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Globale Lösungen, internationale Partnerschaften

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GENDERGERECHT GEGEN DEN KLIMAWANDEL

Entwicklungsinvestitionen sind wirksamer und nachhaltiger, wenn Frauen beteiligt sind und deren Belange berücksichtigt werden

Von Moa Westman

Wenn es um mehr Klimaschutz geht, sind Frauen oft ganz vorne dabei, sei es als Leaderin, Entrepreneurin oder Aktivistin: Von der 17-jährigen Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Schweden über die mexikanische Diplomatin Patricia Espinosa, die die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen leitet, bis zu den zahlreichen Frauen in Führungspositionen, die sich für Klimainitiativen engagieren.

In Gremien, die Klimamaßnahmen und -strategien beschließen, bleiben Frauen im öffentlichen wie im privaten Sektor jedoch stark unterrepräsentiert. Laut UN sind Klimaprojekte und -strategien, an denen Frauen beteiligt sind, indessen wirksamer und führen zu besseren ökologischen Ergebnissen.

Der Klimawandel kann für alle Menschen verheerende Folgen haben, vor allem für die, die ihr Einkommen mit natürlichen Ressourcen erwirtschaften. Doch Frauen sind anders betroffen als Männer. Denn Geschlecht und soziale Rolle entscheiden über den Zugang zu produktiven, natürlichen und finanziellen Ressourcen – mit Folgen für die persönliche Resilienz gegen den Klimawandel. Projekte und Investitionen, die ohne substanzielle Beteiligung von Frauen umgesetzt werden, sind weniger wirksam und verstärken häufig das Geschlechtergefälle.

Frauen als Teil der Gleichung

In einem historischen Schritt hat die Europäische Investitionsbank beschlossen, ihre gesamten Finanzierungen bis Ende 2020 auf die Ziele des Pariser Abkommens abzustimmen und spätestens ab 2025 mindestens 50 Prozent für Klima und ökologische Nachhaltigkeit zu vergeben. Dazu haben wir den Klimabank-Fahrplan auf den Weg gebracht. Er zeigt, wie zielgerichtete Investitionen nicht nur einen Beitrag zur grünen Wende leisten können, sondern auch zu sozialer Entwicklung und Gendergerechtigkeit. Geschlechtergerechte Klimamaßnahmen stärken den Nutzen für Klima und Umwelt und sind häufig ein starker Business Case für Investments. Investitionen, die die Belange von Frauen berücksichtigen, vergrößern den Kundenkreis von Unternehmen, steigern die Kundenzufriedenheit und bilden die Basis für ein besseres Finanz- und Geschäftsergebnis. Außerdem locken sie weitere Geldgeber an, die verantwortlich investieren wollen.

Wir fördern die Einbeziehung von Frauen auf verschiedenen Wegen:

1: Kredite für Entrepreneurinnen und Klimafonds von Frauen

Unternehmen und Fonds, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind, werden eher von Frauen als Männern gegründet. Oft fehlt ihnen aber das Geld für die Scale-up-Phase. Sie brauchen Kredite, um die Größe zu erreichen, ab der sie etwas bewirken können. Zum Beispiel der EcoEnterprises Fund: Das Managementteam des wegweisenden Umweltfonds aus Lateinamerika wird von Frauen geleitet. Er investiert in Unternehmen mit Schwerpunkt Biodiversität, etwa nachhaltige Forstwirtschaft oder Landwirtschaft. Zusammen mit den Portfoliounternehmen arbeitet der EcoEnterprises Fund aktiv daran, die Beschäftigungssituation von Frauen und indigenen Gemeinschaften sowie deren Zugang zu Führungspositionen zu verbessern. Die Europäische Investitionsbank und FinDev Canada unterstützen den EcoEnterprises Fund – er ist FinDev Canadas erste Investition unter der 2X Challenge. Diese weltweite Initiative fördert den Kreditzugang von Unternehmen, die von Frauen geleitet werden, Frauen beschäftigen und Frauen zugutekommen. Auch die EIB beteiligt sich an der 2X Challenge.

