Lehre.Lernen.Digital

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Inhalt







Editorial





Prof. Dr. Birgitta Sticher





Der Lernprozess aus psychologischer Sicht: Was Lehrende über das Lernen von – auch älteren – Erwachsenen wissen sollten





Prof. Dr. Dr. Mario Staller, Univ.-Prof. Dr. Swen Körner





Game on! – Spielen in der polizeilichen Lehre





Torsten Fell





Lernen mit und in Virtual Reality und Augmented Reality. Mit Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) neue Lernwelten schaffen!





Wolfgang Wenzel, Richard Schön





Zieh´ die digitalen Sportsachen an! Durchführung des Inverted Classroom Model (ICM) anhand einer praktischen, sportlichen Disziplin im sechsten Semester an der HfPV, Studienort Kassel





Dirk Heidemann





Alles eine Frage der Bandbreite? Zum Lehren und Lernen auf Distanz





Michael Niederwinkler





Digitalisierung – Innovation – Gesellschaft: Die Worte, ein Studium. Ein Erfahrungsbericht über das DIG-Studium an der Paris Londron Universität Salzburg (PLUS)





Prof. Sandra Schmidt





Herbsttagung 2020 des bundesweiten Netzwerks „DIDAktik“ – online, live und in Farbe aus Berlin






Editorial








Liebe Leserinnen und Leser,



das Schloss Hogwarts ist durch Mauern geschützt, niemand kann hinein und technische Geräte der Neuzeit funktionieren dort nicht. Ich war immer ein großer Fan dieser Reihe, bis mich Schüler in der damaligen 5. Klasse einmal fragten, was denn die Kinder in ihrer Freizeit so gemacht haben? Ganz ohne Smartphones und Fernseher oder Computer… Ich schaute die Klasse an und lachte, sie sahen mich verwirrt an und ich musste ihnen erklären, dass ich zwar noch sehr jung war, aber in meiner noch nicht allzu lang zurückliegenden Kindheit bestand das Handy nur aus einem Display mit Pixelfeldern und leuchtete orange! Der Blick der Kinder war großartig. Das blanke Entsetzen. Heute stehe ich in der S-Bahn neben Kindern, die schneller rechts und links wischen als ich schauen kann und mein Buch ansehen, als käme ich direkt aus dem Mittelalter, ich bin Anfang 30… nur zur Verdeutlichung. Da hatte ich das erste Mal einen Eindruck, wie es für meine Lehrer*innen gewesen sein musste, als der Computer eingeführt wurde, das Verwenden einer Präsentation statt eines Overhead-Projektors angestrebt und als Textnachrichten wichtiger als Anrufe wurden.



Wir erleben gerade, dass die Lernenden nicht mehr, im Gegensatz zu Hogwarts, vor Ort sein können, sondern von zuhause aus ohne die abschirmenden Mauern des Lernorts zurechtkommen müssen. Nicht nur für uns Lehrende ist das eine Herausforderung, sondern auch für sie. Kein Zauber kann diese Situation ändern. Aber wir können sie sicherlich für uns alle nutzen.



Wir betreten sehr häufig digitales Neuland und wünschen uns, dass schon viel mehr erprobt wäre. Aber das eint uns alle, es gibt nicht den einen Weg. Sondern zahlreiche, verschiedene digitale Bereiche, die genutzt werden können. Ganz wie die Lehrkräfte, die einst mit Computer oder Internet konfrontiert wurden, sind wir nun „gezwungen“, digital zu arbeiten. Aber neben vielen negativen Aspekten hat das auch positive Auswirkungen! Die pädagogischen Erkenntnisse zum Lernen bleiben, man kann aber sein Spektrum an Methoden erweitern! Momentan wird von uns verlangt, beinah alles digital zu lösen, aber wäre es nicht sinnvoll, diese neuen Ideen später für einen Methodenwechsel in Präsenz zu nutzen? Ein Voting einbauen, in der Nachbearbeitungen Übungen anbieten oder ein Nachschlagewerk. Wie viele Innovationen wird es den Lernprozess verändern, aber auch enorm bereichern.



Vor allem hierbei soll diese Ausgabe Sie wieder unterstützen. Einblicke in verschiedene Bereiche zeigen, wie digital wir unterwegs sind und wo es noch Hürden zu nehmen gilt. Freuen Sie sich auf einen Streifzug durch die unterschiedlichen Lebenswelten!



