Der Bibuka - ...Deutscher, ...Polizist ...und doch nur ein Kanacke?!

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Der Bibuka - ...Deutscher, ...Polizist ...und doch nur ein Kanacke?!
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Bibuka sind mittlerweile in allen Berufen und Schichten

unserer Gesellschaft wiederzufinden.

Der Polizist türkischer Herkunft mit Namen Necmettin ist

auch einer von Ihnen. Er erzählt von seinen oftmals

frustrierten Kollegen, die häufig als Prellball

zwischen ausländischen Vorstadtrambos und den

restlichen Normalos mit den Folgen der

gescheiterten Multikultigesellschaft leben müssen.

An ganz gewöhnlichen Tagen sieht sich Necmettin

immer wieder Sprüchen seiner Kollegen ausgesetzt.

Auf einer schmalen Grenze zwischen Spaß und Hass

verschmelzen die unterschiedlichsten Frechheiten, wie

„Türke go home!“, „Kanake“ und andere Beleidigungen

zur Alltagssyntax.

Eine ganz gewöhnliche never ending Story.

Besuchen Sie uns im Internet:



www.wonderland4u.com


Dieser Titel ist bereits als Taschenbuch erschienen.

Copyright © 2008 by Necmettin

Copyright © 2008 by Wonderland4u


Der Bibuka

...Deutscher, ...Polizist, ...und doch nur ein Kanake?!


Dritte,

überarbeitete Auflage 10 / 2012


Alle Rechte sind Wonderland4u Vorbehalten.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung von Wonderland4u wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: Wonderland4u

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de


ISBN 978-3-8442-3578-4

Vorwort

Die Frage und Antwort nach Fiktion oder Wahrheit in diesem Buch soll ganz dem Glauben des Lesers überlassen werden, da es mit Absicht stilistisch nicht eindeutig als Roman oder Tatsachenbericht geschrieben wurde.

Um Persönlichkeitsrechte nicht zu verletzen und Einzelne (scheinbar „Wiedererkannte“, sog. „Urbilder“) vor falschen Verdächtigungen zu bewahren, sollten alle Leser folgendes berücksichtigen:

Das Buch wurde in Ich-Form geschrieben, da die erzählten Geschichten mir so zugetragen wurden, wie ich sie heute in Erinnerung habe. Ich begebe mich in den jeweiligen Kapiteln, als Romanfigur „Necmettin“, in den Dienstalltag und schildere meine Erlebnisse.

Die fiktiven Charaktere dieses Buches sind angeregt durch Erzählungen über reale Personen, aber nicht mit ihnen identisch. Die Handlung dieses Buches beansprucht nicht die dokumentarische Darstellung tatsächlicher Vorgänge, in tatsächlicher zeitlicher Reihenfolge zu sein. Darum erhebt dieses Buch auch keinesfalls den Anspruch, die geschilderten Vorgänge könnten wahr sein oder sich so zugetragen haben.

Es wird dem Leser überlassen, ob er sich in die Romanfigur „Necmettin“ hinein versetzt und das Erzählte als Wahr erlebt oder als objektiver, bzw. als allwissender Beobachter das Buch als Fiktion betrachtet.


- In der Erstauflage des Buches: „Der Bibuka“ fehlt die o. a. Erklärung der Autorin. Um jedoch die erwähnten falschen Verdächtigungen angeblicher „Urbilder“ zu verhindern, wurde dieser Text allen Neuauflagen ab 03/09 zugefügt.-

- Dieses Buch ist meinen Kollegen gewidmet -


„Pass auf, was du sagst! Der Türke schreibt sich doch bestimmt alles auf!“ Dieser Satz fiel schon einige Male, wenn bestimmte Kollegen sich in meiner Gegenwart über ihre verbalen Entgleisungen amüsierten.

Als entgleist bezeichne ich diese Aussagen, weil sie vorsichtig ausgedrückt ausländerunfreundlich waren.

