Winter – Weihnacht – Wunderbares

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Winter – Weihnacht – Wunderbares
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Winter – Weihnacht – Wunderbares





Anthologie



des Freien Deutschen



Autorenverbandes



Landesverband Sachsen



Engelsdorfer Verlag



Leipzig



2015







Ein herzliches Dankeschön gilt unserem Unterstützer:





Kulturbüro der Stadt Chemnitz





Bibliografische Information durch die Deutsche



Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;



detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.dnb.de

 abrufbar.



Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig



Alle Rechte bei den Autoren und der Illustratorin



Titelbild und Illustrationen © Angelika Erdbeer



Lektorat: Lenard James Cropley, Hannelore Crostewitz, Sandra Kersten



Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)



1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015





www.engelsdorfer-verlag.de








Inhalt







Cover







Titel







Impressum







Weihnachten immer wieder überall







ADVENT







Andreas Knapp







adventskalender







weihnachtsgeschäft






      Lenard James Cropley






Ach du Fröhliche!







Spruch







Der erste Dezember







Nur mal so, zum Advent







Weihnachtlicher Fünfkampf







Hannelore Crostewitz







So sei es







An der Ecke






      Almut Fehrmann






Gewissensbisse






      Hermann Friedrich






Weihnachtsspende







Nikolaus






      Matthias Albrecht






Eine Kinderweihnachtsfeier im Gefängnis






      Eveline Hoffmann






Unter Tage und wieder ans Licht







Oh Tannenbaum!







Friedemann Steiger







jeder soll menschlich behandelt werden







der prophet micha







WEIHNACHT







Friedemann Steiger







Die schönste Geschichte der Welt







die weihnachtsoblate







Weihnachtsvorbereitung






      Almut Fehrmann






Wann ist Weihnachten?







Schneefrau







Lothar Pfüller







Ohne Weihnachten?







Wünsche und Wirklichkeit zum Fest







Lausbubgedanken zum Fest







Weihnachten war






      Reina Darsen






Knuts erstes Weihnachtsfest






      Anne Meinecke






Oh du Fröhliche







Alle Jahre wieder







Andreas Knapp







weihnachtstraum







herbergssuche







Kathlin Gawrilow







Die Stille hören






      Peter Zech






Mein Weihnachten in Damaskus 1968






      Matthias Albrecht






Mein erster Weihnachtsgottesdienst







Beamtenweihnacht






      Angelika Erdbeer






Hinz und Kunz






      Hermann Friedrich






Weihnachtsleitkultur







Negativwunschliste







Weihnachtsmann







Weihnachten immer und überall







Weihnacht 2013






      Marlis Michel






Tagebuchblatt 23./25.12.2011 – Weihnacht







Eveline Hoffmann







Heiligabend – hierzulande







Lenard James Cropley







Weihnachts-Walzer







WUNDERBARES







Hannelore Crostewitz







Winkelwichtel






      Iris Fritzsche






Wo wohnt der Weihnachtsmann?







Weihnachtsgeschichte 2011 – Die Reise zum Weihnachtsland







Des Rätsels Lösung







Matthias Albrecht







Weihnachten bei den Steins







Hermann Friedrich







Suche Weihnachtsgedicht







Schöne Bescherung






      Hannelore Crostewitz






Der Weihnachtsmann im Bundestag. Ein modernes Märchen







Die Weihnachtsdecke







Friedemann Steiger







Das ganze Jahr über







Der Weg der Hirten







Mutter mit Kind (Barlach)







Die Futterkrippe






      Eveline Hoffmann






Wie der Weihnachtsstern erwachsen wurde






      Horst Seidel






Puck, der kleine Ritter







JAHRESWECHSEL



 





Lenard James Cropley







Was wird sein






      Andreas Knapp






Unter kalten Sternen






      Katja Ullmann






Albas Tochter







Ralf Trommler







Das neue Jahr







Kathlin Gawrilow







An der Schwelle der Jahre






      Anne Meinecke






Ananasbowle forever






      Lenard James Cropley






Konzertbesuch eines Unwissenden







WINTER







Hermann Friedrich







Weihnachten im Klimawandel







Schnee von heute ist von gestern







Lothar Pfüller







Gefühlter Winter







Schneeflockengeflüster






      Ralf Trommler






Von Rentieren, Polarnächten und Japanern







Kathlin Gawrilow







An den Grenzen des Erdenseins







Friedemann Steiger







schnee schnee schnee







Lenard James Cropley







Gedanke







Schnee







Winter







Es ist soweit







Biographische Angaben








Weihnachten immer wieder überall





Die Weihnachtszeit ist voller Zauber. An jedem Adventsabend eine Kerze entzünden und eine Geschichte lesen, das ist doch wunderbar. Dazu wollen die Autoren des Freien Deutschen Autorenverbandes aus dem Weihnachtsland Sachsen einladen.



