlichen, mit gotischen Lettern gedruckten Büchleins hinfällig, das die Jahreszahl 1728 trägt.

Seidensticker erwähnt in einem für den „Deutschen Pionier“ geschriebenen Aufsatz über „Deutsch-amerikanische Inkunabeln“ mehrere Überlieferungen, wie es in Germantown zur Einrichtung einer deutschen Druckerei gekommen sei. Nach einer derselben hätten die aus Westfalen stammenden Tunker eine Druckerpresse nebst Lettern von ihren in der Heimat zurückgebliebenen Glaubensgenossen zugeschickt erhalten. Einer anderen Überlieferung zufolge habe der Tunker Jacob Gaus Presse und Lettern mitgebracht, um für die deutschen Sekten in Pennsylvanien religiöse Schriften zu drucken. Da er dazu nicht geschickt genug gewesen sei, habe er den Apparat müßig stehen lassen, der später von Christoph Saur erworben worden wäre.

Unzweifelhaft nahm die deutsche Druckerei in Nordamerika erst mit Saur ihren Aufschwung. Er ergriff den neuen Beruf mit förmlicher Begeisterung, überzeugt, durch die Gründung einer deutschen Druckerei ein gottgefälliges Werk zu verrichten. So schrieb er in einem vom 17. November 1738 datierten Brief:

„Womit finde ich Worte, den guten Gott zu loben? Ich bin ihm hoch verpflichtet! Mein Alles sey zu seinem Dienst und Verherrlichung seines Namens! Dieses war in Schwachheit meine Begierde und Verlangen vor das viele Gute, so mir die Zeit meines Hierseyns und meines gantzen Lebens wiederfahren. Darum habe ich auch gewünschet, eine deutsche Druckerei im Lande mir anzulegen, die mir ... gekauft und hierher befördert. Nun könnte man kein bequemer Vehiculum finden, solches durchs ganze Land bekannt zu machen, als zuerst einen Calender zu drucken.“

Dieser Kalender erschien unter dem Titel:

Der Hoch-Deutsch Amerikanische Calender auf das Jahr nach der gnadenreichen Geburt unseres Herrn und Heylands Jesu Christi 1739.

Er enthielt neben den üblichen Mitteilungen allerhand nützliche Belehrungen über Pflanzenkunde, Gesundheits- und Krankheitspflege, Geschichte, Länder- und Völkerkunde und dergleichen mehr. Dem Kalender folgte noch im selben Jahre ein von den Klosterbrüdern zu Ephrata zusammengestelltes, 792 Seiten umfassendes Gesangbuch. Dasselbe war „allen in der Wüsten girrenden und einsamen Turteltäublein“ gewidmet und trug den wunderlichen Titel: „Zionitischer Weyrauchs-Hügel oder Myrrhen-berg, worinnen allerley liebliches und wohlriechendes, nach Apotheker-Kunst zubereitetes Rauch-Werk zu finden.“

Es bezeugt gewiss den Wagemut Saurs, dass er, nachdem dieses Werk kaum fertig war, schon zur Herausgabe einer deutschen Zeitung schritt. Dieselbe erschien am 20. August 1739, hatte vier doppelspaltige Seiten von 13 Zoll Höhe und 9 Zoll Breite und trug den Titel: „Der Hoch-Deutsch Pennsylvanische Geschichtsschreiber oder Sammlung wichtiger Nachrichten aus dem Natur- und Kirchenreich.“

Dieser Erstling der deutsch-amerikanischen Zeitungspresse sollte dem ursprünglichen Plan des Herausgebers zufolge viermal im Jahre erscheinen. Die Zeitung schlug aber gleich mit ihrer ersten Nummer so gut ein, dass Saur sich entschloss, sie jeden Monat erscheinen zu lassen. Im Jahre 1748 konnte sie bereits halbmonatlich erscheinen. Drei Jahre später belief sich die Auflage bereits auf 4.000 Exemplare, die über das ganze östliche Pennsylvanien Verbreitung fanden.

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass Saur seine Zeitung nicht nur druckte, sondern auch selbst zusammenstellte. Er befleißigte sich dabei der größten Gewissenhaftigkeit. Nichts war ihm so peinlich, als wenn in seine Zeitung Nachrichten hineingerieten, die sich später als falsch erwiesen.

Für die Uneigennützigkeit Saurs im Verkehr mit seinen Abnehmern zeugt die Tatsache, dass er, obwohl dieselben statt der ursprünglich angekündigten vier Nummern jährlich zwölf erhielten, den Subskriptionspreis von 3 Schillingen (40 Cents) unverändert beibehielt. Daran wurde auch nicht gerüttelt, als später das Blatt halbmonatlich und endlich als „Germantowner Zeitung“ wöchentlich herauskam. Als Grund hierfür gab Saur die Erklärung, dass den größeren Auslagen für Zusammenstellen, Druck und Papier auch größere Einnahmen aus den Anzeigen gegenüberständen und dass ein ehrlicher Mann sich nicht doppelt bezahlt machen dürfe.