Warum meine Kollegen meinten, dass sich „der Türke“, also meine Person, alles aufschreibt, hat seinen Ursprung darin, dass wir Polizeibeamte sind. Und jeder Polizist hat in der Regel stets sein wichtigstes Dienstwerkzeug bei sich und griffbereit. Die Schusswaffe? Die Handschellen? Die Kaffeetasse? Nein! Natürlich nicht. Es ist ein Stift und unser Merkbuch. Und dieses Merkbuch trägt auf seinem Cover sogar den Titel „Merkbuch“.

In dieses kleine Buch wird alles dienstlich Relevante eingetragen, wenn man sich im polizeilichen Einsatz befindet und einen Sachverhalt aufnimmt.

Meine türkische Herkunft war natürlich Anlass genug für meine Kollegen, um unterstellend anzunehmen, dass ich mich angesprochen oder angegriffen fühlte, wenn man in meiner Gegenwart über Ausländer herzog. Auch wenn ich nicht persönlich gemeint war.

Die Kollegen bewegten sich durchaus auf dünnem Eis, da ich mich ja tatsächlich mal hätte beleidigt fühlen können. Eine offizielle Beschwerde bei unseren Vorgesetzten wäre für sie womöglich mit dienstrechtlichen Konsequenzen verbunden gewesen.

Aber es war ja alles Spaß. Wir waren Freunde und sie wollten mich nur ärgern. Natürlich schrieb ich nichts in mein Merkbuch. Ich setzte mich hin und schrieb gleich ein ganzes, ein richtiges Buch.

Mein Beweggrund war nicht der, dass ich meine Kollegen in ein schlechtes Licht rücken wollte. Es ging mir vielmehr darum, ihnen eine andere Sicht der Dinge zu zeigen. Aus dem Betrachtungswinkel des Betroffenen.

Märchen haben im Allgemeinen oft einen sehr schönen Anfang, der mit: „Es war einmal…“ beginnt. Und dann wird eine nette Geschichte erzählt. Ich habe Ihnen auch ein paar Geschichten zu erzählen, die einmal an ganz gewöhnlichen Tagen, unabhängig voneinander, zu verschiedenen Zeiten stattgefunden haben. Nur sind es bei mir keine Märchen. Ich halte mich an reale Geschehen aus meinem dienstlichen Alltag. Um niemandem zu nahe zu treten, habe ich selbstverständlich alle Namen abgeändert.

Zurückblickend staune ich doch über die Fülle des Negativen, das ich in wenigen Jahren beobachtete. Und zwar aus allen Perspektiven.

Um mit meinen Geschichten anzufangen, muss ich ein wenig zurückgehen.

Es waren immer ganz gewöhnliche Tage, an denen ich ganz ungewöhnliche Erlebnisse hatte.

Kapitel 1
Der Teppichhändler

Es war ein ganz gewöhnlicher Samstag, wie ich ihn schon oft erlebt habe. Ich war mal wieder nach Monaten zurück in meiner Heimatstadt. Ein kleines Städtchen, kaum 40 Tausend Einwohner. Zurück sage ich, weil ich hier nicht mehr wohnte, sondern nur meine Freunde an diesem Wochenende besuchte.

Ich erblickte hier das Licht der Welt, für mich war hier alles vertraut. Man könnte sagen, ich kannte die ganze Stadt. Zumindest gab es hier kaum ein Café, ein Bistro, eine Diskothek in die ich mich stellen konnte, ohne dass ich nicht wenigstens eine Person traf, die ich kannte und mit der ich mich unterhalten konnte. Es war schwer für mich, hier in meiner Heimatstadt allein zu sein.

Schon am Freitagnachmittag war ich angereist und bin dann am Abend mit meinen Freunden, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, auf Tour gewesen. Das übliche Wochenend-Wiedersehen-Programm. Erst zu Hause essen, dann in eine Szenekneipe, wo wir mit einigen alkoholischen Getränken vorglühten und Leute trafen, um anschließend nach einem Discobesuch, mit schiefem Blick und lallender Aussprache nach Hause zu fahren.