Geschlechtergerechte Klimamaßnahmen stärken den Nutzen für Klima und Umwelt und sind häufig ein starker Business Case für Investments.

2: Projekte gegen tief verwurzelte Ungleichheiten

Unser Genderfokus bedeutet, dass wir Projekte unterstützen, die über Generationen gefestigte Ungleichheiten aufbrechen. Ungleichheiten, die Frauen und Mädchen Chancen vorenthalten und verhindern, dass sie sich an große Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel anpassen können.

In der Landwirtschaft sind Familienbetriebe, die von Frauen geführt werden, beispielsweise tendenziell kleiner als von Männern geführte. Aufgrund der geringeren Betriebsgröße und des begrenzten Zugangs zu Krediten und Produktionsfaktoren fehlen Frauen meist die Mittel, um witterungsbedingte Verluste abzufedern oder Technologien einzuführen, durch die ihr Betrieb effizienter und klimaresilienter werden könnte. Die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation schätzt, dass Landwirtinnen ihre Erträge um 20 bis 30 Prozent steigern, die Bodenfruchtbarkeit verbessern und Ökosysteme schützen könnten, wenn sie denselben Zugang zu Ressourcen hätten wie Männer.

Der von BlueOrchard verwaltete InsuResilience Investment Fund arbeitet mit Mikrofinanzinstituten zusammen, um Kredite mit Versicherungen gegen extreme Wetterereignisse und Naturkatastrophen zu kombinieren. Die EIB unterstützt BlueOrchard mit 25 Millionen US-Dollar. Im Gegenzug hat sich der Fonds verpflichtet, 40 Prozent seiner Investitionen nach den Kriterien der 2X Challenge zu vergeben, damit Frauen einen besseren Zugang zu Krediten und Klimaversicherungen erhalten.

3: Hilfe bei der Festlegung von Genderzielen

Im Rahmen der Beratung und technischen Hilfe unterstützen wir unsere Kunden dabei, Ziele für die Beschäftigung von Frauen und für Frauen in Führungspositionen festzulegen.

Zusammen mit der niederländischen Entwicklungsbank FMO begleiten wir beispielsweise responsAbility Investments. Ein Klimafonds dieses Asset Managers konnte sich 2020 für die 2X Challenge qualifizieren. Seine Zusage: Mindestens 50 Prozent der Unternehmen, in die er investiert, bieten hochwertige Arbeitsplätze für Frauen, und er berücksichtigt Genderaspekte bei seinen Investitionen.

Der Energiesektor zählt mit einem Frauenanteil von 32 Prozent unter den Beschäftigten zu den Sektoren, die in puncto Diversität Aufholbedarf haben. Die Investitionen des Fonds in netzunabhängige Erneuerbare-Energien-Systeme verbessern auch den Alltag von Frauen. Nach Angaben von Oxfam erbringen Frauen in ländlichen Gemeinden täglich bis zu 14 Stunden unbezahlte Care-Arbeit. Vor allem Brennholz sammeln und Wasser holen kosten viel Zeit, die den Frauen und Mädchen für Schul- und Berufsausbildung sowie andere produktive Tätigkeiten fehlt. Zu den Investments des Fonds gehört d.light. Das ostafrikanische Unternehmen hilft ärmeren Familien mit einem Pay-as-you-go-Modell, Solarlampen und Solarsysteme für zu Hause zu kaufen. Damit müssen Ladeninhaberinnen nicht mehr bei Einbruch der Dunkelheit schließen.

Klimainvestoren müssen Wege suchen, wie sie Gendergerechtigkeit bei Projekten für Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit am besten fördern und gleichzeitig Frauen stärken sowie neue Märkte aufbauen können. Integrierte Investitionen helfen, die miteinander verzahnten Krisen – von Klimawandel über Umweltzerstörung bis zur sozialen Ungleichheit – so zu lösen, dass niemand zurückbleibt.

Moa Westman ist Genderexpertin bei der Europäischen Investitionsbank.