Es ist nicht nur eine gute Tradition, die Geburt des Christkindes zu feiern, sich erneut an die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium zu erinnern oder vielleicht die alte Schallplatte mit der Ballade von der Weihnachtsgans Auguste aufzulegen. Weihnachten ist die Zeit des Lichtes, das der Bergmann für uns aus dem Dunkel holt. Es ist das Fest der Glanzfarben und Düfte, die in Stuben, auf Straßen und Märkten unsere Sinne erfreuen und die Herzen weit öffnen.



In diesem Buch wird auch erzählt über Einkaufsstress, Erinnerungen an Vergangenes, über ein Weihnachtfest in Damaskus, eine Silvesternacht in Nikaragua und die Polarnächte bei Tageslicht in Finnland. Ebenso über eine Kinderweihnachtsfeier im Gefängnis, über die Wohnung des Weihnachtsmannes im Internet und über Besinnliches im Bundestag. Man kann lesen von Konzertbesuchen, Fernseh-Berieselung und Zweifeln über den Effekt von Spenden. Wozu soll eine Negativ-Wunschliste gut sein? Was passiert, wenn der Nikolaus in die Radarfalle gerät?



Zauberhaftes ist tatsächlich möglich auf dem Arbeitsamt oder im Herzen des phantasievollen kleinen Ritters Puck. Welche Magie kann eine Tischdecke bergen? Sehen wir trotz Alltagsmühen die Wunder, die uns die Natur mit dem Wechsel der Jahreszeiten beschert?



Fragen über Fragen und viele Denkanstöße.



In diesem Sinne kehrt Weihnachten immer und überall wieder, meine ich, und höre noch die sonore Stimme des Opernsängers Luitpold Löwenhaupt: „Man muss doch was fürs Herze tun.“ Deshalb kann man dieses Buch immer wieder überall zur Hand nehmen. Wir wünschen Freude und Gewinn beim Lesen und Nachdenken.



Almut Fehrmann




Advent












Andreas Knapp









adventskalender





tag für tag



schließt sich leise



ein türchen deines lebens



und deine möglichkeiten



fallen unwiderruflich



ins schloss



die verriegelte tür



in der mitte aber



du selbst



öffnest du dich



vielleicht schaut dich dann



überraschend ein kind an









weihnachtsgeschäft





was hilft gegen den durst



in der wüste des überflusses



nicht konsumieren



sondern kommunizieren



nicht lebensmittel



sondern eine mitte des lebens



nicht die große auswahl



sondern selbst erwählt sein



nicht tausend liebe dinge



sondern eine unbedingte liebe







Lenard James Cropley









Ach du Fröhliche!





Mit dem ersten Advent beginnt bei Mann und Weib die große Jagd durch Shoppingcenter, Einrichtungshäuser, Galerien, Boutiquen und Weihnachtsmärkte. Nur um die zweifelhaften Geschenkevorstellungen der Lieben zu erfüllen, rennen sie schwerbepackt die Gänge entlang, links ertönt „Jingle Bells“ und rechts „Feliz Navidad“. Von oben kräht ein Kinderchor so etwas Ähnliches wie „Oh du Fröhliche“.



