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Roy Rockwood

Bomba im Tal der Schädel

Band 8


Inhaltsverzeichnis

Etwas aus Bombas Leben

1 Schwirrende Pfeile

2 Ein rettender Sprung

3 Das Geheimnis

4 Im Treibsand

5 Im letzten Augenblick

6 Unheimliche Drohungen

7 Eine seltsame Prophezeiung

8 Zurückgetrieben

9 Überraschende Nachrichten

10 Unterwegs

11 Der Puma springt

12 In der Klemme

13 Ein furchtbarer Feind

14 Das schwirrende Messer

15 Das furchtbare Tal

16 Der Griff nach der Freiheit

17 Mensch oder Dämon

18 Eine erstaunliche Erklärung

19 Verwirrung und Misstrauen

20 Martern

21 Das Murmeln des Sturmes

22 Ein gewagtes Unternehmen

23 Die Flucht

24 Verfolgung

25 Sieg

Etwas aus Bombas Leben

Wer Bomba bei seinen Abenteuern im Dschungel begleitet, wird sicher mehr von diesem interessanten Jungen erfahren wollen. Am besten stellen wir Bomba also vor, ehe seine neuen Erlebnisse beginnen.

Bomba ist vierzehn Jahre alt. Soweit er sich zurückerinnern kann, hat er im südamerikanischen Dschungel des Amazonasgebietes gelebt. Sein einziger Gefährte und Beschützer war ein alter Naturforscher, Cody Casson, der sich in ein weit abgelegenes Gebiet des Amazonas-Dschungels zurückgezogen hatte, um ganz seinen Forschungen zu leben.

Als Bomba das Alter erreicht hatte, in dem er mehr von seiner Vergangenheit und Herkunft zu erfahren wünschte, zog sich Cody Casson bei der Explosion eines Gewehres eine Kopfverletzung zu, durch die seine Gedächtniskraft geschwächt und später fast zerstört wurde. Von diesem Zeitpunkt an lastete die Verantwortung für den Lebensunterhalt auf Bomba.

In einem Alter, in dem andere Jungen ruhig und behütet bei ihren Eltern aufwachsen und die Schulbank drücken, musste sich Bomba mit den Gefahren und Härten des Dschungellebens vertraut machen. Seine strengen Lehrmeister waren die Erfahrung und die Not. Bald lernte Bomba die Weisheiten und Gesetze des Dschungels kennen, die es immer zu beherzigen galt. Er lernte die vielen Kampftricks, die Technik von Verteidigung und Angriff bei der Begegnung mit Raubtieren und Schlangen.

Seine schulmäßige und geistige Erziehung ließ natürlich zu wünschen übrig, da Cody Casson nicht mehr in der Lage war, den einmal begonnenen Unterricht fortzusetzen. Wie ein junger Indianer wuchs Bomba im Dschungel heran. Auch äußerlich unterschied er sich wenig von den Eingeborenen. Seine Haut war dunkel gebräunt. Er trug einen Eingeborenenschurz und das Fell eines erlegten Pumas. Seine Waffen waren Pfeil und Bogen, die Machete und — als kostbarster Besitz — ein fünfschüssiger Revolver. Die Schusswaffe hatte er von zwei Weißen geschenkt bekommen, denen er bei einem nächtlichen Angriff von Jaguaren das Leben gerettet hatte.

Äußerlich glich Bomba also in vielen Dingen einem Indianer, und doch unterschied er sich in wesentlichen Anzeichen von den Eingeborenen. Er hatte eine gerade Nase und kastanienbraunes, welliges Haar. Die hellbraunen Augen leuchteten freundlich und off mit einem Schimmer von Melancholie, denn die Einsamkeit machte Bomba zu schaffen. Je älter er wurde, desto mehr drängte sich ihm die Erkenntnis auf, dass er kein eingeborener Dschungelbewohner war. Sein Wunsch, etwas über seine Herkunft zu erfahren, wurde immer stärker.

Das einzige, was als Erinnerung an die Vergangenheit hin und wieder in Cassons Gedächtnis auftauchte, waren die Namen ‚Bartow‘ und ‚Laura‘. Aber der alte Naturforscher vermochte nie mit Bestimmtheit zu sagen, ob das die Namen von Bombas Eltern waren.