Kurz nach dem Mittag waren wir dann wach. Man war zwar leicht gerädert, aber ansonsten gut drauf.

Ein ganz gewöhnlicher Samstag, bei ganz gewöhnlich gutem Wetter für einen Junimonat. Wir fühlten uns also den Umständen entsprechend soweit wohl und wollten nach dem ausgiebigen Frühstück noch zum Supermarkt, um einiges fürs verbleibende Wochenende zu kaufen.

Mein Freund Tom und ich befanden uns vor dem Eingangsbereich und hatten den Supermarkt noch nicht betreten. In diesem Moment sah ich Mirko, einen alten Bekannten, der gerade mit schwer bepackten Tüten heraus kam. Wir lächelten und begrüßten uns. Ich kannte ihn noch aus der Grundschule. Über die Jahre sah man sich dann und wann mal. Genau wie an diesem Tag.

Mirko war erfolgreicher Teppichhändler. Aber die Tatsache, dass er ein Sinti, ein Zigeuner, war und einen neuen, großen 5er BMW fuhr, ließ viele Menschen annehmen, dass er kriminell sein musste. Wie soll es auch anders sein? Wo gibt es schon ehrliche Zigeuner? Na jedenfalls nicht hier. Ich kenne keinen. Ich persönlich? Okay, ich vielleicht schon, aber Leute um mich herum? Fast alle glauben, dass es in meiner Heimatstadt keinen ehrlichen Zigeuner gibt. „Man kennt so viele.“ heißt es immer. „Noch aus der Schule von früher. Die haben doch alle Scheiße gebaut.“ war der allgemeine Tenor. Alle und deren Eltern? Da hört man doch auch so viele Geschichten. Jeder kennt eine komische bzw. schlimme Geschichte über irgendeinen Zigeuner. Alles Schläger, Diebe und durch die Bank weg Kriminelle.

Mal Hand aufs Herz, haben sie einen Sinti oder Roma in Ihrem Freundeskreis?

Es war jetzt über drei Jahre her, dass ich Mirko das letzte Mal gesehen hatte. Ich weiß es so genau, da ich damals beruflich noch etwas Anderes machte und noch nicht mit meinem Studium bei der Polizei begonnen hatte.

Da er es von Bekannten gehört hatte, dass ich jetzt Polizist war, sprach er mich darauf an. Ich bestätigte es ihm und erzählte davon, dass ich vor kurzem das Studium beendet hatte und nun Kommissar war. Er freute sich. Nicht nur für mich. „Es ist gut, dass ein Ausländer, ein Türke, Polizist wird.“, sagte er. „Besser für uns.“, meinte er dann noch und schaute mich an.

Mit „uns“ waren alle gemeint, die nicht deutsch waren. Er war aber Deutscher und ich auch. Aber er meinte es anders. Der Beweggrund dieses „uns“ so auszusprechen wie er es tat, zeigte in diesem Moment, wie viel unser Deutschsein in diesem Augenblick wert war. Zumindest aus seiner Sicht. Nämlich nur das berühmte Stück Papier, auf dem es stand. Mirko wusste, dass er für die Meisten nur der dunkelhäutige Zigeuner war, genauso wie ich für „alle“ die mich sahen, der Türke, oftmals auch nur der Kanake war.

 

„Es ist gut für uns, gut für die Türken, wenn du mit denen zu tun hast. Dann kannst du denen helfen, damit sie nicht so schlecht behandelt werden. Viele können doch nicht richtig deutsch. Dann kannste gleich übersetzen, außerdem behandeln doch deine Kollegen die Leute ganz anders, wenn du als türkischer Polizist dabei bist. Oder?“ So ungefähr waren seine Worte. Ich nickte ihm zu und bestätigte, dass es natürlich von Vorteil war Türke zu sein, wenn man mit Türken dienstlich zu tun hatte.