Ihre



Angelika Weber



(im Namen des Herausgeberteams)






Der Lernprozess aus psychologischer Sicht: Was Lehrende über das Lernen von - auch älteren - Erwachsenen wissen sollten





Prof. Dr. Birgitta Sticher

1

, HWR Berlin





Als Einstieg zu den theoretischen Ausführungen zunächst drei Beispiele aus dem Lehralltag der Autorin:







Ein Fortbildungsseminar an der Berliner Polizeiakademie zum Thema „Vernehmung mit schwierigen Persönlichkeiten“. Vor mir sitzen 15 Polizeibeamt*innen, vier von ihnen haben erst vor drei Jahren ihr Studium beendet. Vier Teilnehmende hingegen blicken auf über 30 Dienstjahre und folglich umfangreiche Berufserfahrung zurück.







Masterstudiengang für den höheren Polizeivollzugsdienst im Fachbereich 5 an der HWR Berlin: Zu dem Kurs gehören zwanzig Studierende zwischen 30 und 40 Jahren. Einige von ihnen kenne ich bereits aus dem Studiengang des gehobenen Polizeivollzugsdienstes. Diese Begegnung liegt allerdings schon 10 Jahre zurück. Was hat sich inzwischen bei diesen Personen verändert und was bedeutet das für die Lehre?







Masterstudiengang Sicherheitsmanagement im Fachbereich 5 an der HWR Berlin: Der Kurs startet mit einer Präsenzphase in einem überwiegend online stattfindenden Studiengang. Anwesend sind über 40 Studierende, deren altersmäßige Zusammensetzung sehr heterogen ist. Die Studierenden sind zwischen 23 und 58 Jahre alt.







1. Problemaufriss





Ob die Lehre in klassischer Form analog oder ob sie digital stattfindet, immer sollte „das Lernen im Vordergrund stehen“ (Kleinschmidt, 2020, 13). Deshalb ist es wichtig, sich intensiver mit dem Lernen bzw. den Lernenden zu beschäftigen. Dies ist notwendig, da die Zusammensetzung der Lernenden in Ausbildung, Studium und vor allem in der Fort- und Weiterbildung oft sehr heterogen ist. Da lebenslang Neues gelernt werden muss, bilden Menschen verschiedenen Alters Lerngruppen. Erworben werden soll sowohl Wissen über neue (Fach-)Inhalte, das deklarative Wissen, als auch das Wissen dazu, wie etwas zu handhaben ist, das prozedurale Wissen. Beides zusammen bildet das Handlungswissen (Moskaliuk et al, 2016, 148). Die Heterogenität der Lernenden, nicht nur bezogen auf ihr chronologisches Alter, konfrontiert Lehrende mit besonderen Herausforderungen. Aus diesem Grund beschäftigen sich die folgenden Ausführungen mit dem Lernen Erwachsener, vor allem der älteren Erwachsenen ab 40 oder 50, den „jungen Al ten“. Die zentrale Frage lautet: Was muss beachtet werden, damit Erwachsene, auch „ältere“ Erwachsene, erfolgreich Neues lernen?





2. Lernen: eine erste Begriffsklärung





Beginnen wir zunächst mit der Frage, was mit „Lernen“ gemeint ist. Der bekannte Lernforscher Manfred Spitzer (2011) führt hierzu Folgendes aus: Es werden Inhalte von draußen nach drinnen verlegt. Gerne stellt man sich dies so vor, als würde ein Trichter am Kopf aufgesetzt, in den man das, was gelernt werden soll, hineingießt. Aber dieses Bild ist irreführend, denn es geht vom Lernen als passivem Vorgang aus. „Lernen erfolgt nicht passiv, sondern ist ein aktiver Vorgang, in dessen Verlauf sich Veränderungen im Gehirn des Lernenden abspielen“ (Spitzer, 2011, 4). Die lernende Person nimmt Neues auf und verarbeitet es, indem Verbindungen zwischen den Nervenzellen geschaffen werden. Diese sind darauf spezialisiert, Informationen zu speichern und zu verarbeiten. Die Fähigkeit, die Welt überhaupt zu meistern, hängt von den Verbindungen ab, die zwischen den Nervenzellen in unserem Gehirn entstehen. Dadurch vollzieht sich Veränderung: „Wer lernt, ändert sich“ (Spitzer, 2011, 11). Je besser etwas gelernt wird, desto stärker sind die Verbindungen zwischen den Neuronen.