Im ersten Band — Bomba der Dschungelboy — wird erzählt, wie Bomba zwei weißen Gummisuchern das Leben rettete, wie er mit Raubtieren des Dschungels kämpfte, wie die Wohnhütte von Kopfjägern belagert wurde, und wie ihm schließlich seine Freunde unter den Urwaldtieren zu Hilfe eilten und ihn befreiten. In einem Augenblick der Klarsicht erfuhr Bomba von seinem alten Gefährten, dass er weitere Kunde über seine Herkunft von Jojasta, dem Medizinmann des ‚Laufenden Berges‘ erhalten könnte.

Im zweiten Band — Bomba im Berg der Feuerhöhlen — machte sich Bomba auf die weite und gefahrvolle Reise zum ‚Laufenden Berg‘. Unterwegs rettete er eine weiße Familie vor den Kopfjägern und schloss Freundschaft mit dem gleichaltrigen Frank Parkhurst. Als Bomba schließlich nach Überwindung schlimmer Gefahren den ‚Laufenden Berg‘ erreicht hatte, erfuhr er vom sterbenden Jojasta nur, dass Sobrinini, die Hexe von der Schlangeninsel, ihm nähere Auskunft über seine Eltern geben könnte.

Nur stückweise vermochte Bomba also das Geheimnis seiner Herkunft zu lüften. Im dritten Band — Bomba am Großen Katarakt — fanden wir dann Bomba auf dem Wege zur Schlangeninsel. Unterwegs geriet er in die Hände der barbarischen und grausamen Kopfjäger, deren Häuptling Nascanora seit jeher sein persönlicher Feind und Widersacher war. Auch Casson und seine alte Pflegerin Pipina waren entführt worden. Bomba gelang die Befreiung, und er suchte Sobrinini auf der Schlangeninsel auf — doch wieder erhielt er eine ungenügende Auskunft. In einem aufregenden Erlebnis erfuhr Bomba von Sobrinini, dass nur Japazy, der Herrscher auf der Jaguar-Insel, ihm mehr über seine Herkunft berichten könnte.

Im vierten Band — Bomba auf der Jaguar-Insel — erlebten wir mit Bomba den Wirbel der Ereignisse, der Gefahren und Abenteuer bei der beschwerlichen Suche nach Japazy. Eine grauenhafte Naturkatastrophe machte der Reise ein vorzeitiges Ende.

Noch einmal finden wir Bomba im fünften Band — Bomba in der versunkenen Stadt — auf der Fährte des geheimnisumwitterten Japazy. Wir begleiten ihn bei der Suche nach der Stadt mit den goldenen Türmen, deren sagenhafte Reichtümer auch Japazy angelockt haben. Bomba erreicht die Stadt, überwältigt seinen Widersacher und wird später selbst von ihm gefangen genommen. Glück und Mut befreien den Dschungelboy und seinen Gefährten aus einer ausweglos erscheinenden Lage. Auf der Flucht findet der entscheidende Kampf statt. Juwelen und Diamanten von unschätzbarem Wert geraten in Bombas Besitz. Aber wichtiger ist für ihn ein kleines ledernes Tagebuch, in das Japazy seine Eintragungen gemacht hat.

Im sechsten Band — Bomba auf düsterer Fährte — haben wir dem Dschungelboy auf dem Rückweg zu Cody Casson, zum Dorf der freundlichen Araos und Häuptling Hondura begleitet. Wir erlebten Bomba in einer Höhle, die sich düster, endlos und mit Abgründen und Schluchten unterirdisch hinzieht. Ein Schlangensumpf versperrte den Weg in die Freiheit. Wieder auf der Erdoberfläche, haben Bomba und Gibo aufregende Erlebnisse mit der Besatzung eines Flugzeuges. Die Gefährten müssen eine Wanderung unter dem Giftatem der Colopichi-Bäume durchmachen und geraten schließlich in die Hände von Kannibalen. Nach vielen Mühsalen erreichen Bomba und sein Gefährte endlich das heimische Dorf.

