Read the book: «Zwischen Expertise und Führung (E-Book)»

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Geri Thomann / Niels Anderegg / Sylvia Kaap-Fröhlich / Hans-Peter Karrer (Hrsg.)

Zwischen Expertise und Führung

Entscheidungen treffen – Laufbahn gestalten – Unerwartetes bewältigen

ISBN Print: 978-3-0355-1208-3

ISBN E-Book: 978-3-0355-1848-1

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

  Vorwort

  EINLEITUNG

 ENTSCHEIDUNGEN TREFFENPorträt: Entscheidungen mit KonsequenzenPorträt: Die grossen Folgen einer kleinen EntscheidungHeisst Führen Entscheiden?

 LAUFBAHN GESTALTENPorträt: Zwischen Führung, Beratung und ProjektmanagementPorträt: Wer sich selbst nicht kennt, kann andere nicht führenMultidirektionale Führungslaufbahnen in Expert*innenorganisationen

 UNERWARTETES BEWÄLTIGENPorträt: Wesentlich ist das Ausstrahlen von Ruhe und SicherheitPorträt: Grossereignisse sind ein Sprint – Corona ein Marathon«Managing the unexpected» – Umgang mit Ungewissheiten und Unvorhersehbarem in Expert*innenorganisationen

 SCHLUSSREFLEXIONZwischen Expertise und Führung: Eine ergänzende Reflexion zum Schluss

  Autor*innenverzeichnis

Vorwort

Lehren, prüfen, beraten, forschen, organisieren: Diese Themen sind Bestandteil des Aufgabenfelds von Dozierenden an Hochschulen oder Lehrenden in der Erwachsenenbildung. Sie sind die Akteur*innen im Wissens- und Technologietransfer durch Weiterbildung und Dienstleistungen, betreiben Projektmanagement und engagieren sich in der Qualitätsentwicklung der eigenen Bildungsorganisation.

Lehre und Unterricht sind dabei herausgefordert: So gestalten Dozierende etwa gemeinsam Curricula oder einzelne Module, planen Leistungsnachweise, integrieren Phasen von selbstorganisiertem Lernen oder implementieren Konzepte von Blended Learning in ihre Lehrveranstaltungen.

Die Abteilung für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PH Zürich) unterstützt seit 2009 Hochschulen, Berufsfachschulen sowie Organisationen der Erwachsenenbildung und ihr Lehr- und Führungspersonal durch Weiterbildung und Beratung.

Themenschwerpunkte sind dabei Studierenden-/Lernendenorientierung, Rollenvielfalt bei Lehrenden, kompetenzorientierte Lehre, erwachsenenbildnerisches Handeln, Beratung, Schreib-, Denk- und Lernförderung in Lehre an Hochschulen und Bildungsorganisationen der Erwachsenenbildung, Organisations- und Führungsentwicklung sowie Digitalisierung und ihre Folgen für die Weiterbildung.

Die Idee und die inhaltliche Orientierung des vorliegenden Bandes basieren auf vier Veranstaltungen der «Kaminfeuergespräche für Führungskräfte auf Schloss Au», die zwischen 2017 und 2020 stattgefunden haben. Die Tagungsreihe wird auch nach dieser Publikation fortgesetzt. Die Pädagogische Hochschule Zürich (Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung und Zentrum Management und Leadership) lädt dafür jeweils zusammen mit dem Bereich Bildungsmanagement der Careum Stiftung erfahrene Führungsverantwortliche aus den beiden Berufsfeldern Bildung und Gesundheit ein. Von einem Thema ausgehend erzählen verschiedene Führungspersonen Erlebtes aus ihrem Berufsalltag, das als Ausgangspunkt für Reflexionen der eigenen Erfahrungen dient und die Grundlage für Diskussionen bildet.

Herausgebende des vorliegenden Bandes sind Geri Thomann (Leiter Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung PH Zürich), Niels Anderegg (Leiter Zentrum Management und Leadership PH Zürich), Sylvia Kaap-Fröhlich (Leiterin Bereich Bildungsmanagement Stiftung Careum Zürich) und Hans-Peter Karrer (freiberuflicher Bildungsexperte und Moderator der Tagungen).