Damit wird zugleich aber auch deutlich, dass Lernen immer an den bestehenden kognitiven Strukturen der Lernenden ansetzt. Diese prägen entscheidend die Art und Weise, wie Wissen und Können erworben werden, wie dies mental repräsentiert sowie abgerufen und genutzt wird. Lernen erfolgt als ein Prozess von Assimilation und Akkommodation (Piaget, 1970). Informationen werden von außen aufgenommen und mit Hilfe des bisherigen Wissens interpretiert (Assimilation). Wenn diese Interpretation aber mit dem bisherigen Wissenstand aufgrund von Widersprüchen etc. nicht gelingt, muss bestehendes Wissen verändert bzw. neues Wissen hinzugefügt werden, d. h. Akkommodation geschieht. Folglich kann Lernen als ein fortwährender Prozess verstanden werden, der sich noch genauer in vier Phasen unterteilen lässt (Kolb, 1984). Ausgangspunkt bildet die konkrete Erfahrung, die im Umgang mit der Umwelt bzw. den Gegenständen und Gegebenheiten gemacht werden. Je mehr Sinnesmodalitäten hierbei genutzt werden, umso stärker wird das Gehirn dabei aktiviert. Diese Erfahrungen werden in einem nächsten Schritt verarbeitet und in eine „wenn – dann“ Beziehung gebracht (reflektiertes Beobachten). Aus diesen Beobachtungen entsteht dann ein abstraktes Konzept. Dies bildet die Grundlage für ein aktives Experimentieren und somit wird der Kreislauf erneut in Gang gesetzt.










Abb. 1.: Der Lernkreislauf (nach Kolb, 1984) - eigene Darstellung







3. Der Beitrag der Psychologie zum Thema Lernen





„Lernen“ ist eines der wichtigsten Forschungsthemen der Psychologie. Diese bietet vielfältige Perspektiven an (3.1), aus denen heraus eine Beschäftigung mit dem Thema stattfindet. Des Weiteren lassen sich (3.2) konkrete Fragestellungen herausarbeiten, die von Expert*innen, die psychologischen Fachrichtungen zuzuordnen sind, beantwortet werden.

 





3.1 Die fünf Perspektiven der Psychologie





Es lassen sich fünf Perspektiven unterscheiden, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern eher als einander ergänzend zu verstehen sind. Die Aufmerksamkeit der Forschenden richtet sich in Abhängigkeit von der gewählten Perspektive auf bestimmte Aspekte (Merriam, 2014):



Behaviorismus

: Lernen ist durch äußere Reize gesteuerte Verhaltensveränderung.



Der Behaviorismus betont die hohe Bedeutung der Reize in der äußeren Umwelt für das Verhalten. Die extrinsische Motivation steht im Zentrum der Betrachtung. So wird die Person zum Lernen angetrieben, weil sie nach einem erfolgreich absolvierten Lernfortschritt belohnt wird. Das Lernen wird folglich durch die Art der Konsequenzen gesteuert. Hierbei sind positive Konsequenzen (Verstärkung) besonders wirksam. Beispiele für eine kurzfristige Verstärkung sind z. B. „Punkte“ oder positive verbale Rückmeldung. Ein Zertifikat (Bagde) bei erfolgreich abgeschlossenem Lernprozess zu erhalten, stellt ebenfalls eine Belohnung bzw. Verstärkung dar.



Humanismus

: Lernen ist Veränderung der Person. Menschen verändern sich, weil sie etwas erreichen wollen, das sie für sinnvoll halten.



Die Wichtigkeit von Verstärkung und kontinuierlichem Feedback wird zwar nicht bestritten, aber durch die Erkenntnis erweitert, dass „Verstärkung“ überhaupt nur Wirkung erzielen kann, wenn diese wichtige Bedürfnisse und Wünsche (Motive) des Individuums befriedigt. Die humanistische Psychologie betont die hohe Bedeutung des Wunsches nach Selbstentwicklung. Menschen streben Ziele an. Als Erfolg wird das erlebt, was zur Zielerreichung beiträgt.



Kognitivismus

: Lernen ist ein mentaler Prozess, es werden mentale Strukturen (Schemata) aufgebaut.