GEHEN SIE INS RISIKO

Eine innovative Finanzierungspartnerschaft mit Luxemburg fördert Klimafonds in Entwicklungsländern, indem sie privaten Investoren Risiken abnimmt

In manchen Ländern fehlt es an den Finanzierungsstrukturen und Kompetenzen, um Starthilfe für Unternehmen zu leisten, die sich auf alternative Energien, Energieeffizienz oder nachhaltige Landnutzung spezialisieren. Um die Finanzierungslücke zu schließen, müssen wir privates Kapital mobilisieren und den Investoren in Entwicklungsländern Risiken abnehmen.

Die Klimafinanzierungsplattform Luxemburg-EIB ist ein innovatives Modell, das private Investitionen parallel zu EIB-Finanzierungen in Klimaprojekte leitet. Sie wurde 2017 von der Europäischen Investitionsbank zusammen mit Luxemburg gegründet und bietet schnelle Entscheidungsprozesse und klare Kriterien für Klimafinanzierungen. Diese Kriterien basieren auf den Prioritäten der Geber und Investoren, den weltweiten Erfahrungen der EIB in der Klimafinanzierung, unserem internen Know-how von über 300 Ingenieurinnen und Volkswirten, der Abstimmung mit anderen internationalen Finanzinstitutionen, höchsten Investitions-standards und strengen Umwelt- und Sozialstandards, Monitoring und Berichterstattung. Im Fokus stehen geringere Emissionen, Energieeinsparungen, Bodensanierungen und neue Technologien.

Über Eigenkapitalinvestitionen in Junior-Tranchen strukturierter Fonds verringert die Plattform das Risiko privater Investoren, die Senior-Tranchen übernehmen. Die Fonds investieren ihrerseits in Unternehmen aus Schwellenländern, die an Projekten für den Klimaschutz und die Klimaanpassung arbeiten. Das Verhältnis zwischen den Gesamtinvestitionen der Endprojekte und der ursprünglichen Zusage der Plattform wird als Multiplikatoreffekt bezeichnet: Aus den 20 Millionen Euro, die die Plattform investiert hat, und 166 Millionen Euro der EIB ergeben sich Projektinvestitionen von 3,4 Milliarden Euro.

Zurzeit arbeitet die Klimafinanzierungsplattform Luxemburg-EIB mit vier Fonds:

Der Green for Growth Fund ist ein Impact-Investment-Fonds, der sich auf die Bekämpfung des Klimawandels und nachhaltiges Wirtschaftswachstum konzentriert. Dazu investiert er vor allem in Maßnahmen zur Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauchs und der CO2-Emissionen.

Der Land Degradation Neutrality Fund unterstützt Projekte des Privatsektors für eine nachhaltige Landbewirtschaftung, vor allem durch nachhaltige Land- und Forstwirtschaft.

 

Der Access to Clean Power Fund unterstützt kleine Unternehmen, die Lösungen für erneuerbare Energien anbieten. Er will einen positiven wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Impakt erzielen. Dazu vergibt er Fremdkapital für Projektfinanzierungen und Betriebskapital, mit dem Unternehmen Lagerbestände und Forderungen finanzieren können.

Der Climate Resilience Solutions Fund ist der erste Investmentfonds mit Fokus auf Klimaanpassung. Gleichzeitig konzentriert er sich als erstes kommerzielles Anlagevehikel auf kleine Unternehmen im Bereich Klimaintelligenz und Lösungen für Entwicklungsländer (z. B. landwirtschaftliche Analytik).

AUFFORSTEN FÜR UNSERE SCHOKOLADE

Die Kakaonachfrage steigt und bedroht die Wälder in den Anbauländern. Neue EU-Vorschriften sollen die „importierte Entwaldung“ stoppen, während die Bank der EU gemeinsam mit Côte d’Ivoire gerodete Flächen wieder aufforstet

Von Jane Feehan

Côte d’Ivoire ist der größte Kakaoproduzent weltweit. Als ich 2019 in das westafrikanische Land zog, sah ich mit eigenen Augen, dass die in Südamerika heimische Theobroma cacao dort ein wichtiges Standbein der Wirtschaft geworden ist. Kakao steht für über 40 Prozent des Exportumsatzes, seine Wertschöpfungskette gibt rund sechs Millionen Menschen im Land Arbeit.

