Wie heute predigen?

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Wie heute predigen?
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Maria Elisabeth Aigner ·

Johann Pock ·

Hildegard Wustmans (Hg.)

Wie heute
predigen?

Einblicke in

die Predigtwerkstatt


Gefördert durch den bischöflichen Fonds

an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2014

© 2014 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de

Umschlag: Hain-Team, Bad Zwischenahn (www.hain-team.de)

Coverfoto: stock-photo

Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-429-03711-6

ISBN 978-3-429-04756-6 (PDF)

ISBN 978-3-429-06170-8 (ePub

Inhalt

Vor-Wort

Grundlegungen

Maria Elisabeth Aigner / Johann Pock / Hildegard Wustmans

Wie heute predigen? Wort-Verkündigung und ihre Herausforderungen heute

Wort im Kontext

Johann Pock

Die Freude der Verkündigung. Predigt und Emotion

Anna Findl-Ludescher

Raum bereiten für die Begegnung mit dem Evangelium: Überlegungen zu einer geschlechtersensiblen Verkündigung

Friedrich Schleinzer

Trauungspredigt – ein Praxisbericht

Bibel-Worte

Maria Elisabeth Aigner

(Wort)reiche Entdeckungen – Bibliolog als gemeinschaftliche Form der Verkündigung

Hans Hütter

Bibelgespräch und Predigt

Wort und Form

Ewald Huscava

Die Predigt im kreativen Dialog mit der klassischen Rhetorik – ein inspirierendes Lernfeld

Veit Neumann

Befreiung aus dem Dasein als Mauerblümchen der Predigt. Die Floskel: Sprachwerkzeug zwischen Kreativität und Identität

Mehr als Worte

Hildegard Wustmans

Predigen und die Kunst der Präsentation

Elke Langhammer

Predigen und Kirchenraum

Christian Bauer

Predigt als Ereignis? Anmerkungen zum theologischen Nicht-Ort eines Sprechaktes

Liste der AutorInnen

Anmerkungen

Vor-Wort

In der Verkündigung geht es um die Rede von Gott. Sprache schafft Wirklichkeit. Was bedeutet beides für jene, denen die Verantwortung zukommt, zu verkündigen? Und welchen Herausforderungen stehen diejenigen gegenüber, die für die Ausbildung jener zuständig sind, die diesen Dienst verrichten?

Die richtigen Worte in eine bestimmte Situation hinein zu sprechen ist risikoreich und kann scheitern. Sie überhaupt zu finden, sie zum Ausdruck zu bringen und sich dabei ganz auszusetzen, ist die zentrale Aufgabe für jeden und jede, der/die verkündigt. Predigen kommt deshalb nicht nur einer Begabung gleich, sondern ist vor allem eine Kunst, die es zu erlernen gilt.

Die AutorInnen des vorliegenden Buches sind in Österreich in der homiletischen Ausbildung tätig, teilweise an Universitätsinstituten, teilweise in der praktischen Ausbildung in den Diözesen. Dies spiegelt die Anforderungen und Zuständigkeiten in der homiletischen Ausbildung wider: Homiletik ist einerseits ein für FachtheologInnen verpflichtendes Fach, andererseits gehört das Absolvieren einer homiletischen Ausbildung in den meisten Diözesen zu den Anstellungsbedingungen. Dieses spezifische Zueinander von Theorie und Praxis aber ist für die Predigtausbildung konstitutiv. Die Predigt ist jener Ort, wo theologisches Wissen und biografische Existenz unmittelbar und direkt aufeinandertreffen und wo sichtbar wird, ob diese Konfrontation sich kreativ und befreiend gestalten lässt oder nicht.

Die AutorInnen der Beiträge in diesem Band geben Einblick in ihre je eigenen „Predigtwerkstätten“, die sich an den jeweiligen Arbeitsstätten sehr unterschiedlich und in einer speziellen Buntheit zeigen. Es handelt sich dabei um Erprobtes und Bewährtes, aber auch um erste tastende Versuche neuer Formen, Gestalten und Ausdrucksweisen von Verkündigung. Die Texte richten sich sowohl an die „PraktikerInnen“ als auch an jene, die sich theoretisch sowie in diversen Ausbildungssettings mit homiletischen Fragen bzw. Predigt und Verkündigung auseinandersetzen.