Die Blicke fliegen über Kerzenwälder, Süßwarengebirge, Alkoholmeere und Räuchermännelnationen. Bald fühlen sich die Jäger schlecht und schwindelig. Er, weil er: eine Bratwurst mit Senf, einen roten Zuckerapfel, eine Tasse heißen Met, ein Fischbrötchen, eine Tüte gebrannter Mandeln, eine kleine Schokobanane, einen Grog und eine Handvoll Krapfen zu sich genommen hat. Sie: weil sie hungrig blieb. Sei es wegen des abgelehnten Schlangestehens und dem In-der-Kälte-Gehocke oder weil sie beim Versuch, an Nahrung zu gelangen, in dem Menschengewühl einfach nicht zur Theke fand und zu kraftlos war, um weiterzukämpfen. Vielleicht konnte sie auch dank des Wein-Bratfett-Zuckerwatten-Senf-Mandel-Oliven-Geruches, der ihr so langsam die Sinne raubte, die Kehle zuschnürte und einen Würgereiz auslöste, nicht mehr an eine Essensaufnahme denken.



Doch anderntags ziehen sie wieder zerknirscht los, um den rosa Plüsch-Waschbären, das sich selbst lesende Buch und die jodelnde Klobürste zu erwischen. Aber die Sache mit der Jagd von großem Getier ist längst Geschichte und sie sind bald müde. Ihre Augen stumpf vom Suchen zwischen all den Unnützlichkeiten und vom Blenden der rosagrünen, gelblila Lichter. Die Ohren sehnen sich nach der Stille eines lautlosen Flockentanzes. Ihre Nasen möchten nur noch den Duft von Tannengrün im Morgentau schnuppern. Ihre Hände und Arme sehnen sich nach Ruhe, mögen nichts mehr befühlen, betasten oder schleppen. So taub sind auch ihre Beine und Füße, die sonst nur sacht das Gaspedal berühren und weitaus weniger Straßenpflaster unter den rauen Sohlen spüren.



Ist das Geschenke-Ergattern in der Freizeit ein Dilemma, so gibt es noch ein weiteres: Arbeitstage und Festtage. Die Arbeitsengel im Niedriglohnsektor machen schnelle Geschenke erst möglich. Von „

A

lles argfreundlich abverkaufen“ bis „

Z

ärtlich zügig zusammenpacken“. So arbeiten sie im Tingel-Tangel-Weihnachtsgebimmel und kutschieren Glühweinselige per Bus und Bahn oder stehen sich in den kalten Verkaufsbuden die eiskalten Füße in den Bauch. Selbst literweise lauwarmer „Früchtetee“ wärmt ihre großen Herzen nur kurz …



Von all den anderen sichtbaren Engeln in Weiß und den unsichtbaren möchte ich gar nicht erst anfangen …



Zu Hause dann, wenn die Geschäfte geschlossen sind, geht endlich die Besinnlichkeit los: Wäsche waschen, bügeln, Wohnung putzen und dekorieren, Essen kochen, Möbel umstellen, Plätzchen backen, Tannenbaum schmücken, Lieder und Gedichte lernen, Geschenke sortieren, Karten schreiben und die lieben Gäste bewirten. Dabei die Familie und sich bei guter Laune halten und nicht vergessen das Gesamtziel „Fröhliche Weihnacht überall“ nicht aus den Augen zu verlieren.



In der Nacht des 24. Dezembers, nach dem großen Familienstreit, liegen sie völlig erschöpft in ihren Betten und an Nächstenliebe ist nicht mehr zu denken. Bestimmt flüstern sie ein heimliches, atheistisches Gebet. Darin beschweren sie sich über das unmögliche Benehmen von Tante Friedgard, die den Riesenkrach auslöste. Kurz darauf fragen sie sich aber, ob man den großen Vater nach der Geburt des langersehnten Sohnes mit solch banalen Kleinigkeiten nerven sollte. Ein gnädiger, todesähnlicher Schlaf bewahrt sie jedoch vor Antworten, die sie sowieso nicht hören wollen.



Zwischen den Festen gehen sie wieder arbeiten. Gedanklich aber stellen sie schon den Schlachtplan für die große Jahresend-Party auf den Bahamas mit Tom Jones zusammen. Ein Abstecher nach New York und London war auch gebucht gewesen, aber nun sind alle Flüge wegen starken Schneefalls gestrichen. Alles Humbug. Aber wer gibt schon gern zu, dass er mit Oma Irmtraut und dem Partner bei Gürkchen, Billigsekt und der fünfhundertmillionsten Folge „Dinner For One“ kurz vor zwölf auf dem Plüschsofa einnickt und dass das alles an Feierlichkeiten war?