Die Reihe «Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung» regt Diskussionen über und Auseinandersetzungen mit aktuellen und praxisrelevanten hochschuldidaktischen und erwachsenenpädagogischen Fragen an. Sie stellt Dozierenden an Fachhochschulen sowie Aus- und Weiterbildungsverantwortlichen in weiteren Institutionen der Erwachsenenbildung und im vorliegenden Band explizit auch Führungspersonen aus Bildung und Gesundheit nützliche Reflexions- und Handlungsinstrumente zur Verfügung. Üblicherweise erscheint ein Band jährlich.

Geplant ist folgender nächste Band:

Band 12 (2022)

Höhere Fachschulen in der Schweiz: Herausforderungen und Perspektiven (Hrsg. Erik Haberzeth, Dagmar Bach und Stefan Osbahr)

Zu den bereits publizierten Bänden:

phzh.ch/w-he-publikationen

Bitte kontaktieren Sie uns für Rückmeldungen oder Ideen. Wir wünschen Ihnen viele Anregungen.

Das Editorialboard der Reihe:

Geri Thomann, Monique Honegger, Daniel Ammann, Dagmar Bach, Erik Haberzeth und Tobias Zimmermann

Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung PH Zürich

geri.thomann@phzh.ch

phzh.ch/w-he

EINLEITUNG

Geri Thomann, Niels Anderegg, Sylvia Kaap-Fröhlich & Hans-Peter Karrer

Einleitung
1. Führen von Expert*innen – eine komplexe Aufgabe

Führungsaufgaben in Expert*innenorganisationen gelten allgemein als anspruchsvolle Tätigkeit. Mintzberg (1979) bezeichnet die Bedingungen und Funktionsweisen von Expert*innenorganisationen in ihrer schöpferischen Aufgabe als «Profi-Bürokratie». In Abgrenzung zur «Maschinen-Bürokratie» ist die Profi-Bürokratie gekennzeichnet durch die grosse Anzahl an Mitarbeitenden, die fachlich hoch qualifiziert sind und eine erhebliche Kontrolle über die eigene Arbeit haben.

In der neueren Literatur ist häufig auch von einer «Wissensintensität» oder «Wissensidentität» solcher Organisationen die Rede (Kels & Kaudela-Baum, 2019b, S. 17f.). Damit ist die reiche Erfahrung und eine ausgeprägte Problemlösekompetenz der Mitarbeitenden gemeint. In der Summe werden dabei jedoch häufig ambivalente und teilweise paradoxe organisationale Bedingungen für Expert*innenorganisationen sichtbar (Thomann, 2016, S. 49; Kels & Kaudela-Baum, 2019c, S. 36):

 Expert*innenorganisationen zeichnen sich durch Mitarbeitende aus, die hoch qualifizierte Spezialist*innen sind und in ihrem Fachbereich möglichst autonom arbeiten wollen und können. Sie verfügen folglich über eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit und ein nicht zu unterschätzendes Beharrungsvermögen. Nur mit überzeugenden Argumenten lassen sie sich in eine bestimmte Richtung bewegen. Widerstand gegen Entscheidungen von aussen ist häufig, flache Hierarchien und Konzepte des Intrapreneurships führen zu Konkurrenz, zu Machtkämpfen und zu Deregulierung – und dadurch wieder zu übergeordnetem Regulierungsbedarf.

 Expert*innenorganisationen kennzeichnet, dass die Expert*innen sich eher ihrer jeweiligen Berufsgruppe gegenüber verpflichtet sehen als der organisatorischen Einheit oder der Gesamtorganisation, zu der sie gehören. Karriere und Laufbahnen werden mehrheitlich in der Logik der Profession und damit weniger abhängig von der Organisation definiert. Dies schafft eine Ambivalenz zwischen inhaltlicher Profilierung in der Fachcommunity und dem organisationalen Commitment. Eine Paradoxie besteht darin, dass gerade die Reputation der einzelnen Expert*innen zentral ist für die Reputation der Gesamtorganisation (Laske, Meister-Scheytt, & Riehl, 2006, S. 207).