Der rote Faden, der sich durch die Buntheit der Beiträge zieht, ist das „Wort“. Es lässt den Leser/die Leserin dort einsteigen, wo das Interesse an der jeweiligen Wort-Gestalt am größten ist. Wort im Kontext thematisiert die Freude und Lust am Predigen, lenkt den Blick auf die geschlechtersensible Verkündigung und gibt anhand einer Trauungspredigt einen direkten Einblick in die Praxis. Die Rubrik der Bibel-Worte geht einerseits der Frage nach, welche Bedeutung das Bibelgespräch für die Predigt hat und stellt andererseits eine noch ganz neue und ungewöhnliche Form der „gemeinschaftlichen Textauslegung“ – den Bibliolog – vor. Wie Wort und Form zusammenspielen, wird anhand eines kreativen Dialogs zwischen Predigt und klassischer Rhetorik sowie an der „Floskel als Sprachwerkzeug zwischen Kreativität und Identität“ aufgezeigt. Dass Predigt und Verkündigung weit über das reine Wort hinausgehen, verdeutlicht schließlich der letzte Teil des Buches, in dem es um Mehr als Worte geht. Die „Kunst der Präsentation“, der „Kirchenraum, in dem verkündigt wird“ und die „Predigt als Ereignis“ zeigen die vielschichtigen symbolischen Ordnungen auf, die in Zusammenhang mit der Rede von Gott unmittelbar wirksam werden.

Die Idee zu diesem Buch ist im Rahmen der seit mehreren Jahren stattfindenden Treffen der HomiletikerInnen in Österreich entstanden. Wie denn heutzutage angesichts der vielfältigen gesellschaftlichen und kirchlichen Herausforderungen überhaupt noch gepredigt werden kann ist eine Frage, welche die AutorInnen selbst umtreibt und zum Austausch angeregt hat. Einige erste Überlegungen dazu präsentieren sie in diesem Buch, indem sie einen Einblick in ihre Werkstatt gewähren. Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei den in der Homiletik tätigen KollegInnen bedanken, dass sie sich mit Engagement und Kreativität auf diesen Versuch eingelassen haben. Bedanken möchten wir uns auch bei den MitarbeiterInnen am Institut für Praktische Theologie in Wien, Monika Mannsbarth und Benedikt Collinet, für die sorgfältige Lektoratsarbeit.

Ein Dank gilt auch der Bischöflichen Förderung der Katholisch-Theologischen Universität Linz für ihre finanzielle Unterstützung.

Schließlich wünschen wir Ihnen, liebe Leserin/lieber Leser, viel Vergnügen bei der Wort-Lektüre. Möge sie ihren Wahrnehmungshorizont auf das so sensible und prekäre Verkündigungsgeschehen erweitern und vertiefen und die Sehnsucht nach jenem Wort schüren, das befreit.

Maria Elisabeth Aigner / Hildegard Wustmans / Johann Pock

Graz/Linz/Wien, Februar 2014

Grundlegungen

Wie heute predigen?
Wort-Verkündigung und ihre Herausforderungen heute

Maria Elisabeth Aigner / Johann Pock / Hildegard Wustmans

„Mit Lissa in der Kirche. Konnte nicht beten. Die feierliche Amtssprache der Kirche klang fremd. Kunstgewerbevokabular. Glauben die Frommen, Gott höre sie nur, wenn sie beten, er habe keine Ahnung von den Worten, die sie sonst denken und sagen? Man kann sich nicht vorstellen, dass der Pfarrer erlebt hat, was er in der Predigt erzählt. Mein Leben ist in der Gebetssprache nicht mehr unterzubringen. Ich kann mich nicht mehr so verrenken. Ich habe Gott mit diesen Formeln geerbt, aber jetzt verliere ich ihn durch diese Formeln. Man macht einen magischen Geheimrat aus ihm, dessen verschrobenen Sprachgebrauch man annimmt, weil Gott ja von gestern ist.“1

Martin Walser bringt es mit seinem bereits 1960 verfassten Text auf den Punkt: Die Sprache des Pfarrers erreicht die Menschen nicht, sie ist eine andere Sprache, eine, die nicht mehr verstanden wird.

 

Da wird gefeiert und geredet mit dem Anspruch, Gott zu verkündigen – doch wenn betrifft es? Glaube und Leben fallen auseinander, ja schlimmer noch: durch diese formelhafte Sprache wird Gott verloren.

