Zeitschrift Polizei & Wissenschaft

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Inhalt & Content

Inhaltsangabe

Helen Behn

Ergebnisse einer Befragung von Studierenden an der Polizeiakademie Niedersachsen in Bezug auf das Thema Suicide by Cop

Ulrich Wagner, Maria-Therese Friehs & Patrick Ferdinand Kotzur

Das Bild der Polizei bei jungen Studierenden

Thomas Naplava, Stefan Kersting & Michael Reutemann

Gewalterfahrungen und Nutzung der Bodycam von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Wachdienst in Nordrhein-Westfalen

Silvia Oßwald-Meßner

Belastende Situationen im alltäglichen Polizeidienst: Häufigkeit und Umgang

Manfred Reuter

Das Politikfeld „Innere Sicherheit“ in der politischen Agenda Deutschlands

Linus Wittmann, F. Bloß & L. Posch

Polizeiliche Interaktionen mit verhaltensauffälligen Personen: Häufigkeit, Einsatzanlass und Gefährdungsaspekte

Impressum

Content

Helen Behn

Results of a survey of police cadets at the Police Academy of Lower Saxony on the subject of Suicide by Cop

Ulrich Wagner, Maria-Therese Friehs & Patrick Ferdinand Kotzur

The image of the police in the eyes of German students

Thomas Naplava, Stefan Kersting & Michael Reutemann

Violent Victimization and the Use of Body-Worn Cameras of Police Patrol Officers in North-Rhine Westfalia

Silvia Oßwald-Meßner

Traumatic Events in Everyday Police Operations: Frequency and Handling

Manfred Reuter

The political field „Internal security” in the political agenda of Germany

Linus Wittmann, F. Bloß & L. Posch

Police interactions with individuals who exhibit behavior disturbances: frequencies, cause for dispatch and endangerment

Impressen

Ergebnisse einer Befragung von Studierenden an der Polizeiakademie Niedersachsen in Bezug auf das Thema Suicide by Cop

Helen Behn

Einleitung

Das Thema Tötungen von Personen durch Polizeibeamte1 im Zusammenhang mit dem Phänomen Suicide by Cop (SbC) ist ein in Deutschland wenig beachtetes. Studien aus Deutschland, die sich mit der Phänomenologie der provozierten Tötung auseinandersetzen, lagen bis zum Jahr 2019 nicht vor. Vereinzelt finden sich Medienberichte über Vorfälle von (möglichen) Fällen des Suicide by Cop2 sowie persönliche Berichterstattungen durch betroffene Polizeibeamte.3 Während sich der Forschungsstand vor allem aus anglo-amerikanischen, zum Teil auch skandinavischen Studien ergibt,4 liegen deutschsprachige Ausarbeitungen vor, die diese Ergebnisse in erster Linie zusammenfassend darstellen, jedoch keine empirischen Studien sind.5

Zusammenfassung

Im Beitrag werden die zentralen Ergebnisse der schriftlichen Befragung von 556 Polizeianwärtern der Polizeiakademie Niedersachsen zum Thema Suicide by Cop (SbC) und der möglichen Viktimisierungsfolgen präsentiert. Es zeigte sich, dass 64,4 % der Befragten keine Kenntnis über das Phänomen hatten (Rücklauf: 64 %). Spezifischer wurde nach der persönlichen Hemmschwelle gefragt, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Über 50 % der Befragten schätzten die Hemmschwelle als sehr hoch bzw. eher hoch ein. 43,2 % befürchteten persönliche Viktimisierungsfolgen, die dazu führen, nicht mehr unbeschwert den Beruf ausüben zu können. Die Ergebnisse verdeutlichen die Wichtigkeit des bisher in der Polizeiausbildung nicht verankerten Themas.

Suizid, Suicide by Cop, Befragung, Polizeianwärter, Schusswaffengebrauch, PTBS, Viktimisierungsfolgen.

Abstract

The article presents the main results of the survey of 556 police cadets (students) at the Police Academy of Lower Saxony on the subject of suicide by cop (SbC) and the possible consequences of victimization. It was shown that 64. 4 % of those who had been questioned had no knowledge of the phenomenon at all (response rate: 64 %) As a more specific question they were asked about the personal inhibition threshold for using the firearm. More than 50 % of the respondents estimated the inhibition threshold as very high or rather high. 43.2 % feared personal consequences of victimization, which would lead to the fact that there could occur problems to work as a policeofficer The results illustrate the importance of the topic that has not yet been anchored in police training.

suicide, suicide by cop, police assisted suicide, empirical study, police cadets, lethal force, PTBS, victimization.