„Aber sei mal ehrlich!“, sagte er dann und beugte sich ein wenig zu mir herüber, um leiser zu sprechen. „Behandeln sie dich jetzt anders, nur weil du Polizist bist?“

Sie. Das waren die Deutschen, die er meinte.

Ich lächelte, weil ich sehen konnte, dass er die Antwort schon kannte. Natürlich nicht. Und er meinte nicht nur den deutschen Bürger, der mir als polizeiliches Gegenüber entgegen trat. Er meinte auch die Kollegen. Und auch hier wusste er, dass es sie gab. Diejenigen, die ein Problem mit mir, mit meiner Person hatten, da ich in ihren Augen kein richtiger, kein echter Deutscher war.

„Es gibt ein paar Kollegen, mit denen ich Probleme hatte, weil ich ausländischer Herkunft bin.“

„Ja, ja, ich weiß. Ich weiß schon. Für die kannst du noch so sehr Bulle sein, für die bleibst du immer der Kanake. Genau wie ich. Ich kann machen was ich will, auftreten wie ich will, die meinen immer, ich habe meine Teppiche geklaut. Für die bin ich immer der scheiß Zigeuner. Ich will gar nicht wissen, wie viele Teppiche ich mehr verkaufen würde, wenn ich kein Sinti wäre.“

In diesem Moment fiel mir ein alter Bekannter ein, mit dem ich früher eine Zeit lang im Verein geboxt hatte. Valid, er war Libanese und hatte einen kleinen Gebrauchtwagenhandel. Nicht besonders groß, ca. 30 Fahrzeuge befanden sich auf seinem Stellplatz. Auch er hatte mir mal gesagt, dass er manches Mal am Verzweifeln gewesen war. Um seine Kunden zu halten oder Neue hinzu zu gewinnen, war er oft mit seinen Preisen weit herunter gegangen. Er hielt es für notwendig, damit er den Kunden einen Anreiz gab, um Fahrzeuge bei ihm, anstatt bei der deutschen Konkurrenz zu kaufen. Die Folge war, dass es sich herum sprach und viele nach kurzer Zeit die Meinung vertraten, dass er als Libanese garantiert die Tachometer der Pkw manipuliert bzw. zurückgedreht haben musste, um so die günstigen Preise anbieten zu können.

Es dauerte kaum ein Jahr und er war gezwungen seinen Gebrauchtwagenhandel wieder zu schließen. Trotz der geringeren Preise bei weitgehend gleicher Qualität.

„Wenn du als Ausländer nicht billiger bist, sagen sie, lass uns lieber beim Deutschen kaufen. Gehst du mit den Preisen runter, nennen sie dich einen Betrüger. Als Ausländer musst du ja was an der Tachoscheibe gemacht haben…“, so waren Valids Worte, als er mir von der Beendigung seines Gewerbes erzählte.

Ich war und bin immer noch davon überzeugt, dass Valid nicht deswegen sein Geschäft schließen musste, weil er Ausländer war. Sicherlich wird es mit dazu beigetragen haben, aber ich kann nicht glauben, dass es ausschlaggebend war. Nicht weil ich meine, dass Valid unfähig war, sondern weil ich weiß, dass die Leute nicht so ausländerfeindlich waren, wie Valid es empfand.

Der Punkt ist jedoch, dass es Gründe gab, die Leuten wie Mirko und Valid das Gefühl gaben, aufgrund ihrer Identität als kriminell betrachtet zu werden.

„Trotz allem! Deine Geschäfte laufen doch gut?“ fragte ich Mirko noch. „Es reicht, aber manchmal frustriert es mich halt, dass sie für den gleichen Teppich bei der Konkurrenz mehr Geld ausgeben.“

Wir unterhielten uns noch ein wenig und verabschiedeten uns. Ich dachte an diesem Tag noch viel über dieses Gespräch nach.

Tom fragte mich nach den Kollegen, die ich Mirko gegenüber erwähnte.

Die, die mit mir ein Problem hatten, weil ich Ausländer war.

