Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert

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V.

Sowohl die Erscheinungen des Poltergeistes als auch die Werbung des unredlichen Architectus brechen als Heimsuchungen über das friedliche Alltagsleben im vertrauten Kreis von Familie, Nachbarschaft und Kundschaft herein. Dieses für die Dramaturgie der Posse und Burleske paradigmatische Motiv wird im Polter-Geist jedoch dadurch unterlaufen, dass am Ende nicht ein redlicher Liebhaber das Herz Angelicas erobert, wie dies in anderen Stücken dieser Gattungen üblich ist. Stattdessen akzentuiert die Schlussszene eine Überzeichnung: Die Ordnung der bürgerlichen Welt wird lediglich im Hinblick auf die Aufdeckung der Vorspiegelungen der vermeintlichen Geistererscheinungen wiederhergestellt.

Das Stück erweist sich damit nicht als eine spöttisch-verzerrende Nachahmung einzelner Momente des Trauerspiels im Sinne einer Parodie; das Ineinander von Lächerlichkeit, Freude an der Regelverletzung und gleichwohl belehrender Absicht verweist vielmehr auf die burleske Tradition, in der das Werk zu verorten ist. Das solchermaßen derb Komische und Possenhafte würdigt, wie Karl Friedrich Flögel in seiner Definition des Burlesken vermerkt, „das Hohe und Wichtige absichtlich“ herab, „um Lachen zu erregen“.1

Die Schwierigkeit, einen Gattungsbegriff zu benennen, der die unterschiedlichen Tendenzen des Stückes erfasst oder zumindest berücksichtigt, indiziert jedoch weniger einen ästhetischen Mangel. Vielmehr zeigt sich, dass diese Termini erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts fest konturierte Bestimmungen erhalten haben, weshalb sie zur Beschreibung eines Werkes des frühen 18. Jahrhunderts nur bedingt zu verwenden sind. Im Hinblick auf die Einordnung des Straßburger Bühnenstückes können diese Bezeichnungen nur dann hilfreich sein, wenn sie zur Charakterisierung einzelner Aspekte herangezogen und die poetologisch wie literaturwissenschaftlich ausdifferenzierten Gattungsdiskurse nachfolgender Jahrhunderte jedoch nicht in Anschlag gebracht werden.

Wesentlich korrespondieren diese Beobachtungen mit der Gattungsbezeichnung „Tragico-Comödie Oder vermisches Traur und Lust-Spiel“, die dem Stück beigelegt ist. Der Begriff ist zwar bereits bei antiken Dramatikern zu finden und wurde seit der Renaissance neuerlich verwandt, gleichwohl bestand stets die Schwierigkeit einer genaueren Bestimmung.2 Im Hinblick auf den Eingefleischten Polter-Geist ist das Ineinander von tragischen und komischen Elementen, das die Gattungsbezeichnung impliziert, nur bedingt auszumachen.3 Auch wird kein im Sinne der antiken Tradition tragischer Konflikt verhandelt, vielmehr werden die Guten zu Opfern des Bösen. Im Gegensatz zu der Anlage der Figuren in einer Posse sind jedoch tugend- und lasterhafte Personen nicht deutlich voneinander geschieden, so dass eine satirisch-verzeichnende Vorführung menschlicher Schwächen dominiert. Im Sinne der Definition, die Johann Christoph Gottsched in dem Versuch einer critischen Dichtkunst formuliert, erfüllt das Werk die Merkmale einer Komödie als „Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann“.4

Andererseits erscheint die Bezeichnung Tragikomödie im 17. Jahrhundert „willkürlich für die Stücke […] deutscher Wanderbühnen“, so dass die Verwendung des Begriffs als ein Hinweis auf den entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang gelesen werden kann, dem der Polter-Geist wahrscheinlich zuzuordnen ist.5 Da die Repertoires der Wanderbühnen jedoch aufgrund fehlender Quellen „nur unvollkommen zu rekonstruieren“ sind, muss die Zuordnung der Handlungsschemata und Motive des Straßburger Drucks zu dieser Tradition Vermutung bleiben.6

Die solchermaßen zu konstatierende Diskrepanz zwischen der Gattungsbezeichnung auf der Titelseite und dem burlesk-komischen Bühnengeschehen gehört daher ebenfalls zu den Eigentümlichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Werk festzuhalten sind.