Verkündigung ist etwas sehr Vielschichtiges. Sie ist ganzheitlich formatiert: durch die eigene Existenz, durch das persönliche Zeugnis – und eben auch durch Worte des Glaubens und über den Glauben, die den Menschen hier und heute etwas zu sagen versuchen. Verkündigung geschieht im Kontext der Predigt im Wesentlichen durch Worte über „das Wort“, den „Logos“, das fleischgewordene Wort Gottes.

Nicht erst seit dem expliziten Auftrag zur Evangelisierung durch Papst Franziskus2 gehört die Verkündigung zu den fundamentalsten Aufgaben der Kirche. So definieren die österreichischen Bischöfe in einer Handreichung von 2012:

Evangelisierung „bedeutet die Verkündigung des Evangeliums, sei es durch das Lebenszeugnis, durch entsprechende Haltungen, durch Taten, Worte … Wo das Evangelium schon angekommen ist, mag es sinnvoll und angemessen sein, seine lebensrelevante Bedeutung wieder einmal aufzufrischen. Dies kann man neue Evangelisierung bzw. Neuevangelisierung nennen.“3

Unter Verkündigung „soll die explizite Weitergabe des Glaubens verstanden werden, die innerhalb der Gemeinschaft der Kirche mit ihrem ganzen Leben eng zusammenhängt, besonders aber mit dem Gottesdienst (Liturgie) und der Liebe zum Nächsten (Caritas).“ Katechese ist schließlich „ein Teilbereich der Verkündigung. Sie spricht Menschen an, die bereits eine Grundentscheidung für den Glauben getroffen haben, und eröffnet ein Verständnis für die Inhalte des Glaubens.“4

Verkündigen heißt „Zeugnis geben“ und stellt die Verkündigenden selbst unter einen sehr hohen Anspruch. Ihre Sprache wird einer Feuerprobe ausgesetzt: Handelt es sich um leere Worthülsen oder um Worte, deren Sinn und Bedeutung eine Kraft beinhaltet, die das Leben fördert und befreit?

1.Globale Herausforderungen für die Predigt

In der Predigtausbildung hat sich das Wort von der „homiletischen Großwetterlage“ eingebürgert: Es meint, dass die Predigt nicht nur auf die spezifischen Erfordernisse einer Gemeinde Rücksicht zu nehmen hat, sondern auch auf jene gesellschaftlichen, politischen, kulturellen, religiösen Entwicklungen, die einer ganzen Gesellschaft gemein sind – und die auch Auswirkungen auf die einzelnen Gemeinden haben.

Zu diesen Kennzeichen der heutigen Situation werden üblicherweise gezählt:

•Die Pluralisierung der Lebenswelten – und damit auch der Gottesdienstgemeinden. Damit wird es schwieriger, generelle Lösungsvorschläge anzubieten. Die individuellen Lebensgestaltungen sind hochkomplex geworden und verlangen differenzierte Wahrnehmungsweisen. Den Individualisierungsphänomenen kann nicht mit allgemeingültigen Ratschlägen und generellen Ansätzen begegnet werden.

•Die Globalisierung, die bis in den ländlichen Raum vorgedrungen ist. Auch die kleinste Gemeinde ist verbunden mit den Trends und Entwicklungen der Gesellschaft. Die „homiletische Großwetterlage“ lässt sich nicht erfassen, ohne auf jene Vorgänge aufmerksam zu sein, die sich in Wirtschaft, Politik, Kultur und Umwelt tagtäglich ereignen. Die durch das Phänomen der Globalisierung entstandenen internationalen Verflechtungen prägen nicht nur die Gesellschaft – ihre Staaten, Nationen und Institutionen, sondern werden auch zwischen den Individuen wirksam.

•Die weltweite Vernetzung durch die Fülle der neuen Medien führt dazu, dass die Menschen heute schnell und überall Zugriff auf Fragen, Probleme und Ereignisse haben, die irgendwo auf der Welt geschehen. Die damit verbundenen Themen der Kommunikation und Ästhetik wirken tiefgreifend bis in den Kirchenraum hinein. Nirgends sonst wird die Frage nach den „Zeichen der Zeit“ so virulent, wie in der Verkündigung, die selbst ein Zeichen setzen will, das einerseits spürbar an den Strom christlicher Tradition angebunden ist, andererseits sich wahrnehmungssensibel menschlicher Lebensrealität nicht verschließt. Die „Zeichen der Zeit“ erkennen jene, die verkündigen, aber nur, wenn sie sich von fremden Blicken, Orten und Diskursen irritieren und provozieren lassen. Es sind jene Zeichen, die nicht von der Kirche bestimmt werden, sondern all jene Probleme und Aufgabenstellungen, die alle Menschen angehen.

