An neuer Küste, mit alter Gesinnung

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An neuer Küste, mit alter Gesinnung
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Dirk Nordhoff/ Dominique Hansen/ Marius Münstermann (Hg.)

An neuer Küste, mit alter Gesinnung

Hans Paasche und seine Kritik am Kolonialismus im Deutschen Kaiserreich

Impressum

ISBN 978-3-940621-92-4 (epub)

ISBN 978-3-940621-93-1 (pdf)

Die Digitalisate basieren auf folgenden Ausgaben aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags:Paasche, Hans, Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland, Hamburg 1928

ders., Das verlorene Afrika, in: Flugschriften des Bundes Neues Vaterland, 16, Berlin 1919 , S. 3-19

ders., Meine Mitschuld am Weltkriege, in: Flugschriften des Bundes Neues Vaterland; 6, Berlin 1919, S. 4-10

Bearbeitung und einleitendes Essay von Dirk Nordhoff, Dominique Hansen und Marius Münstermann

Die Marke „100% - vollständig, kommentiert, relevant“ steht für den hohen Anspruch, mehrfach kontrollierte Digitalisate klassischer Literatur anzubieten, die – anders als auf den Gegenleseportalen unterschiedlicher Digitalisierungsprojekte – exakt der Vorlage entsprechen. Antrieb für unser Digitalisierungsprojekt war die Erfahrung, dass die im Internet verfügbaren Klassiker meist unvollständig und sehr fehlerhaft sind.

© Vergangenheitsverlag, 2011 – www.vergangenheitsverlag.de


eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland

2.1. Erster Brief

2.2. Zweiter Brief

2.3. Dritter Brief

2.4. Vierter Brief

2.5. Fünfter Brief

2.6. Sechster Brief

2.7. Siebenter Brief

2.8. Achter Brief

2.9. Neunter Brief

3. Flugschriften

3.1. Meine Mitschuld am Weltkriege

3.2. Das verlorene Afrika

4. Bibliografie

4.1. Kolonialismus

4.2. Biografisches zu Hans Paasche

4.3. Weitere Schriften von Paasche

1. Einleitung

Diese Quellenedition versammelt drei eindrückliche Texte des ehemaligen Kolonialsoldaten Hans Paasche. Heute ist sein Name beinahe in Vergessenheit geraten. Doch unter den wenigen öffentlichen Kritikern der nationalistischen und imperialistischen Politik des Kaiserreichs ist er eine besonders spannende Persönlichkeit. Paasche steht für ein zeitloses Ideal, mit dem wir uns heute noch identifizieren können: die Erkenntnis, dass man aus seinem alten Leben ausbrechen kann, wenn man es für falsch und fehlgeleitet hält.

Hans Paasche machte einen für das Deutsche Kaiserreich ungewöhnlichen Prozess durch, der durch seine Texte gut dokumentiert ist. Vom unkritischen Bürger und regierungstreuen Offizier, der in Deutsch-Ostafrika Aufstände niederschlug, wurde Paasche zu einem kritischen Pazifisten und Idealisten, der öffentlich anprangerte, was er bald für falsch, unmoralisch und gefährlich hielt, nämlich die Unterdrückung in den deutschen Kolonien, Kriegstreiberei und Militarismus. Sein reflektiertes Denken verleiht seinen Werken eine hohe Glaubwürdigkeit. Paasche kritisierte nicht nur andere, sondern immer auch sich selbst und seine eigene Vergangenheit. Mit Sorge beobachtete er, wie nationalistisch angestachelt und aufgerüstet das deutsche Kaiserreich war. Er selbst erlebte noch den verheerenden Ausgang des Ersten Weltkriegs. Wohin der extreme Nationalismus Deutschland führen sollte, konnte er jedoch nur ahnen – Paasche wurde 1920 erschossen.