Der siebente Band — Bomba im Sumpf des Todes — bringt die Begegnung mit Forschern, denen Bomba nach einer Überschwemmungskatastrophe begegnet und Hilfe leistet. Dr. Yarrow, der Leiter der Expedition, untersucht Cody Casson nach der Rückkehr ins Dorf der Araos. Er stellt bei dem alten Forscher eine Gehirnerkrankung fest, die nur mit Hilfe eines Giftes geheilt werden kann. Dieses Gift jedoch ist in der ‚Blume des Todes‘ enthalten, und diese Blume wächst in einem Sumpfgebiet des Dschungels, das von gefährlichen Eingeborenen als heilig verehrt wird. Die Forscher und Bomba wagen es dennoch mit einer Gruppe tapferer Araos in das Gebiet einzudringen, aus dem sie nach Kämpfen und Verfolgungen mit einem Vorrat der kostbaren Pflanzen in das Dorf der Araos zurückkehren. Die Heilung des alten Cody Casson macht bald gute Fortschritte. Der vorliegende Band wird es offenbaren, ob Bombas sehnsüchtiger Wunsch in Erfüllung geht.

1 Schwirrende Pfeile

Ein peitschender Laut zerriss die Stille der Dschungeldämmerung. Ein kapitaler Tapir, der ruhig am Rande einer Lichtung geäst hatte, zuckte zusammen und sank langsam zu Boden. Auf seinem Fell erschien in der Herzgegend ein roter Fleck, der allmählich größer wurde. Einmal noch hob sich der Rüssel — einmal noch machten die Beine vergebliche Laufbewegungen, dann streckte sich der tote Leib.

Kaum war der rollende Klang des Schusses verhallt, als es im wuchernden Unterholz raschelte und knackte und ein schlanker, geschmeidiger Junge auf die Lichtung trat und an die Seite des toten Tapirs eilte. Er trug ein modernes Gewehr in der Hand, die Waffe, aus der er den tödlichen Schuss abgesandt hatte. Nur flüchtig beugte er sich über das erlegte Tier und richtete sich dann — nach allen Seiten sichernd — wieder auf.

Im Dschungel war es immer gefährlich, Lärm zu machen. Bomba kannte dieses wichtige Gesetz des Urwaldlebens und er war immer bestrebt, sich danach zu richten. Vorsichtig hielt er Umschau, ob sein Schuss etwa irgendwelche Feinde in die Nähe gelockt hätte. Selbst in dieser angespannten, lauernden Haltung jedoch bot die Gestalt des Jungen den Eindruck von Anmut, Kraft und Behendigkeit. Sein klarer, brauner Blick streifte über das Gewirr von großblütigen Schlingpflanzen und lianenumschnürten Urwaldbäumen.

Noch konnte er nichts Verdächtiges erblicken. Behutsam ließ er sich deshalb neben dem Tapir in die Knie sinken. Er zog seine Machete aus dem Gürtel und begann den Kadaver abzuhäuten. Ein Lächeln glitt dabei über sein Gesicht. Er wusste, wie sehr sich die Eingeborenen im Dorfe des Häuptlings Hondura über das Fleisch freuen würden. Insbesondere dachte er an seinen alten Freund und Beschützer, Cody Casson, für den die alte Pflegerin des kranken Forschers, Pipina, nun eine nahrhafte Fleischbrühe kochen konnte.

Bei den Hantierungen des Jungen erkannte man sofort, wie gewohnt ihm diese nicht ganz leichte Arbeit des Abhäutens war. Einige geschickte Schnitte an den Läufen und auf jeder Seite des Körpers — und schon zog er das Fell behutsam vom Leibe des toten Wildes.

Als sich Bomba gerade tief über seine Jagdbeute neigte, um die besten Stücke des Fleisches herauszutrennen, vernahm er plötzlich das seinen Ohren vertraute aber umso gefährlichere Schwirren von Pfeilen.

Blitzschnell ließ sich Bomba zur Seite fallen und rollte sich seitlich ins Dickicht. Schlangengleich wand er sich tiefer hinein in das Gewirr von üppigen Farnen und Büschen.