Das Tragische ist nur: Durch den Kakaoboom hat Côte d’Ivoire in den letzten 25 Jahren alarmierende 60 Prozent seiner Waldflächen verloren. Wälder gibt es eigentlich nur noch in Nationalparks und Waldschutzgebieten, und selbst dort wurden bereits große Flächen dem Kakao geopfert. Dabei bestimmen Naturkapital und Naturerbe ganz wesentlich die nationale Identität des Landes: So ist der Elefant symbolisch allgegenwärtig, nur in der Wildnis trifft man das Wappentier heute kaum noch an. Die Entwaldung ist ein noch schlimmerer Umweltverlust, der weitreichende Auswirkungen auf alles hat – auf Bodenfruchtbarkeit, Bewirtschaftung von Wassereinzugsgebieten und Wasserqualität, Biodiversität, Kohlenstoffspeicher und vielfältige Güter und Dienstleistungen, die wir dem Wald verdanken und auf die viele arme Menschen in ländlichen Gegenden angewiesen sind.

Aber das könnte sich jetzt ändern. Wir stehen am Anfang eines Jahrzehnts, das die Wende bringen soll. Die Europäische Union hat zwei neue Rechtvorschriften vorgelegt, die Mitte des Jahres verabschiedet werden könnten. Den Anstoß dafür gaben der grüne Deal, die Dekade der Vereinten Nationen für die Wiederherstellung von Ökosystemen, besonders aber wachsende Sorgen über die Auswirkungen des Kakaoanbaus auf die Wälder und das Wohlergehen der Menschen, die entlang der Wertschöpfungskette arbeiten. Gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank wird das westafrikanische Land außerdem ein Aufforstungsprojekt finanzieren.

Kakao ist auf dem Vormarsch

Côte d’Ivoire zählt zu den am wenigsten entwickelten Ländern und liegt im UN-Index der menschlichen Entwicklung auf Platz 162 von 189; fast ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Kakao ist neben Cashews, Bananen und Kaffee heute die wichtigste Einnahmequelle des Landes.

Und der Kakaokonsum steigt – trotz der Pandemie und ihrer Folgen, wie einer geringeren Nachfrage nach Craft- und Luxusschokoladen sowie Störungen der Lieferketten durch die coronabedingten Einschränkungen. Längerfristig dürfte der globale Kakaobohnenmarkt von 2019 bis 2025 im Durchschnitt um jährlich 7,3 Prozent auf 16,32 Milliarden US-Dollar wachsen. Der Schokoladenmarkt hatte 2017 ein Einzelhandelsvolumen von 106,19 Milliarden US-Dollar, bis 2026 wird ein Anstieg auf 189,89 Milliarden US-Dollar erwartet. Rein wirtschaftlich gesehen ist das gut für Côte d’Ivoire, wo 42 Prozent des weltweit produzierten Kakaos herkommen. Aber für die Wälder des Landes ist es hochgefährlich. Denn wenn es so weitergeht, sind in 20 Jahren alle natürlichen Wälder von Côte d’Ivoire verschwunden.

Die EU kann mit ihren Plänen viel bewirken. Schließlich ist sie der größte Kakaoabnehmer von Côte d’Ivoire.

Neue EIB-Finanzierung und neue EU-Gesetze

Deshalb ist das erste der beiden EU-Gesetze so wichtig. Es betrifft die importierte Entwaldung. Mit der Einfuhr von Erzeugnissen wie Kakao, Palmöl, Fleisch, Mais und Soja trägt die Europäische Union indirekt etwa zehn Prozent zur weltweiten Entwaldung bei. Um zu verhindern, dass ihre beträchtliche Marktmacht weiterhin die Zerstörung von Wäldern in anderen Teilen der Welt vorantreibt, plant die EU neue Vorschriften zur Herkunft und Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen wie Kakao. Mit dem zweiten neuen Gesetz verankert die EU Nachhaltigkeit in ihrem Regelungsrahmen zur Corporate Governance. Dadurch sollen die Vorschriften zur sozialen und ökologischen Verantwortung von Unternehmen mehr Biss bekommen.