Im Jahre 1742 schritt Saur zu dem in Anbetracht damaliger Verhältnisse erstaunlichen Unternehmen, eine deutsche Bibel zu drucken, wozu er neue Typen aus Frankfurt a. M. bestellte. Bereits im Sommer 1743 konnte der 1272 Seiten starke Quartband den Subskribenten ausgeliefert werden, wobei Saur das Exemplar um zwei Schillinge billiger als den ursprünglich auf 14 Schillinge festgesetzten Preis abgab. „Für Arme und Bedürftige“, so kündigte er in seiner Zeitung an, „ist kein Preis“.


Titelblatt der ersten mit deutschen Lettern in Amerika gedruckten Zeitung.

Für die Geschichte der Buchdruckerkunst in Amerika ist die Saursche Bibel insofern von besonderer Wichtigkeit, als sie die erste in europäischer Sprache auf der westlichen Erdhälfte hervorgebrachte Bibel ist. Ihr ging nur eine im Jahre 1663 in der Sprache der Massachusettsindianer gedruckte Bibel voraus, welche von dem Missionär Eliot hergestellt war. Eine englische Bibelausgabe erschien in Amerika erst 40 Jahre nach der deutschen.


Titelblatt der ersten in Amerika gedruckten deutschen Bibel.

In den Jahren 1763 und 1776 veranstalteten die Söhne Saurs noch zwei Neuauflagen der Bibel. Der Gesamtverlag umfasste, bevor im Revolutionskrieg schweres Unglück über die Saursche Familie hereinbrach, 150 Werke des verschiedensten Inhalts. Saurs Druckerei befand sich in einem höchst bescheidenen Hintergebäude seines in Germantown gelegenen Wohnhauses. Leider mussten beide Gebäude in der Mitte des vorigen Jahrhunderts einem Neubau weichen. Dem eifrigen Betreiben des wackern Druckers Christoph Saur ist die Errichtung der Germantown Academy zu danken, die im Jahre 1761 eröffnet wurde und noch heute besteht. Ihr Lehrpersonal bestand zunächst aus einem deutschen und einem englischen Lehrer, sowie einem Hilfslehrer.


Christoph Saurs Wohnhaus und Druckerei

Dass im Jahre 1690 in Germantown auch die erste Papierfabrik in Amerika errichtet wurde, möge nebenbei bemerkt sein.

So knüpfen sich an den Namen Germantown mancherlei Vorgänge, die nicht bloß für die Geschichte des Deutschtums in Amerika, sondern überhaupt für die Kulturgeschichte der Neuen Welt von hervorragender Bedeutung sind. Kein Historiker, der es unternehmen wollte, die kulturelle Entwicklung Amerikas, insbesondere der großen transatlantischen Republik, zu schildern, dürfte versäumen, Germantowns und seiner Gründer zu gedenken.

Germantown blieb nicht die einzige Mennonitenniederlassung der Neuen Welt. Durch den Erfolg ihrer Glaubensgenossen angeregt, kamen bald andere Mennoniten aus Deutschland, England und der Schweiz. Besonders stark war ihr Zuzug während der Jahre 1709, 1717 und 1726. Ihr Hauptsitz wurde der pennsylvanische Kreis Lancaster, von wo die Mennoniten sich später über andere Teile Pennsylvaniens sowie über West-Virginien, Virginien, Ohio, Tennessee, Indiana und Illinois ausbreiteten.

Nach 1730 erhielt die Sekte wenig Zufluss aus Europa. Erst in den Jahren 1873 bis 1878 schnellte ihre bereits 60.000 betragende Kopfzahl um nahezu 100.000 empor. Dieser gewaltige Zuwachs bestand aus Mennoniten, die im 18. Jahrhundert nach Westpreußen und später, um der Militärpflicht zu entgehen, nach Russland ausgewandert waren, wo man ihnen nicht nur volle Glaubensfreiheit, sondern auch Befreiung vom Militärdienst und Kriegssteuern zugesichert hatte. Als die russische Regierung im Jahre 1871 diese Freiheiten aufhob, verkauften die Sektierer ihre blühenden Wohnsitze, um nicht genötigt zu sein, durch das Tragen von Mordwaffen gegen ihr Gewissen handeln zu müssen. Sie wandten sich nach den noch wenig besiedelten, in ihrem landwirtschaftlichen Charakter den südrussischen Steppen ähnlichen Staaten Kansas, Nebraska, Minnesota, Dakota und Kanada, wo sie, deutsches Wesen und deutsche Sprache treu bewahrend, durch Fleiß, rechtschaffenes Leben sowie durch ihre Erfolge die Achtung aller Amerikaner erwarben.

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