Monatelang war es in der Nähe des Araodorfes ruhig gewesen. Auch bei diesem Jagdausflug hatte Bomba keine verdächtigen Zeichen entdeckt. Zwar wusste er, dass feindliche Kannibalenstämme immer wieder in diesen Teil des Dschungels vordrangen, um die friedlichen Araos anzugreifen und ihre Squaws und Kinder zu entführen, aber dieser plötzliche Angriff verwirrte ihn doch stark.

Schattenhaft und geräuschlos huschte die kraftvolle Gestalt des Jungen durch das Unterholz. Erst als Bomba weit von der Lichtung entfernt war, blieb er stehen und klomm dann affengleich an einem herabhängenden Lianenstrang zu den Zweigen hinauf. Eine Weile lang setzte er seinen Weg durch die Luft fort, indem er sich geschickt von Ast zu Ast schwang, oder sich von einem pendelnden Lianenseil weitertragen ließ. Auf diese Weise hinterließ er keine Spuren am Boden und vor allen Dingen erschwerte er seinen Feinden die Verfolgung.

Als er davon überzeugt war, zwischen sich und seinen Gegnern genügend Abstand geschaffen zu haben, glitt er wieder zu Boden und legte sich seinen Abwehrplan zurecht.

Auf keinen Fall wollte er in kopfloser Flucht panikartig davonlaufen. Er musste ermitteln, wie groß die Zahl der Feinde war und ob er vielleicht allein gegen sie zum Angriff vorgehen konnte.

Für ihn selbst wäre es leicht gewesen, sich außer Gefahr zu begeben, aber sein Verantwortungsbewusstsein ließ diese feige Flucht nicht zu. Der mit ihm befreundete Stamm der Araos und sein alter Beschützer Cody Casson waren ebenso bedroht wie er selbst. Es galt in jedem Falle, die Freunde zu warnen und zuvor zu erkunden, ob wirklich eine ernste Gefahr drohte, oder ob es sich nur um einen kleinen, plündernden Trupp von Feinden handelte.

In einem weiten Halbkreis näherte sich Bomba von neuem der Lichtung. Sein untrüglicher Ortssinn führte ihn, ohne dass er einmal in seinem panthergleichen Anschleichen innehalten musste. Etwa eine Meile mochte er zurückgelegt haben, als er mit einem Ruch stehenblieb.

Noch hatte er nichts gesehen oder gehört, was seinen Verdacht erregen konnte. Doch sein Geruchssinn war so geschärft, dass er wie ein Tier die Witterung von Menschen aufnahm. Er sog prüfend die Luft durch die Nase und wandte den Hals nach allen Seiten, bis er die Richtung erkannt hatte, aus der die Witterung zu ihm drang. Dann schlich er vorsichtig, aber ohne sein Tempo zu vermindern, weiter, bis er nach kurzer Zeit vor sich zwei braune Gestalten entdeckte, die in einer Entfernung von etwa fünfzig Yards am Fuße eines Baumes hockten.

Im gleichen Augenblick ließ sich Bomba auf die Knie sinken und kroch vorsichtig näher heran. Als er bis auf Hörweite herangeschlichen war, legte er sich flach auf den Bauch und spähte durch eine kleine Lücke im Unterholz.

Er hatte zwei große, muskulöse Männer vor sich, mit breiten, groben Gesichtern und niederen Stirnen. Sie trugen einen Kopfschmuck aus Federn, und auf der Brust Zeichen in roter Farbe.

Als Bomba diese rohgemalten Symbole erkannte, zuckte ein Schreck durch sein Inneres. Er hatte das Stammeszeichen der gefürchteten Kopfjäger gesehen, jenes wilden, raub- und blutlüsternen Stammes, der jenseits des Großen Wasserfalles hauste.

Bomba hielt sich nicht lange mit der Betrachtung der dunklen Gesichter auf. Sein Blick glitt zu den Gürteln der Wilden, an denen die entsetzlichsten Jagdtrophäen hingen, die Bomba je gesehen hatte: kleine, verschrumpelte, sorgsam ausgedörrte Menschenköpfe!