 Inhaltliche Fachexpertise verfügt zudem traditionsgemäss über einen höheren Status als Führungs- oder Managementexpertise; sie repräsentiert sozusagen das «Kapital der Organisation». Führungsentscheidungen treffen deshalb auf Ambivalenz oder Skepsis bei Expert*innen; es ist zudem eine grundsätzliche Hierarchieaversion zu konstatieren.

 Partizipation an Entscheidungen gehört zur organisationalen Kultur in Expert*innenorganisationen – gleichzeitig ist nicht selten latent eine subtile fachliche Konkurrenz allgegenwärtig.

 In Expert*innenorganisationen stehen inhaltlich orientierte Aufgaben in einem Spannungsverhältnis zu Verwaltung und Management. Beide Kulturen benötigen unterschiedliche (Führungs-)Konzepte. Eine solche Spannung ist nicht einfach auflösbar, kann aber durchaus produktiv genutzt werden.

 Zudem lassen die Anforderungen an eine zunehmende Spezialisierung aufseiten der Expert*innen oft Organisationsstrukturen entstehen, die nach fachlichen Profilen aufgebaut sind. Dies führt wiederum zu einem wachsenden Integrationsbedarf auf der Ebene der Gesamtorganisation. Die notwendige Verknüpfung von hoch autonomen Einheiten ist anspruchsvoll.

 Einerseits sollen sich gerade staatliche Expert*innenorganisationen zunehmend kostenbewusst oder sogar unternehmerisch verhalten. Andererseits kann das Spannungsfeld zwischen den Steuerungsebenen (staatliche Geldgeber, strategische Führung und operative Führung) eine Paradoxie erzeugen: Die Forderung nach unternehmerischem Handeln wird andauernd durch bürokratische Vorgaben unterlaufen.

2. Führungshandeln als «covert leadership»

Für die Leitung von Expert*innenorganisationen benötigen Führungspersonen nach Mintzberg (1998, S. 140–147) spezifische Fähigkeiten, die unter dem Begriff «covert leadership» zusammenfasst werden (vgl. auch Kels & Kaudela-Baum, 2019a, S. 444f.). Mit Covert Leadership ist ein Verständnis von Führung gemeint, das im konkreten Prozess der Zusammenarbeit auf der Basis von Vertrauen, Beziehungsorientierung und Respekt aus dem Hintergrund Einfluss nimmt. Ähnliche Führungsansätze repräsentieren die «leise Führung» (Badaracco, 2002) und die «dienende Führung» (Greenleaf, 2002).

In den letzten Jahren zeigte sich in Expert*innenorganisationen zunehmend ein neues Führungsverständnis, das auf dem Covert-Leadership-Gedanken aufbaut. Als Beispiel sei hier die laterale Führung genannt (vgl. Thomann & Zellweger, 2016; Zellweger & Thomann, 2019). Dieses Modell beruht auf flacheren und flexibleren Strukturen und der Zunahme von «hybrid professionals» (Kels & Kaudela-Baum, 2019b, S. 21), die ihre Expertise «quer», transdisziplinär und projektbezogen aufbauen. Dies bedeutet: Lateral Führende verfügen über keine formalen Weisungsbefugnisse und über keine disziplinarischen oder andere direkten Sanktionsmöglichkeiten. Die Geführten sind nicht zwingend aus derselben Organisationseinheit und bewegen sich oft auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen.