Die Europäische Union kann damit viel bewirken. Schließlich ist sie der größte Kakaoabnehmer von Côte d’Ivoire und importiert 67 Prozent der dort angebauten Kakaobohnen. Die Europäische Investitionsbank, Mitgliedstaaten und Entwicklungsagenturen bündeln nun ihre Kräfte in einer Initiative von Team Europe für nachhaltigen Kakao in Côte d’Ivoire.

Auch die Regierung des Landes hat eine Zehn-Jahres-Strategie entwickelt, um die Wälder zu schützen, zu sanieren und wiederaufzuforsten.

Nach ersten Sondierungsgesprächen prüft ein Team von Forst- und Finanzfachleuten der Europäischen Investitionsbank, wie die Bank die ivorische Regierung bestmöglich bei der Finanzierung und Umsetzung ihres ehrgeizigen Plans unterstützen kann. Wir haben bereits technische Hilfe für seine Vorprüfung und Prüfung mobilisiert. Unsere Finanzierung würde sich dann auf kapitalintensive Strukturinvestitionen wie Baumschulen, Infrastruktur, Ausrüstung, Aufforstung und Wiederaufforstung konzentrieren, aber auch Gelder für Studien, Bestandsaufnahmen und Waldbewirtschaftungspläne bereitstellen.

Die Europäische Investitionsbank geht das Projekt langfristig an, wie es dem Zeitplan von Côte d’Ivoire entspricht. Wir stellen die Kakao-Wertschöpfungskette auf den Prüfstand und helfen dem Land mit unseren Investitionen, sich seine Absatzmärkte in der EU zu sichern. Außerdem unterstützen wir Côte d’Ivoire bei der Wiederherstellung seines Naturerbes. Einige Baumarten werden angepflanzt, um kurz- und mittelfristig lokalen Bedarf an Wald- und Holzprodukten zu decken und damit die übrigen Wälder zu entlasten. Andere kommen künftigen Generationen zugute: die spektakulären Giganten der dortigen Wälder, wie der mächtige Kapokbaum mit seinen massiven Brettwurzeln und weit ausladenden Ästen oder symbolträchtige Arten wie der Tiama und der Limbabaum, die hochwertiges Holz liefern, in der Wildnis aber selten geworden sind. Solche Bäume brauchen viele Jahrzehnte, bis sie ihre volle Größe erreichen, und stehen sinnbildlich für die Transformation, die nun im Gange ist. Die Wälder, die jetzt neu wachsen, sind ein Vermächtnis der Entwicklung, das uns alle überdauern wird.

Jane Feehan leitet das Regionalbüro der EIB für Westafrika in Abidjan.

KREATIVITÄT IM ÜBERFLUSS

Wassertechnik in Afrika stellt uns jedes Mal vor kniffelige Aufgaben. Nur mit kreativen Konzepten kann der Kontinent seinen Wasserbedarf decken und langfristig unabhängig werden

Von Caroline Ogutu

Ingenieure können logisch denken, sind aber nicht innovativ – so die landläufige Meinung. Der Klimawandel stellt mich als Bauingenieurin bei Entwicklungsprojekten vor große Probleme. Sie zu lösen, verlangt Kreativität, und zwar nicht weniger als in einem klassischen Kreativberuf.

Kreativität ist ein menschliches Bedürfnis, ein zentraler Bestandteil unserer Evolution. Gewiss, sie ist kein Grundbedürfnis wie Wasser, aber Entwicklung ist eine Art Evolution von Gesellschaften und Volkswirtschaften. Jedes Mal muss ich eine neue, maßgeschneiderte Lösung finden, wie wir die Menschen mit Wasser und Sanitäreinrichtungen versorgen.