Die erste empirische deutsche Studie, die Pilotstudie, wurde durch die Autorin im Zeitraum vom Jahr 2018 bis zum Jahr 2019 durchgeführt. Methodisch wurden mittels einer Justizaktenanalyse in erster Linie Erkenntnisse zu situations- und personenbezogenen Faktoren von (Verdachts-) Fällen des SbC aus Deutschland (Niedersachsen) gewonnen. Ebenso wurden Motivlagen aus den deutlich als SbC-Fälle zu determinierenden Fällen extrahiert sowie die Art der justiziellen Erledigungen analysiert.6 Viktimologische, präventive und polizeitaktische Aspekte wurden zunächst nicht vertieft berücksichtigt. Weitere Forschung ist geplant (s. u.).

Das Thema Suicide by Cop rückte aufgrund des Mangels empirischer Studienergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum und der nicht regulären Thematisierung im Curriculum der Polizeiakademie Niedersachsen (PA) zunächst ab dem Beginn der Tätigkeit der Autorin als Dozentin im Jahr 2015 in das Interesse. Seit dem genannten Jahr konnte das Thema wiederkehrend im Rahmen eines Wahlpflichtmoduls in den Fokus gesetzt werden. In diesem Rahmen ergab sich im Frühjahr 2019 erstmals die Möglichkeit, in einem Wahlpflichtkurs ebenfalls empirisch zu arbeiten (schriftliche Befragung von 556 Studierenden des ersten Studienjahrgangs an der Polizeiakademie Niedersachsen, Standort Oldenburg7), während im Hintergrund die o. a. Studie durch Fertigstellung des Forschungsberichtes ihren Abschluss fand. Der Wahlpflichtkurs bot durch einen großzügigen Stundenumfang (60 Stunden, 25 mitwirkende Studierende, von denen fünf überwiegend in den empirischen Teil vertieft mit eingebunden waren),8 die Möglichkeit, auf Grundlage der Gütekriterien der empirischen Sozialforschung eine derartige Qualität zu gewährleisten, dass die empirischen Ergebnisse als valide angesehen werden können.

Aufgrund der o. a. Forschungslücken zum Thema SbC können die nachfolgend beschriebene Studie und ihre Ergebnisse ebenso als Mehrwert im Sinne eines Pilotprojektes angesehen werden. Das Hauptaugenmerk des Beitrages liegt auf der Darstellung der Befragungsergebnisse und nicht auf grundlegenden Aspekten zum Thema SbC.9 Nachfolgend werden einleitend, als Einführung in die Thematik, Basisinformationen kurz skizziert.

Begrifflichkeiten

Die (versuchte) Handlung eines SbC stellt Kriminalität dar. Dies begründet sich u. a. darin, dass der Polizeibeamte in der Regel bedroht (u. a. § 241 StGB), ggfs. verletzt (u. a. §§ 223, 224 StGB) wird. Des Weiteren liegt Kriminalität vor, da der Polizeibeamte (letale) Gewalt gegen die ihn provozierende Person (u. a. §§ 223, 224, 212 StGB) anwendet, auch wenn diese in der Regel gerechtfertigt sein wird.

Der Begriff Suicide by Cop ist der gängigste, der im Kontext der beschriebenen Handlungen verwendet wird. Pinizzotto et al. verwenden diesen ebenfalls und weisen durch die Wahl ihrer Definition darauf hin, dass eben auch Versuchshandlungen unter den Begriff zu subsumieren sind.10 Conner beschreibt das Phänomen wie folgt: „Suicide by Cop is an act whereby a person presents a threat to a police officer in order to compel the officer or officers to use deadly force to stop that threat. The result is a suicide at the hands of a police officer.”11 Durch verschiedene Autoren werden weitere Begrifflichkeiten verwendet. So ist ein anderer, in der wissenschaftlichen Literatur verwendeter Ausdruck für derartige Handlungen police-assisted suicide. Hierbei handelt es sich um „eine Selbsttötung, bei der die Person die Handlung mit Hilfe eines Polizisten durchführt.“12 Analog der Definition von Conner beschreiben Mohandie/Meloy das Kriminalitätsphänomen als „Suicide by cop (SBC) is a method of suicide that occurs when a subject engages in behavior which poses an apparent risk of serious injury or death, with the intent to precipitate the use of deadly force by law enforcement against the subject […].”13 Der ebenfalls teils synonym genutzte Begriff victim-precipitated homicide beschreibt die Handlung eines Opfers, das ein bestimmtes Ereignis initiiert oder beeinflusst, das in der Folge zum Tod führt. Wolfgang, der in verschiedenen SbC-Studien als der Wissenschaftler zitiert wird, der sich Ende der 1950er Jahre als erster mit dem Thema der provozierten Tötung wissenschaftlich auseinandergesetzt hat, benutzt in seiner Auseinandersetzung mit dem Begriff „victim-precipitated criminal homicide“ eine Definition, die die provozierende Person als Opfer dastehen lässt.14