Die Art und Weise, wie das Lernmaterial zu gestalten ist, um vom Lernenden aufgenommen und verarbeitet zu werden (z. B. Einfachheit, Widerspruchsfreiheit, logische Anordnung etc.) sowie der Verarbeitungsprozess selbst werden von den Vertreter*innen dieser Perspektive untersucht.



Sozial-kognitive Theorie

: Lernen ist in ein soziales Geschehen und in einen Kontext eingebunden.



Lernen findet immer in einem konkreten sozialen Umfeld statt. Somit ist die Wechselwirkung von Person und Umfeld konstitutiv für den Lernprozess.



Konstruktivismus

: Lernen heißt, aus Erfahrungen Bedeutung zu schaffen.



Auch wenn Lernen durch äußere Reize beeinflusst werden kann, so ist es letztendlich doch immer die lernende Person selbst, die ihre neuen Erfahrungen vor dem Hintergrund bereits verarbeiteter biographischer Erfahrungen deutet und somit den Lernprozess durch ihre Konstruktion aktiv gestaltet. „Wissenserwerb ist (…) als Konstruktionsleistung zu verstehen und erfordert deshalb aktive Aneignungsprozesse des Lernenden, die meist ein Anwenden von Wissen auf relevante Aufgaben schon in der Trainingsphase beinhalten“ (Moskaliuk et al., 2016, 151).



Die Perspektive des Konstruktivismus ist für das Lernen der Erwachsenen sehr wichtig. Die bestehenden neuronalen Netzwerke bzw. die vorhandenen biographischen Relevanzsysteme stehen einem schnellen Lernen im Sinne der Aufnahme von neuem „im Wege“. Nachhaltiges Lernen setzt bei Erwachsenen noch stärker als bei jüngeren Menschen die Bereitschaft zur Aufnahme voraus und erfordert die mehrmalige Anwendung des Gelernten. Wissen, das nicht sinnvoll erscheint, bleibt „träge“, wird nicht in Denk-Fühl-Verhaltensprogramme aufgenommen und wird somit vergessen.





3.2 Fragen zum Thema Lernen





Bei der Beschäftigung mit „Lernen“ stellen sich viele Fragen. Diese werden von Expert*innen der verschiedenen psychologischen Fachrichtungen (z. B. der Allgemeinen Psychologie, der Entwicklungspsychologie, der Persönlichkeitspsychologie sowie der Pädagogischen Psychologie) beantwortet. Einige Fragen sollen nun vorgestellt und die hierzu vorliegenden Erkenntnisse unter Punkt 4 skizziert werden.



• Wie werden Informationen aufgenommen, verarbeitet und erinnert? (Allgemeine Psychologie)



• Welche Bedeutung hat die Persönlichkeit für den Lernprozess? Wie stabil ist die Persönlichkeit? Sind Veränderungen der Persönlichkeit auch in der zweiten Lebenshälfte noch möglich? (Persönlichkeitspsychologie)



• Sind Erwachsene grundsätzlich in der Lage, sich den verändernden Anforderungen anzupassen? Geht Älterwerden nicht zwangsläufig mit kognitiven Einbußen und Verlusten einher? (Entwicklungspsychologie)



• Wie ist der Lernprozess von Erwachsenen zu gestalten? (Andragogik – als Teil der Pädagogischen Psychologie)





4. Antworten auf die Fragestellungen zum Lernen





Gehen wir nun auf die spezifischen Fragestellungen ein und die Antworten, die die Expert*innen der jeweiligen Fachrichtungen der Psychologie hierauf geben.





4.1 Wie werden Informationen aufgenommen, verarbeitet und erinnert? (Allgemeine Psychologie)





Die Allgemeine Psychologie beschäftigt sich mit Prozessen wie Aufmerksamkeit, Motivation, Emotion und Gedächtnis. Die zentrale Aussage hinsichtlich der Bedeutung dieser Prozesse für das Lernen lässt sich so zusammenfassen: „Wer beim Lernen aufmerksam, motiviert und emotional dabei ist, der wird mehr behalten“ (Spitzer, 2011, 139).