Mit dem Wissen der Nachgeborenen erscheinen uns Paasches Texte heute erstaunlich hellsichtig. Was für ein Mensch war dieser Hans Paasche?i Er wurde am 3. April 1881 als Johannes Albert Ferdinand in Rostock geboren und wuchs in Berlin auf. Seine Mutter war eine wenig bekannte Schriftstellerin, sein Vater, Herman Paasche, hingegen eine Person des öffentlichen Lebens. Zwischen Politik und Wirtschaft zu Hause, war der Vater Abgeordneter der Nationalliberalen Partei im Reichstag, zeitweise sogar dessen Vizepräsident und daneben Nationalökonom, einflussreicher Aktionär und Lobbyist. Hans Paasche wuchs behütet auf und erhielt an einem noblen Gymnasium den seinem gutbürgerlichen Stand angemessenen Unterricht. Seine Eltern wünschten, dass er eine Laufbahn als Professor einschlagen würde. Stattdessen wurde er Soldat und ging zur Marine, wo er relativ zügig Karriere machte. Schon mit Anfang 20 fuhr er 1904 als Offizier auf einem Schiff Patrouillen vor der Küste Deutsch-Ostafrikas (heute Tansania). Diese größte Kolonie des Kaiserreichs war fast doppelt so groß wie das damalige Deutschland. Ungefähr ein Jahr war Hans Paasche dort eingesetzt, dann kam es zu einem Aufstand, der heute als „Maji-Maji-Aufstand“ bekannt ist. Paasche wurde als militärischer Befehlshaber tief darin verwickelt: Er befahl Erschießungen, ließ ganze Dörfer niederbrennen und tötete eigenhändig. Sein Einsatz in Afrika sollte sein weiteres Leben prägen. Einerseits empfand er Schuldgefühle, die er später in Texten verarbeitete. Auch in den für diese Publikation ausgewählten Quellen sind solche Gefühle nachzulesen. Andererseits wurde während Paasches Soldatenzeit seine Faszination für die afrikanische Natur und Lebensweise geweckt. Bis zu seinem Tod schrieb er über Afrika, hielt Vorträge und brachte Fotos nach Deutschland.

Während viele zeitgenössische Darstellungen die Wirklichkeit in den deutschen Kolonien verzerrten, behandelte Paasche auch jene Aspekte, die andere verschwiegen. So war die Kontrolle der Kolonialherren über die afrikanischen Gebiete längst nicht so groß, wie sie gerne dargestellt wurde. Eine vergleichsweise kleine Zahl von Europäern fand eine ihnen zutiefst befremdliche und Angst einflößende Welt vor: tropische Krankheiten, vermeintlich „wilde“ Einheimische und ein riesiges, unkontrollierbares Territorium. Paasches persönliche Berichte geben uns einen einzigartigen Einblick in die Denkmuster der deutschen Soldaten und Kolonialbeamten. Vor allem in seinen späteren Texten prangerte Paasche den Rassismus deutlich an. Er zeigt, welche Folgen die Vorstellung, die Deutschen seien anderen Völkern zivilisatorisch und kulturell überlegen, in den Kolonien hatte. Im Zuge seines allmählichen Sinneswandels entwickelte Paasche nicht nur großes Verständnis für die Kultur der Unterdrückten, er gab ihnen auch eine Stimme.

Es war jedoch kein rasanter Bruch, den Paasche mit seiner Vergangenheit vollzog, vielmehr spiegeln seine Texte einen langsamen Sinneswandel wieder. Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie schwer es ihm anscheinend fiel, sich von seinem Leben beim Militär zu lösen. Zwar wurde er 1909 aus der kaiserlichen Marine entlassen und näherte sich in den nächsten Jahren immer stärker pazifistischen Idealen an. Dabei ging er auch Konflikten mit Ehrengerichten und anderen Soldaten nicht aus dem Weg. Doch als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich Paasche erneut freiwillig. Glaubt man seinen eigenen Ausführungen, war er wie viele Zeitgenossen der Meinung, Deutschland führe einen Verteidigungskrieg. Paasche wurde allerdings noch mitten im Krieg, Anfang 1916, wieder entlassen. Einiges spricht dafür, dass er im Militär unangenehm auffiel und mit seinem kritischen Querdenken die Moral untergrub. Der Bruch, den Paasche danach immer konsequenter vollzog, scheint sämtliche Lebensbereiche umfasst zu haben. Aus dem Soldaten Paasche wurde schließlich ein Pazifist, aus dem begabten Jäger ein Vegetarier, der sich für den Tierschutz engagierte, und aus dem Großstadtmenschen ein Naturromantiker und Kritiker des industrialisierten Lebens, der sich nach seiner Rückkehr aus dem Krieg mit seiner Familie auf ein Gut in Posen zurückzog.