Nun, ich war zwar ein Kind, das in einer Kleinstadt aufgewachsen war, aber deshalb war ich nicht weltfremd. Nach meinem Abitur begann ich zunächst ein Wirtschaftsstudium. Bevor ich es nach wenigen Semestern abbrach, um meinem Kindheitstraum bei der Polizei nachzugehen, wusste ich ganz genau, dass es Polizeibeamte gab, die rechtsradikales Gedankengut vertraten. Und ich wusste, dass es nicht immer einfach sein würde als Türke bei der deutschen Polizei. Für mich nicht und für einige Kollegen im Umkehrschluss genauso.

Ein paar Rückblicke sind von Nöten, um Ihnen zu erzählen, was ich meine:

Kapitel 2
Nur Ärger mit den scheiß Kanaken

Es war ein ganz gewöhnlicher Tag. Meine Kommilitonen und ich hatten schon ein Jahr theoretisches Studium an der Polizeifachhochschule hinter uns. Jetzt sollte unser erstes praktisches Studiensemester beginnen. Wir waren zum ersten Mal in Uniform mit Schusswaffe und allem drum und dran dem Bürger bei Seite. Klar war das aufregend und klar hatte man viele dienstliche Fragen, die einem durch meist sehr hilfsbereite Kollegen beantwortet wurden.

Einigen ging man auf den Nerv mit der vielen Fragerei, aber das war bei der Stundenbelastung der Kollegen nur zu gut zu verstehen. Anderen wiederum konnte man anmerken, dass es sie sehr erfreute ihr Wissen weiter zu geben. Und ich nahm es dankend an.

Nach einigen Tagen kam es dazu, dass ein Kollege, mit dem ich mich allein im vorderen Bereich der Wache aufhielt, sich zu mir drehte und folgendes sagte: „Eigentlich kann ich Türken ja nicht leiden, aber wir müssen wohl zusammen arbeiten.“ Er grinste dabei nicht. Nein, er wollte mich nicht auf den Arm nehmen oder so etwas. Er meinte es völlig ernst. Ich war für einen kurzen Augenblick verwirrt, weil ich nicht wusste, was er nun von mir erwartete.

Ich wollte ihn nicht unnötig provozieren und sagte nur: „Man kann nicht alles haben…“ Dann zogen sich seine Mundwinkel langsam zu einem halbherzigen Lächeln und er sagte: „Aber du bist doch bestimmt anders als die anderen! Oder?“

Anders? Fragte ich mich. Nein gar nicht. Ich war einer von vielen Migranten. Meiner türkischen Herkunft sehr wohl bewusst und nicht assimiliert. Auch hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich war durch eine Sondergenehmigung des Innenministeriums als Beamter eingestellt worden. Nicht EU-Bürger, die Beamte werden wollten, mussten eine Erklärung abgeben, dass sie ihre Muttersprache in Wort und Schrift beherrschten. Dann wurden bei Bedarf Ausnahmen zugelassen.

Mit „anders“ meinte er wohl „nicht kriminell“, „kein Schläger“, „kein sonst was“. Aber die Genugtuung gab ich ihm nicht. Ich sagte: „Nein, ich bin nicht anders. Es gibt aber sicherlich einige Türken, die anders sind als die große Masse bei uns und das werden wohl auch die sein, die du nicht magst.“

Er wusste was ich meinte und versuchte jetzt vom Thema abzulenken, indem er mich nach meinem Studium fragte.

Ich antwortete ihm aber nicht auf diese Frage. Ich wollte erst sein Problem mit mir klären. Ich wusste nicht, was er sich bei seiner Bemerkung gedacht hatte. Wollte er mich provozieren, wollte er seinen Gemütszustand ausdrücken? Was war es? Was war es, dass er immerhin das Risiko einging, dass ich mich über ihn beschwere. Ich hätte das Thema an die große Glocke hängen können. Seinen Dienstabteilungsleiter informieren, meinen Ausbildungsbeauftragten der Polizeiinspektion und, und, und. Er hätte sich eine Menge Ärger einhandeln können. Was gab ihm diesen Mut, trotzdem diese Äußerung so stumpf von sich zu geben.