VI.

Neben dem abergläubischen Spengler, seinem Gesellen Pancratz, seiner Tochter und deren Verehrer ist Arlequin, „ein offentlicher Außschreyer“, wie das Dramatis personae mit Hinweis auf seine Funktion verzeichnet, die interessanteste Figur des Schauspiels.1 Er gewinnt ebenso wenig personale Eigenschaften wie die anderen Figuren; wie das solchermaßen zur typischen Allgemeinheit ausgeweitete Figureninventar im Hinblick auf Anlage und Konzeption der Figuren den Vorbildern des italienischen, spanischen und französischen Lachtheaters verpflichtet ist.

Gleichwohl hat die Gestalt in dem Straßburger Stück mit dieser Tradition lediglich den Namen gemeinsam: Arlequin ist kein naiver und bauernschlauer Typ, voller Fehler, jedoch gewandt, derb, lebenslustig und volksverbunden; stattdessen überbringt er Nachrichten, berichtet von Ereignissen, die außerhalb des Bühnenraumes stattgefunden haben und kommentiert das Bühnengeschehen. Indem er im fünften Auftritt des ersten Aktes erstmals allein vor das Publikum tritt und sowohl über das vermeintliche Erscheinen eines Poltergeistes in dem Haus des Spenglers räsoniert als auch über die Liebesgeschichte zwischen Angelica und dem Herrn Architectus, wird zudem die ihm zugeordnete Funktion sichtbar, die beiden parallelen Handlungen des Stückes miteinander in Beziehung zu setzen:

Die Gespenstereyen und die Jungferschafften seind zwey starcke Aequivoca; nur findet sich dieser merckliche Unterscheid bey beyden / daß es bey einem Theil viel stiller hergehet als bey dem andern. Dem sey nun wie ihm woll / deß Simplicius Hauß ist jetzund verschreyet; es mag eine Kunst / eine Betrügerey oder eine überirdische Macht seyn. Einige glauben / es stecke eine heimliche Liebes-Intrigue mit der Magd und der Tochter darhinter. Angelica ist nicht verwerflich. Die Natur stößt dem ersten Muthwillen bey ihr aus und hat sie schon dem gemeinen Gerücht nach etliche Vornehme / die ihr ihre Seuffzer wiedmen.2

Diese Funktion eines am Geschehen wesentlich unbeteiligten Boten korrespondiert mit dem Amt eines öffentlichen Ausschreiers, das ihn dem Gegen- bzw. Miteinander der anderen Figuren enthebt. So ist es folgerichtig, dass Arlequin den beiden Studenten, die nicht an die Existenz eines Poltergeistes geglaubt und stattdessen eine natürliche Ursache der Erscheinungen vermutet haben, schließlich davon berichtet, auf welche Weise Pancratz seiner Betrügereien überführt werden konnte:

Zu allem Glücke befande sich unter den Wächtern ein gleichfalls sehr geschwinder / der das flüchtige Gespenst noch ersahe; Dieser lieffe ihm aus allen Kräfften nach und erwischte ihn / damit hat diesem eingefleischten Polter-Geist nicht allein seinen verlassenen Rock wiederumb zugestellet / sondern ihm noch darzu einen steinernen Mantel angelegt.3

Dass Arlequin keine lustige Person ist, die durch ihr Ungeschick, ihre Triebhaftigkeit oder Gefräßigkeit Lachen evoziert, sondern als Bote figuriert, dokumentiert, wie Elemente der Commedia dell’arte im deutschen Theater der Zeit aufgenommen, überformt und verwandelt wurden. Die Figur hat die dramaturgische Signifikanz, die ihr in der italienischen Tradition erwachsen ist, eingebüßt und trägt lediglich noch deren Namen.