Damit wird das Verständnis von Führung als ein Handeln von Personen in formalen Führungsfunktionen brüchig. Gronn (2003) oder Spillane (2006) verweisen darauf, dass Führung als ein Zusammenspiel verschiedener Personen auf unterschiedlichen organisationalen Ebenen verstanden werden muss. Insbesondere Untersuchungen zu Führung in Bildungsorganisationen zeigen, dass dort auch Personen ohne formale Funktion Führung übernehmen (Harris, 2004; MacBeath, Oduro, & Waterhouse, 2004) und Führung geteilt beziehungsweise verteilt wird. Nicht die heroische Führungsperson, sondern das Zusammenspiel verschiedener Personen steht im Fokus. Oder wie es Spillane formuliert: «A distributed perspective moves beyond the Superman and Wonderwoman view of school leadership» (Spillane, 2006). Mit dem Begriff «distributed leadership» wird ein Verständnis von Führung postuliert, welches das Paradigma der «great man theory» hinter sich lässt und Führung als etwas Gemeinschaftliches betrachtet. Spillane spricht dann auch von Führung als einer Praxis, die sich im Dreieck der führenden und geführten Personen in konkreten Situationen vollzieht. Dabei kommen dem Raum und der Zeit als formenden Elementen eine wesentliche Rolle zu. So bildet sich beispielsweise Vertrauen als ein wesentliches Element von Führung erst mit zunehmender Dauer und den entsprechenden Erfahrungen der Führungsbeziehung. Führungshandeln zeigt sich vor allem in der Interaktion zwischen den Personen und wird dadurch zu etwas Relationalem (Uhl-Bien, Maslyn, & Ospina, 2012). Die Führungsperson ist existenziell von den geführten Personen abhängig: Lassen sich diese nicht führen, ist Führung nicht möglich. Dieser Umstand ist gerade in Expert*innenorganisationen mit flachen Hierarchien und einer hohen Autonomie der Organisationsmitglieder besonders zentral. Sind Expert*innen von einer – insbesondere fachlichen – Anweisung nicht überzeugt, so werden sie wie schon weiter oben beschrieben Wege finden, diese zu umgehen.

Unabhängig vom Diskurs über Führung sind zwei Punkte dafür immer relevant: Erstens wird Führung als etwas «Verteiltes» oder «Geteiltes» verstanden (Anderegg, 2020; Hallinger, 2009; Johnson & Dempster, 2016; Pashiardis & Johansson, 2016), zweitens muss Konsens über den Zweck und das Ziel einer Organisation bestehen. Führung als zielbezogene Einflussnahme (von Rosenstiel, 2009) wird umso wirkungsvoller, je klarer die verschiedenen Organisationsmitglieder sich gegenseitig in eine ähnliche Richtung beeinflussen. Gleichzeitig bestehen insbesondere in Expert*innenorganisationen unterschiedliche Bedürfnisse der Mitarbeitenden: Ansprüche, Widersprüche und Paradoxien sind Bestandteil von Führung.

Eine «paradoxiesensible Führung» (Kels & Kaudela-Baum, 2019a, S. 433) muss somit in Expert*innenorganisationen den Widerspruch zwischen dem Fachsystem der Profession und dem sozialen System der Organisation auflösen. Gleichzeitig muss damit in der Führung ein Spagat bewältigt werden: Einerseits ist die Professionalität und Leistungsbereitschaft der Expert*innen zu entwickeln und ihnen eine möglichst weitgehende Autonomie zu lassen, andererseits sind sie in die übergeordneten Zielsetzungen der Organisation einzubinden (Kraus, 2021). Diese Herausforderung potenziert sich sozusagen in Krisensituationen wie der Covid-19-Krise. Organisationen müssen «beidhändig» zum einen das Bestehende nutzen, um Neues zu bewältigen, und zum anderen sollten sie gleichzeitig innovativ und effizient sein. O’Reilly und Tushman nennen das «organisationale Ambidextrie» (O’Reilly & Tushman, 2008; vgl. auch Raisch, Birkinshaw, & Probst, 2009).

3. Führung und Expertise – ein Spannungsfeld

Das Spannungsfeld zwischen Führung und Expertise kann nicht aufgelöst werden, es kann lediglich ein für die Institution und seine Ziele förderlicher Umgang damit gefunden werden. Für die Führungspersonen – aber auch für die Expert*innen – können sich dabei unter anderem folgende Fragen stellen:

 Inwiefern müssen Führungskräfte zu ihrer Legitimation über einen Berufsfeldbezug verfügen? Wie führt man Expert*innen ohne eigene Expertise im selben Fachbereich?