Ich entschloss mich in diesem Moment dazu, ihm meine wahre Meinung zu sagen. Es war zwar eine sehr diskussionswürdige Meinung über die ich auch allein für mich manchmal im stillen Kämmerlein nachdachte, aber es war nun mal meine Meinung.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass du und einige andere Kollegen Probleme mit Ausländern habt. Es ist auch okay, weil die Probleme ja auch über die Zeit irgendwie entstanden sind. Auch musst du mich persönlich nicht mögen. Du darfst dich auch in meiner Gegenwart über Ausländer aufregen, beleidigende Äußerungen aussprechen, zumindest solange die Betroffenen nicht dabei sind. Reg dich ruhig im Streifenwagen, auf der Wache oder sonst wo, wenn wir alleine sind, auf. Bezeichne sie meinetwegen als Kanaken oder so. Aber ich sag dir auch ganz deutlich, dass ich in jedem Fall, wenn ein Ausländer vor uns steht und du ihn in meiner Gegenwart nur deswegen anders oder schlechter behandelst, weil er Ausländer ist, ich dagegen schriftlich vorgehen werde.“

Der Kollege schaute mich an und sagte nur: „Ne, ne, ich behandele Ausländer nicht anders.“

Wer es glaubt, dachte ich mir nur, aber ließ es auf sich beruhen.

Der Kollege versuchte nicht weiter über das Thema zu diskutieren. Er wollte mir anscheinend nur seinen Standpunkt klarmachen und austesten, wie weit er bei mir gehen kann. Ich muss zugeben, dass er das sehr offensiv gemacht hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Problematik um Längen subtiler und unauffälliger anzusprechen. Im Nachhinein denke ich mir, dass er mit meiner Reaktion nur Glück gehabt hatte. Irgendwie muss er gespürt haben, dass ich nicht so sensibel bin und es nicht zum Chef tragen würde.

Trotzdem hatte ich später von diesem und auch anderen, ähnlich gelagerten Erlebnissen befreundeten Kollegen erzählt. Sie hatten wenig Verständnis für meine Reaktion und fragten mich, warum ich nicht bestimmter gegen so eine Einstellung vorginge. Aber zu diesem Punkt möchte ich mich an späterer Stelle noch mal eingehender äußern.


Einige Wochen später war ich mit mehreren anderen Kollegen auf der Wache, als der jugendliche Sohn von einem von ihnen hereinkam. Ich hatte mich gerade auf die Suche nach einem Aktenordner im unteren Bereich eines Regals gemacht. Der Sohn des Kollegen konnte mich nicht gut sehen, da ich nicht nur von ihm abgewandt und in der Hocke saß, sondern auch noch ein großer Schreibtisch uns beide trennte.

„Hallo! Wie war es in der Schule?“ fragte mein Kollege ihn und sein Sohn antwortete ganz aufgeregt: „Oh man, nur Ärger mit den scheiß Kanaken gehabt. Immer dasselbe!“ Meinem Kollegen konnte ich in diesem Moment ins Gesicht schauen. Er hob die Augenbrauen, zog ein Gesicht, als ob ihn etwas peinlich berührte, grinste dann und sagte: „Pass auf, ich hab hier einen ausländischen Kollegen.“ Und deutete dabei auf mich.

Sein Sohn sah mich an, die anderen schmunzelten ein wenig und ich sagte einfach: „Hallo.“

„Na ja, die Ausnahme! Die anderen sind doch alle gleich scheiße!“, sagte er dann und regte sich weiter auf. Anscheinend hatten einige jugendliche Ausländer ihm und seinen Freunden Prügel angedroht.

Sein Vater ging gleich auf den Sachverhalt ein, um nicht die peinliche Situation bezüglich der Äußerungen seines Sohnes ausbügeln zu müssen. Ich hatte jedenfalls den Eindruck. Er fragte gleich, worum es genau ging und ob jemand dabei zu Schaden gekommen war.