Am Morgen des zweiten Januars ist der Hosenbund noch weiter geworden und sie freuen sich über die Erholung auf Arbeit. Dort grüßt der Kollege halblaut: „Gesundes Neues Jahr wünsche ich!“ und sie murmeln: „Danke gleichfalls.“ Bei einem Blick in seine glanzlosen Augen mit den schweren Lidern grinsen sie ihn schamlos an und beginnen das Märchen ihrer wunderbar harmonischen Festtage zu erzählen …










Spruch





Gleich nach dem Kerzenschein



ist der Geldschein



der schönste …







Der erste Dezember





Ich öffne endlich das Türchen mit der Eins.



Die Schokolade schmilzt auf meiner Zunge.



Schon am Nachmittag bin ich der Zeit weit voraus …



Rein theoretisch müsste morgen Heiligabend sein.






Nur mal so, zum Advent





Gestern gegen 22 Uhr, mein DVD-Film war zu Ende, der Abend aber nicht, beschloss ich, noch etwas fernzuschauen. Da Kriminalsendungen nicht so mein Fall sind, blieb ich beim Ersten Programm hängen. Zu sehen bekam ich eine drapierte Waldlandschaft mit massenhaft Pulver-Schnee, die gar nicht mal so furchtbar künstlich aussah. Schon ahnte ich, was da lief. Den Moderator, der dort mit einem halben Dutzend Schönlingen stand, erkannte ich nicht gleich. Denn Florian Silbereisen ist nicht mehr blond. Das dunkle Haar steht ihm gut, ebenso der Bart. Er trug einen schwarzen Anzug, edel und leger zugleich. Immer noch ein Schwiegermutter-Traum, aber nicht mehr ganz so aalglatt. Wie versteinert blieb meine Hand an der Fernbedienung und rührte sich nicht mehr. Silbereisen unterhielt sich mit den jungen Männern, die alle schwere Boots, weiße Socken und kurze Lederhosen anhatten. Obenrum unterschied sich das Ensemble: Karohemden, Lederblazer, Strickpulli oder T-Shirt mit langem Schal. Breit und muskulös standen die Männer da und versuchten, das Lächeln nicht abfallen zu lassen. Sie sprachen miteinander, aber ich verstand nichts. Weil der Silbereisen so schnell redete und die anderen Jungs in irgendeinem seltenen steirischen Dialekt.



Früher hätte ich längst wieder umgeschaltet, aber irgendetwas faszinierte mich am Fernsehbild. Was für eine Kulisse! Dazu diese Katalogtypen, perfekt ausgeleuchtet und frisiert, braungebrannt, weiße gepflegte Zähne, ihre Münder bewegten sich, ihre Botschaft kam, zumindest bei mir, nicht an.

 



Dann formierte sich der Modehaustrupp neu und Musik wurde eingespielt, okay, das war das Zeichen, ich schaltete um.



Fünf Minuten später, auf allen anderen Kanälen liefen Werbespots, landete ich wieder mit dem Finger bei der ersten Zahl auf der Fernbedienung. Zumindest hatten sie aufgehört zu singen! Wieder glotzte ich auf die Kunstlandschaft und versuchte, irgendeinen Makel am Gastgeber zu finden, nichts. Die Kamera schwenkte ins Publikum, eine riesige Halle voll geblümter Blusen und Grauköpfe. Gänsehaut überlief mich. Der Ken-Typ auf der Bühne quasselte weiter und stellte dramatisch den nächsten Gast vor. Schon war ich in der Heile-Welt-schöne-Melodien-Falle drin und starrte mit angsterfülltem Blick auf die Mattscheibe. Dort wurde auf eine weitere Bühne gewechselt und eine Art Himmelstor öffnete sich am hintersten Ende. Da standen rechts und links der Stufen einer breiten Treppe wieder die Models, dieses Mal in schwarzen Anzügen, weißen Hemden und Fliege. „Go tell it on the mountain“ oder „Santa Claus is coming to town“ – so etwas ähnliches, amerikanisch-christlich Weihnachtliches wurde abgespielt (keine Musiker weit und breit!) und durch das gleißende Licht der Türflügel kam eine ältere Dame. Sie war in ein knielanges rotes Kleid gepresst, grinste auch andauernd und bewegte die Lippen fast synchron zur Musik. Ich kenne diese Lady, die in den USA geboren wurde und sich hier als Comedian und Humorbuch-Autorin einen Namen gemacht hat. Gayle Tufts lebt inzwischen seit 22 Jahren in Deutschland und hat sprachlich einen Denglisch-Mix kreiert, der seinesgleichen sucht. Sie ist frech, lustig und kann auch noch unterhalten. Die Melodie ging mir ins Blut, schon wippte mein Knie und ich ertappte mich beim Mitsingen. Solange ich nicht mitklatsche, ist ja alles gut, dachte ich insgeheim.