 Wie wird Führungsexpertise im Vergleich zu inhaltlicher Expertise oder fachlicher Erfahrung gewichtet und bewertet? Wie hoch ist der Status von Führung in Expert*innenorganisationen? Wie viel inhaltliche Erfahrung oder aktuelles Fachwissen brauchen Führungskräfte, um erfolgreich führen zu können?

 Inwieweit können Führungskompetenzen Fachkompetenzen ersetzen oder kompensieren? Wird Führungskompetenz als Expertise anerkannt?

 Inwieweit trifft die Hypothese der (latenten) Konkurrenz zwischen Führungspersonen und Expert*innen zu? Was bedeutet das für das Führungshandeln?

 Wie ist die Sicht der Geführten «im Sandwich» zwischen Fachexpertise und Management? Handelt es sich dabei um ein Spannungsfeld?

 Wie lässt sich autonomes Handeln von Expert*innen steuern? Wie reagieren Expert*innen darauf?

 Wie reagieren Expert*innenorganisationen und ihre Führungskräfte auf Krisen? Wie bewältigen sie diese?

4. Lernen von Geschichten: Das Konzept der Kaminfeuergespräche

Die Idee und die inhaltliche Orientierung der vorliegenden Publikation basieren auf vier Veranstaltungen der «Kaminfeuergespräche für Führungskräfte auf Schloss Au», die zwischen 2017 und 2020 stattgefunden haben. Die Tagungsreihe wird auch nach dieser Publikation fortgesetzt. Die Pädagogische Hochschule Zürich lädt jeweils zusammen mit dem Bereich Bildungsmanagement der Careum Stiftung zu dieser etwas unkonventionellen Tagung erfahrene Führungsverantwortliche aus den beiden Berufsfeldern Bildung und Gesundheit ein.

Wie der Name suggeriert, erwartet die Teilnehmenden am Kaminfeuer auf Schloss Au kein Referatsmarathon. Im Zentrum der Tagung stehen Erzählungen von ausgewählten Persönlichkeiten über nachhaltige Erlebnisse in ihrer Führungstätigkeit. In einer offenen Gesprächsrunde schildern und diskutieren sie vor den Tagungsteilnehmenden über entscheidende Erfahrungen, wie sie damit umgegangen sind und welche Erkenntnisse sie daraus für ihre weitere Arbeit gewinnen konnten. Manchmal nüchtern und sachlich geschildert, manchmal auch emotionaler, erfahren die Zuhörer*innen von schwierigen Entscheidungen, von Irrwegen, aber auch von Erfolgen und souveränem Umgang mit zentralen Fragen der Führung. Die Tagungsteilnehmenden – alles Personen mit Führungserfahrung in den Berufsfeldern Gesundheit oder Bildung – werden ins Gespräch einbezogen, wirken als Spiegel, als Verstärkung, als Gegenpart oder auch als Korrektiv. Eingeladene Expert*innen für die spezifische Thematik der jeweiligen Tagung ordnen zusammen mit den Teilnehmenden die Voten, suchen Muster und erläutern Zusammenhänge. Anschliessend wird das Thema bei einem Essen im historischen Saal auf Schloss Au weiterverarbeitet. Dort besteht die Gelegenheit, im informellen Rahmen Fragen zu stellen, von eigenen Erfahrungen zu erzählen oder kritische Voten abzugeben (die Ausnahme war das Corona-Jahr 2020, in dem die Tagung online mit Live-Streaming von Schloss Au durchgeführt wurde).

Die in den Kaminfeuergesprächen aufgebaute Kultur des «Lernens aus Erzählungen» soll mit der vorliegenden Publikation weitergepflegt werden. Führungspersonen erzählen von ihren Erfahrungen mit der jeweiligen Thematik in ihrem Arbeitsalltag. Expert*innen führen die in den Erzählungen geschilderten Situationen auf eine übergeordnete, allgemeine Ebene, zeigen Muster auf und beziehen das Erzählte auf Konzepte und Modelle aus der Führungsliteratur. In ihrer Gesamtheit sollen die Beiträge Führungskräften in Expert*innenorganisationen als Anregung dienen, ihr eigenes Handeln zu reflektieren und ihr Wissen zu erweitern.