Ich saß einfach da. Die anderen gingen entweder ihrer Arbeit nach oder hörten den Beiden zu, um zu erfahren was nun in der Schule vorgefallen war.

Keiner, so schien es, scherte sich einen Dreck um die Frechheit, die der Sohn des Kollegen besaß.

Diese Äußerung noch von sich zu geben, dass alle anderen Ausländer doch gleich scheiße waren, obwohl er sah, dass ein ausländischer Mensch in einer Polizeiuniform neben ihm saß, war für mich unvorstellbar.

Keine Entschuldigung, keine Höflichkeitsfloskel, kein gar nichts. Er beleidigte und quasselte einfach weiter, als sei nichts passiert. Und der größte Witz an der Sache war, dass er mich auch noch als die Ausnahme bezeichnete. Na vielen Dank!

Ich hörte ihm weiter zu und beschloss nichts dazu zu sagen. Sein Vater war mir eigentlich sehr sympathisch gewesen, ich verstand mich gut mit ihm. Nur hätte ich in dieser Situation von ihm erwartet, dass er seinen Sohn wenigstens zu einer Entschuldigung bewegt, anstatt das ganze unter den Teppich zu kehren und so zu tun, als sei nichts gewesen.

Auch wenn ich spürte, dass es ihm in diesem Moment ein wenig peinlich war, wie auch den anderen Kollegen, die später noch ihre Witze über die Situation machten, war ich ein wenig angekratzt.

Ich fing an über meine Sicht der Dinge, über meine Meinung zu dem Thema nachzudenken.

Es war so, wie ich bei meinem ersten persönlichen Erlebnis mit, …na ich will es mal „Ausländerunfreundlichkeit“ nennen, geäußert hatte. So lange das polizeiliche Gegenüber durch Kollegen nicht von einer politisch motivierten Handlung negativ betroffen war, in meiner Gegenwart, tolerierte ich es. Es war mir nicht egal, wie jemand politisch dachte und ob er sich über Kanaken aufregte, aber ich billigte jedem seinen Freiraum. Nur berufliche Professionalität erwartete ich von den Kollegen. Mehr wollte ich nicht. Ich bin mir zwar ganz sicher, dass es viele Leute geben wird, die der Meinung sind, dass meine Einstellung sehr ignorant sei oder zu sehr verharmlose, aber ich bin nicht zur Polizei gegangen, um aktiv gegen politisch rechtsradikales Gedankengut in Kollegenkreisen in jeglicher Form vorzugehen. Ich hatte nie den Wunsch als Teil des Polizeisystems von innen heraus einen Feldzug (wenn ich das mal so nennen darf) zu beginnen. Und bei allem was ich Ihnen noch so erzählen werde in diesem Buch, ein Feldzug ist auch gar nicht nötig.

 

Bei der Situation mit dem Sohn des Kollegen merkte ich nur, dass es für den Jungen etwas ganz Banales war, sich so zu äußern. Er kam nicht im Entferntesten darauf, dass er etwas falsch gemacht haben könnte. Zu Hause sprach er wohl auch so über Ausländer, über Kanaken, so dass er es in Gegenwart seines Vaters auf der Dienststelle genauso tat. Ganz ungezwungen und normal.

So langsam spürte ich, dass wohl doch mehr Kollegen ein gewisses Problem mit Ausländern hatten, als ich ursprünglich annahm. Nicht unbedingt so, dass sie am Wahltag auf dem Stimmzettel die NPD wählen würden, auch wenn es diese Beamten ganz sicherlich gab, sondern eher so, dass sie der Ansicht waren, dass man viele wieder in ihre Herkunftsländer zurückschicken sollte.

Alles sehr wenige Einzelfälle? Nun, ich weiß nicht so recht. Lassen Sie mich noch einmal darüber nachdenken, wenn ich zurück zum Beginn meines Polizeistudiums blicke…