Eine öffentliche Erscheinung blieb Paasche dennoch, weil er als Schriftsteller die Anfälligkeit der Deutschen für Militarismus und unkritischen Gehorsam scharf kritisierte. Bereits 1907 hatte er erste Texte geschrieben und sogar die ausgedehnten Flitterwochen mit seiner Frau Ellen 1909 und 1910 für eine Art Forschungsreise durch die deutschen Kolonien in Ostafrika und den belgischen Kongo genutzt.ii Später jedoch nannte Hans Paasche die in dieser Zeit entstandenen, unkritischen Texte über Afrika selbst „verlogen“. Vor allem in seinen letzten Lebensjahren schrieb er deutlich kritischer. In dieser Quellenedition werden deshalb als frühester Quellentext die Briefgeschichten von „Lukanga Mukara“ verwendet, die noch vor dem Ersten Weltkrieg entstanden und gewissermaßen den Übergang in Paasches politische Phase markieren.

 

Ein gutes Jahr nach seiner Entlassung aus dem Militär provozierte Hans Paasche die ihm gegenüber ohnehin schon misstrauischen Behörden, indem er mit französischen Kriegsgefangenen auf seinem Familiengut den französischen Nationalfeiertag feierte und die französische Nationalhymne spielen ließ. 1917, mitten im Krieg, brachte diese Fraternisierung mit dem französischen „Erbfeind“ ihm einen Gerichtsprozess als vermeintlicher Landes- und Hochverräter ein. Der frühere Marineoffizier Paasche wurde zu einer Haftstrafe verurteilt und saß 13 Monate im Gefängnis. 1918 befreiten ihn während der Novemberrevolution Matrosen aus dieser Haft und wählten ihn in einen der damals entstehenden Soldatenräte. Wäre seine Frau Ellen nicht kurz darauf an der spanischen Grippe gestorben – vielleicht wäre Paasche ein oppositioneller Parlamentarier geworden. So aber zog er sich auf sein Gut in Posen zurück und schrieb die heftigsten Anklageschriften seines Lebens. Nicht ohne Folgen: Schließlich erschienen am 21. Mai 1920 bewaffnete Soldaten auf dem Gut. Die Berliner Sicherheitspolizei hatte einen Hinweis bekommen, dass Hans Paasche angeblich Waffen für den Widerstandskampf der Kommunisten dort verstecken würde. Daraufhin rückte ein Schutzregiment der Reichswehr zur Hausdurchsuchung bei Paasche an. Unter welchen Umständen Paasche zu Tode kam, ist bis heute unklar. Die vorherrschende Deutung ist die, dass die Hausdurchsuchung ein Vorwand gewesen sei, zumal keine Waffen gefunden wurden. Hans Paasche wurde offenbar beim Baden im See überrascht und niedergeschossen, als er versuchte, vor den ihm auflauernden Soldaten zu fliehen. Es bleiben Paasches Texte, die Zeugnis über sein engagiertes Leben ablegen.

Für diese Edition stehen drei seiner Texte als Quellen zur Verfügung: „Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland“ und zwei Flugsschriften von Paasche: „Meine Mitschuld am Weltkriege“ und „Das verlorene Afrika“. Die Originaltexte sind an die neue deutsche Rechtschreibung angepasst. Fehler in den Originalen wurden behutsam verbessert.

2. Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland

„Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland“ ist ein von Hans Paasche verfasster Briefroman. Paasche benutzt in diesem Werk die fiktive Figur des „Lukanga Mukara“, eines Afrikaners der von seinem König „Mukama“ ausgesandt wurde, um andere Länder, Völker und Sitten zu erforschen. Die insgesamt neun Briefe an den König sind aus der Sicht von Lukanga geschrieben. In ihnen berichtet er von seinem Aufenthalt in Deutschland vom Mai 1912 bis zum Oktober 1913. Durch den kindlich-naiven Blick von Lukanga auf eine fremde Kultur übt Paasche eine indirekte Kritik an der damaligen deutschen Gesellschaft aus. Zu den Themen dieser Kritik gehören unter anderem die Kolonialpolitik und der Kulturimperialismus des wilhelminischen Kaiserreiches.