4.1.1. Aufmerksamkeit





Um etwas zu lernen, müssen wir zunächst einmal „wach“ sein (Vigilanz) und dann den Scheinwerfer auf das richten (selektive Aufmerksamkeit), was gelernt werden soll. Wir werden u. a. dadurch wach, dass wir in der Situation bestimmte Anreize erkennen, die eigene Bedürfnisse oder Motive befriedigen können (s. Ausführungen 4.1.3. zu „Motivation“). Durch die Aufmerksamkeit wird neuronales Gewebe in einem bestimmten Bereich der Gehirnrinde aktiviert. Und je aktiver neuronales Gewebe ist, desto eher findet in ihm die Veränderung der Synapsenstärke und somit Lernen statt (Spitzer, 2011, 146).





4.1.2. Emotionen





Emotionen spielen beim Lernen eine sehr wichtige Rolle. Sie können stark oder schwach ausgeprägt sein, haben eine positive oder negative Wertigkeit (Valenz). Sie umfassen Gedanken, Gefühle und physiologische Prozesse. Sie bringen zum Ausdruck, wie stark wir an etwas beteiligt sind. Emotionen stehen für die Bedeutung, die Daten und Fakten für den Menschen haben. Erst wenn eine Information vom Hippocampus als relevant erkannt wird, wird sie neuronal repräsentiert.



Wenn ein Individuum starke Angst vor etwas hat, dann findet Lernen sehr schnell statt. Aber zugleich hemmt die Angst die kreativen Prozesse: das, was gelernt wird, kann nicht mit bereits bekannten Inhalten verbunden und flexibel auf viele verschiedene Situationen angewandt werden (Spitzer, 2011, 161). Ohne Angst, vor allem, wenn eine neutrale bzw. positive Grundstimmung gegeben ist, werden die Gedanken freier, die Lernleistung steigt. Für das Lernen spielt ein ausgeglichener Alltag mit stabiler Stimmungslage eine wichtige Rolle. Diese scheint für den Lernerfolg bedeutender zu sein als das chronologische Alter (Schmiede et al., 2013).



Zu den positiven Emotionen gehören vor allem Neugier, Begeisterung, Kompetenzerfahrung, Selbstbestimmung und soziale Eingebundenheit. Das Fundament für Entwicklungs- und Lernprozesse ist Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das Vertrauen in die Lösbarkeit schwieriger Situationen gemeinsam mit anderen Menschen (Hüther, 2009).



in diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu erwähnen, dass die Darstellung des Stoffs selbst so gestaltet sein sollte, dass diese positiven Emotionen erzeugt werden.





Exkurs:





Leitlinie zur Gestaltung und Darbietung des Lernstoffes (Damir del Monte, 2010; Sticher, 2019).



• Der Stoff soll strukturiert dargeboten werden (wichtige Kernelemente, hierarchische Gliederung und klare Kategorien). Dadurch wird dem Lernenden Überblick und Orientierung gegeben sowie Überforderung durch zu viele Informationen vermieden. Die gute Nachvollziehbarkeit vermittelt der lernenden Person eine positive Selbstbeurteilung der eigenen Leistungsfähigkeit.



• Es sollen der lernenden Person viele Beispiele angeboten werden, um den Stoff mit ihren bestehenden Gedächtnisinhalten zu verbinden bzw. den Bezug zu den für sie relevanten Bereichen zu schaffen. Am besten werden diese Anwendungsbeispiele von der bzw. dem Lernenden selbst erarbeitet.



• Der Lernstoff soll durch Visualisierung angereichert werden.



• Die Verbindungen zwischen den Kernelementen sollen erarbeitet und am besten ebenfalls visualisiert werden.



• Erst wenn die Struktur des Lerngegenstands und seine Einbindung in den Kontext vom Lernenden verstanden und abgespeichert worden sind, sollen Details hinzugefügt werden.



• Soziale Interaktion dient der Aktivierung des Lernenden. Der Umgang mit dem Lerninhalt sollte sich möglichst auf verschiedene Sinn- und Handlungszusammenhänge beziehen. Dadurch wird das Gelernte gefestigt und Verarbeitungstiefe erreicht.