Die Verwendung dieser Begrifflichkeit im Zusammenhang mit dem Phänomen Suicide by Cop wird kritisiert, da die handelnden Polizeivollzugsbeamten als Verdächtige (Täter, nicht im juristischen Sinne) dargestellt werden und die suizidierte Person als Opfer angesehen wird.15 Dieser Kritik wird durch die Autorin gefolgt und die provozierende Person als Täter (ebenfalls nicht im juristischen Sinne) und der provozierte Polizeibeamte als Opfer definiert. Dass Opferfolgen auf beiden betroffenen Seiten und darüberhinausgehend (bei Dritten) entstehen, ist unbestritten.16

 

Diese Determinierung ist insofern wichtig, da bei der Befragung der Studierenden vor allem mittels der Frage 13 („Es kommt zu einem Suicide by Cop durch dich. Kannst du dir vorstellen, nach einem solchen Vorfall zukünftig unbefangen als PVB deinen Dienst zu versehen?“ Antwortmöglichkeiten „ja“ und „nein“, s. u.) potenziell viktimologische Erkenntnisse gewonnen wurden.

Methodisches Vorgehen

In der Auftaktveranstaltung des Wahlpflichtkurses (13.02.2019) wurden grundlegende thematische Aspekte zum Thema SbC und zur empirischen Sozialforschung vermittelt. Alle Mitglieder des Wahlpflichtkurses (25 Personen) hatten auf Grundlage der gelehrten Inhalte die Aufgabe, zur nächsten Veranstaltung eine Frage zu formulieren, die sie in die Befragung mit einfließen lassen möchten. Zudem sollte die Begründung für die Aufnahme formuliert werden. Diese Fragen wurden am 19.02.2019 in der zweiten Veranstaltung zusammengetragen und kategorisiert. Es stellten sich hierbei Schwerpunkte heraus, die in der Folge die Themenschwerpunkte des Fragebogens bilden sollten: Themenkomplex 1 (Suizid), Themenkomplex 2 (SbC), Themenkomplex 3 (demografische Fragen).

Insgesamt umfasste der Fragebogen 16 Fragen (14 themenspezifische, zwei demografische Fragen), die bewusst auf einen zweiseitigen Bogen (ein Blatt!) gestaltet wurden, um einerseits die Befragung zeitlich in einem begrenzten Rahmen belassen zu können und dabei eine möglichst ansprechend hohe Rücklaufquote zu erzielen. Andererseits sollte die Auswertung für die sich erstmalig mit der Empirie beschäftigen Studierenden übersichtlich bleiben. Aufgrund dessen wurde überwiegend die Form der geschlossenen Fragestellung17 gewählt. Hinsichtlich der Art der Antwortauswahl waren in einigen Fragen Mehrfachnennungen möglich. Bei den geschlossenen Fragen mit Antwortvorgaben und nur einer Antwortmöglichkeit erfolgte durch die Wahl einer vierstufigen Skaleneinteilung18 das Vorbeugen eines Antwortverhaltens mit der sog. „Tendenz zur Mitte“, zu der Befragte neigen können, um den kognitiven Aufwand beim Antworten zu reduzieren. Dieses reduktive Verhalten wird auch im Zusammenhang mit der sog. Zustimmungstendenz (Akquieszenz) diskutiert.19

Unabhängig davon sind methodische Verzerrungen, nicht nur hinsichtlich des Antwortverhaltens nicht auszuschließen. Beispielhaft stehen hierfür trotz des Pretests (s. u.) Unverständlichkeiten einzelner Fragen oder Antworten/Antwortmöglichkeiten, Antwortverhalten im Sinne sozialer Erwünschtheit und/oder Gruppendynamiken während des Ausfüllens des Bogens im Studiengruppenverband.20