Die ersten sechs der insgesamt neun Briefe erschienen bereits zwischen 1912 und 1913 in der Zeitschrift „Der Vortrupp“, die von Hans Paasche und Hermann Popert im Alfred Janssen Verlag herausgegeben wurde. Da während des Ersten Weltkriegs die deutschen Militärbehörden die Veröffentlichung der Lukanga-Briefe in Buchform verboten, kam es dazu, dass der gesamte Roman erst 1921, ungefähr ein Jahr nach Hans Paasches Tod, erscheinen sollte. Herausgegeben wurde das Buch von Franziskus Hähnel „auf Veranlassung Hans Paasches“ in Hamburg. Der damalige Außentitel lautete: „Die neun Briefe des Negers Lukanga Mukara“.iii Die gesammelte Version erreichte deutlich mehr Leser als die Briefe im Vortrupp. Vor allem bei jugendlichen Lesern war Paasche zeitweise sehr populär.

Der hier vorliegende Text beruht auf der 6. Auflage des von Franziskus Hähnel herausgegebenen Buches. Sie erschien unter dem Titel „Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschlands“ im Fackelreiter Verlag in Hamburg, Bergedorf. Diese Auflage wurde ohne Angabe eines Erscheinungsjahres veröffentlicht.

2.1. Erster Brief

Berlin, den 1. Mai 1912.

Omukama! Großer und einziger König!

Ich schreibe Dir als Dein gehorsamer Diener, den Du aussandtest, zu sehen ob es einen König gebe, der Dir gleiche und ob ein Land sei, das von Menschen bewohnt, den Menschen mehr zu bieten habe als Dein Land Kitara, das Land der langhörnigen Rinder.

Lass mich die Antwort auf diese Fragen gleich vorwegnehmen: es gibt kein solches Land, es gibt keinen solchen König.

Was ich auf meiner weiten Reise sah, ist aber wert, dass Du es wissest und wenn ich gesund heimkehre, kann ich es Dir auch selbst erzählen und Du erfährst es dann genauer, als wenn Dir Ibrahimu, der Mann von der Küste, meinen Brief alleine und wenn es Dein Wille ist noch öfter im Kreise Deiner Wakunguiv vorliest.

Als Du mir zu reisen befahlst und mir aus Deinem weiten Reiche zwölfhundert marschfähige Rinder und zweitausend Ziegen mitgabst damit ich bezahlen könne, was meine Reise im fremden Lande koste, da wusste niemand, dass ich schon jetzt nach zwei Monden kein einziges Deiner blanken Rinder mehr bei mir haben würde und dass ich trotzdem, dank Deinem Reichtum und Deiner Macht nicht Not leiden würde.

Ich habe schon am großen See der Wasukuma alle Deine Rinder und Ziegen gegen Metallstücke eingetauscht und diese Metallstücke wieder gegen ein beschriebenes Papier. Damit bin ich dann alleine weitergereist und wo ich das Papier zeige, da bekomme ich die Münze, die ich gebrauche um Nahrung zu kaufen. So mächtig wirkt Dein Name.

Wisse: das Land, in dem ich jetzt reise, heißt Deutschland. Die Eingeborenen des Landes bezahlen nicht mit Rindern und Ziegen, auch nicht mit Glasperlen oder Kaurimuscheln oder Baumwollstoff. Kleine Metallstücke und buntes Papier ist ihre Münze und das Papier ist wertvoller als das Metall. Es gibt ein braunes Papier, das ist mehr wert als eine ganze Zahl Deiner Rinder. Es ist etwa so, als wenn man am Sabinjoberge vier tragende Kühe für einen geflochtenen Grasring kaufen könnte. (Dabei weiß doch jeder Hutuv, dass man für zwanzig Grasringe noch nicht so viel Brennholz bekommt, wie eine Familie gebraucht um sich in der Regenzeit eine warme Nacht zu gönnen.)

Ich glaube Dein Gesicht zu sehen, wie Du lachst über den Unsinn, den ich Dir aus Inner-Deutschland erzähle. Aber großer König eins muss ich Dir jetzt immer wieder sagen: Die Eingeborenen des Landes empfinden diesen und noch viel größeren Unsinn als etwas Selbstverständliches und sie sind so sehr daran gewöhnt, dass sie erschrecken würden, wenn es anders wäre. Ja, wenn ich ihnen sage (ich spreche die Eingeborenensprache schon ganz gut), dass wir in Kitara mit anderer Münze zahlen, dann sagen sie, was sie hätten sei besser und fragen, ob sie kommen sollten und Dir das Bessere bringen.