4.1.3. Motivation





Motivationale und emotionale Prozesse sind, wie im Folgenden noch deutlich wird, untrennbar miteinander und mit dem Lernerfolg verbunden. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss kurz erläutert werden, wie unser Gehirn die unzähligen Reize, die ständig einströmen, verarbeitet. Unser Gehirn ist immer damit beschäftigt, das, was um uns herum geschieht, vorherzusagen. Wenn das, was aufgrund dieser Berechnung erwartet wird, eintritt, dann muss es nicht weiter abgespeichert werden. Anders ist es hingegen, wenn das, was geschieht, positiv von dem abweicht, was erwartet worden ist. Es gilt: „Gelernt wird nicht einfach alles, was auf uns einstürmt, sondern das, was positive Konsequenzen hat.“ (Spitzer, 2011, 177)



Dem Neurotransmitter Dopamin kommt hierbei eine besonders wichtige Rolle zu: Bei Ereignissen oder Verhaltenssequenzen, die neu sind, die für uns gut sind, aber vor allem die besser als erwartet ausfallen, springt eines von mehreren bestehenden Dopaminsystemen an und führt dazu, dass die Informationen weiterverarbeitet und mit höherer Wahrscheinlichkeit abgespeichert werden. Bei Bestrafung springt das Dopaminsystem nicht an.



Die Kernaussage lautet: „Gelernt wird immer dann, wenn positive Erfahrungen gemacht werden“ (Spitzer, 2011, 181). Für den Menschen sind die wichtigsten positiven Erfahrungen vor allem Wertschätzung und Anerkennung in sozialen Beziehungen. Dies kann schon durch ein nettes Wort oder einen freundlichen Blick geschehen. Die bezogen auf Motivation interessante Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (2000) sieht ebenfalls im menschlichen Bedürfnis nach „sozialer Eingebundenheit“ einen wichtigen Antrieb. Aber ebenso bedeutsam ist die positive Erfahrung, sich als autonom und kompetent zu erleben. Die Motivation zum Lernen besteht vor allem dann, wenn in der Lernumgebung die situativen Bedingungen vorhanden sind, damit diese Bedürfnisse erfüllt werden können.



Halten wir fest: Menschen sind grundsätzlich motiviert zu lernen. Sie können gar nicht anders, denn das menschliche Gehirn ist darauf ausgerichtet, neue interne Verknüpfungen aufzubauen. Menschen lernen vor allem die Dinge, die ihnen helfen, sich in der Welt zurecht zu finden.



Allerdings sind Menschen oft nicht motiviert, bestimmte Inhalte zu lernen, die z. B. die Lehrenden für wichtig erachten. Somit wird die Frage bedeutungsvoll, wie Menschen dazu motiviert werden können, etwas zu lernen, das aus der Perspektive der Lehrenden, die bestimmte Lernziele formulieren, besondere Priorität hat. Selbst wenn die Notwendigkeit, bestimmte Inhalte zu lernen, scheinbar offensichtlich ist, kann diese Bedeutung nicht einfach vom Lehrenden auf den Lernenden „übertragen“ werden. Die lernende Person muss selbst zu der Erkenntnis kommen, dass der Erwerb dieses Wissens für sie bedeutungsvoll ist. Der Motor für das Lernen ist die gedankliche Vorwegnahme positiver Gefühle, die mit der Befriedigung von Bedürfnissen bzw. der Verwirklichung von Motiven einhergeht. Es gibt viele Theorien, die die menschlichen Bedürfnisse klassifizieren (sogenannte Inhaltstheorien der Motivation). Die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan wurde bereits erwähnt. Wie stark diese Motive bei einer Person ausgeprägt sind, hängt von den Sozialisationserfahrungen ab, mit denen sich die Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie intensiver auseinandersetzt (Hennecke & Brandstätter, 2016, 88).

 



Entscheidend für die Lernmotivation sind aber nicht nur die grundlegenden Bedürfnisse (bzw. Motive). Wichtig ist, wie die lernende Person für sich folgende Fragen beantwortet. Diese leiten sich aus der Valenz-Instrumentalitäts-Erwartungstheorie (VIE) von Vroom (1964) ab, eine der bekanntesten Prozesstheorien der Motivation:










Abb. 2: Das Prozessmodell der Motivation von Vroom (Erwartung, Instrumentalität und Valenz) – eigene Darstellung





1. Ist es für mich reizvoll, die Inhalte zu lernen? Werde ich durch mein Lernverhalten in der konkreten Lernumgebung (und aufgrund der bestehenden Lernmodalitäten) in der Lage sein, bestimmte Lernerfolge zu erzielen? (Ergebniserwartung)



2. Wenn ich diesen Lernerfolg erziele, welche Folgen wird dies dann für mich haben? Habe ich dadurch z. B. die Möglichkeit, eine bestimmte Tätigkeit besser auszuführen? (Instrumentalitätserwartung)



3. Wie bewerte ich die Folgen, wenn sie dann eintreten? (Valenzen)



Die Motive der Person sowie ihre Einschätzung, ob ihre Bedürfnisse letztendlich mit dem durch Lernen erzielten Ergebnis befriedigt werden können, sollten von der Lehrkraft in Erfahrung gebracht werden. So kann sie durch ihr Verhalten und mit den von ihr entsprechend zu gestaltenden Rahmenbedingungen die Lernmotivation der Lernenden gezielt beeinflussen.