In Afrika ist jedes Wasserprojekt einzigartig. Damit alle Projekte nachhaltig und bedarfsgerecht sind, müssen wir immer wieder unterschiedliche Wege einschlagen.

Kreative Lösungen in Tansania

Das Wasser- und Abwasserprojekt für Mwanza und die umliegenden Städte Lamadi, Misungwi und Magu sowie Bukoba und Musoma am tansanischen Ufer des Viktoriasees zum Beispiel erforderte eine gute Portion kreatives Denken – und sorgfältige Planung vor Ort.

Das Projekt, das die Europäische Investitionsbank 2013 begann, soll die Wasser- und Sanitärversorgung in diesen tansanischen Städten verbessern, um das Ökosystem des Sees zu schützen. Denn die Verschmutzung aus diesen Städten ist ein Grund, warum sich der Zustand des Süßwassersees insgesamt verschlechtert.

Dass rund eine Million Menschen damit sauberes Trinkwasser erhalten und bis zu 100 000 Menschen eine bessere Sanitärversorgung, ist natürlich mehr als nur ein Nebeneffekt.

Aber was war an diesem Projekt kreativ?

Zum einen machten wir uns die örtlichen Gegebenheiten zunutze. In Lamadi, wo eine Trinkwasser­aufbereitungsanlage direkt am See geplant war, fanden wir einen innovativen Weg für die Wasserentnahme. Wir schlugen Versickerungskanäle vor, über die das Wasser aus dem See zunächst durch das Sandbett gefiltert wird, bevor es in die Aufbereitungsanlage abseits vom Ufer fließt. Versickerungskanäle sind durchlässige, horizontal oder abfallend verlaufende Leitungen, in die Wasser aus einer darüber- oder danebenliegenden Quelle einsickern kann – in diesem Fall aus dem See. Der Sand filtert Schmutzpartikel, also Sediment und Schwebstoffe, wie ein Sieb heraus. Danach kann das gereinigte Wasser gechlort oder anderweitig aufbereitet werden. Die Filtration schützt vor wasserbürtigen Krankheiten und basiert ganz auf den natürlichen Gegebenheiten.

In Afrika ist jedes Wasserprojekt einzigartig. Damit alle Projekte nachhaltig und bedarfsgerecht sind, müssen wir immer wieder unterschiedliche Wege einschlagen.

Das funktioniert natürlich nicht überall so, und deshalb müssen wir kreativ sein.

Kreative Höhen und Niederungen

Am meisten forderten uns in Mwanza die informellen Siedlungen, in denen bislang jede Abwasserentsorgung fehlte. Es gab nicht viel mehr als Behelfsanlagen vor Ort, wie Grubenlatrinen. Normalerweise findet man geplante Siedlungen eher in höheren Lagen und die informellen Siedlungen hauptsächlich in den Niederungen. Nur in Mwanza ist das anders. Da liegen die armseligen Behausungen weitgehend dicht an dicht in den Hügeln oberhalb der Stadt, ohne jede Infrastruktur und angelegte Straßen. Das macht die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung schwierig.

Zum einen fließen die Abwässer von den informellen Siedlungen ohne jeden Anschluss an einen Abwasserkanal die Hügel hinab. Und zum anderen haben die Siedlungen kein fließend Wasser, weil Anschlüsse fehlen und die Bewohner sich die Gebühren nicht leisten können.

Unsere Idee: vereinfachte Abwasserentsorgung.

Und so funktioniert es: Die vereinfachte Abwasserentsorgung beruht in hohem Maße auf der Sensibilisierung und Mobilisierung der Bevölkerung. Zusammen mit UN-Habitat gründeten wir sogenannte Multi-Stakeholder-Foren in den einzelnen informellen Siedlungen. Ihnen gehören neben Vertretern der Verwaltung und Gesundheitsbeauftragten auch Anwohner an, die freiwillig mitmachen. Die Hauptaufgabe der Foren besteht darin, den Menschen bewusst zu machen, wie wichtig eine umweltgerechte Abwasserentsorgung ist. Genauer gesagt: Sie sollen dazu gebracht werden, ihre Toiletten an die Kanalisation anzuschließen. Die Foren vermitteln auch bei Streitigkeiten in der Bauphase.