Sie nennen alles, was sie bringen wollen mit einem Worte „Kultur“. Da aber niemand etwas Besseres bringen kann als er hat und da mir das, was diese „Menschen“ (so nennen sie sich in vollem Ernst!) haben, nicht gefällt, so antworte ich jedes Mal Du ließest „bestens danken“ Das ist nämlich der Ausdruck den sie anwenden, wenn sie sagen wollen, was in unserer Sprache heißt: „Nein, ich will nicht!“

Herr der Berge, Du zürnst mir vielleicht, weil ich die hundert schnellfüßigen Boten und ihre hundert Briefbegleiter im Walde von Bukome, an der Grenze Deines Reiches zurückließ. Das musste ich tun, wenn ich überhaupt weite Länder und Meere durcheilen und in dies Land kommen wollte. Ich musste von dem Plan absehen, für jeden Brief, den ich Dir schreibe, einen Boten und einen Briefbegleiter mitzunehmen. Denn man hält es hier ganz anders mit Briefen als in Deinem Lande. Bei Dir gilt es als Gesetz, das jeder kennt: es darf nur ein Brief an einem Tage in Deiner Stadt eintreffen. Diesen bringt ein Bote und ein anderer begleitet ihn, denn einer alleine kann nicht Briefbote sein. Wenn die beiden den Ruhiga überschritten haben, dann eilt ihnen die Kunde des Kommens voraus und man weiß es bald darauf in Deiner Residenz. Und wenn sie endlich nach Tagen über den Hochpass von Kibata hinab kommen, dann folgt ihnen eine vielköpfige Schar hochgewachsener Jünglinge und die Trommler und Bläser ziehen den Abhang vor Kabares Hof hinab, ihnen entgegen.

Was bedeutet dagegen in diesem Lande ein Brief! Nichts! Und das darf uns nicht wundernehmen. Denn in Deutschland gibt es Briefe, so viele wie Gras auf den Viehweiden von Mpororo. Ein einziger Bote trägt hundert Briefe auf einmal, ja jeder einzelne Mann darf Briefe bekommen und mancher bekommt viele auf einmal. Ich sehe selten, dass jemand durch das Lesen all der Briefe zufriedener werde oder schlechter gestimmt. Und wenn er über den einen Brief traurig wird, so greift er schnell zum nächsten, über den er froh wird und wenn er alle Briefe fertig gelesen hat, dann weiß er nicht, ob er froh oder traurig sein soll. Nur müder ist er geworden. Und unlustiger, den Acker zu hacken, das Vieh zu hüten. Wenn er überhaupt Acker und Vieh zu verwalten hat.

Du siehst schon, es ist unglücklich dieses Volk, doch lass mich heute nicht nach den Ursachen fragen. Ich will Dir auch in den nächsten Briefen nur schildern, was ich sehe und will erst viel später meine Schlüsse ziehen. Noch vieles habe ich Dir zu schreiben.

Riangombe, der über dem Feuerberge wohnt und mit Schnee seine Füße kühlt, schütze

Dich und mich,

Deinen Diener

Lukanga Mukara.

2.2. Zweiter Brief

Birkhain, den 20. Mai 1912.

Leuchtender Kigeri!

Ich bin an einem Platze, der einsam ist. Hügel mit Büschen umgeben mich. Ein See liegt zwischen hohen Bäumen, im Schilf seiner Ufer schwimmen Enten. Im flachen Wasser stehen Kraniche und hoch in der Luft fliegen zwei Störche, die jetzt gerade aus Kitara herübergekommen sind, wo sie die Zeit zubrachten, in der es hier bitter kalt ist und Schnee und Eis mannshoch auf dem Lande liegen, wie Du es kennst von dem Gipfel des Karissimbi. Das wilde Getriebe der Städte dringt nicht hierher und ich könnte mir denken, ich sei in Kitara am Ufer des Ruhiga, an den weiten Buchten des Urigi, wo der Schrei der Kronenkraniche weithin ertönt, wenn sie mit langsamem Flügelschlage über die reifen Kornfelder dahinfliegen. Es ist derselbe Schrei, den ich hier höre. Der Vogel aber sieht anders aus: ihm fehlt die buschige Krone, fehlt die weiße Brust. Bronzerot schimmert dennoch sein Hinterhaupt. Hierher bin ich gegangen, weil ich wirr wurde im Kopfe über das Neue und Widersprechende, was ich in diesem fremden Lande sah und weil ich Ruhe haben wollte vor dem Lärm.