2.Spezifische Herausforderungen in der Wort-Verkündigung

Das Wort wird nie kontextlos gesprochen und rezipiert. Wort-Verkündigung heißt immer die Verwendung von Sprache in einer bestimmten Kultur, heißt von einem bestimmten Ort in einen bestimmten Raum hinein zu sprechen. Der Kontext der Verkündigung ist in Österreich und Deutschland ein anderer als zum Beispiel in Afrika oder den ehemaligen Ostblockstaaten.

2.1.Die theologischen Inhalte in das „Hier und Jetzt“ setzen

Was im Gefolge des II. Vatikanums mit dem Begriff des „aggiornamento“ („Verheutigung“) ausgesagt worden ist, gilt insbesondere für die Verkündigung. Gerade im Studium der Theologie liegt ein Schwerpunkt auf der Vermittlung und Aneignung von biblischem, historischem und dogmatischem Wissen. Die Praktische Theologie und hierin vor allem die Homiletik versucht zu vermitteln, dass theologisches Wissen gewissermaßen „heruntergebrochen“ werden muss im Blick auf die konkreten HörerInnen und auf die konkreten Situationen.

Für die Predigtausbildung bedeutet dies, dass sie in Rückkoppelung bzw. im Gespräch mit den unterschiedlichen theologischen Disziplinen erfolgen sollte. Dialog bedeutet aber, dass es nicht nur um eine Vermittlung von Inhalten geht, die von Bibelwissenschaften, Dogmatik etc. vorgegeben werden. Es geht um das gemeinsame Suchen und Ringen nach Sinn und Bedeutung jener „großen Begriffe“, die die Theologie von jeher umtreiben, wie zum Beispiel Menschwerdung, Erbsünde, Schuld und Sünde, Gnade, Auferstehung, Ewiges Leben, Heil etc. Erschließende Kraft erhalten diese Begriffe dann, wenn sie durch das Prisma der eigenen Existenz laufen und auf ihre Bedeutung hin geprüft werden. Jene, die im Dienst der Verkündigung stehen, sind gefordert, mit ihrem eigenen Leben Rechenschaft darüber zu geben, ob diese Worte etwas erschließen können, ob sie Türen öffnen können für den zu bewältigenden Lebensweg. Die Kunst zu predigen bedeutet dann in einem zweiten Schritt, in einer bestimmten Präsenz und Ästhetik, die Sprache, Form und Körper mit einschließen, von diesem Erschließungsphänomen zu sprechen und zwar so, dass die Worte bei den HörerInnen landen können: intellektuell, emotional und kinästhetisch.

2.2.Die Verkündigung durch Personen anderer Muttersprache

Verkündigung hat den Anspruch, verstanden zu werden – und zwar inhaltlich wie auch in der Sprachform. Eine spezifische Herausforderung stellt daher die Verkündigung durch Personen dar, die aus anderen Kulturkreisen kommen. Sich in einer anderen Sprache als der Muttersprache zu verständigen, erfordert einen hohen Aufwand und ist bisweilen schwierig: Es geht dabei nicht nur darum, die richtige Aussprache und die richtigen Worte zu finden; um verstanden zu werden, braucht es eine intensive Übersetzungsarbeit in die anderen kulturellen Gegebenheiten. Übersetzungsarbeit gehört zum Kern jeder Verkündigung: denn auch die Bibel, das Evangelium, ist in einer anderen Sprache, die nicht unsere Muttersprache ist, verfasst. Die Übersetzungsarbeit des Evangeliums ist aber selbst am Ursprung der Verkündigung der Kirche angesiedelt.

Was jedoch von Verkündigenden anderer Muttersprache verlangt wird, ist eine doppelte Übersetzungsarbeit: Zum einen, die Botschaft des Evangeliums in die heutige Zeit, in die Situationen der Menschen zu übersetzen – und dann auch noch in die Sprachwelt der jeweiligen anderssprachigen Gemeinden. Das ist ein mühevoller Prozess, gerade zu Beginn, aber er kann auch zu wechselseitigen Entdeckungen führen. Sprachdifferenzen, andere Übersetzungsweisen und fremdklingende Wortformatierungen verlangen Auslegungsprozesse und Deutungen. Damit diesen ein Befreiungscharakter zukommt, ist in erster Linie Respekt erforderlich – Achtung vor der jeweiligen Kultur, Sprache und Biografie.