Ein weiteres Moment, das im Lachtheater des romanischen Kulturkreises ausgebildet worden ist und das auch im Polter-Geist eine dramaturgische Funktion hat, sind musikalische Einlagen in Form von Liedern. Bereits im Dramatis personae deutet sich dies an, da unter den auftretenden Figuren auch „[e]inige Musicanten“ genannt werden.4

Die Bedeutung, die den Liedern zukommt, zeigt sich beispielsweise im zweiten Auftritt des ersten Aktes. Hier enthüllt der Architectus in einem Monolog seine wahren Absichten; der sieben Mal wiederkehrende Refrain des Liedes, das er anstimmt, bringt diese auf die prägnante Formel: „Lieber ungetreu als todt.“5 Das Lied unterstreicht die inhaltliche Aussage, indem es durch den Gattungswechsel (von der ungebundenen Figurenrede zur gebundenen Form des gesungenen Liedes) die Aufmerksamkeit des Publikums erneut weckt.

Das Burleske und Komische, das bereits in diesem ersten Lied des Schauspiels aufscheint, ist in allen anderen Gesangseinlagen ebenfalls zu beobachten: Arlequin berichtet im fünften Auftritt des ersten Aktes davon, dass es sich ohne die Liebe besser lebt und empfiehlt bereits den ersten Anflug von Verliebtheit im Wein zu ertränken,6 Angelica trägt im achten Auftritt des ersten Aktes ein in jeder Hinsicht übertriebenes Gedicht des Herrn Architectus vor, das die Ernsthaftigkeit seiner Werbung unterstreichen soll, aber ironischer Weise genau das Gegenteil verdeutlicht,7 wie auch die Einlagen des neunten Auftritts des zweiten Aktes den hohen Ton der Liebeswerbung parodieren, was durch die Begleitung von Viola da Gamba, Viola da Gamba Basso und Flöte noch unterstrichen wird,8 Angelicas Lied im vierten Auftritt des zweiten Aktes ist ein ebenso ironisches Lob der Untreue9 und in den letzten beiden Auftritten des vierten Aktes veranschaulichen die abwechselnd von Laute, Guitarre, Theorbe, Leier und Dudelsack begleiteten Lieder das Unpassende des Paares, das sich gegen alle Wahrscheinlichkeit und Moral in einer unziemlichen Verbindung gefunden hat.10

Lediglich die Lieder im jeweils zehnten Auftritt des ersten und dritten Aktes widersprechen diesem Schema: Eine Reihe von „Geister[n] erscheinet und erhellet mit ihren Fackeln das Theater“.11 Ihr Gesang thematisiert einerseits menschliche Heimsuchungen (wie Mord, Krieg und Pestilenz), andererseits die Schrecken und das Unbegreifliche der jenseitigen Welt. Diese Inszenierung übernatürlicher Erscheinungen, deren Wahrheit textimmanent nicht in Frage gestellt wird, kontrastiert mit der Gestalt des Poltergeistes, der, wie eingangs gezeigt, bereits zu Beginn des Stückes als bewusste Täuschung enthüllt wird und so die Existenz von Kräften, welche die sinnlich wahrnehmbare Welt übersteigen, negiert.

 

Auf diese Weise veranschaulichen die „Gespenster von unterschiedenen abscheulichen Mißgestalten“,12 dass das Schauspiel nicht als ein inhaltlich oder formal geschlossenes Kunstwerk angelegt ist, sondern auf die Unterhaltung seines Publikums durch Effekte sowie überraschende Momente und Wendungen ausgerichtet ist. Zugleich wird sichtbar, dass die Motive, die auf den englischen Bühnen nach William Shakespeare verbreitet waren – wie eben das Auftreten übernatürlicher Erscheinungen (Hexen, Geister, Feen) –, durch wandernde Schauspieltruppen auch auf dem Kontinent bekannt wurden und schließlich Eingang in das deutschsprachige Theater des 17. und 18. Jahrhunderts fanden. Die ästhetische Signifikanz und gedankliche Programmatik, die ihnen im Werk Shakespeares zukommt, sind im Prozess dieser popularisierenden Bearbeitungen und Adaptionen allerdings der Präferenz für die Wirkung der Bühnenerscheinungen auf das Publikum gewichen.