Strahlender Fürst! Wenn ich unter den tausenden eng bekleideter Wasunguvi einherging oder nachts aus Träumen erwachte, dann war mir oft, als hätte ich Pombevii getrunken. (Wie einst als mir Ibrahimu noch nichts von seiner Lehre gesagt hatte, die den Rausch eines Menschen für unwürdig hält.)

Über diesem Lande liegt etwas, wie ein großer Trug. Man sagt in Kitara: Wo zwischen den Bergen Rauch aufsteigt, da sein eines Wanderers Ziel, denn da gibt es Wärme und warme Speise. Ein Handwerker brennt Schnitzwerk aus, die Eisenschmelzer sitzen in freier Luft auf den Blasebälgen oder ein Schmied schmiedet Speerspitzen, Hacken und Nadeln. Drum ist dort ein reges Leben und viele Menschen kommen und freuen sich über die Kraft und Kunst, die dem Volke innewohnt. Wenn ein Schmied von der Arbeit aufsteht, dann rühmt man die breiten Schultern fast mehr als die geschickten Hände.

In Deutschland ist sehr viel Rauch. Aber das ist kein Rauch, der eines Wanderers Augen auf sich zieht, der die Schritte beschleunigt oder das Herz höher schlagen lässt. Es ist kein Rauch in frischer Luft. Es ist Rauch im Dunst, ja Rauch im Rauch. In langen, steinernen Röhren wird er zum Himmel geleitet. Aber der Himmel will ihn nicht und so liegt er wie ein Frühnebel über der Erde. Und wenn er als eine dicke, atemraubende Masse überall hinfließt, wie soll man irgendwohin eilen, sich seines Ursprungs zu freuen! Im Gegenteil: Wer sich die Lungen nicht mit Rauch füllen lassen will, flieht die Plätze, an denen die vielen Eingeborenen zusammenkommen, flieht auf das Land hinaus, wo die Luft noch rein und frisch ist. Denn unerträglich ist die Luft, die die Wasungu sich gewöhnen einzuatmen. Sie lieben es zur Arbeit, zum Vergnügen, zum Unterricht, ja zum Gottesdienst in geschlossenen Räumen beisammen zu sein. Stundenlang.

 

Jeder atmet Luft, die schon ein anderer geatmet hat. Dahinein mischt sich Rauch, Dunst und Essensgeruch. Es müssen viele von ihnen krank sein. Ich weiß das nicht, denn ich sehe nur gesunde Leute in den Straßen und glaube, dass sie die Kranken an einen anderen Platz schaffen. Ich ging einem großen Rauch nach und kam in einen Trupp von Leuten, die denselben Weg gingen. Es waren Männer und Frauen, die alle nicht froh aussahen. Ich fragte einen jungen Sungu weshalb er so schnell gehe, ob es da, wo er hingehe, etwas Schönes zu sehen gebe? Er lachte spöttisch und unfreundlich und sagte, er gehe zur Arbeit und wenn er zu spät komme, schelte „der Alte“. Und der Eilige hatte nicht Zeit mit mir weiter zu sprechen. Es gibt überhaupt keinen Sungu, der es nicht eilig hat. Jeder hat immer etwas vor und jetzt weiß ich auch weshalb der Sungu, der Kitara bereiste die Männer so oft fragte: „Was arbeitest du?“ Und weshalb er sich erregte, wenn er die Antwort bekam: „Tinkora mlimô mingikala“. „Ich arbeite nicht. Ich bin vorhanden.“ Das erboste ihn, weil es in Deutschland keinen Mann gibt, der ohne Arbeit zufrieden sein dürfe, es sei denn er habe viel Geld. Sie arbeiten alle, weil sie Geld haben wollen. Und wenn sie Geld haben benutzen sie es nicht dazu sich Glück zu verschaffen, was ja nichts kosten würde, sondern sie lassen sich von anderen, die Geld gewinnen wollen einreden, sie müssten um glücklich zu sein alle möglichen Dinge kaufen, Dinge, die ganz unnütz sind und da gemacht werden, wo der Rauch aufsteigt.