Die Tufts hatte die Showtreppe mithilfe zweier Männer überwunden und performte nun im Vordergrund. Plötzlich kam der Silbereisen dazu. Die Schönlinge hielten sich im Hintergrund und tanzten in lustigen Bewegungen, halb in der Hocke, immer vor und zurück, wobei sie mit den Fingern schnippten. Es erinnerte mich an Charlie Chaplin und etwas an den rosaroten Panther … Apropos, man sollte wissen, dass Mrs Tufts eine Ikone der Schwulenbewegung, vor allem in Berlin, ist … Doch das nur am Rande. Silbereisen sang also brav den deutschen Teil, dann die Tufts wieder den englischen. Plötzlich sang er englisch und sie deutsch, so langsam wusste selbst ich den Text nicht mehr, bei dem Durcheinander. Das Publikum klatschte fleißig im Takt mit und stampfte auch mit den Füßen. Am Ende des Liedes hielt es die Leute zwar (noch immer) auf den Sitzen (Standing Ovation ist ab einem gewissen Alter mit einem größeren Aufwand verbunden!) – aber sie tobten mit Beifall und Pfiffen, die nicht endeten. Die Stimmung war gut und der Silbereisen wollte weitermachen. Plötzlich wurde erneut diese Musik eingespielt und die kuriose Mannschaft musste wohl oder übel nochmal ran. Die Tänzer im Hintergrund verhaspelten sich etwas in der Choreografie, die Sänger im Vordergrund formten die Silben etwas unsicherer. Vermutlich wusste keiner so genau, bei welchem Teil des Songs sie gerade waren. Verständlich, bei den vielen Strophen- und Choruswiederholungen. Endlich war es ausgestanden, das Publikum völlig aus dem Häuschen, das Lied einigermaßen glücklich zu Ende gebracht. Sofort schob man die Tufts aus dem Bild und der Silbereisen verschwand hinter einer Kunsttanne.



Ich erwachte aus meiner Starre und schaltete endlich um.



In der Nacht hatte ich einen Albtraum. Sechs rosarote Panther tanzten mit einem dicken roten Engel um Florian Silbereisen herum, der auf einem Plastik-Stern schaukelte und zwei Kerzen in der Hand hielt. Charlie Chaplin daneben wurde von einer Horde nackter Männermodels kreischend ausgelacht. Und eben, als sie ihn ausziehen wollten, wachte ich Gott sei Dank auf!






Weihnachtlicher Fünfkampf





Die Aula des Gymnasiums war mit der Holzklasse bestuhlt. Breite Sitzflächen, ziemlich hart, aber doch bequem.



Zum Konzert heute waren fünf Chöre angekündigt, die einen Einblick in ihre Sangesleistung und Weihnachtsprogramme geben wollten. Ich traf kurz vor Beginn ein und konnte aus zirka 200 freien Plätzen einen auswählen. Der Sturm draußen, die Kälte und der einsetzende Schneefall hatten sicherlich viele davon abgehalten, abends nochmals das Haus zu verlassen.



Die übliche Begrüßung war vorüber und ein bunter Mix an Kindern betrat die Bühne. Kleine, Große, Mädchen, Jungen, fein im Rock oder Hemd, quergestreift und kariert, lässig oder cool. Zur Einstimmung gab es ein beschwingtes „Jingle Bells Rock“, das mit Musikuntermalung erklang und so die winterkalten Herzen erfreute. Wer konnte ahnen, dass dieser Song das Highlight des Abends sein sollte? Der junge Chor hing noch ein englisches und ein spanisches Lied an, dann wurden die Sänger schnell verabschiedet. Sie hätten heute noch einen weiteren Auftritt.