Weil die Auftritte der Geister jeweils am Ende des letzten Auftritts eines Aktes stehen, können sie jedoch auch als Zwischenspiele gedeutet werden, welche die zeitlichen Pausen überbrücken, die für den Kulissen- und Kostümwechsel notwendig sind. In diesem Sinne sind die beiden Szenen nicht im Hinblick auf ihren möglichen Verweischarakter oder einen allegorischen Bezug zur Handlung des Polter-Geistes zu untersuchen, vielmehr sind sie ein weiteres Indiz für die Herkunft des Werkes aus dem Repertoire einer Wanderbühne. Hier waren Intermezzi allein aus dem Grund beliebt, weil sie die Möglichkeit eröffneten, dem Publikum auch solche Effekte oder schauspielerische Fähigkeiten vorzuführen, die im Hauptstück nicht dargeboten werden konnten.

Das Supplement, das dem Werk auf den Seiten 137 bis 151 beigegeben ist, ist ebenfalls in einem solchen Zusammenhang zu verorten, denn die launige Ballade über den „Wein-Jud Simon Gabriel“ steht in keiner inhaltlichen Beziehung zu den Handlungen des Polter-Geistes.13 Als ein derbes, ebenfalls possenhaftes Nachspiel gelesen, verweist der lyrische Monolog somit auch auf den Ursprung des Werkes im Repertoire einer Wandertruppe.

VII.

Warum das Stück 1722 in dieser Form zum Druck befördert wurde, ist nicht zu erklären. Die umherziehenden Schauspielgesellschaften hatten wenig Interesse daran, ihren jeweiligen Bestand an Stücken öffentlich und damit auch anderen Truppen zugänglich zu machen. Auch der possenhaft-burleske Charakter des Werkes, das die Konventionen der traditionellen Komödie hinter sich lässt, spricht gegen eine Publikation. Andererseits schmückt sich der unbekannte Verfasser nur allzu deutlich mit Gräzismen, so dass der Bildungshorizont, auf den solchermaßen verwiesen wird, denjenigen des Publikums, welches das Stück zu adressieren scheint, übersteigt.1

Ein Blick auf die Geschichte der Schauspielbühnen im Straßburg des frühen 18. Jahrhunderts vermag ebenfalls keine Einsichten zu Geschichte und Hintergrund des Polter-Geist zu liefern, dokumentiert allerdings das Nebeneinander deutscher, französischer und englischer Einflüsse sowie die Koexistenz einer französisch dominierten städtischen Bühne und umherziehender, deutscher Schauspieltruppen. So kamen im städtischen Opernhaus auch Schauspiele zur Aufführung. Jean Martin François Théodore Lobstein, der die Geschichte des Theaters in der ehemaligen Reichsstadt untersucht hat, schreibt über die Direktion dieser Bühne in den fraglichen Jahren:

Am 31ten Mai 1721 erlangte Jakob Gardinier von Dublin, die Erlaubniß auf dem Stadt-Theater italiänische Comödien zu spielen. Der Magistrat wohnte auf Einladung einer Vorstellung bei, wofür der Direktor ein Geschenk von 160 Livres erhielt.

Am 9ten Juli 1722 gieng die französische Direktion [die zuvor in den Händen der Herren le la Voye und Gaudin lag; S. S.] auf Pierre du Cornier, comédien de Mgr. le duc de Bourbon über, welcher das Rücksichten, von dem Miethzins des Hauses befreit blieb bis zum 15ten August 1727, wo ihm eine monatliche Miethe von 50 Liv. auferlegt wurde.2

Die Aufführungen der deutschen Truppen fanden in den Häusern unterschiedlicher Handwerkszünfte statt:

Indessen spielten deutsche Gesellschaften in dem Zunfthaus zur Tucherstube, unter andern 1716 eine von Stralsund, unter der bloßen Bedingung an den Tagen der französischen Komödie keine Vorstellung zu geben.