Der Pretest wurde in einem Hörsaal eines dritten Studienjahrganges durchgeführt.21 In diesem Vorgehen begründet sich ein methodisches Defizit, weil es sich hierbei nicht um Studienanfänger handelt, sondern um Studierende, die kurz vor dem Studienabschluss standen. Diese hatten, anders als die Befragten, im Rahmen ihres Studiums bereits Praxisphasen absolviert und waren somit u. U. in diesen mit dem Thema SbC polizeipraktisch in Berührung gekommen, wenngleich dies nicht besonders wahrscheinlich sein dürfte. Es war also davon auszugehen, dass diese vertieftes themenspezifisches Wissen hatten. Verständnisprobleme hinsichtlich der Fragestellung lagen erwartungsgemäß bei der Pretestgruppe nicht vor. Dass der Fragebogen nicht bei Studierenden des ersten Jahres im Pretestverfahren angewandt wurde, begründet sich darin, dass der gesamte Jahrgang miteinbezogen werden sollte. Die Anwendung des Fragebogens erwies sich als geeignet. Die Dauer der Beantwortungszeit belief sich auf maximal sieben Minuten. Unter Berücksichtigung dieser Angaben wurde ein entsprechendes Anschreiben22 formuliert und dieses mit der entsprechenden Anzahl der Fragebögen (Anzahl der Studierenden/Hörsaal) in die Postfächer der Studiengruppen gelegt. Der Zeitkorridor zur Beantwortung des Fragebogens belief sich auf vier Kalendertage. Die Rückgabe der Fragebögen erfolgte über eine im Geschäftstrakt der Polizeiakademie Oldenburg aufgestellte Wahlurne.

Ergebnisse

Aus der Stichprobe ergab sich ein Rücklauf von 356 Fragebögen (64 %). Acht dieser Fragebögen wurden nicht ausgefüllt, sodass der Gruppe am 25.02.2019 348 verwertbare Fragebögen (62,59 %) vorlagen.23 Bei Auswertung der verwertbaren Fragebögen24 ergab sich am 25.02.2019 hinsichtlich des Alters der befragten Studentinnen und Studenten ein Durchschnitt von 20,73 Jahren. Die Altersspanne der Befragten reichte hierbei von 17 bis 34 Jahren. Bei der Geschlechterverteilung der befragten Personen überwogen die männlichen Studierenden mit einem Anteil von 186 Stimmen (53,4 %) im Gegensatz zu den weiblichen Studierenden mit einem Anteil von 157 Stimmen (45,1 %). Fünf befragte Personen (1,4 %) enthielten sich sowohl bei der Angabe nach dem Alter als auch dem Geschlecht. Die Grundgesamtheit setzte sich zum Zeitpunkt der Befragung wie folgt zusammen: 43,7 % der 556 Personen waren weiblichen und 56,3 % männlichen Geschlechts. Damit besteht im Hinblick auf den Rücklauf ein nahezu ausgewogenes Verhältnis im Vergleich zur Ausgangsbezugsgruppe. Aus datenschutzrechtlichen Gründen können Aussagen zur Altersverteilung der befragten Polizeianwärter nicht getroffen werden.

Der erste Themenkomplex, drei Fragen zum Thema Suizid allgemein, wurde gebildet, um sowohl einen Einstieg zu erzeugen als auch eine sinnvolle Überleitung zu den SbC-Fragen zu gewährleisten.25 Um von Beginn an die Aufmerksamkeit der Befragten zu erregen, wurde in Frage 1 erfragt, ob bisher bereits persönliche Berührungspunkte mit dem Thema Suizid vorhanden seien. Dabei gaben 120 Personen (34,4 %) an, bereits persönliche Erfahrungen gesammelt zu haben. Mit 227 Antworten gab ein Großteil der Befragten (65,2 %) an, über keinerlei Erfahrungen diesbezüglich zu verfügen.

In Frage 2 wurden die Studierenden aufgefordert, die Anzahl an Personen zu schätzen, die sich jährlich in Deutschland suizidieren. Die Antwortmöglichkeiten umfassten 0 - 3.000, 3.001 - 6.000, 6.001 - 9.000, und 9.001 - 12.000.26 50 Befragte (14,4 %) wählten die Kategorie 9.001–12.000, und damit deckten sich ihre Angaben mit dem derzeitigen Istwert (im statistischen Hellfeld). Die Mehrheit entschied sich für die Kategorie 6.001 - 9.000 (155 Zustimmungen, 44,5 %) bzw. 3.001 - 6.000 (131 Stimmen, 37,6 %). Elf Studierende (3,2 %) lagen mit ihren Einschätzungen am weitesten von den tatsächlichen Zahlen entfernt und wählten den Wert 0 - 3.000. Die dritte Frage („Was verstehst du unter einem erweiterten Suizid?“) des ersten Themenkomplexes bildete die Überleitungsfrage zum themenspezifischen Bereich Suicide by Cop.