4.2. Welche Bedeutung hat die Persönlichkeit für den Lernprozess? (Persönlichkeitspsychologie)





Persönlichkeit wird beschrieben als die Gesamtheit der Persönlichkeitsmerkmale. Ein solches Merkmal wird als eine überdauernde, individuelle Besonderheit im Erleben und Verhalten verstanden (Asendorpf, 2016, 126). Beim Lernen von Erwachsenen spielt, wie bereits anhand der individuell wirksamen Motive verdeutlicht wurde, die Persönlichkeit eine ganz besondere Rolle. Unter Bezug auf die Theorie von Vroom geht es um die subjektive Einschätzung der Person, ob bzw. welche ihrer Erwartungen in der Situation realisiert werden. Davon hängt ab, ob sie bereit ist, sich auf die Lernsituation einzulassen.



Wichtig ist die Erkenntnis der Persönlichkeitspsychologie, dass die Persönlichkeit im Erwachsenenalter relativ stabil ist. Deshalb sollte vor allem die Passung zwischen ihr und der Lernumwelt optimiert werden. Dies bestätigt ebenfalls die bereits mehrmals hervorgehobene Notwendigkeit der Abstimmung der Lernziele, -inhalte und -methoden der Lehrkraft mit der lernenden Person.



Des Weiteren finden sich in der Lernpsychologie viele Erkenntnisse über die Bedeutung der individuellen Stile der Informationssammlung und -verarbeitung. Es wird zum Beispiel zwischen dem visuellen, dem auditiven und dem motorischen oder auch haptischen Lerntyp unterschieden. Es kann für die Person selbst hilfreich sein, die eigene Aufnahme und Verarbeitungspräferenz zu kennen. Bezogen auf den Lernprozess folgt daraus, möglichst viele Angebote zur Informationsaufnahme und -verarbeitung zu machen, damit das Lernziel erreicht wird. Ohne die Möglichkeit zu konkreter Erfahrung werden viele Erwachsene nicht erreicht. „Learning by doing“ und das Einbeziehen vieler Sinneskanäle bleibt also auch für Erwachsene wichtig.



Halten wir fest: Soll Wissen erworben werden, ist die Bereitschaft zu lernen eine notwendige Voraussetzung. Diese Motivation wird sowohl durch innere Kräfte (Bedürfnisse und Motive der Person) als auch durch äußere Kräfte bzw. Anreize der Umwelt geschaffen (Gestaltung des Lernumfelds; Art der Anforderungen an die lernende Person; Entscheidungsmöglichkeiten). Innere und äußere Kräfte stehen in Wechselwirkung: Das Individuum steuert Ziele an, um sein positives Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten. Die Lernumwelt muss diese Selbstkonstruktion ermöglichen oder zulassen. Durch Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden sollte die individuelle Passung zwischen Lernenden und Lernumgebung herbeigeführt werden, damit Motivation zum Lernen von neuen Inhalten bzw. Kompetenzen entsteht und der Lernprozess erfolgreich abgeschlossen werden kann (s. Hennecke & Brandstätter, 2016, 112-113).





4.3. Sind Erwachsene grundsätzlich in der Lage, sich den sich verändernden Anforderungen anzupassen? (Entwicklungspsychologie)





Die Entwicklungspsychologie beantwortet die Fragen nach dem Lernen über den Entwicklungsverlauf. Zu Beginn der psychologischen Forschung zu diesem Thema standen die Heranwachsenden im Fokus der Aufmerksamkeit. Erst relativ spät erfolgte die Beschäftigung mit den Erwachsenen (Faltermaier, 2014). Hierauf soll nun näher eingegangen werden.



Auf die Frage nach dem Lernen Erwachsener gibt die Entwicklungsp

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