Ich glaube, ein Mann, der mit wenig auskommt und nichts kauft, ist in Deutschland nicht angesehen. Ein Mann aber, der sich mit tausend Dingen umgibt, die er aufbewahren, beschützen, verschließen und reinigen, ja, die er täglich ansehen muss, der gilt etwas. Und solch ein Mann kann doch zu nichts Rechtem Zeit haben. Er kann auch nichts Nützliches tun. Er wird immer auf seinen Sachen sitzen müssen, anstatt in die Welt hinauszugehen und Lieder kennen zu lernen. Dazu gehören in Kitara nur ein Stock, ein geflochtener Beutel mit zwei Hölzern zum Feuerreiben und eine Zupfgeige. Wer das an sich nimmt, kann reisen und wenn er, nach Monden, heimkommt, von den Tänzen und Liedern fremder Völker erzählen, von der Art, wie andere Völker den Elefanten jagen und wie sie die reifen Jungfrauen schmücken.

Das ist der Irrtum, der über dem Lande liegt: Auch in Deutschland mag einst Rauch den Ort glücklichen Schaffens angezeigt haben, jetzt ist das vorbei. Zum Fluch wurde die Arbeitskraft, die das Feuer erzeugt. Elende Sklaven sind die Eingeborenen, die mit der Kraft des Feuers arbeiten. Das sah ich, als ich dem Rauch nachging. In furchtbarem Lärm, der größer ist als die Gewitter des Frühlings, stehen Männer und Frauen und bewegen ihre Hände an den Maschinen. Sie stehen da, in schlechter Luft, in geschlossenem Raum und am ganzen Körper bekleidet. Sie machen eine Arbeit, die nie fertig wird, machen jahrelang dieselbe Arbeit.

Wie viel besser ist es doch in Kitara! Da hat jede Jahreszeit ihre besondere Arbeit und niemand braucht das ganze Jahr über am Blasebalg zu stehen oder Rindenstoff zu klopfen. Zur Bestellung des Landes müssen die Hacken fertig sein. Vorher hämmern die Schmiede und vor den Schmieden wird das Eisen ausgeschmolzen. Der Rauch verzieht sich wieder und die zartesten Pflanzen wachsen um den Hochofen herum. Und auch die Lungen der Menschen werden wieder rein.

Ich sagte, die Eingeborenen trügen sogar bei der Arbeit Kleider. Es ist so und es wundert mich immer wieder. Alle Eingeborenen gehen nur bekleidet umher und selbst zum Baden ziehen sie ein dünnes Kleid an. Niemand hat das Recht, nackt zu gehen, ja niemand findet es anstößig und gemein, Kleider zu tragen. Selbst der König des Landes unterwirft sich dem Zwang der Kleidung. An dem Körper trägt er dicke, genähte Stoffe. Den Kopf bedeckt er und die Füße umkleidet er mit genähtem Kalbfell. Wie groß und erhaben bist Du doch, Mukama, gegen ihn! Dein Kleid ist Bastfaden, an dem zwei geschnitzte Hörner eines Buschbocks hängen. Ein gestreiftes Ziegenfell bedeckt Deine linke Hüfte. Frei atmet Deine Brust, die Sonne bescheint Deine glatte Haut und Dein nackter Fuß berührt die fruchtbare Erde.

So gehe auch ich hier jetzt unbekleidet im Sande umher, wo mich keine Eingeborenen sehen. Wenn sie mich nackt sähen, würden sie mich verfolgen. Auch ich muss in diesem Lande Kleider tragen, wenn ich das Volk nicht aufreizen will. Es ist eine Qual für Deinen freien Diener, ein Schmerz und eine Gefahr, die er nur auf sich nimmt um der Forschung willen und für die Wissenschaft Kitaras.

Du glaubst gewiss, die Bewohner des Landes außerhalb der großen Städte gingen nackt einher. Nein, auch sie bekleiden sich vom Kopf bis zu den Füßen und vor allem sieht man nie einen Mann, der keinen Hut auf dem Kopfe trüge. Wenn jemand in einer Stadt ohne Hut ginge, würden die Eingeborenen scharenweise hinter ihm herlaufen und ihn verspotten.

Der Hut ist das Zeichen der Würde und wenn er auch nur aus einem schmutzigen, schweißdurchtränkten Bündel Zeug besteht, es gilt als vornehm ihn zu tragen. So kommt es, dass den meisten Wasungu die Kopfhaare aus Mangel an Licht und Luft wegfaulen und der Kopf kahl wird. Das ist denn auch eine große Sorge aller Männer und sie geben viel Geld aus bei Leuten, die mit der Pflege des Kopfhaares anderer Eingeborener Geld verdienen wollen. Dort lassen sie sich verschiedene Flüssigkeiten empfehlen und verkaufen. Nur das eine tun sie nicht, was nichts kostet und in Deutschland wie in Kitara von dem ärmsten Manne am leichtesten gebraucht werden kann: keinen Hut auf den Kopf zu tun.