Der zweite Themenkomplex wurde mit der zentralen Frage zum Kenntnisstand über das Phänomen SbC eröffnet. Die Frage 4 „Kennst du das Phänomen Suicide by Cop?“ beantworteten 123 Personen zustimmend (35,3 %), während 224 Personen (64,4 %) angaben, keinerlei Vorkenntnisse zu haben.

Mit der sich anschließenden Frage (Frage 5) wurde sich an die Personen gewandt, die vorher angegeben hatten, das Phänomen Suicide by Cop zu kennen, und erhoben, woher ihnen das Phänomen bekannt ist. Als Antwortmöglichkeiten27 wurden folgende Kategorien vorgegeben: Medien (77 Nennungen), Polizeiakademie (26 Nennungen), persönliches Umfeld (17 Nennungen), Literatur (13 Nennungen), vorherige Tätigkeit (sieben Nennungen) und Sonstiges (18 Nennungen). Zudem bestand die Möglichkeit, unter „Sonstiges“ freitextlich eine Angabe zu tätigen. Die freitextlichen Angaben wurden zu Kategorien zusammengefasst. Von den 18 Angaben waren die Informationsquellen „Zeit als Fachoberschüler bei der Polizei“ (fünf Nennungen) und „Mitschüler/Mitstudierender“ (vier Nennungen) dominierend.

Bei der Frage 6 handelt es sich um die erste offen gestaltete Frage (Frage 6: „Was verstehst du unter dem Phänomen Suicide by Cop?“). Die Antworten wurden auch hier in Kategorien zusammengefasst. Es zeigte sich in Teilen, dass manche Antworten derart unverständlich formuliert waren, dass diese selbst durch den intensiven Austausch aller Mitwirkenden in der Kleingruppe nicht zugeordnet werden konnten. Die Frage 6 kann dabei inhaltlich in unmittelbarem Zusammenhang zur Frage 4 (Kenntnis des Phänomens) gesehen werden. 204 Befragte (58,6 %) gaben an, sie verstehen darunter einen „provozierten Suizid“.28 26 Personen (7,5 %) verstanden unter einem Suicide by Cop den Suizid eines Polizeibeamten. Zwölf Befragte (3,4 %) definierten SbC als „den Tod durch einen Polizeibeamten“. Sieben Befragte (2,0 %) sehen in dem Phänomen den Suizid und SbC. Letztgenannte freitextliche Antworten bilden die Überleitung zu den weiteren, in geringerer Anzahl (< 4) auftretenden Antworten, die in der Summe (insgesamt 21 Antworten [6,0 %]) verdeutlichen, dass Aufklärung durch Lehre erforderlich und im Sinne der Fürsorgepflicht verpflichtend erscheint. U. a. traten folgende Antworten auf: „den Tod durch einen Polizeibeamten“, „nicht zu einem Suizid fähig sein“, „ein Suizid nach einer polizeilichen Maßnahme“, „ein Polizeibeamter lässt sich erschießen“, „Suizid allgemein (wegen Überlastung)“. 80 Personen (23,0 %) machten keine Angaben und drei Personen (0,9 %) füllten das Feld mit dem Wort „nichts“ aus.

Mittels der Frage 7 (Hauptfrage: „Könnte es sich bei folgenden Situationen deiner Meinung nach um eine bevorstehende Suicide-by-Cop-Situation handeln? [Mehrfachnennung möglich]) wurde vertieft das Wissen um verschiedene Erscheinungsformen (Frage 7.1. bis 7.6.) von SbC erhoben. Auf die textliche Ergebnisdarstellung wird wegen der Komplexität an dieser Stelle verzichtet.29