2.3.Neue pastorale Räume / Pfarrverbände

Die gegenwärtigen Umbrüche in der pastoralen Organisationslandschaft haben auch Auswirkungen auf die Verkündigung. Neue Strukturen führen dazu, dass die Priester immer weniger in einer einzelnen Pfarre bzw. Gemeinde verwurzelt und beheimatet sein können. Das Mitleben mit diesen Gemeinden nimmt ab, wodurch es schwieriger wird, in der Predigt auf konkrete Ereignisse Bezug zu nehmen. Verkündigung und pastorale Präsenz im Alltagsleben der Menschen klaffen damit immer weiter auseinander.

Priester mit mehreren Pfarrkirchen stehen dann an jedem Sonntag vor der Herausforderung, nicht nur für eine, sondern für mehrere oft sehr unterschiedliche Gemeinden eine Predigt vorzubereiten. Das aber bedeutet, dass sie entweder eine eher allgemein gehaltene Predigt halten – oder mehrere unterschiedliche Predigten vorbereiten müssen, was nicht nur zeitlich schwierig ist. Nicht selten kommt es vor, dass in einer Pfarre der normale Sonntagsgottesdienst zu feiern ist, in der anderen z.B. ein Kinder- oder Familiengottesdienst.

Eine Chance in diesen neuen Strukturen liegt darin, dass nicht mehr nur die Priester den Verkündigungsdienst in den Gottesdiensten wahrnehmen. Verkündigung geschieht vermehrt auch in Wortgottesfeiern bzw. Wortgottesdiensten, in Andachten und Segensfeiern, die von Diakonen, von Wortgottesdienst-LeiterInnen, von KatechetInnen und ReligionslehrerInnen vorbereitet und geleitet werden, verbunden mit der Verkündigung innerhalb dieses Gottesdienstes.

2.4.Unterschiedliche Predigtsituationen

Nicht nur der Wandel der gesellschaftlichen Umstände hat einen großen Einfluss auf die Predigt, sondern auch die unterschiedlichen Situationen, in denen gepredigt wird. Das gilt nicht nur für die Kasualpredigten, sondern auch für die Predigten an Sonntagen, überhaupt für jene Orte von Verkündigung, die an den kirchlichen Randzonen stattfinden.

PredigerInnen benötigen ganz unterschiedliche Kompetenzen und Begabungen. Neben einer sehr guten Kenntnis der auszulegenden Bibelstellen brauchen sie auch eine sehr gute Kenntnis der Menschen und der Gottesdienst-Kontexte. Erforderlich sind somit theologisches Fachwissen, eine achtsame Wahrnehmungssensibilität in Bezug auf menschliche Lebensrealität und ein bestimmtes ästhetisches Empfinden hinsichtlich Raum und Liturgie. Die Schriftpredigt erfordert exegetisches und systematisches Know-how. Das alleine genügt jedoch nicht. Die Archive der Tradition müssen aufgesprengt werden und sich in das Heute hinein verflüssigen. Es braucht die Berührung mit den Fragen und Sehnsüchten, Hoffnungen, Zweifeln und Ängsten der Menschen. Wer keine Ahnung hat davon, was Frauen, Männer und Kinder heute umtreibt, welchen Phänomenen sie ausgesetzt sind und was sie erwünschen und ersehnen, kann das Evangelium nicht so verkünden, dass es befreiende Kraft hat. Eine Predigt ist immer auch in den liturgischen Kontext eingebettet, manifestiert sich nicht jenseits von Raum und Atmosphäre– weshalb ein Gespräch zwischen HomiletikerInnen und LiturgikerInnen zur Predigt ein (meist noch unerfülltes) Desiderat darstellt.

Auf der anderen Seite gehört zur Situation der Predigten auch das geänderte Hörverhalten der Gottesdienst-TeilnehmerInnen, dem die Predigt Rechnung zu tragen hat. Die HörerInnen sind nicht passive RezipientInnen, die auf die Worte der Verkündigung angewiesen sind. Sie haben bereits selbst eine Geschichte mit Gott, sie sind mündig, kritisch, herausfordernd und sehnsüchtig. Die HörerInnen haben echte Fragen, wollen keine Mittelmäßigkeit, sie haben ein Recht auf Klarheit, Präzision und Authentizität.