Wie läuft das konkret ab? Das Forum ordnet die Anwohner Gruppen von etwa zehn Häusern zu, die für ihre eigene Abwasserentsorgung verantwortlich sind. Jede Gruppe muss ihre Toiletten und Behausungen an eine Sammelstelle anschließen. Ab da verlegt der örtliche Versorger MWAUWASA eine Hauptleitung und Nebenleitungen, die die Abwässer von den Sammelstellen in die schon vorhandene Kanalisation leiten.

Wir lassen die Leute mit der Aufgabe auch nicht allein. Die vereinfachte Abwasserentsorgung beruht wirklich auf dem Engagement vor Ort. Das Forum und unsere Beraterinnen und Berater klären in regelmäßigen Zusammenkünften über die Bedeutung der Sanitäranlagen auf. Sie erklären den Menschen, warum sie bessere Toiletten brauchen und wie sie die Anschlüsse in Schuss halten. Wir finanzieren auch den Bau und die Instandhaltung. Und der Versorger liefert das Material für die Anschlüsse, die von einem beauftragten Unternehmen gelegt werden. Ein Mitglied pro Anwohnergruppe übernimmt jeweils die Leitung und sorgt dafür, dass die Anschlüsse intakt bleiben.

 

So binden wir die Menschen vor Ort mit ein. Sie stehen hinter dem Projekt, weil wir bei all den Treffen zusammen mit UN-Habitat viel Aufklärungsarbeit leisten. Die Anwohner sind an Baubeschlüssen beteiligt und überwachen das Ganze. Natürlich sind sie nicht die Einzigen, die davon profitieren. Der Versorger erhält Zugang zu den informellen Siedlungen und erzielt mit den Anschlüssen zusätzliche Einnahmen. Für die Stadt insgesamt ist es gut, dass die Abwässer von den Hügeln nicht mehr in die weiter unten liegenden Gebiete fließen.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der gerade jetzt besonders wichtig ist: Die Wasserstellen, die Handwaschstationen und die Hygieneaufklärung in Schulen und in der Gemeinde haben das Bewusstsein der Menschen geschärft, sodass sie besser auf die Bedrohung durch Covid-19 vorbereitet sind.

Das 104-Millionen-Euro-Projekt wurde mit 45 Millionen Euro von der Europäischen Investitionsbank und 45 Millionen von der Agence française de développement finanziert. Die restlichen 14,5 Millionen Euro steuerte der tansanische Staat bei. Die Europäische Investitionsbank leistete außerdem technische Hilfe, die aus Zuschüssen der Europäischen Union finanziert wurde.

So binden wir die Menschen vor Ort mit ein. Sie stehen hinter dem Projekt.

Diese technische Hilfe war sehr wichtig. Noch bevor das Projekt begann, finanzierten wir einen Entwicklungsplan, um den aktuellen und künftigen Wasserbedarf zu ermitteln. Einen ebensolchen Plan erstellten wir für die Sanitärversorgung. Als es dann um die Finanzierung ging, wussten wir, was zu tun war, und konnten dabei schon die künftigen Bedürfnisse einplanen. Das macht die Lösung nachhaltig.

Kreativität in Kampala

Ein anderes Projekt am Viktoriasee, bei dem wir kreativ sein mussten, betraf die Wasserversorgung in der ugandischen Hauptstadt Kampala.

Das Wassernetz in Kampala hatte eine spaghettiartige Struktur. Es war nicht planmäßig angelegt und sein Ausbau war Flickwerk, da die einzelnen Haushalte aus vielen verschiedenen Richtungen angeschlossen waren. Das brachte viele Ineffizienzen mit sich – beispielsweise Wasserverluste durch Lecks an mangelhaften Verbindungen zwischen Netzabschnitten oder weil Rohre in der falschen Größe verlegt waren. Fast die Hälfte des Wassers ging auf dem Weg von der Wasseraufbereitungsanlage bis zum Wasserhahn verloren. Also wurde auch der Versorger nur für die Hälfte des Wassers bezahlt, das er aufbereitete.