5. Gemeinsamkeiten: Bildung und Gesundheit als personennahe Dienstleistungsfelder

Um eine Perspektivenvielfalt zu ermöglichen, wird die jeweilige Thematik der spezifischen Führungsherausforderungen in einem Quervergleich von Bildungsorganisationen mit Organisationen im Gesundheitswesen diskutiert. Der Vergleich von Kultur und Konzepten in diesen Expert*innenorganisationen, die teils ähnlich, teils unterschiedlich funktionieren, verspricht eine Anreicherung der je spezifischen Denk- und Handlungsweise. Berücksichtigt werden dabei verschiedene Bildungsstufen und verschiedene Organisationen im Gesundheitswesen. Sowohl das Gesundheits- als auch das Bildungswesen werden in der Literatur in Bezug auf Organisationen immer wieder als Prototypen von Expert*innenorganisationen genannt, beide Felder unterliegen zudem zu einem grossen Teil einem öffentlichen Erwartungsdruck. Es zeigen sich somit genug Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Dienstleistungsfeldern, um Parallelen und produktiv nutzbare Differenz auszumachen. Beide sind den personennahen Dienstleistungsberufen zugeordnet: die Dienstleistungen werden mit den betroffenen Personen, mit Patient*innen und Klient*innen sowie Schüler*innen und Studierenden erbracht. Interessant dabei ist der Umstand, dass Bildung selbstverständlich auch immer Teil des Berufsfeldes Gesundheit ist (siehe auch die Schilderungen in gewissen integrierten Porträts).

In beiden Berufsfeldern geht um die Erbringung von Dienstleistungen an und vor allem mit Menschen – in verschiedenen Altersstufen und verschiedenen Lebenssituationen.

Zudem geht es in beiden Berufsfeldern oft um Erlebnisse, die das Leben der Betroffenen prägen, im Gesundheitswesen manchmal sogar um Leben und Tod – mittel- oder unmittelbar. Die Qualität der medizinischen Versorgung, der Diagnostik und Therapie sowie der Pflege entscheiden oft direkt, manchmal aber auch als Folgewirkung über das Überleben oder die Lebensqualität des*der Patient*in oder auch des*der Klient*in. In Bildungseinrichtungen hat sich gezeigt, dass die Resilienz von Kindern und Jugendlichen auch von Lehrpersonen mitgestaltet werden kann, wenn diese als wichtige Bezugspersonen fungieren. Auch das kann das Leben von Heranwachsenden prägen – höhere Resilienz kann die Bildungschancen junger Menschen entscheidend verbessern.

Von entscheidender Bedeutung in beiden Berufsfeldern ist es, dass die Betroffenen – also Schüler*innen und Studierende sowie Patient*innen oder Klient*innen – als Koproduzent*innen an der Entstehung der (Gesundheits-/Bildungs-)Dienstleistung mitwirken (können). Schliesslich ist die Qualität der Gesundheitsversorgung beziehungsweise der Bildungslaufbahn auch davon abhängig, wie zielführend die «Übergaben» der bisherigen Einschätzungen der Betroffenen zwischen den einzelnen Settings – zum Beispiel zwischen Spital und Spitex beziehungsweise zwischen einzelnen Klassen- oder Schulstufen erfolgen kann.

Führungskräfte setzen hier in beiden Tätigkeitsfeldern einen Rahmen, in dem Expert*innen mehr oder weniger zielführend agieren können, sollen oder dürfen.

Um die Situation der beiden oben genannten Berufsfelder und die entsprechenden Implikationen für Führungssituationen aufzuzeigen, folgt ein kurzer Abriss über ausgewählte, aktuelle Führungsdiskurse in den beiden Feldern.

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Volume:
202 p. 4 illustrations
ISBN:
9783035518481
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Bookwire
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