Es folgte eine Beamer-Präsentation für eine Kinderhilfsorganisation. Der Moderator im knallroten Anzug machte ständig Anspielungen auf Florian Silbereisen. Dann stellte er aber ein Projekt vor, dessen Hauptaufgabe das Verteilen warmer Mahlzeiten an bedürftige Chemnitzer Kinder ist. Sicherlich muss das alles sein, aber auf einen längeren Werbebeitrag hatte ich keine Lust. Ich unterdrückte ein Gähnen und versuchte weiterhin, interessiert auszusehen. Das Licht im Saal blieb die ganze Zeit an, Publikum und Vortragende konnten sich somit immer betrachten. Ich frage mich, ob das so eine gute Idee ist. Nicht umsonst werden große Bühnen derart mit Scheinwerfern beleuchtet, dass die Zuschauer im Dunkel verschwinden. Der Künstler wähnt sich allein und kann somit in seiner Rolle vollends aufgehen. Vielleicht war das das Problem des Abends …



Als der Rotgewandete nach Zeitüberzug endlich von der Bühne weg war, schöpfte ich neue Hoffnung. Eine gemischte Truppe betrat nun die Bretter, die für sie nie die Welt bedeuten würde, denn sie schaffte nicht mal eine ordentliche Aufstellung. Die Großen standen vorn, dahinter versteckt ein paar Kleinere. Ein unordentlicher Haufen in Schwarz, die Frauen mit orangegelben Schals. Ihre Liedauswahl enttäuschte schon nach den ersten Zeilen. „Mein Mund, der singet“ wollte ich nicht hören. Zum ersten Mal bedauerte ich, dass hier eine Fernbedienung nicht funktioniert. Sonst wäre ich auf

fast forward

 gegangen, 16-fache Geschwindigkeit. Wie sich herausstellte, war das noch zu wenig,

next

 wäre sinnvoller gewesen. So hätte ich mir die Qual vier weiterer falsch gesungener Lieder erspart. Der Chor-Leiter erkannte das Dilemma auch und stoppte sogar während eines Werkes seine Schäfchen. Vermutlich dirigierte er sie auch mit Blicken. Doch diese kamen nicht an, denn der Hauptübeltäter, eine kleine Mittfünfzigerin, versteckte sich gekonnt hinter dem Liedtextordner. So sang sie weiter viel zu laut, zu hoch und zu schief. Ich wünschte mir die Taste mit dem durchgestrichenen Lautsprecher her. Dieser Chor war nur taub zu ertragen …



Endlich war es ausgestanden. Die Frauen und Männer trauten sich kaum, ins Publikum zu schauen, das diese magere Leistung auch nur mit spärlichem Applaus bedachte. Nur eine schien vollauf mit sich zufrieden, Sie können sich denken, wer das wohl war.



Die Bühne füllte sich erneut. Ungefähr 20 gestandene Männer bevölkerten nun das Halbrund. Schon ihr Anblick unterstrich ihre Qualität. Durchweg dunkelgraue Anzüge, weinrote Hemden mit silbernem Schlips. Der Sprecher erklärte mit Witz die Vereinsstrukturen, der Abend begann, lockerer zu werden. Er erzählte, dass nächstes Jahr das 175-jährige Jubiläum anstehen würde. Einigen Herren sah man dieses stolze Alter nicht an, einigen glaubte ich sofort. Dann wurde noch die sogenannte „Frauenquote“ vorgestellt, die Chorleiterin – eine attraktive Brünette. Die in der ersten Reihe strengten sich nun besonders an. „Herbei, oh ihr Gläubigen“ war der Auftakt und mich überzog sofort eine Gänsehaut ob der tiefen Stimmen und dem starken satten Klang, den sie verteilten.



Genau! So hatte ich mir das vorgestellt, danke Jungs. Ich atmete durch, entspannte ein wenig und im Saal wurde es ganz still. Die folgenden Stücke „Gloria, Gloria, Gott in der Höh“, „’s Raachermannl“ und „Jubilate – Hört die Weihnachtsglocken klingen“ genoss ich noch, war ganz dabei und ließ meine Gedanken ziehen. Es folgte stürmischer Applaus und die Herrschaften bemühten sich zum Ausgang.



Inständig hoffte ich, der Abend sei doch noch gerettet, aber dann betrat der nächs