Die Wasungu sagen, man gebrauche einen Hut, um den Kopf zu wärmen und zu schützen und um damit zu grüßen. Ihr Gruß besteht nämlich darin, dass sie den Hut einmal vom Kopf herunternehmen und wieder hinauf tun. Hinknien und in die Hände klatschen ist als Gruß ganz unbekannt.

Was sie an Kleidern am Körper tragen sollen, schreiben die Handwerker vor, die die Kleider nähen und besonders die reichen Eingeborenen folgen ihnen darin unbedingt. Wenn Du etwa meinst, ein kräftiger, schöner und geschmeidiger Körper komme in einem solchen Kleide zum Ausdruck, irrst Du. Die Kleider der Männer werden so gemacht, dass jeder Schwache ebenso aussieht wie ein sehniger Mann und dass kein Mann den Wunsch hat, seinen Körper zu verbessern oder sich davor bewahrt, den Leib zu entstellen: die Kleider verdecken jede Schwäche. Selbst die Frauen sehen bei der Wahl der Männer nicht auf die Schönheit und Kraft des Körpers, sondern auf die Form und den Wert der Kleider und des Hutes. Die Frauen wissen gar nicht, wie ein schöner, gebildeter Körper aussieht. Sie heiraten dann einen Anzug und zugleich den Mann, der darin steckt. Die Unsitte der Kleider bringt es auch mit sich, dass die Männer und Frauen der Wasungu heiraten ohne Voneinander zu wissen, wie sie nackt aussehen. Das würde in Kitara als Schande und niedrigste Gemeinheit angesehen werden, wenn es je vorkäme. Es wäre ein Verbrechen an der Zukunft des Volkes. In Deutschland gilt es als anständig.

Du wirst, großer König, wissen wollen, was ich selbst an meinem Körper trage, um unbelästigt durch die Städte der Eingeborenen zu gehen und wie ich den Schmutz der Kleider ertrage?

Am Morgen nach dem Bade reibe ich die Haut mit Öl ein und ziehe Unter- und Oberkleider an. Die Unterkleider werden durch Bänder über den Schultern festgehalten. Das ist ein Schmerz, weil der Druck dieser Bänder den Oberkörper zusammen biegt. Viele Wasungu sind dadurch gekrümmt und ihr Rücken tritt weit hervor. Um den Hals knöpfe ich einen steifen Ring aus Pflanzenfasern. Eine furchtbare Erfindung, die umso unverständlicher ist, als die Wasungu die Kunst, weiche Gewebe herzustellen meisterhaft verstehen. Über die Füße streifen die Wasungu enge Gewebe aus Schafwolle, wodurch sie die Zehen gewaltsam zusammenpressen, so dass es ihnen unmöglich gemacht wird sicher zu gehen. Ich hielt den Schmerz nicht aus, als ich es versuchte die Gewebe an den Füßen zu tragen und habe den unteren Teil dieser Kleidungsstücke abgeschnitten, was niemand sehen kann, weil die ganzen Füße in Lederhülsen stecken, die dicht geschlossen sind. Diese Schuhe spielen in der Bekleidung eine große Rolle. Es klingt unglaublich: auch die Form der Schuhe wechselt nach der Laune und dem Willen der Handwerker, und der Fuß der Eingeborenen muss die seltsamsten Formen annehmen, um in die Schuhe hineingepresst zu werden. Ich selbst habe mir von einem Handwerker Schuhe nähen lassen, die so groß sind, dass ich meine Zehen darin frei bewegen kann.

Die Wasungu ziehen ihre Schuhe nicht aus, wenn sie in die Häuser hineingehen, sie baden ihre Füße nicht, bevor sie eintreten, sie halten aber darauf, dass das Äußere der Schuhe schön blank geputzt ist. Es wird mehr Mühe verwandt auf die Bereitung von Mitteln zum Putzen der Schuhe, als auf Einrichtungen die Füße selbst schön zu bilden und gesund zu erhalten.

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