Es waren scheußliche Trophäen, aber die Kopfjäger waren sehr stolz darauf. Je mehr solche Menschenköpfe das Dach eines Wigwams zierten, um so angesehener war der betreffende Krieger.

Beinahe wäre Bomba dem Impuls erlegen, die unglücklichen Opfer der Kopfjäger augenblicklich zu rächen. Wahrscheinlich hätten die beiden kaum gespürt, dass sie der schwirrende Tod ereilte, und sie hätten nie erfahren, wer der Rächer der beiden Ermordeten gewesen war, deren Köpfe an ihren Gürteln hingen. Aber was nützte es, die Welt von zwei dieser heidnischen Mörder zu befreien, wenn sofort andere an ihre Stelle traten? Hier galt es, sich auf seine List und nicht auf die Waffen zu verlassen.

Für Bomba gab es keine Täuschung darüber, dass er rücksichtslose und brutale Feinde vor sich hatte. Zweimal schon war er mit den Kopfjägern in Berührung gekommen und jedes Mal hatte er um Cody Cassons Leben und sein eigenes kämpfen müssen. Glück und Tapferkeit hatten ihn beide Male begünstigt — aber würde das auch diesmal der Fall sein?

Mit großer Vorsicht schob Bomba einen Zweig beiseite, um noch besser sehen zu können. Sein Körper bewegte sich leicht, aber kein Geräusch war zu hören. Er wandte den Kopf so herum, dass er jedes gesprochene Wort erlauschen konnte. Da er die meisten Eingeborenendialekte dieses Gebietes beherrschte, verstand er auch das Gespräch, das die beiden jetzt zu führen anfingen.

„Lange ist es her, dass wir unser Dorf verlassen haben“, sagte einer der Krieger und fuhr mit einer Bewegung durch das Haar seiner scheußlichen Jagdbeute, die fast liebkosend wirkte. „Lange sind wir schon fort, und Motulu möchte gern wieder das Brüllen des Großen Wasserfalles hören und die Sonne auf das Dach seiner Hütte scheinen sehen.“

„Gute Worte spricht Motulu“, erwiderte der andere. „Auch Mambu ist müde und möchte heimkehren. Die Jagd hat lange gedauert und reich war die Beute. Warum bleibt Nascanora noch hier? Kann er nicht zufrieden sein mit seinen Kriegern und mit der Zahl der Köpfe, die sie erbeutet haben? Viel Blut ist geflossen!“ Ein böses, dämonisches Lächeln glitt über sein Gesicht. „Viel Blut, Motulu.“

„Sehr viel Blut“, sagte der andere gewichtig und finster.

„Warum ist also Nascanora nicht zufrieden?“, wiederholte Mambu seine Frage.

Motulu schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um, als fürchtete er, belauscht zu werden.

„Nascanora ist immer unzufrieden“, murmelte er düster. „Er wird auch nicht zur Ruhe kommen, ehe nicht der Kopf des weißen Jungen seinen Wigwam ziert. Er hat den Göttern geschworen, dass er mit diesem Kopf heimkehren wird. Eher wird Nascanora nicht ruhig schlafen können, bis nicht der Kopf des weißen Teufelsjungen an seinem Gürtel hängt.“

Nur zu gut wusste Bomba, von wem die Rede war. Er lächelte grimmig vor sich hin und sah im Geiste das hässliche, von Narben verunstaltete Gesicht seines Widersachers vor sich. Nascanora, der Häuptling der Kopfjäger vom Großen Katarakt, war sein Todfeind seit je. Nie würde es ihm der mächtige Krieger verzeihen, dass er von ihm, einem Jungen, zum Zweikampf herausgefordert worden war.

„Der weiße Junge ist schwer zu fangen“, sagte Mambu zweiflerisch. „Er kämpft listig und gewandt wie der Puma und stößt so schnell zu wie die Schlange. Ein großer Zauber ist an seiner Machete. Es wäre besser, wenn Nascanora nicht länger nach diesem weißen Teufel suchen würde.“

„Hüte deine Zunge“, warnte ihn Motulu. „Nascanora darf nicht erfahren, dass ...“ Er hielt inne und hob den Kopf. „Horch! Die Krieger kommen!“

Die Männer sprangen auf, und im gleichen Augenblick erklang auch im Busch der Laut von Stimmen, die in der gutturalen Eingeborenensprache miteinander redeten.