Um die Versorgung zu verbessern, wollten wir die Wasserinfrastruktur modernisieren. Allein dadurch, dass wir die Leitungen sanierten, würde die vorhandene Aufbereitungsanlage mehr Wasser liefern. Dadurch konnten wir das Wasser, das zuvor versickerte, zu Menschen bringen, die noch keines hatten. Gemeinsam mit der Agence française de développement und der deutschen KfW rüstete die Europäische Investitionsbank auch die Aufbereitungsanlage nach. Statt 150 000 Kubikmeter liefert die Anlage jetzt 240 000 Kubikmeter pro Tag. Im Osten Kampalas haben wir außerdem mit dem Bau einer neuen Wasseraufbereitungsanlage begonnen. Damit können Stadtgebiete mit Wasser versorgt werden, die bis heute nicht angeschlossen sind.

Versorgung informeller Siedlungen in Kampala

Unser Gesamtkonzept für Kampala war nicht das gleiche wie für Mwanza. Ebenso brauchten wir für die informellen Siedlungen dort eine andere Lösung als in Mwanza.

Die Menschen in Afrika müssen ihre eigenen Konzepte entwickeln und sie selbst umsetzen, damit die Lösungen wirklich von Dauer sind.

Ein Grund war, dass sich die Behausungen in Kampala in tiefen Lagen befinden und nicht auf Hügeln, wie in Mwanza. Gleichwohl ging es auch hier darum, weniger verunreinigtes Wasser in diesen Siedlungen zu haben, um Krankheiten zurückzudrängen, und 200 000 Menschen an eine Sanitärversorgung anzuschließen.

Unsere Idee: Waschblocks.

Und so funktioniert es: Auf einem öffentlichen Gelände errichten wir eine Sanitäranlage. Daneben könnte man beispielsweise ein Restaurant oder einen Laden ansiedeln. Ein privater Betreiber kümmert sich um die Sanitäranlage und hält sie sauber. Den Anwohnern, die sie nutzen, berechnet er dafür eine geringe Gebühr. Außerdem kann er mit den Einnahmen aus dem benachbarten Geschäft den Betrieb der Anlage mitfinanzieren. Der Betreiber hat so einen Anreiz, die Anlage in Schuss und die Nutzungsgebühr niedrig zu halten. Dann kommen mehr Kunden in seinen Laden und er verdient dort mehr Geld. Um die Lizenz für sein Geschäft zu behalten, muss der Betreiber außerdem bei der behördlichen Prüfung zeigen, dass er sich gut um die Sanitäranlage kümmert. So bleibt sie auf Dauer in einem guten Zustand.

Das löst ein Problem, das häufig auftritt, wenn mit fremden Mitteln Sanitäranlagen gebaut werden: Sie verrotten, weil niemand sie instand hält. Nach wenigen Jahren sind die Anlagen defekt oder mutwillig zerstört. Mit den Waschblocks in Kampala haben wir einen kreativen Weg gefunden, langfristig funktionsfähige Sanitäreinrichtungen bereitzustellen, ohne sie danach mit viel Geld instand halten zu müssen.

In der Entwicklung kommt es auf Kreativität an

Diese Projekte sind wichtig, damit Afrika wirklich Fortschritte in der Entwicklung macht. Wenn wir nur eine Standardlösung importieren, wird das niemals nachhaltig sein. Wichtig ist, dass die Infrastruktur gepflegt und gewartet wird und dass das Material dafür vor Ort erhältlich ist. Die Menschen in Afrika müssen ihre eigenen Konzepte entwickeln und sie selbst umsetzen, damit die Lösungen wirklich von Dauer sind.

Caroline Ogutu ist Wassertechnikerin in der Abteilung Wassersicherheit und Resilienz der Europäischen Investitionsbank. Sie arbeitet im Außenbüro der Bank in Nairobi.