Die Frage 8 („In welchem Verhältnis stehen Hell- und Dunkelfeld bezüglich des Suicide-by-Cop-Phänomens zueinander?“) stellt abschließend auf die Phänomenologie ab, bevor mit den Fragen 9 und 10 eine Fokussierung auf die Tätertypologie erfolgt. Die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten (keine Mehrfachnennung möglich) lauteten sinngemäß: Es gibt kein Hellfeld; das Hellfeld ist größer als Dunkelfeld; das Dunkelfeld ist größer als Hellfeld und es gibt kein Dunkelfeld. 16 der Befragten (4,6 %) gaben an, dass es kein Hellfeld gibt. Es ist anzunehmen, dass der Begriff des Hellfeldes nicht abschließend verstanden wurde, obwohl dieser im Curriculum zu der Zeit bereits thematisch umfassend behandelt worden war. 41 der Befragten (11,8 %) schätzten das Hellfeld größer, 219 der Befragten (62,9 %) dieses geringer als das Dunkelfeld ein. 50 Studierende (14,4 %) waren der Meinung, dass es kein Dunkelfeld gibt. 22 Befragte (6,3 %) beantworteten die Frage nicht. Dies ist dahingehend enttäuschend, da von Studierenden zeitlich gesehen im vierten Monat nach dem Berufsstart erwartet werden kann, themenspezifisch eine Meinungsbildung formulieren zu können.

Hinsichtlich der Tätertypologie wurde mit der Frage 9 das quantitativ dominierende Geschlecht der Delinquenten erfragt („Denkst du, dass Suicide by Cop überwiegend von männlichen oder weiblichen Personen begangen wird?“).30 Der Großteil der Befragten sieht die männlichen Täter in der Rolle als SbC-Verursacher führend (65,2 %). 13 Befragte hielten das weibliche Geschlecht für das dominierende (3,7 %). Allerdings sahen 98 der Befragten (28,2 %) beide Geschlechter gleich aktiv. Zehn Befragte (2,9 %) enthielten sich.

Mit der Frage 10 wurden SbC-typische personenbezogene (tätertypologische) Merkmale als Antwortitems angeboten, um zu erheben, inwieweit vertieftes Wissen bei den Befragten vorhanden ist bzw. inwieweit diese eine Vorstellung davon haben, welche typische Eigenschaften die Angreifer auf sich vereinen könnten. Die zutreffenden Antwortitems „psychische Störungen“, „erhöhtes Gewalt- oder Aggressionspotenzial“, „Drogen- und/oder Alkoholmissbrauch“, „strafrechtlich in Erscheinung getreten“, „soziale Faktoren“ stützen sich dabei auf die Ergebnisse der internationalen Forschung.31

Bei den Fragen 11, 12 und 13 handelte es sich aus Sicht der Kleingruppe um die emotionalsten, da der eigene, potenzielle kontextbezogene Schusswaffengebrauch thematisiert wird. Diese Fragen wurden bei Erstellung des Fragebogens am intensivsten diskutiert. Schließlich wurde ihre Aufnahme positiv entschieden. Ebenso wurde entschieden, mit der Frage 14 eine sogenannte Entlastungsfrage als Abschlussfrage den Fragen zu den demografischen Angaben (Alter und Geschlecht) voranzustellen.

Zunächst erfolgte der Einstieg in den Fragenkomplex zum polizeilichen Schusswaffengebrauch mit der Frage 11, in der nach der Anzahl der durchschnittlich letalen polizeilichen Schusswaffengebräuche in Deutschland gefragt wurde.32 Das Gros der Befragten (302, 86,8 %) schätzte die tödlichen Schusswaffengebräuche in Deutschland durch Polizeivollzugsbeamte gegen Personen im Durchschnitt jährlich auf 1 - 50. Die tatsächlichen Fallzahlen, orientiert an dem Zeitfenster der Jahre 2006 bis einschließlich 2016, fallen in diesen Korridor, da sie den Wert von elf (im Jahr 2016) nicht überschreiten.33 36 Befragte (10,3 %) schätzen die Anzahl auf einen Wert von 51 - 100. Vier der Befragten Personen (1,1 %) nehmen den höchsten Wert an. Drei Personen gehen davon aus, dass es nicht zu letalen Schusswaffengebräuchen kommt.

 

Mit der Frage 12 („Wie hoch ist deiner Meinung nach deine persönliche Hemmschwelle, auf eine Person zu schießen, die dich mit einer Schusswaffe bedroht?“) sollte ein Eindruck gewonnen werden, inwieweit die hypothetische Benutzung der Waffe beurteilt wird. Der Antwortmöglichkeit „sehr niedrig“ stimmten 32 Personen (9,2 %) zu. Als „eher niedrig“ beurteilten 136 Befragte (39,0 %) die persönliche Hemmschwelle. Der Antwortmöglichkeit „eher hoch“ stimmten 131 Befragte (37,6 %) und der Antwortmöglichkeit „sehr hoch“ 44 Befragte (12,6 %) zu.