Die Theater-Lust fieng in jener Zeit zu Straßburg an allgemein zu werden, besonders fanden deutsche Gesellschaften ihre Rechnung, so daß die Zünfte um die Wette ihre Lokalitäten zur Miethe anboten. Die Maurer-, die Tucher- und die Gerber-Zunft wollten Theater aufbauen.3

Möglicherweise ist die Geschichte des Spenglers Simplicius einem solchen Entstehungszusammenhang zuzuordnen. Die Fokussierung auf die Welt des Handwerks und die Darstellung einer entsprechenden Lebenswirklichkeit auf der Bühne lassen sich zumindest auf diese Weise verstehen.

Curt von Faber rubriziert das Werk unter der Überschrift „The Grotesquely Comical“ und deutet es als ein Volksstück:4 Er schreibt: „A Strasbourg folk play, dealing with the story of an attempted fraud performed by an apprentice raised a ghost.“5 Zudem macht der gelehrte Bibliophile auf die inhaltlichen Parallelen zwischen dem Polter-Geist und dem 1680 unter dem Pseudonym (möglicherweise handelt es sich auch um ein Anagramm) Christian von Gletelberg in Nürnberg veröffentlichten Stück Eryfila. Oder Die Verrrathene Zauber- und Wahrsager-Kunst aufmerksam: „The plot is the same as in Gletelberg’s play, but the milieu is middle class: a Strasbourg tinsmith, named Simplicius after Grimmelshausens’s hero, and this wife Unckenplutz are the deceived ones.“6

Markus Paul, der sich im Rahmen einer Studie mit dem Nürnberger Theater des 17. Jahrhunderts beschäftigt hat, schreibt über dieses Stück:

Von einem Mitglied des Pegenesischen Blumenordens stammt möglicherweise auch das 1680 in Nürnberg im Endterschen Verlag unter dem Pseudonym „Christian à Gletelberg“ erschienenen Stück Eryfila. Oder die Verrathene Zauber= und Wahr-sager=Kunst. Laut Vorrede basiert das 272 Seiten umfassende Werk auf einem französischen Schauspiel, dessen ursprünglichen Autor der Übersetzer nicht zu nennen vermag. Bemerkenswert ist, daß sich in der Vorrede nicht nur ein verstecktes Zitat aus dem Schauspielkapitel von Birkens Poetik findet, sondern dem Stück auch ein Begleitgedicht in sechs Strophen beigegeben ist, das von niemand anderem als dem ‚Pegnitzschäfer‘ Johann Gabriel Meyer unterzeichnet ist. Dabei geht es in dem auf moralische Belehrung abzielenden Stück um die als „Ertz-Aeffin deß Teufels“ titulierte Zauberin Eryfila und um allerlei Verwirrungen, Zauber- und Wahrsagerei. Gespenster, schwarze Kunst sowie den Teufel, der Tiere in Menschen verwandelt[.]7

Die Parallele zwischen den beiden Werken, auf die von Faber hinweist, besteht darin, dass die Geister keine überirdischen Erscheinungen sind, sondern durch menschliche Kunstfertigkeit in der Absicht hervorgerufen werden, andere Menschen zu täuschen. Weil die bewusste Täuschung und willentliche Irreführung einer Mehrzahl von Figuren durch eine einzelne bereits in mittelalterlichen Schwankerzählungen zu finden und spätestens seit Pedro Calderón de la Barcas La Dama duende auch ein beliebtes Motiv der Komödie ist, erscheint von Fabers Überlegung allerdings wenig schlüssig.