Bomba presste sich unwillkürlich noch dichter an den Boden, als er jetzt einen riesigen, hässlich bemalten Wilden auf die Lichtung treten sah.

2 Ein rettender Sprung

„Nascanora“, murmelte Bomba leise vor sich hin.

Alle Einzelheiten des Gesichtes und der prächtigen, athletischen Indianergestalt waren ihm vertraut. Er erkannte den scharfen, dunkelglühenden Blick wieder, das abweisende, hochmütige Benehmen und die raue, tiefe Stimme. Ja, das war jener Nascanora, der seine Krieger zum Angriff gegen die von Bomba verteidigte Hütte am Rande der Urwaldlichtung vorgetrieben hatte — jener Nascanora, der ihn auf der Schlangeninsel mit teuflischen Foltern bedroht und ihn schließlich gefangen und im Triumph in das Dorf am Großen Wasserfall geschleppt hatte.

Nur ein Zug im Gesicht des Häuptlings war neu für Bomba. Bei der geglückten Flucht hatte er Nascanora in der Nacht einen mächtigen Hieb mit dem Schaft der Machete mitten ins Gesicht versetzt. Jetzt erkannte er, dass dieser Schlag die obere Hälfte des Nasenbeins zertrümmert hatte. Nascanora war damals wie ein gefällter Ochse zu Boden gestürzt. Das allein würde Bomba den unauslöschlichen Hass des Wilden eingetragen haben. Doch diese immer sichtbare Verstümmelung im Gesicht war schlimmer noch als der Schlag selbst. Bomba wusste, welches Schicksal ihn erwartete, wenn er je in die Hände Nascanoras geraten würde.

Offenbar war der Häuptling schlechter Laune. Sein sonst schon nicht sehr heiteres Gesicht war jetzt nur noch eine düstere, starre Maske von Groll und Unmut. Hinter dem Häuptling trat ein Kriegertrupp ins Freie. Keiner drängte sich vor. Jeder wollte es anscheinend vermeiden, die Aufmerksamkeit des zornigen Häuptlings auf sich zu lenken.

„Was seid ihr weiter als kriechende, erbärmliche Hunde!“, schrie Nascanora plötzlich. Das starre Gesicht belebte sich mit einem Ausdruck unbeherrschter Wut. „Hunde seid ihr, die mit dem Bauch am Boden kriechen und stinkendes Fleisch fressen! Aber ihr seid keine Männer, die kämpfen und jagen können!“ Sein Blick glitt von einem Gesicht zum anderen, und trotz seines Zornes sah er mit Befriedigung, wie jeder Krieger sofort die Augen senkte, wenn ihn der funkelnde Bannstrahl des Häuptlingsblickes traf. „Ihr seid es nicht wert, meine Krieger zu sein! War nicht dieser weiße Teufelsjunge in eurer Nähe? Konntet ihr ihn nicht beinahe mit euren Händen ergreifen, ihr stinkenden Köter? Aber ihr habt keine Kraft in den Gliedern. Eure Arme sind weich und schlaff wie die unserer alten Squaws! Ihr habt auf Bomba geschossen, und eure Pfeile haben ihr Ziel nicht gefunden! Ihr habt ihn verfolgt, und ihr konntet ihn nicht einholen. Der weiße Junge wird über Nascanora und seine Krieger lachen wie er das schon oft getan hat. Er verspottet uns — ich weiß es!“

Ohne zu murren, ließen die Männer die Strafpredigt über sich ergehen. Keiner schaute auf. Der Medizinmann war es, der schließlich das lastende Schweigen brach. Seine Stellung gab ihm ein gewisses Machtbewusstsein und eine Unangreifbarkeit, die auch der Häuptling nicht zu verletzen wagte. Ruspak, der Medizinmann der Kopfjäger, auch ein alter Widersacher Bombas, hob jetzt den Kopf und sagte:

„Nascanora soll seinen Zorn nicht zu sehr über die Krieger ergießen. Der weiße Junge ist flink und listig wie ein Wiesel. Der weißhaarige Zauberer, der mit ihm lebt, braut ihm gewiss einen Trank, der stärker ist als unsere Medizinen. Sonst könnte er uns nicht immer wieder entkommen. Doch ich habe mit den Göttern Zwiesprache gehalten, und sie haben mir versprochen, mir einen noch stärkeren Zauber zu geben. In nicht allzu langer Zeit wird Nascanora den weißen Jungen unter seiner Folter kreischen und jammern hören.“

Die einzige Antwort des Häuptlings war ein zorniges Brummen. Offensichtlich war das Vertrauen Nascanoras in die Künste seines Medizinmannes durch die jüngsten Ereignisse nicht bestärkt worden.

„Bereitet das Essen vor!“, befahl er scharf und ließ sich am Fuße des Baumes zu Boden sinken.

In kauernder Stellung blieb er sitzen, während die Krieger geschäftig hin und her eilten und trockenes Holz für das Lagerfeuer sammelten.

Bomba vermochte ein missmutiges Stirnrunzeln nicht zu unterdrücken, als er jetzt sah, dass die Männer die saftigsten Stücke des von ihm erlegten Tapirs mitgebracht hatten. Nun würde es keinen Braten in den Hütten der Araos geben und keine kräftigende Fleischbrühe für den armen, alten Casson.

Bald genug wurden seine Gedanken in eine andere Richtung gelenkt. Da auf der Lichtung nicht genug Holz zu finden war, begannen die Krieger auszuschwärmen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis einer über ihn stolperte. Aber für eine Flucht war jetzt keine Zeit mehr. So blieb er also still liegen und lauschte auf das patschende Geräusch der näherkommenden Schritte.

Quälend langsam verstrichen mehrere Minuten. Noch hatte ihn niemand entdeckt. Er lauschte auf das Geschnatter der Stimmen und das Knacken der Zweige. Jetzt waren mit einem Male Schritte ganz nahe. Und jetzt ...

Ein scharfer Stoß traf Bomba in die Rippen. Ein Krieger war über ihn gestolpert. Im nächsten Augenblick erkannte er auch das Hindernis vor seinen Füßen, das geschickt von Laub und Ästen verdeckt war. Ein Schrei drang aus seiner Kehle.

Doch im nächsten Augenblick war es nur noch ein unhörbares Stöhnen. Bomba hatte sich hochgeschnellt, und seine Faust traf das Kinn des Kriegers. Der braune Körper sank in sich zusammen und blieb reglos liegen.

Aber der Schrei und die Bewegung im Busch hatten die Aufmerksamkeit der anderen Männer erregt. In der nächsten Sekunde war das ganze Lager auf den Beinen. Es gab nur noch eine Rettung für Bomba: die Flucht.

Ein Pfeil ritzte seine Schulter, während er sich seinen Weg durch das Buschwerk bahnte. Der stechende Schmerz zog sich bis in die Fingerspitzen. Doch Bomba lief weiter. Er rannte um sein Leben, während die Wilden hinter ihm wie ein Rudel hungriger Wölfe heulten. Endlich glaubten sie ihn zu haben — endlich war es so weit!

Bomba jagte jetzt auf einem Pfad dahin und sah plötzlich vor sich zwei Felsen aufragen. Die Öffnung zwischen ihnen war kaum breit genug, um einen menschlichen Körper durchzulassen. Einen Augenblick lang zögerte Bomba, dann sprang er vorwärts. Sein brauner, schlanker Leib glitt zwischen das Grau der Felsen und schien auf eine magische Art und Weise von der Luft aufgesogen zu werden.

Vor einer Sekunde war er seinen Feinden noch deutlich sichtbar gewesen, und im nächsten Augenblick war er verschwunden, als hätte er sich tatsächlich in reine, unsichtbare Luft aufgelöst.

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Volume:
150 p. 1 illustration
ISBN:
9783946554196
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