Forschungserkenntnisse zeigen, dass der tatsächliche Gebrauch der Schusswaffe vor allem in Situationen, in denen sich Angreifer und der die Schusswaffe Nutzende auf Sichtdistanz gegenüberstehen, von Hemmungen geprägt sein kann.34 Ergänzend impliziert die Frage, wenn auch nicht direkt formuliert, eine Hemmschwelle, die möglicherweise Ängste (nicht näher definiert) ausdrücken kann, tatsächlich von der Waffe Gebrauch machen zu müssen. Als sog. Moderator der Angst gilt u. a. die subjektive Einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten.35 Diese wiederum ist an den individuellen Ausbildungsstand und das individuelle Empfinden in Bezug auf die eigenen Kompetenzen zu spiegeln. Bei den Befragten handelt es sich um Studierende des ersten Studienjahres ohne Praxiserfahrung. Die von Lorei et al. beschriebene notwendige „Kontrolle durch Bekanntheit von situativ adäquaten Maßnahmen [und die] Überzeugung von eigensichernder Handlungskompetenz“36 ist in der ersten Lern- und Ausbildungsphase. In Bezug auf die Ausgestaltung der Ausbildung wird durch Kreim darauf hingewiesen, dass eine mögliche Traumatisierung durch eine realitätsnahe Ausbildung unter Umständen nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.37 Dass das Ausmaß der Folgen einer Traumatisierung auch von vorherigen Lebenserfahrungen und sozialbiografischen Aspekten abhängen kann, gilt als unbestritten. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse zur Frage 1, dass 120 Personen der Nettostichprobe (34,4 %) bereits in der Vergangenheit Berührungspunkte mit dem Thema Suizid hatten, ist nicht auszuschließen, dass sich bereits traumatisierte Personen (z. B. durch den Tod eines nahen Angehörigen38), mindestens aber emotional betroffene Personen in der Gruppe der Befragten befinden und diese Betroffenheit als Teil ihrer Biografie mit sich tragen. Die Kritik hinsichtlich des Mangels an Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, wie sie von Gewerkschaften häufig vorgetragen wird,39 ist daher nicht gänzlich unkritisch zu betrachten. Käme es in Einzelfällen zu einer Traumatisierung, mindestens aber zu einer Verstärkung von bestehenden psychischen (dem Individuum [des PVB] nicht bekannten) Beeinträchtigungen durch z. B. eine zu realitätsnahe Ausbildung in Bezug auf SbC, könnte dieser Umstand wiederum mitunter fatale Folgen für weitere Einsätze mit ähnlichem situativen Bild haben. Es dürfte davon auszugehen sein, dass in der konkreten SbC-Bedrohungssituation seitens der eingesetzten Polizeibeamten eine noch weniger adäquate Reaktion erfolgen könnte, da Angst zu Leistungsbehinderung oder -verhinderung führen kann.40 Bei den Befragten der Nettostichprobe handelt es sich überwiegend um junge Menschen im Alter eines Heranwachsenden41, die sich in einer Lebensphase befinden, in der die Identitätsausbildung nicht gänzlich abgeschlossen ist42 und sie damit als beeinflussbarer, ggfs. als verletzlicher angesehen werden müssen.

Tabelle 1: Einstufung der persönlichen Hemmschwelle, die Schusswaffe gegen eine Person einzusetzen (Frage 12); Antwortdarstellung nach Geschlecht: Grundgesamtheit der auswertbaren Antworten; weibliche Befragte: n=157 (Enthaltung und nicht auswertbar, n=2 [1,2 %]); männliche Befragte: n=186 (Enthaltung und nicht auswertbar, n=1 [0,5 %])


Geschlechtsehr niedrigeher niedrigeher hochsehr hochSumme*
weiblich (n)5537126155
weiblich (%)3,233,845,216,698,8
männlich (n)27835718185
männlich (%)14,544,630,69,799,4

* Durch Rundungen und aufgrund der Nichtberücksichtigung der Enthaltungen und der nicht auswertbaren Antworten werden nicht 100 % erreicht.

Dass bei Geschehnissen des SbC in Einzelfällen durchaus polizeiliches Missmanagement vorliegen kann, wird von McKenzie herausgestellt.43 Im Hinblick auf SbC-Fälle, bei denen aufgrund der situativ entstehenden Belastungen traumatisierte Polizeibeamte (und Dritte) zurückbleiben können, ist es wichtig, Fehler im Umgang mit den Personen und Situationen zu vermeiden. Die Basis dafür ist ebenso unbestritten eine gute Aus- und Fortbildung, für die aufgrund der o. a. Argumente eine regelmäßige Reflektion unabdingbar ist.