Die didaktische Intention tritt in dem Nürnberger Stück, das durchweg als ein Lustspiel angelegt ist, zwar deutlicher hervor als in dem Straßburger Stück; gemeinsam ist beiden jedoch, dass bereits zu Beginn herausgestellt wird, dass keines der auf der Bühne zu sehenden Gespenster Realität besitzt. In diesem Sinne heißt es in der Vorrede zu Eryfila:

Erschrecke nicht allzusehr / geneigter Leser / ob dem ersten Anblick dieses Lust-Spiels / und laß dich ja nicht von einigem Grauen so har urplötzlich überfallen werden / daß du etwa aus unzeitiger Beysorge / ob möchten diese Larv- und Schreck-Gesichter dir die anmutige Nach-Ruhe verstören / und schreckbare Träume verursachen / dieses Büchlein zu kaufen und durchzublättern Bedencken tragen wolltest. Es ist und bleibt ein Lust-Spiel / in dem Wahr-sagen hier als Mahr-sagen / Geheim-Geister als Träum-Geister / Hand- und Stirn-Deutungen als Tand- und Hirn-Theidungen / und mit einem Wort / unter Zäuberern und Räubern / wie wie hierinn beschrieben werden / kein andrer Unterschied gemacht wird / als daß diese mit offenbarer Gewaltthäthigkeit / jene mit allerhand verdeckten Räncken und heimlichen Griffen / die Leid um das Ihrige bringen.8

Die rationale Haltung, welche die Autoren beider Stücke akzentuieren, die Kritik an Leichtgläubigkeit und Aberglauben und die Betonung des Nutzens des literarischen Spiels und daraus zu ziehender Lehren für den Zuschauer, spiegeln Aspekte einer poetologischen Programmatik, die im weiteren Verlauf der literarischen Aufklärung zur Entfaltung gelangen sollte, aber in den Übergängen von Barock und Frühaufklärung schon erkennbar sind.

Während das Nürnberger Stück bereits in seinem Titel auf eine französische Vorlage verweist, Christian von Gletelberg als Übersetzer desselben vor den Leser tritt und die Hinweise auf Bühnenwerke Molières den Bildungshorizont des unbekannten Verfassers und seines Publikums anzeigen, zeigt das Straßburger Stück die Vielfalt an Formen, Inhalten und Traditionen, die für die Bühnen des Barock vor „der klassizistischen Reinigung der Schaubühne“ kennzeichnend ist.9 Nicht die Geschlossenheit der Form und der Handlung, die Symbolhaftigkeit der dargestellten Welt oder das Individuelle der Personen stehen im Vordergrund; stattdessen weist das Stück durch die Reihung von komischen Szenen, Dialogen und Verwicklungen sowie durch das Typenhafte der Figuren auf eine Poetik, die an der unterhaltenden Wirkung des Bühnengeschehens orientiert ist. Das Nebeneinander zweier Handlungen, die Erweiterung um Szenen, denen die Funktion von Zwischenspielen zukommt und die Ergänzung um ein Nachspiel, erscheint daher lediglich aus der Perspektive eines Werkbegriffes als defizitär, der zwischen Sturm und Drang und Romantik entwickelt worden ist. Indem das Straßburger Stück jedoch nicht vor dem Hintergrund der theoretischen Erwägungen späterer Generationen entstanden ist, können diese (ihrerseits nunmehr historischen) Begriffe auch nicht zu seiner Einordnung herangezogen werden.

In diesem Sinne ist der Polter-Geist das seltene Beispiel eines jener Volksstücke, mit denen Wandertruppen des frühen 18. Jahrhunderts ihr ungebildetes (weil nicht belesenes) Publikum unterhielten. Als ein Werk des Überganges steht es zwischen Mündlichkeit im Sinne theatralischer Performanz und Schriftlichkeit im Sinne einer sich ausbildenden Literarizität; es verbindet zwar Momente der französischen, italienischen und englischen Theatertradition, hat sich jedoch bereits von den damit verbundenen Konventionen gelöst. Es ist unterhaltend, erhebt auf eine implizite Weise aber bereits den Anspruch, zugleich lehrreich zu sein.

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