In Bezug auf die Beurteilung der individuellen Hemmschwelle zeigt sich bei den Befragungsergebnissen, dass die weiblichen Befragten häufiger die Annahme des Vorliegens dieser bejahten (s. Tab. 1). Während 45,2 % der weiblichen Befragten die persönliche Hemmschwelle als eher hoch und 16,6 % dieser Gruppe diese als sehr hoch bewerteten, lagen die Anteile in der Gruppe der Männer bei 30,6 % und 9,7 %.

In den Studien, die letale polizeiliche Schusswaffengebräuche als Untersuchungsgegenstand haben, wurde z. B. durch Parent die Variable Geschlecht vertieft untersucht. In den 30 untersuchten Fällen des tödlichen Schusswaffengebrauchs durch Polizeibeamte in British Columbia (USA) vom 01.01.2000 bis 31.12.2009 stellte Parent fest, dass die weiblichen Polizeibeamten eher einen tödlichen Schuss abgaben als die männlichen.44

Die Frage 13 („Es kommt zu einem Suicide by Cop durch dich. Kannst du dir vorstellen, nach einem solchen Vorfall zukünftig unbefangen als PVB deinen Dienst zu versehen?“) steht aus Sicht der Autorin in unmittelbarem Zusammenhang mit der sehr wahrscheinlich auftretenden Traumatisierung durch den Schusswaffengebrauch und möglicher Folgen, z. B. der Ausbildung einer PTBS.

Da häufig innerhalb von Sekunden die Entscheidung und Reaktion des Polizeibeamten fällt und fallen muss,45 kann die Aussage, ob nach der Nutzung der Schusswaffe noch unbefangen der Dienst versehen werden kann oder nicht, alleine eine prospektiv hypothetische Aussage sein. Der Ablauf einer tödlichen Gewaltanwendung ist oft binnen Sekunden, während im Rahmen einer Traumaverarbeitung häufig das Prozedere wieder und wieder in Zeitlupe abläuft.46 Im Zusammenhang mit Zeitrelationen betonen Parent/Verdun, dass das eigentliche Tatgeschehen nur Sekunden dauerte (im konkreten Fall 21 Sekunden), während die anschließende Gerichtsverhandlung für den betroffenen Polizeibeamten einen Zeitraum von über 5 1/2 Stunden umfasste.47 Der Aspekt der Anforderung, im Rahmen der justiziellen Aufarbeitung des Falles mitwirken zu müssen, ist einer von mehreren Aspekten, die geeignet sind, das Gelingen einer psychischen Genesung (entscheidend) mit zu beeinflussen.48

Hinsichtlich der Langzeitfolgen sind überwiegend keine geschlechtsspezifischen Langzeitfolgen festgestellt worden, allerdings variieren die Arten der Kompensationen der Traumafolgen. Männer zeigen eher extrovertiertes, Frauen eher introvertiertes Verhalten.49 Ebenso zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede in der Quantität der Behandlungszahlen mit einer erhöhten Quantität beim weiblichen Geschlecht.50 Dass der (polizeiliche) Schusswaffengebrauch traumatisierend wirken kann, legt die Definition nach dem DSM-V51 nahe. „Es werden [unter traumatisierenden Ereignissen] nur außergewöhnliche, (potenziell) lebensbedrohliche beziehungsweise mit schweren Verletzungen einhergehende äußere Ereignisse verstanden, die mehr oder weniger bei jedem Menschen zu einer seelischen Erschütterung führen können.“52 Das Vorkommen von Traumafolgestörungen bei Opfern von SbC-(Versuchs-)Fällen gilt als unbestritten; in der Regel treten psychische Reaktionen (auch Post-Shooting-Reaktionen genannt) nach einem Schusswaffengebrauch immer auf, sie unterscheiden sich dabei in der Ausgestaltung und Intensität.53 Grundsätzlich gelten viele Ereignisse als welche, die potenziell traumatisierend für Polizeibeamte wirken können. Schusswaffengebräuche gelten allerdings als die potenziell traumatisierendsten.54 Bannenberger betont im Zusammenhang mit dem Thema Amok, dass dezidierter Forschungsbedarf zu Viktimisierungsfolgen (und spezifisch Traumafolgen) zu Ereignissen von (potenziellen) SbC-Geschehnissen nicht vorhanden sind.55